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24.02.2017 · IWW-Abrufnummer 192119

Hessisches Landesarbeitsgericht: Urteil vom 17.08.2016 – 6 Sa 12/16

Leitsatz:

Eine vertragliche Vereinbarung auf Übertragung von Urlaub ist nicht begrenzt auf die Übertragung ins Folgejahr.

Die fortlaufende Erfassung der offenen Urlaubstage in den Gehaltsabrechnungen lässt auf den Vertragswillen schließen, dass kein Verfall von im laufenden Arbeitsverhältnis erworbenen Urlaubs eintreten soll (LAG Düsseldorf - 12 Sa 1512/09 -).

Es verstößt gegen Treu und Glauben, wenn der Arbeitgeber sich bei fortlaufender Erfassung der offenen Urlaubstage, dann darauf beruft, diese seien verfallen.


In dem Berufungsverfahren
Kläger und Berufungskläger
Proz.-Bev.:
gegen
Beklagte und Berufungsbeklagter
Proz.-Bev.:
hat das Hessische Landesarbeitsgericht, Kammer 6,
auf die mündliche Verhandlung vom 17. August 2016
durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht XXX als Vorsitzende
und den ehrenamtlichen Richter
und den ehrenamtlichen Richter
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichtes Frankfurt am Main vom 18.12.2015 - 23 Ca 4933/15 - abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger Urlaubsabgeltung in Höhe von 20.731,15 EUR (in Worten: Zwanzigtausendsiebenhunderteinunddreißig und 15/100 Euro) brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten über Urlaubsansprüche. Der Kläger war bei der Beklagten zu den Bedingungen des Arbeitsvertrages vom 19. August 1998 (vgl. Anlage K1 zur Klageschrift, Bl. 5 - 9 d. A.) bis zum 31. August 2016 als Exportsachbearbeiter zu einem Bruttomonatsgehalt von 2.650,00 € beschäftigt. Der Arbeitsvertrag lautet hinsichtlich des Urlaubs auszugsweise wie folgt:

"§ 8 Urlaub Die Dauer des Urlaubs richtet sich nach den gesetzlichen Bestimmungen.(...) Der Urlaub beträgt demnach zurzeit 30 Arbeitstage im Jahr. Der Arbeitnehmer hat hinsichtlich des Zeitpunktes des Urlaubsantritts auf die betrieblichen Verhältnisse Rücksicht zu nehmen. Urlaubsansprüche sind bis spätestens 31. März des dem Urlaubsjahr folgenden Jahres geltend zu machen."



Die Parteien gingen seit Beginn des Arbeitsverhältnisses übereinstimmend von einem jährlichen Urlaubsanspruch in Höhe von 30 Arbeitstagen aus. Der Kläger nahm jedoch seinen Jahresurlaub nie voll in Anspruch, sondern hatte im Schnitt in den Jahren 1999 bis 2015 19 Urlaubstage jährlich in Anspruch genommen. In den Lohnabrechnungen, die im Briefkopf die Beklagte ausweisen, ist unter der Bezeichnung "Urlaub-Rest", "Resturlaub" bzw. "U ges VJ" jeweils der kumulierte Gesamturlaub ausgewiesen. So wird auf der Abrechnung für Januar 2015 (vgl. Anlage K36 zur Klageschrift vom 27. Oktober 2015, Bl. 71 d. A.) der Urlaubsanspruch mit der Bezeichnung "U ges VJ" angegeben mit 199,5 sowie "U Rest VJ" 198,5 auf der Abrechnung Dezember 2014 (vgl. Anlage K35 zur Klageschrift vom 27. Oktober 2015, Bl. 70 d. A.) ein Urlaubsanspruch mit der Bezeichnung "U Rest VJ" von 169,5. Wegen der Einzelheiten der für den Zeitraum Dezember 1998 bis Januar 2015 vorgelegten Lohnabrechnungen wird auf die Anlagen K5 bis K36 zur Klageschrift vom 27. Oktober 2015 Bl. 40 - 71 d. A. verwiesen.



