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  • Gebührenanrechnung
    Zivilsachen: Geschäftsgebühr richtig anrechnen
    von Dipl.-Rechtspfleger Joachim Volpert, Düsseldorf
    Nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG wird die Geschäftsgebühr aus Nrn. 2400, 2402 VV RVG zur Hälfte, höchstens aber mit einem Satz von 0,75 auf die nach Teil 3 VV RVG entstandene Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Voraussetzung für die Anrechnung ist, dass beide Gebühren denselben Gegenstand betreffen. Da die Umsetzung in der Praxis erhebliche Probleme bereitet, erläutern wir Ihnen anhand einiger Beispiele die rechnerische Durchführung der Anrechnung.
    Anrechnung bei teilweiser Deckung der Gegenstandswerte
    Nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 S. 3 VV RVG erfolgt die Anrechnung nach dem Wert des Gegenstands, der in das gerichtliche Verfahren übergegangen ist. Wird somit der Gegenstand der außergerichtlichen Vertretung nur teilweise Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens, wird nicht die tatsächlich entstandene, sondern eine nach dem Gegenstandswert des gerichtlichen Verfahrens berechnete Geschäftsgebühr angerechnet.
    Beispiel 1: Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr
    Rechtsanwalt R fordert den Gegner auftragsgemäß außergerichtlich zur Zahlung in Höhe von 8.000 EUR auf. Die Tätigkeit war durchschnittlich umfangreich und durchschnittlich schwierig. Der Gegner zahlt 3.000 EUR. Wegen der fehlenden 5.000 EUR reicht R auftragsgemäß Klage ein. Welche Gebühren kann R ohne Postpauschale netto abrechnen?
    Lösung: R kann folgende Gebühren abrechnen:
    1,3 Geschäftsgebühr Nr. 2400 VV RVG, Wert 8.000 EUR   535,60 EUR
    1,3 Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV RVG, Wert 5.000 EUR 391,30 EUR  
    Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 S. 3 VV RVG ./. 195,65 EUR  
    Auf die Verfahrensgebühr wird die Hälfte der Geschäftsgebühr angerechnet, wobei sich die Geschäftsgebühr nach dem Gegenstandswert des Gerichtsverfahrens berechnet. Also: 0,65 Geschäftsgebühr aus 5.000 EUR (0,65 x 301 EUR)    
    Nach Anrechnung verbleibende Verfahrensgebühr   195,65 EUR
        731,25 EUR
    Die Geschäftsgebühr wird mit dem Wert zur Hälfte angerechnet, mit dem in das gerichtliche Verfahren übergegangen wird. Das sind hier die 5.000 EUR.
    Praxishinweis: Der Gegner muss im Fall des Unterliegens dem Kläger in der Kostenfestsetzung die Verfahrensgebühr (391,30 EUR) erstatten. Die Differenz zwischen der Geschäftsgebühr (535,60 EUR) und der Verfahrensgebühr (391,30 EUR) in Höhe von 144,30 EUR kann der Kläger als Verzugsschaden fordern (vgl. hierzu Schönemann RVG prof. 04, 97).
    Anrechnung bei mehreren Auftraggebern
    Bei der Vertretung mehrerer Personen als Auftraggeber erhöht sich die Geschäfts- und die Verfahrensgebühr nach Nr. 1008 VV RVG. Nach dem Wortlaut von Nr. 1008 VV RVG erhöht sich zwar die Geschäfts- oder die Verfahrensgebühr. Diese Unschärfe war aber so wohl nicht gewollt. Denn der Gesetzgeber geht in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 15/1971, 205) davon aus, dass sich nach § 6 Abs. 1 BRAGO beide Gebühren erhöhen. Da er diesen Gedanken in Nr. 1008 VV übernommen hat, werden trotz des ungenauen Gesetzeswortlauts beide Gebühren erhöht.
    Es entsteht keine besondere "Erhöhungsgebühr" neben der Geschäftsgebühr, sondern nur eine einheitliche erhöhte Geschäftsgebühr Nrn. 2400, 1008 VV RVG. Da Vorbemerkung 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG für die Anrechnung nur auf die Geschäftsgebühr Nr. 2400 VV RVG Bezug nimmt, ist unklar, ob die Geschäftsgebühr einschließlich Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG angerechnet werden muss.
    Beispiel 2: Anrechnung bei Vertretung mehrerer Personen
    Nach auftragsgemäßer, aber vergeblicher Zahlungsaufforderung klagt R für seine vier Mandanten 8.000 EUR ein. Die Tätigkeit war insgesamt überdurchschnittlich. Welche Gebühren entstehen netto ohne Postpauschale?
    Lösung: Für R sind folgende Gebühren angefallen:
    2,5 Geschäftsgebühr Nrn. 2400, 1008 VV RVG, Wert 8.000 EUR
    1,6 Geschäftsgebühr + 0,9 Erhöhung für drei weitere Auftraggeber
      1.030,00 EUR
    2,2 Verfahrensgebühr Nrn. 3100,1008 VV RVG, Wert 8.000 EUR
    1,3 Verfahrensgebühr + 0,9 Erhöhung für zusätzliche Auftraggeber
    906,40 EUR  
    Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG
    Auf die Verfahrensgebühr wird die 0,75 Geschäftsgebühr angerechnet.
