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21.03.2013 · IWW-Abrufnummer 130955

Amtsgericht Köln: Urteil vom 16.05.2012 – 613 Ls 3/12

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Amtsgericht Köln

613 Ls 3/12

Tenor:

Die Angeklagte ist einer fahrlässigen Tötung schuldig.

Von einer Bestrafung wird abgesehen.

Die Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens sowie ihre eigenen notwendigen Auslagen.

Grün­de:

I.

Die Angeklagte ist in Würzburg geboren und aufgewachsen.

2003 erlangte sie ihr Abitur und begann in Würzburg ein Medizinstudium, das sie 2009 erfolgreich abschließen konnte.

Nach dem 2. Staatsexamen erhielt sie am 01.12.2009 die Approbation als Ärztin.

Seit dem 15.10.2010 ist sie im XXX -Hospital in Köln als Assistenzärztin beschäftigt, wo sie ein monatliches Nettoeinkommen von € 2.700,-- erwirtschaftet.

Neben ihren Vorsorgeaufwendungen fällt im Rahmen ihrer regelmäßigen monatlichen Belastungen eine Kaltmiete von € 790,-- pro Monat an.

Die Angeklagte ist ledig.

Strafrechtlich ist sie noch nicht in Erscheinung getreten.

II.

Auf Grund des Ergebnisses der Hauptverhandlung steht zur Überzeugung des Gerichts folgender Sachverhalt fest:

Am 30.07.2011 gegen 21.50 Uhr transfundierte die Angeklagte dem 63-jährigen Patienten S. C. im XXX -Hospital in Köln eine Blutkonserve der Blutgruppe A Rh +. Diese Blutkonserve war vom Labor jedoch für eine andere Patientin bereitgestellt worden. Herr C. hatte die Blutgruppe 0 Rh +.Etwa 10 Minuten nach Beginn der Transfusion erbrach der Patient und wurde reanimationspflichtig.

Im weiteren Verlauf entwickelte sich bei ihm wegen der falschen Blutkonserve eine Entgleisung des Gerinnungssystems.

Als Folge verstarb der Patient trotz einer Blutaustauschtransfusion und intensivmedizinischer Maßnahmen am 31.07.2011 um 13.37 Uhr.

Zu der Verwechslung der Blutkonserven war es gekommen, weil die Angeklagten gleichzeitig durch das Labor zwei Blutkonserven für zwei verschiedene Patienten ausgehändigt bekommen hatte, die an der Konserve selbst in Bezug auf die Blutgruppe nicht gekennzeichnet waren. Diese ergab sich allein aus dem Begleitdokument, das in unübersichtlicher Art und Weise eine Vielzahl von Daten über die Beschaffenheit der Blutkonserve enthielt – u. a. auch die Blutgruppe.

Da die Angeklagte zum Zeitpunkt der Transfusion bereits eine 63-Stunden-Woche mit anschließendem mehr als 12-stündigen ununterbrochenen Notdienst hinter sich hatte, erst kurze Zeit als Ärztin tätig war und mehrere Maßnahmen für verschiedene Patienten gleichzeitig zu überwachen hatte, entging ihr infolge eines stressbedingten Konzentrationsfehlers die Verwechslung der Blutkonserven, durch die es zu der folgenschweren Entwicklung kam.

Dieser Sachverhalt steht fest aufgrund der geständigen Einlassung der Angeklagten sowie dem mündlich erstatteten Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr.D., Institut für Klinische Immunologie und Transfusionsmedizin der Universität Gießen.

Soweit es den faktischen Ablauf des Tatgeschehens betrifft, hat sich die Angeklagte umfassend geständig eingelassen.

Noch in der Hauptverhandlung konnte sich das Gericht davon überzeugen, dass das Geschehen die Angeklagte nachhaltig aufs Schwerste beeindruckt hat und dass sie nach wie vor unter ihrem Versagen leidet.

In seinem mündlichen Gutachten hat der Sachverständige erhebliche strukturelle Mängel in der Krankenhausorganisation festgestellt, die fast zwangsläufig zu einem Versagen der Angeklagten führen mussten:

Zunächst war sie nach einer – in dieser Form eigentlich nicht mehr zulässigen – 63-Stunden-Woche zu einem weiteren 24-Stunden-Notdienst eingeteilt, der sie als Berufsanfängerin mit Notfallpatienten mehr oder weniger allein ließ.