Mit seiner am 15. Juli 2015 beim Arbeitsgericht eingegangen Klage und der Klageerweiterung vom 27. Oktober 2015 begehrt der Kläger die Gewährung von Urlaub. Er hat gemeint, seine Urlaubsansprüche seien seit 1998 in jedem Jahr einvernehmlich übertragen worden. Der Geschäftsführer selbst habe zugesagt, dass der Urlaub nicht am Ende des Kalenderjahres und auch nicht am 31. März des Folgejahres verfallen würde. Sein Anspruch ergebe sich damit aus einer vertraglichen Vereinbarung, entweder durch die Zusage des Geschäftsführers oder aus betrieblicher Übung. Als günstigere Regelung sei diese gegenüber dem Gesetz vorrangig zu beachten. Jedenfalls sei ein Berufen der Beklagten auf ein Verfall der Urlaubsansprüche treuwidrig.



Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihm 199,5 Urlaubstage zu gewähren.



Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat behauptet, eine generelle Zusage zur Urlaubsübertragung habe es nicht gegeben. In rechtlicher Hinsicht hat sie gemeint, die Angaben auf den Abrechnungen seien ihr nicht zuzurechnen, da sie - was unstreitig ist - von einer externen Firma erstellt worden. Die Beklagte hat auch die Ansicht vertreten, die Angaben auf den Abrechnungen seien nicht als eine vertragliche Zusage zu werten. Jedenfalls aber sei eine derartig lange Übertragung von Urlaubsansprüchen unzulässig.



Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 18. Dezember 2015 der Klage im Umfang von 30 Urlaubstagen stattgegeben. Es hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger 30 Urlaubstage ab Rechtskraft der Entscheidung zu gewähren. Es hat angenommen, der Kläger habe Anspruch auf Urlaubsgewährung in Höhe von 30 Arbeitstagen für das Kalenderjahr 2014 aufgrund einer konkludent geschlossenen vertraglichen Vereinbarung der Parteien. Eine solche Übertragungsvereinbarung könne auch konkludent erfolgen, beispielsweise dadurch, dass der Arbeitgeber über eine längere Zeit hinweg in den Lohnabrechnungen des laufenden Jahres den noch nicht erfüllten Urlaub aus dem Vorjahr aufführt und für die gewährten Urlaubstage erst den "alten" Urlaub heranzieht. Im Streitfall seien die Urlaubsansprüche des Vorjahres stets kumuliert und in der Lohnabrechnung aufgenommen worden. Damit sei die einvernehmliche Praxis der Urlaubsübertragung dokumentiert. Das Angebot der Beklagten, dass sich hieraus ergebe, habe der Kläger konkludent bzw. nach § 151 BGB angenommen. Soweit die Beklagte sich darauf berufe, die Lohnabrechnungen nicht selbst erstellt zu haben, sei ihr diese Erklärung jedoch zuzurechnen. Im Weiteren hat das Arbeitsgericht dann zu Lasten des Klägers jedoch angenommen, dass die zeitlich unbegrenzte Übertragung von Urlaub unzulässig sei. Ein zeitlich unbegrenztes "Horten" oder "Ansparen von Urlaubsansprüche" wäre mit den Vorstellungen des deutschen Urlaubsrechts wie auch des Unionsrechts unvereinbar. Zweck des bezahlten Jahresurlaubs sei es, sich zu erholen und in diesem Zeitraum über die Möglichkeit zur Entspannung und Freizeit zu verfügen. Diesem Zweck könnte bei einem Ansammeln von Urlaubsansprüche nicht mehr genügt werden. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens und der Erwägungen des Arbeitsgerichtes wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.



