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  • · Fachbeitrag · Pflichtverteidigerwechsel

    Umbeiordnung und Mehrkostenklausel

    | Die Frage der sog. Umbeiordnung macht häufig Probleme. Dabei spielt auch die Frage eine Rolle, ob und inwieweit der „neue“ Pflichtverteidiger auf Gebühren verzichten kann bzw. sogar muss. Das KG hat hierzu entschieden: Ein Pflichtverteidigerwechsel ist auch ohne wichtigen Grund ausnahmsweise zulässig und wegen der gerichtlichen Fürsorgepflicht geboten, wenn der bisherige Pflichtverteidiger damit einverstanden ist, die Beiordnung des neuen Verteidigers das Verfahren nicht verzögert und mit dem Verteidigerwechsel keine Mehrbelastung für die Staatskasse verbunden ist. Ein Gebührenverzicht des (alten oder neuen) Pflichtverteidigers zur Vermeidung einer Mehrbelastung für die Staatskasse ist daher zulässig. |

     

    Sachverhalt

    Rechtsanwalt R 1 war als Pflichtverteidiger bestellt worden. Der Angeklagte hatte zuvor auf den Hinweis, dass er einen Verteidiger benennen könne, nicht reagiert. Es meldete sich dann Rechtsanwalt R 2, der für den Angeklagten um Auswechselung des R 1 bat. Das AG lehnte das ab. In der Berufungsinstanz beantragte R 2 erneut im Namen des Angeklagten seine Beiordnung als Pflichtverteidiger unter Entpflichtung des bisherigen Pflichtverteidigers R 1 „mit der Maßgabe, dass die Gebühren und Auslagen nur einmal entstehen und entsprechende Verzichtserklärungen abgegeben werden“. Das LG hat den Antrag abgelehnt. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte Erfolg.

     

    Relevanz für die Praxis

    Die Entscheidung des KG (2.9.16 4 Ws 125/16, Abruf-Nr. 190217) entspricht der h. M. (Burhoff, RVG, 4. Aufl., Teil A Rn. 951 m. w. N.). Insofern ist ein Gebührenverzicht zulässig (OLG Oldenburg NStZ-RR 10, 210; OLG Karlsruhe NStZ 16, 305; OLG Düsseldorf StraFo 07, 156; OLG Naumburg StraFo 05, 73). Das widerspricht nicht dem in § 49b Abs. 1 BRAO normierten Verbot der Gebührenunterschreitung; ein solches betrifft ausschließlich den Fall der vertraglichen Vereinbarung über die Höhe der Gebühren, die mit dem Mandanten geschlossen wird und vorsieht, dass ein geringerer Betrag als von der Gebührenordnung vorgesehen zu zahlen ist (BT-Drucksache 12/4993, S. 31; OLG Braunschweig StraFo 08, 428; OLG Frankfurt NStZ-RR 08, 47; Burhoff, a.a.O.).

     

    Dass ein Pflichtverteidiger gegenüber der Staatskasse auf seine Gebühren verzichten kann, ist auch höchstrichterlich anerkannt (BVerfG 4.5.09, 1 BvR 2251/08 und 1 BvR 2252/08) und ergibt sich bereits daraus, dass die Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung nach § 55 RVG einen Antrag des Rechtsanwalts voraussetzt (Burhoff/Volpert, RVG, Teil A Rn. 2155).

     

    PRAXISHINWEIS | Noch einfacher ist die Lösung, wenn im Beiordnungsverfahren das Anhörungsrecht des Beschuldigten verletzt wird (vgl. § 142 StPO). Dann kann ohne Weiteres umbeigeordnet werden, ohne dass von der „Mehrkostenklausel“ Gebrauch gemacht werden darf (LG Bielefeld 7.9.16, 8 Qs 379/16 VIII; LG Siegen StRR 15, 465). Ist also die Bestellung erfolgt, ohne dass dem Beschuldigten die notwendige Gelegenheit gegeben wurde, einen Rechtsanwalt zu bezeichnen, ist sie aufzuheben und der nun bezeichnete Rechtsanwalt beizuordnen.

     
    Quelle: Ausgabe 09 / 2017 | Seite 153 | ID 44737171