Die nach bereits mehr als 12-stündiger ununterbrochener Dienstzeit übermüdete und am Rande der Erschöpfung stehende Angeklagte wurde darüber hinaus mit Aufgaben betraut, die sie nach ihrem Ausbildungsstand nicht hätte wahrnehmen dürfen. Die Vornahme von Bluttransfusionen setzt nämlich eine besondere Schulung voraus, die umgangssprachlich „Blutführerschein“ genannt wird und in der der junge Arzt mit den besonderen Abläufen und Sicherheitsmaßnahmen bei Bluttransfusionen vertraut gemacht wird. Diese Schulung hatte die Angeklagte zum Zeitpunkt der hier abzuurteilenden Vorfälle noch nicht erhalten; gleichwohl wurde sie durch die Klinikverwaltung durch die Diensteinteilung in eine Situation gebracht, in der die Vornahme solcher Transfusionen während eines Notdienstes praktisch zwangsläufig anfallen musste. Dass die Angeklagte sich hiergegen nicht zur Wehr gesetzt hat, mag ihr vorgeworfen werden. Angesichts ihrer beruflichen Situation erscheint dieser mangelnde Mut allerdings nachvollziehbar.

Auch dass sie während ihres Einsatzes durch das Labor zwei quasi identisch aussehende Blutkonserven für zwei verschiedene Patienten mit verschiedenen Blutgruppen gleichzeitig erhielt, erhöhte angesichts ihres angegriffenen Allgemeinzustandes die Wahrscheinlichkeit für Fehler ganz erheblich.

In Wahrnehmung dieser organisatorischen Mängel hat die Krankenhausverwaltung entsprechend reagiert:

Eine gleichzeitige Aushändigung mehrere Blutkonserven ist heute ausgeschlossen.

Außerdem hat die Klinik ihre organisatorischen Fehler auch hinsichtlich der Belastung der Ärzte und ihrer Ausbildung erkannt:

Die Arbeitsverträge wurden zwischenzeitlich so geändert, dass die unzulässig langen Dienstzeiten verkürzt wurden – wenn auch nur in unzureichendem Maße.

Viel schwerer wiegt allerdings, dass die Klinikverwaltung die am Tag nach den Vorkommnissen nervlich zusammengebrochene Angeklagte herbeizitierte und sich eine inhaltlich unzutreffende Erklärung unterschreiben ließ, nach der die Angeklagte die erforderliche Fortbildung hinsichtlich der Gabe von Blutkonserven angeblich erhalten habe.

Hiermit versuchte sie ihr organisatorisches Versagen der ohnehin total am Boden zerstörten Berufsanfängerin überzubürden und von der eigenen Verantwortung abzulenken.

Neben dieses gravierende Organisationsverschulden der Krankenhausverwaltung trat eine Verkettung außergewöhnlicher Umstände, die erst dank ihres Zusammentreffens zum Tod des Patienten führten.

Bei normalen Patienten liegt die Wahrscheinlichkeit des tödlichen Ausgangs einer fehlerhaften Bluttransfusion bei etwa 1:10.

Im vorliegenden Fall wurde zudem der Fehler so schnell erkannt, dass erst etwa 1/3 der Transfusion verabreicht worden war, als sie abgebrochen wurde.

Unter gewöhnlichen Umständen hätte diese schnelle Reaktion die Letalitätsrate der fehlerhaften Gabe noch einmal um den Faktor 10 auf etwa 1:100 verringert.

Dass der Patient dennoch verstarb ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass er schwerst vorgeschädigt war und u. a. wegen einer Leberzirrhose an Anämie litt, die eine regelmäßige Gabe von Blutkonserven in relativ kurzen zeitlichen Abständen notwendig gemacht hatte. Entsprechend waren ihm von der Angeklagten am Tattag bereits zwei weitere Konserven unproblematisch verabreicht worden.

III.

Nach alledem hat sich die Angeklagte einer fahrlässigen Tötung schuldig gemacht, § 222 StGB, indem sie bei der Überprüfung der dem Patienten C. verabreichten Blutkonserve die erforderliche Sorgfalt außer Acht ließ.

IV.