Der Kläger hat nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils sein Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 09. Juni 2016 zum 31. August 2016 gekündigt (vgl. Anlage K37 zum Schriftsatz des Klägers vom 11. August 2016, Bl. 153 d. A.). Der Kläger hat im Weiteren dann unter dem 10. Juni 2016 einen Urlaubsantrag gestellt mit dem er Urlaub für das Jahr 2016 in Höhe von 30 Tagen sowie 15 Urlaubstage beantragt hat (vgl. Anlage K38 zum Schriftsatz des Klägers vom 11. August 2016, Bl. 154 d. A.). Die Beklagte hat diesen Urlaubsantrag nicht beschieden, allerdings den Kläger mit Schreiben vom 27. Juni 2016 (vgl. Anlage K40 zum Schriftsatz des Klägers vom 11. August 2016, Bl. 160 d. A.) mit sofortiger Wirkung unwiderruflich unter Anrechnung sämtlicher etwaiger bestehender Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüche bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zum 31. August 2016 von der Arbeitsleistung freigestellt. Gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes hat der Kläger innerhalb der zu Protokoll der Berufungsverhandlung vom 17. August 2016 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt. Der Kläger meint, der Entscheidung des Arbeitsgerichtes werde zunächst insoweit zugestimmt, als es davon ausgegangen ist, dass in den monatlichen Gehaltsabrechnungen der Beklagten ein stillschweigendes vertragliches Angebot der Beklagten über die Gewährung von Urlaubsansprüchen liegt, dass der Kläger auch angenommen habe. Dies stehe in Einklang mit der einschlägigen Rechtsprechung (vgl. BAG vom 18. Oktober 2011 - 9 AZR 303/10; LAG Düsseldorf vom 31. März 2010 - 12 Sa 1512/09 -). Dem Arbeitsgericht werde ferner darin zugestimmt, dass eine derartige Vereinbarung zulässig ist. Der Kläger meint, zu Unrecht habe das Arbeitsgericht jedoch dann angenommen, dass eine Vereinbarung hinsichtlich der Übertragung von Urlaubsansprüchen über das darauffolgende Kalenderjahr hinaus unzulässig sei, weil es gegen das in §§ 1, 7 Abs. 3 BUrlG festgelegte Gebot zeitnaher Erfüllung des Urlaubsanspruchs verstoße. Die Unzulässigkeit einer derartigen Vereinbarung habe das Arbeitsgericht zu Unrecht im Umkehrschluss aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 21. Juni 2005 - 9 AZR 200/04 - geschlussfolgert. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 21. Juni 2005 habe lediglich die rechtliche Überprüfung einer vertraglichen Vereinbarung der Übertragung von Urlaubsansprüche in das darauffolgende Kalenderjahr zum Gegenstand gehabt. Das Bundesarbeitsgericht sei in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Vereinbarung nicht gegen die Urlaubsgewährungsgrundsätze aus §§ 1, 7 BUrlG verstoße. Vertragliche Vereinbarungen, die die Übertragung von Urlaubsansprüchen über das darauffolgende Kalenderjahr regeln, seien nicht Gegenstand der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes gewesen. Dieses habe sich in seiner Entscheidung auch an keiner Stelle der Urteilsbegründung damit auseinandergesetzt. In früheren Entscheidungen sei das Bundesarbeitsgericht aber durchaus von der Zulässigkeit einer zeitlich unbefristeten Übertragung des Urlaubsanspruchs ausgegangen. Zuletzt habe das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 18. Oktober 2011 - 9 AZR 303/10 - ausdrücklich die Frage offen gelassen, ob eine Übertragung von Urlaubsansprüchen ohne zeitliche Begrenzung zulässig ist. Damit verbiete sich der vom Arbeitsgericht vorgenommene