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18.11.2005 · IWW-Abrufnummer 053272

Bundesfinanzhof: Urteil vom 20.07.2005 – VI R 50/03

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


VI R 50/03

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten über die steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen für eine Bildschirm-Arbeitsbrille.

Der 1933 geborene Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1995 nichtselbständig als Professor an einer Universität tätig. In der zweiten Hälfte des Streitjahres erwarb er eine Bildschirm-Arbeitsbrille zum Preis von 1 461 DM aufgrund einer entsprechenden augenärztlichen Verordnung.

Mit der Einkommensteuererklärung 1995 machte der Kläger die Aufwendungen für die Brille als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) versagte den Werbungskostenabzug unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 23. Oktober 1992 VI R 31/92 (BFHE 169, 350, BStBl II 1993, 193).

Im Klageverfahren legte der Kläger eine augenärztliche Bescheinigung vor. Diese hat u.a. folgenden Wortlaut:

"Herrn Professor X wurde am 17.08.95 eine Brille für seinen Computerarbeitsplatz im Y-Institut verordnet. Die Brillenstärke wurde konkret an einem Computerarbeitsplatz für die Abstände des Bildschirms und der Tastatur ausgemessen. Die Brille besitzt deshalb auch keinen Fernteil, sondern lediglich einen oberen Teil, welcher die Distanz des Bildschirms berücksichtigt, sowie einen unteren Teil, welcher die Distanz der Tastatur berücksichtigt. Als gewöhnliche Korrekturbrille ist diese Brille deshalb nicht geeignet, sondern lediglich für die Anwendung am Computerarbeitsplatz. Für gewöhnliche Anwendung besitzt der Patient weitere Brillen, welche jedoch die Anforderung für den Computerarbeitsplatz nicht auszufüllen vermögen..."

Die Klage war teilweise erfolgreich. Das Finanzgericht (FG) entschied, dass die Kosten der Brille dem Grunde nach als Werbungskosten zu behandeln seien. Allerdings komme im Streitjahr nur eine anteilige Berücksichtigung (244 DM) in Betracht. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 1682 veröffentlicht.

Mit der Revision macht das FA geltend, das FG habe § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6, Satz 1 und § 12 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) verletzt. Das FA trägt im Wesentlichen vor:

Die angefochtene Entscheidung weiche von den BFH-Urteilen in BFHE 169, 350, BStBl II 1993, 193, und vom 28. September 1990 III R 51/89 (BFHE 162, 181, BStBl II 1991, 27) ab. Darüber hinaus liege eine Divergenz zu den Entscheidungen des FG München vom 6. Dezember 2000 1 K 1488/99, des Niedersächsischen FG vom 8. Dezember 1992 XV 334/90 (EFG 1993, 375) und des FG Berlin vom 22. Februar 1984 II 470/82 (EFG 1984, 497) vor.

Zu Unrecht leite das FG aus dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 3. Februar 2000 IV C 2 -S 2144- 10/00 (Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2000, 777) die Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für die Brille ab. Das BMF-Schreiben habe zu der Frage, ob die Kostenübernahme durch den Arbeitgeber nach Maßgabe des Arbeitsschutzgesetzes in Verbindung mit der Bildschirmarbeitsverordnung (BildScharbV) zu Arbeitslohn führe, (verneinend) Stellung genommen. Eine Aussage zu der Frage eines Werbungskostenabzugs sei damit nicht verbunden gewesen. Die Anwendung des Arbeitsschutzgesetzes bzw. der BildScharbV auf den Streitfall scheitere schon daran, dass beide erst nach dem Streitjahr in Kraft getreten seien.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.

II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Auffassung des FG, eine für die Tätigkeit am Arbeitsplatz angeschaffte Bildschirm-Arbeitsbrille sei ein Arbeitsmittel i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 EStG, hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Werbungskosten sind nach der Rechtsprechung des Senats alle Aufwendungen, die durch den Beruf des Steuerpflichtigen veranlasst sind (z.B. Urteil vom 23. März 2001 VI R 175/99, BFHE 195, 225, BStBl II 2001, 585, m.w.N.). Eine solche Veranlassung liegt vor, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und wenn die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden (BFH-Urteil vom 17. Dezember 2002 VI R 137/01, BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407, m.w.N.).

