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  • · Fachbeitrag · Bußgeldverfahren

    Eine oder mehrere Angelegenheiten?LG Bonn anwaltsfreundlich!

    von RA Detlef Burhoff, RiOLG a. D., Münster/Augsburg

    | Die Frage, ob der Rechtsanwalt in einer oder in mehreren Angelegenheiten tätig geworden ist, wirkt sich gebührenrechtlich entscheidend aus. Denn handelt es sich um Tätigkeiten in mehreren Angelegenheiten, kann er nach § 15 RVG gesondert abrechen. Und da können schnell erhebliche Unterschiede auftreten, wie jetzt das LG Bonn - anwaltsfreundlich - gezeigt hat. |

     

    Sachverhalt

    Der Betroffene war unter Freispruch im Übrigen wegen zwei von 19 ihm zur Last gelegten Verstößen verurteilt worden. Diese waren Gegenstand von zwei Bußgeldverfahren, die zu einem (führenden) Verfahren vom AG hinzuverbunden worden waren. Gegen den Betroffenen waren 19 Bußgeldbescheide erlassen worden. Der Verteidiger des Betroffenen ist in seinem Kostenfestsetzungsantrag von unterschiedlichen Angelegenheiten ausgegangen. Er hat im führenden Verfahren die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG und die Verfahrensgebühren Nr. 5101 VV RVG und Nr. 5107 VV RVG sowie die Terminsgebühren Nr. 5108 VV RVG geltend gemacht. In den hinzuverbundenen Verfahren hat er jeweils die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG und die Verfahrensgebühren Nr. 5101 VV RVG und Nr. 5107 VV RVG angemeldet.

     

    Das AG hat dem Kostenfestsetzungsantrag nur teilweise entsprochen. Es hat sämtliche Verfahren als dieselbe Angelegenheit i. S. von § 15 Abs. 2 RVG angesehen. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Betroffenen hatte - teilweise - Erfolg.

     

    Entscheidungsgründe

    Das LG Bonn hat entschieden (30.3.16, 27 Qs 12/16, Abruf-Nr. 194541): Selbstständige, nicht formell verbundene oder als solches getrennte Bußgeldverfahren führen zu mehreren Angelegenheiten bzw. mehreren Rechtsfällen i. S. d. § 15 RVG. Dies gelte unabhängig davon, ob sie in einem Aktenband geführt werden.

     

    PRAXISHINWEIS | Danach haben Sie bei einer derartigen Durchführung für jedes dieser Verfahren Anspruch auf gesonderte Gebühren und Auslagen.

     

    Sofern es im Bereich der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten der Behörde freisteht, mehrere prozessuale Taten in einem Bescheid zu bündeln oder mehrere, jeweils einzeln kostenpflichtige Bescheide zu erlassen, ist die Entscheidung auch im Bereich der Kostenerstattung nachzuvollziehen.

     

    Wichtig | Im Ergebnis brachte diese Entscheidung dem Rechtsanwalt Mehreinnahmen von fast 1.500 EUR brutto!

     

    Die Kammer argumentiert, dass der Begriff der „Angelegenheit“ vom RVG selbst nicht definiert werde. Maßgebend für die Abgrenzung von Angelegenheiten sei der jeweilige Einzelfall.

     

    PRAXISHINWEIS | Zum Strafverfahren wird nahezu einhellig folgende Ansicht vertreten: Führen die Strafverfolgungsbehörden gegen einen Beschuldigten mehrere Ermittlungsverfahren, ist jedes eine eigene Angelegenheit, solange die Verfahren nicht miteinander verbunden worden sind. Selbstständige Ermittlungsverfahren führen daher zu mehreren Angelegenheiten bzw. mehreren Rechtsfällen i. S. d. Nr. 4100 VV RVG, selbst wenn sie in einem Aktenband geführt werden. Der Rechtsanwalt hat deshalb bei einer derartigen Durchführung für jedes dieser Verfahren Anspruch auf gesonderte Gebühren und Auslagen.

     

    Ein Grund dafür, dieses für Bußgeldverfahren anders zu beurteilen, besteht nicht. Auch solche, nicht formell verbundene oder getrennte Verfahren sind kostenrechtlich getrennt zu behandeln; dies entspricht dem Grundsatz der Rechtsklarheit (LG Bonn RVGprof. 12, 62; LG Potsdam RVGprof. 13, 129).

     

    Relevanz für die Praxis

    Die Entscheidung ist zutreffend. Sie entspricht der h. M. in Rechtsprechung und Literatur (KG StRR 11, 359; LG Braunschweig RVGprof. 10, 214; LG Hamburg AGS 08, 545; AG Tiergarten RVGprof. 09, 203; Winkler in: Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl., § 15 Rn. 33, 71; Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl., Teil A: Angelegenheiten [§§ 15 ff.], Rn. 96 m.w.N.).

     

    Vereinzelt wird zwar vertreten, allein dadurch, dass mehrere Verfahren bei den Ermittlungsbehörden - aus organisatorischen oder statistischen Gründen - ursprünglich gesondert geführt und erst später verbunden werden, könnten keine verschiedenen gebührenrechtlichen Angelegenheiten erzeugt werden. Denn auch dem Rechtsanwalt sei es nicht erlaubt, einseitig und ohne hinreichenden Sachgrund anstehende Verfahren eines Auftraggebers zu vereinzeln, statt sie nach ihrer objektiven Zusammengehörigkeit als eine Angelegenheit zu behandeln (LG Detmold 25.2.15, 4 Qs 21/15).

     

    Das überzeugt aber nicht. Denn dabei bleibt außer Acht, dass in einem solchen Fall der formale Rahmen durch die Ermittlungsbehörden vorgegeben worden ist.

     

    MERKE | Wollen die Ermittlungsbehörden mehrere (Ermittlungs-)Verfahren führen, müssen sie auch das darin steckende Kostenrisiko tragen.

     

     

    Weiterführende Hinweise

    • Gleichzeitige Verhandlung bewirkt noch keine Verbindung, RVGprof. 13, 129
    • Zwölf Bußgeldverfahren und nur ein Schriftsatz: Anwalt kann Gebühren in zwölf Verfahren fordern, RVGprof. 12, 62
    • Abgrenzung Grundgebühr/Verfahrensgebühr, RVGprof. 10, 214
    • Nach Verfahrensverbindung mehrfach abrechnen, RVGprof. 09, 203
    Quelle: Ausgabe 08 / 2017 | Seite 137 | ID 44737161