Umkehrschluss zu der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 21. Juni 2005. Nichts anderes folge auch aus der vom Arbeitsgericht angeführten Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichtes vom 08. Mai 1995-11 Sa 55/94 -. Auch diese Entscheidung habe lediglich die rechtliche Überprüfung einer vertraglichen Vereinbarung der Übertragung von Urlaubsansprüchen in das folgende Kalenderjahr zum Gegenstand gehabt. Mit der Zulässigkeit einer vertraglichen Vereinbarung zur Übertragung von Urlaubsansprüchen darüber hinaus, habe sich die Entscheidung ebenfalls nicht auseinander gesetzt. Sofern das Arbeitsgericht in seiner Entscheidung die Unzulässigkeit einer vertraglichen Übertragung von Urlaubsansprüchen ohne zeitliche Begrenzung aus dem Zweck des Urlaubs, sich zu erholen und in diesem Zeitraum über die Möglichkeit zur Entspannung und Freizeit zu verfügen, schließt, sei dies unzutreffend. Dies werde auch durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes zur Gewährung von Ersatzurlaub als Schadensersatz von unmöglich gewordenen Urlaubsansprüchen bestätigt (vgl. BAG vom 11. April 2006 -9 AZR 523/05 -; BAG vom 07. November 1985-6 AZR 169/84 -; LAG Düsseldorf vom 04. Mai 2011 - 12 Sa 1832/10 -). Dies werde ferner auch durch die Rechtsprechung des EuGH bestätigt. In seiner Entscheidung - Pereda - vom 10. September 2009 - C 277/08 - führe dieser aus: "Wie sich nämlich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, entfalte sich die positive Wirkung des bezahlten Jahresurlaub für die Sicherheit und die Gesundheit des Arbeitnehmers zwar dann vollständig, wenn der Urlaub in dem hierfür vorgesehenen, also dem laufenden Jahr genommen wird, doch verliert diese Ruhezeit ihre Bedeutung insoweit nicht, wenn sie zu einer späteren Zeit genommen wird." Der Kläger meint, eine Nachgewährung des Urlaubs verstoße daher nicht gegen den Zweck der Urlaubsgewährung. Für die Zulässigkeit einer Nachgewährung von Urlaubsansprüchen außerhalb der gesetzlichen Regelung des § 7 BUrlG spreche weiterhin die Überlegung, dass im Fall der Nichtgewährung "es besser sei, den Urlaub wenigstens verspätet als überhaupt nicht zu gewähren". In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichtes Düsseldorf gehe der Kläger weiterhin davon aus, dass eine einzelvertragliche Vereinbarung über eine zeitlich unbegrenzte Übertragung von Urlaubsansprüchen schon deshalb nicht gegen § 7 Abs. 2 BUrlG verstoßen könne, weil das Bundesurlaubsgesetz selbst keine Befristung des Urlaubsanspruchs auf den 31. Dezember des Kalenderjahres oder den 31. März des Folgejahres enthalte (vgl. BAG Düsseldorf vom 31. März 2010 - 12 Sa 1512/09 - m.w.N.). Der Kläger meint weiter, selbst wenn die streitgegenständliche Vereinbarung gegen das Gebot zeitnaher Urlaubsgewährung aus §§ 1, 7 BUrlG verstoßen würde, so träfe dies nur den gesetzlichen Urlaubsanspruch. Der Kläger rügt, dass das Arbeitsgericht ferner völlig unverständlich seinen Vortrag aus dem Schriftsatz vom 27. Oktober 2015 nicht beachtet habe. Selbst wenn das Gericht von der Unzulässigkeit einer vertraglichen Vereinbarung über die Übertragung oder Nachgewährung von verfallenen Urlaubsansprüchen ohne zeitliche Begrenzung ausgehe, so wäre der Anspruch des Klägers dennoch begründet. Denn gemäß § 242 BGB sei es der Beklagten verwehrt, sich auf den Verfall des Urlaubsanspruchs zum 31. Dezember des Kalenderjahres oder zum 31. März des Folgejahres zu berufen.