    ./. 309,00 EUR  
    Nach Anrechnung verbleibende Verfahrensgebühr   597,40 EUR
        1.627,40 EUR
    Maßgeblich für die Anrechnung ist die 2,5 Geschäftsgebühr. Hiervon ist die Hälfte (1,25), höchstens aber 0,75 anzurechnen. Auch wenn nur die 1,6 Geschäftsgebühr Nr. 2400 VV RVG angerechnet wird, beträgt der Anrechnungsbetrag 0,75, da 0,75 die Obergrenze bildet.
    Wird die 1, 3 oder die erhöhte Geschäftsgebühr angerechnet?
    Abwandlung: Anrechnung der erhöhten Geschäftsgebühr?
    Der Sachverhalt ist wie im Beispiel 2, allerdings ist die außergerichtliche Tätigkeit des R nur durchschnittlich umfangreich und schwierig. Welche Gebühren kann R abrechnen?
    Lösung: R kann folgende Gebühren abrechnen:
    2,2 Geschäftsgebühr Nrn. 2400, 1008 VV RVG, Wert 8.000 EUR
    1,3 Geschäftsgebühr/Regelgebühr + 0,9 Erhöhung
      906,40 EUR
    2,2 Verfahrensgebühr Nrn. 3100,1008 VV RVG, Wert 8.000 EUR
    1,3 Verfahrensgebühr + 0,9 Erhöhung
    906,40 EUR  
    Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG ./. 309,00 EUR  
    Auf die Verfahrensgebühr wird die 0,75 Geschäftsgebühr angerechnet, s. Beispiel 2  
    Nach Anrechnung verbleibende Verfahrensgebühr   597,40 EUR
        1.503,80 EUR
    Problematisch ist bei der Anrechnung, dass nach dem Wortlaut der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG nur auf Nr. 2400 VV RVG und nicht auf Nr. 1008 VV RVG Bezug genommen wird. Hieraus kann geschlossen werden, dass nur die reine Geschäftsgebühr Nr. 2400 VV RVG, die hier mit 1,3 entsteht, angerechnet wird. Die Anrechnung würde hier statt mit 0,75 nur mit 0,65 erfolgen (so Schönemann, RVG prof. 04, 97). Dem kann Folgendes entgegen gehalten werden: Es ist eine einheitliche 2,2 Geschäftsgebühr nach Nrn. 2400, 1008 VV RVG und nicht jeweils gesondert eine 1,3 Geschäftsgebühr Nr. 2400 VV RVG und eine 0,9 Erhöhung Nr. 1008 VV RVG entstanden. Maßgeblich für die Anrechnung ist daher die 2,2 Geschäftsgebühr. Hiervon ist die Hälfte mit 1,1, höchstens aber 0,75 anzurechnen (vgl. hierzu auch Mock, AGS 04, 45, 51).
    Das folgende Beispiel verdeutlicht den Unterschied, wenn die erhöhte und wenn die nicht erhöhte Geschäftsgebühr angerechnet wird.
    Beispiel 3: Unterschied bei Anrechnung der erhöhten bzw. nicht erhöhten Gebühr
    R erstellt für die aus vier Personen bestehende Erbengemeinschaft ein Kündigungsschreiben. Da der Gegner nicht reagiert, erhebt R auftragsgemäß Räumungsklage. Der Gegenstandswert beträgt 2.500 EUR. Welche Gebühren kann R netto ohne Postpauschale abrechnen?
    Lösung:
    Wird die erhöhte Geschäftsgebühr angerechnet, kann R folgende Gebühren abrechnen:
    1,2 Geschäftsgebühr Nrn. 1008, 2402 VV RVG, Wert 2.500 EUR
    0,3 Geschäftsgebühr + 0,9 Erhöhung
        193,20 EUR
    2,2 Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV RVG, Wert 2.500 EUR
    1,3 Geschäftsgebühr + 0,9 Erhöhung
    354,20 EUR  
    Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG ./. 96,60 EUR  
    Auf die Verfahrensgebühr wird die Hälfte der erhöhten Geschäftsgebühr, also die 0,6 Geschäftsgebühr aus 2.500 EUR angerechnet.    
    Nach Anrechnung verbleibende Verfahrensgebühr   257,60 EUR
        450,80 EUR
    Wird dagegen die reine, nicht erhöhte Geschäftsgebühr Nr. 2402 VV RVG angerechnet, kann R Folgendes abrechnen:
    1,2 Geschäftsgebühr Nrn. 1008, 2402 VV RVG, Wert 2.500 EUR
    0,3 Geschäftsgebühr + 0,9 Erhöhung
      193,20 EUR
    2,2 Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV RVG, Wert 2.500 EUR
    1,3 Geschäftsgebühr + 0,9 Erhöhung
    354,20 EUR  
    Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG ./. 24,15 EUR  
    Auf die Verfahrensgebühr wird die Hälfte der nicht erhöhten Geschäftsgebühr, also eine 0,15 Geschäftsgebühr aus 2.500 EUR angerechnet.    
    Nach Anrechnung verbleibende Verfahrensgebühr   330,05 EUR
        523,25 EUR
    Praxishinweis: Nach § 15 Abs. 5 S. 2 RVG entfällt die Anrechnung, wenn der frühere Auftrag mehr als zwei Jahre erledigt ist. Noch weiter geht Hansens, der entgegen dem Gesetzeswortlaut die Ansicht vertritt, dass beim Abstand von sechs Monaten keine Gebühren mehr angerechnet werden (RVGreport 04, 89, 91).
    Quelle: RVG professionell - Ausgabe 08/2004, Seite 132
    Quelle: Ausgabe 08 / 2004 | Seite 132 | ID 106649