Bei der Strafzumessung hat sich das Gericht von folgenden Erwägungen leiten lassen:

Der Strafrahmen für die fahrlässige Tötung ergibt sich gemäß § 222 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe.

Zugunsten der Angeklagten war zunächst ihr umfassendes und von Reue und Einsicht geprägtes Geständnis zu werten.Sie litt in der Hauptverhandlung noch nachhaltig unter ihrem Versagen und machte sich fortlaufend Vorwürfe, sie hätte sich trotz ihres damaligen Erschöpfungszustandes noch mehr Mühe geben müssen.Darüber hinaus ist sie strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten.

Schließlich war aus dem Sachverständigengutachten der Schluss zu ziehen, dass sich die persönliche Vorwerfbarkeit der Versagens hinsichtlich der Angeklagten am untersten Rand des Denkbaren zu halten hat.

Sie wurde durch die Struktur ihres Dienstes in eine Situation gebracht, in der sie dank ihres allgemeinen Erschöpfungszustandes kaum noch in der Lage war, ihre Verantwortlichkeit angemessen wahrzunehmen.

Als Berufsanfängerin wurde sie genötigt, Behandlungen vorzunehmen, für die sie bekanntermaßen nicht hinreichend qualifiziert war – gegen die sie sich aber wegen ihres beruflichen Status’ auch nicht wirksam wehren konnte.

Schließlich war der tödliche Ausgang des fehlerhaften Verhaltens der Angeklagten noch dem Umstand geschuldet, dass der betroffene Patient wegen seiner speziellen Konstitution außergewöhnlich heftig auf die verabreichte Blutkonserve reagiert hat.

Vor diesem Hintergrund hat auch die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer nur eine am untersten Rand des Strafrahmens liegende Geldstrafe von 90 Tagessätzen beantragt.

Das Gericht hält dagegen die Anwendung des § 60 StGB für geboten.

Danach sieht das Gericht von Strafe ab, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre.

Dabei sind insbesondere auch mittelbare Folgen zu berücksichtigen, wie etwa psychische Belastungen oder wirtschaftliche Beeinträchtigungen.

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.

Die Angeklagte hat im Anschluss an ihr Versagen einen derart gravierenden nervlichen Zusammenbruch erlitten, dass sie nicht mehr in der Lage war, ihrem Beruf nachzugehen. Sie musste sich über Monate in psychotherapeutische Behandlung begeben, die nur unter medikamentöser Begleitung allmählich zu einer Bewältigung der Vorkommnisse geführt hat.

Auch heute leidet die Angeklagte noch deutlich wahrnehmbar unter dem Geschehenen. In der Hauptverhandlung wurde sie mehrfach von Weinkrämpfen geschüttelt und hatte sichtlich Mühe, ihre Fassung wieder zu erlangen.

Gerade als Berufsanfängerin traf sie das Geschehen besonders hart und wird sie wahrscheinlich lebenslang begleiten. Ob sie in fernerer Zukunft wieder unbelastet ihrer ärztlichen Tätigkeit nachgehen können wird, lässt sich jetzt noch nicht beurteilen.

Diese Tatfolgen lassen die Verhängung einer weiteren Bestrafung offensichtlich verfehlt erscheinen.

Unter keinem Leitgesichtspunkt des Strafrechts dürfte die Verhängung einer Strafe Sinn ergeben: Sie kann die Angeklagte nicht nachhaltiger beeindrucken, als es die Tatfolgen ohnehin schon getan haben. Einer repressiven Warnfunktion bedarf es ebenfalls nicht, denn die Angeklagte ist sich ihres Fehlverhaltens bewusst, steht zu ihrem Versagen und wird in Zukunft als Konsequenz sicher mehr als die erforderliche Sorgfalt walten lassen.

Bei Würdigung des gesamten Sachverhalts und er nachtatlichen Folgen drängt es sich selbst einem unbeteiligten Beobachter geradezu auf, dass die Angeklagte – auch angesichts ihres nur am unteren Rand anzusiedelnden persönlichen Verschuldens – „genug bestraft“ ist und es einer weiteren Ahndung zu ihrer strafrechtlichen Läuterung auch unter präventiven Gesichtspunkten nicht bedarf.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 StPO.

RechtsgebietStGBVorschriften§§ 222, 60 StGB

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