a) Zu den Werbungskosten gehören auch Aufwendungen für Arbeitsmittel (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 EStG). Arbeitsmittel sind alle Wirtschaftsgüter, die ausschließlich --oder doch nahezu ausschließlich-- und unmittelbar zur Erledigung der dienstlichen Aufgaben dienen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile in BFHE 169, 350, BStBl II 1993, 193, und vom 8. November 1996 VI R 22/96, BFH/NV 1997, 341, beide m.w.N.). Bei Gegenständen, die auch im Rahmen der allgemeinen Lebensführung (§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG) genutzt werden können, ist für die Einordnung als Arbeitsmittel der tatsächliche Verwendungszweck im Einzelfall entscheidend (BFH-Urteil vom 19. Februar 2004 VI R 135/01, BFHE 205, 220, BStBl II 2004, 958).

b) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind Aufwendungen, die ihrer Natur nach in erster Linie der Behebung körperlicher Mängel dienen, wie die Aufwendungen für die Beschaffung eines medizinischen Hilfsmittels, der privaten Lebenssphäre zuzurechnen und deshalb grundsätzlich den nach § 12 Nr. 1 EStG nicht abzugsfähigen Kosten der Lebensführung zuzuordnen. Dies gilt auch dann, wenn die Behebung des Mangels zugleich im beruflichen Interesse liegt. Aufwendungen für die Anschaffung einer Brille, die der Korrektur einer Sehschwäche dient, sind selbst dann nicht als Werbungskosten abziehbar, wenn die Brille ausschließlich am Arbeitsplatz getragen wird. Die Sehbrille, die keinen besonderen Schutzzweck hat und auch nicht allein aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen getragen werden muss, hat die Funktion eines medizinischen Hilfsmittels auch dann noch, wenn sie ausschließlich bei der Berufstätigkeit verwendet und am Arbeitsplatz aufbewahrt wird (BFH-Urteil in BFHE 169, 350, BStBl II 1993, 193; zum Hörgerät vgl. Senatsentscheidung vom 22. April 2003 VI B 275/00, BFH/NV 2003, 1052).

c) Nach diesen Maßstäben kommt ein Werbungskostenabzug für die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen nicht in Betracht. Der Kläger bedarf der Bildschirm-Arbeitsbrille, weil er unter einer allgemeinen Sehschwäche leidet. Ohne diese Sehschwäche müsste er eine derartige Brille nicht tragen. Die spezielle Brille ist damit ebenso wie eine normale Sehbrille ein medizinisches Hilfsmittel. Es erweist sich demgegenüber als unerheblich, dass sie --so die zitierte augenärztliche Bescheinigung-- "als gewöhnliche Korrekturbrille ... nicht geeignet" sein soll.

Im Streitfall hat das FG nicht festgestellt, dass der Kläger die Brille als Folge einer typischen Berufskrankheit tragen muss. Es ist auch kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Sehschwäche des Klägers und der Arbeit am Bildschirmgerät festgestellt worden.

2. Entgegen der Auffassung des FG rechtfertigt die BildScharbV vom 4. Dezember 1996 (BGBl I 1996, 1841) unabhängig von der Frage ihrer Geltung im Streitjahr keine abweichende Beurteilung. Zwar ist der Arbeitgeber nach § 6 Abs. 2 BildScharbV aus arbeitsschutzrechtlichen Erwägungen verpflichtet, dem Arbeitnehmer eine spezielle Sehhilfe für die Arbeit am Bildschirmgerät zur Verfügung zu stellen, wenn eine normale Sehhilfe insoweit nicht geeignet ist (vgl. dazu BMF-Schreiben in DStR 2000, 777). Die Frage, wie der Erwerb einer solchen Sehhilfe durch den Arbeitnehmer auf eigene Kosten steuerlich zu beurteilen ist, bleibt davon jedoch unberührt. Insoweit gelten die oben genannten Grundsätze. Danach ist ein Werbungskostenabzug nur möglich, wenn die Sehbeschwerden auf die Tätigkeit am Bildschirm zurückgeführt werden können.

RechtsgebieteEStG, BildScharbVVorschriftenEStG § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 EStG § 12 Nr. 1 EStG § 12 Nr. 1 Satz 2 BildScharbV § 6 Abs. 2

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