Der Kläger hat zuletzt beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichtes Frankfurt am Main vom 18. Dezember 2015 - 23 Ca 4933/15 - aufzuheben, als er dadurch unterlegen ist und die Beklagte zu verurteilen, ihm 199,5 Urlaubstage zu gewähren; hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, ab dem 31. August 2016 an ihn Urlaubsabgeltung in Höhe von 20.731,15 € brutto zu zahlen. (2.650,00 € brutto x 3 Monate / 56 Arbeitstage x 169,5 Urlaubstage = 20.731,15 €)



Die Beklagte hat beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.



Die Beklagte meint, dem Arbeitsgericht sei schon nicht darin zu folgen, dass die Aufnahme von Urlaubstagen in die Lohnabrechnungen des Klägers eine einvernehmliche Praxis der Urlaubsübertragung dokumentiere. Dass die Urlaubsabrechnung für die Gewährung von Urlaub kontitutiv sein könnte, sei unzutreffend. Eine solche Erklärung wohne der Abrechnung nicht inne, insbesondere habe die Beklagte eine solche Erklärung mit der Lohnabrechnung weder abgegeben, noch abgeben wollen. Hierauf komme es jedoch nicht an, da das Urteil des Arbeitsgerichtes im Ergebnis dennoch zutreffend sei. Zutreffend führe das Urteil des Arbeitsgerichtes mit einer Vielzahl von Nachweisen aus, dass der Sinn der Urlaubsgewährung durch das klägerische Begehren nicht erfüllt werden kann. Dieser Schluss könne durch eine Betrachtung dessen, was der Kläger erhalten würde, hätte er obsiegt, belegt werden. Es hätte dann nämlich eine Situation gegeben, in welcher der Kläger fast ein ganzes Jahr Urlaub hätte. Dies sei eindeutig nicht der Sinn der Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes.



Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den übrigen Akteninhalt verwiesen.



Entscheidungsgründe



Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Frankfurt am Main vom 18. Dezember 2015 - 23 Ca 4933/15 - ist statthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 u. 2 lit b ArbGG). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 517, 519, 520 ZPO) und damit insgesamt zulässig.



Auch in der Sache ist die Berufung des Klägers begründet. Die Kammer schließt sich dem Arbeitsgericht zunächst dahingehend an, dass die Parteien vorliegend zumindest konkludent eine Vereinbarung auf Übertragung des kumulierten Urlaubs jährlich geschlossen haben. Die Kammer macht sich gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG die insoweit zutreffenden Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils zu Eigen. Auch wenn in der "Fortschreibung" offenen Resturlaubs nicht ohne weiteres ein Schuldanerkenntnis zu sehen ist (vgl. BAG v. 09. Februar 1989-8 AZR 505/87 - Rn. 24 ff. ) lassen die fortlaufend in den Verdienstabrechnungen aufaddierten Urlaubstage auf den Vertragswillen rückschließen, dass kein Verfall im laufenden Arbeitsverhältnis erworbenen Urlaubs eintreten sollte. Auch wenn der Arbeitgeber, wie hier die Beklagte, die Personalverwaltung und Lohnbuchhaltung extern vornehmen lässt, muss sie aufgrund ihrer Organisation- und Kontrollpflichten die Handhabung, offene Urlaubsansprüche aufzuaddieren und in den Verdienstabrechnungen auszuweisen, sich zurechnen lassen (vgl. wie hier LAG Düsseldorf v. 31. März 2010 - 12 Sa 1512/09 - Rn. 21).



Anders als das Arbeitsgericht hält die Kammer die zeitlich unbegrenzte Übertragung von Urlaub für zulässig. Das Bundesarbeitsgericht hat hierzu in deren Entscheidung vom 21. Juni 2005 - 9 AZR 200/04 -, die auch vom Arbeitsgericht herangezogen wurde, entschieden, dass eine Vereinbarung, nach welcher der Arbeitgeber Urlaub, der aus persönlichen oder betrieblichen Gründen nicht im Verlauf des Urlaubsjahres genommen oder gewährt wird, im gesamten Folgejahr zu gewähren hat, zulässig sei. § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG stehe dem nicht entgegen. Die Regelung sei für den Arbeitnehmer günstiger als eine auf den 31. März des Folgejahrs befristete Übertragung. Damit würde auch nicht das in §§ 1, 7 Abs. 3 BUrlG festgelegte Gebot zeitnahe Erfüllung des Urlaubsanspruches verletzt. Aus diesen Ausführungen kann anders als das Arbeitsgericht angenommen hat, nicht im Umkehrschluss geschlossen werden, dass das Bundesarbeitsgericht eine zeitlich unbegrenzte Übertragung des Urlaubs für unzulässig hält, auch wenn das Bundesarbeitsgericht im Weiteren auf § 7 Abs. 3 S. 4 BUrlG abgestellt hat und darin die gebotene zeitliche Nähe bei Übertragung des Urlaubs auf das gesamte folgende Kalenderjahr für gewahrt erachtete (vgl. BAG 21. Juni 2005 - 9 AZR 200/04 - Rn. 23). Zuletzt hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 18. Oktober 2011 - 9 AZR 303/10 - dort unter Rn. 23 - offengelassen, ob Urlaub zeitlich unbegrenzt übertragbar ist. In seiner Entscheidung vom 11. April 2006 - 9 AZR 523/05 - hat das Bundesarbeitsgericht darüber hinaus einen Schadensersatzanspruch auf Ersatzurlaubsgewährung geltend zu machen innerhalb der regelmäßigen 3-jährigen Verjährungsfrist für zulässig erachtet. Hier hat das Bundesarbeitsgericht dem Kläger dessen Arbeitsverhältnis am 31. August 2004 beendet war, aus dem Urlaubsjahr 2000 einen Ersatzurlaubsanspruch in Höhe von 12 Urlaubstagen zuerkannt.



Im Übrigen verstößt die Beklagte gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Die Beklagte hat nach der hier vertretenen Ansicht dem Kläger die zeitlich nicht gebundene Nachgewährung von Urlaub zugesagt. Es ist ihr daher verwehrt, sich nunmehr auf die Unwirksamkeit dieser Vereinbarung zu berufen. Mit dieser Vereinbarung hat die Beklagte es nämlich zu vertreten, dass es nicht zu einer zeitnahen Urlaubsnahme gekommen ist. Es kann nämlich nicht unterstellt werden, dass der Kläger auf seine Urlaubsansprüche verzichten wollte.



Richtig ist an dieser Stelle auch, dass es nur den gesetzlichen Urlaubsanspruch in Höhe von 20 Urlaubstagen jährlich beträfe, wenn man die streitgegenständliche Vereinbarung wegen Verstoß gegen das Gebot der zeitnahen Urlaubsgewährung aus §§ 1, 7 BUrlG für unwirksam halten würde. Ob im Weiteren der bereits zitierten Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes Düsseldorf zu folgen ist, dass im Lichte der Rechtsprechung des EuGH davon auszugehen ist, dass beim Eintritt von Störfaktoren die die Urlaubsrealisierung im Bezugs- oder Übertragungszeitraum scheitern lassen, der Urlaubsanspruch als gesetzlicher Primäranspruch fortbesteht, bleibt dahingestellt. Die Kammer geht jedenfalls aufgrund des widersprüchlichen Verhaltens der Beklagten davon aus, dass diese sich auf einen Verfall des Urlaubsanspruchs im Bezugs- oder Übertragungszeitraum nicht berufen hat.



Der Hauptantrag des Klägers ist allerdings unbegründet, da ihm wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. August 2016 kein Urlaub über den von der Beklagten im Wege der Freistellung gewährten Urlaub hinaus mehr gewährt werden kann. Es war deshalb über den Hilfsantrag zu entscheiden, mit dem der Kläger Urlaubsabgeltung begehrt. Dem Kläger steht dabei jedenfalls der mit dem Hilfsantrag geltend gemachte Urlaubsabgeltungsanspruch für 169,5 Urlaubstage zu. Dies war der kumulierte Resturlaub des Klägers Stand Ende 2014 (vgl. die Abrechnung Dezember 2014, Anlage K35 zur Klageschrift vom 27. Oktober 2015, Bl. 70 d. A.). Hinsichtlich der Berechnung der Höhe des Urlaubsabgeltungsanspruches gab es zwischen den Parteien kein Streit. Der Anspruch des Klägers ist begründet aus § 7 Abs. 4 BUrlG.



Die Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.



Die Zulassung der Revision erfolgte wegen grundsätzlicher Bedeutung.

Vorschriften§ 151 BGB, §§ 1, 7 Abs. 3 BUrlG, 7 BUrlG, § 7 BUrlG, § 7 Abs. 2 BUrlG, § 242 BGB, §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 lit b ArbGG, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 517, 519, 520 ZPO, § 69 Abs. 2 ArbGG, § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG, § 7 Abs. 3 S. 4 BUrlG, § 7 Abs. 4 BUrlG

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