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30.10.2015 · IWW-Abrufnummer 145677

Oberlandesgericht Oldenburg: Beschluss vom 25.08.2015 – 5 W 35/15

1. § 630 Abs 2 S 2 gewährt dem Patienten u.U. auch einen Anspruch auf eine Erklärung des Behandlers, dass für ihn keine Umstände erkennbar sind, welche die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen können (sog. Negativauskunft).

2. Gibt der Behandler eine entsprechende Erklärung erst in der mündlichen Verhandlung ab, ist regelmäßig eine Aufhebung der Kosten nach beiderseitiger Erledigungserklärung angemessen.


Oberlandesgericht Oldenburg

Beschl. v. 25.08.2015

Az.: 5 W 35/15

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts Oldenburg vom 12.06.2015 dahingehend abgeändert, dass die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufgehoben werden.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Der Beschwerdewert wird auf bis zu 3.000 € festgesetzt.
Gründe

I.

Der Beklagte leitete als behandelnder Arzt am 10.04.2014 die Geburt der Klägerin, die per Kaiserschnitt erfolgte. Einen Tag später wurde bei der Klägerin eine Fermurfraktur sowie eine Verletzung des Fermurs links diagnostiziert.

Die Klägerin bat den Beklagten daraufhin mit Schreiben vom 25.09.2014, 03.11.2014 und 15.01.2015 unter Berufung auf § 630c BGB um Mitteilung, ob der Beklagte von einem Behandlungsfehler ausgehe. Der Beklagte reagierte jedoch nicht.

Die Klägerin hat behauptet, der Beklagte habe ihren Eltern unmittelbar nach der Geburt mitgeteilt, dass "etwas schiefgegangen sei".

Sie hat den Antrag gestellt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie Auskunft zu erteilen, inwieweit für ihn Umstände erkennbar sind, die die Annahme eines Behandlungsfehlers im Zusammenhang mit ihrer Geburt am 10.04.2014 begründen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat behauptet, den Eltern direkt nach der Geburt mitgeteilt zu haben, dass es weder Anhaltspunkte für eine Traumatisierung während des Kaiserschnitts gebe noch postoperativ zu einer Situation gekommen sei, die die Fraktur verursacht haben könnte. Ihm seien keine Umstände bekannt, die auf einen Behandlungsfehler hindeuteten.

In der mündlichen Verhandlung vom 12.06.2015 hat das Landgericht den Beklagten auf Antrag der Klägerin gemäß § 445 Abs. 1 ZPO als Partei vernommen. Daraufhin hat die Klägerin den Rechtstreit im Hinblick auf die am 12.06.2015 erteilten Angaben des Beklagten für erledigt erklärt. Der Beklagte schloss sich der Erledigungserklärung an.

Mit Beschluss vom 12.06.2015 hat das Landgericht O. die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin auferlegt, da nach den überzeugenden Angaben des Beklagten für ihn keine Umstände für einen Behandlungsfehler erkennbar gewesen seien und ihn eine Recherchepflicht nicht treffe.

Gegen diesen Beschluss, welcher der Klägerin am 29.06.2015 zugestellt worden ist, richtet sich ihre sofortige Beschwerde vom 07.07.2015. Das Landgericht sei unzutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte auf ihre Auskunftsbegehren überhaupt nicht hätte reagieren müssen. Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 20.07.2015 nicht abgeholfen, sondern sie dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Der Beklagte beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig zurückzuweisen.

II.

Die Beschwerde ist gemäß §§ 91a Abs. 2 ZPO, 567 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, 569 ZPO zulässig. Sie hat auch in der Sache teilweise Erfolg.

Nachdem die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, waren die Kosten gemäß § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes gegeneinander aufzuheben.

Bei der nach § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO zu treffenden Kostenentscheidung ist der mutmaßliche Ausgang des Verfahrens zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 09.06.2010, XII ZR 183/08, Rn. 2; BGH, Beschluss vom 01.03.2007, I ZR 249/02, Rn. 12 m. w. N., jeweils zitiert nach juris). Maßgeblich ist, ob die Klage Erfolg gehabt hätte, wenn es nicht zum erledigenden Ereignis gekommen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 08.04.2015, VII ZR 254/14, Rn. 6, zitiert nach juris).

1. Zur Erledigung des Rechtsstreits hat die Vernehmung des Beklagten als Partei in der mündlichen Verhandlung vom 12.06.2015 geführt.

Der Beklagte hat in dieser Vernehmung angegeben, sich nicht erklären zu können, wie es bei dem routinemäßig und ohne Hektik durchgeführten Kaiserschnitt zu einer Fraktur des Fermurs der Klägerin gekommen sein könnte. Auch nach der Geburt sei ihm nichts aufgefallen, was die Verletzung verursacht haben könnte. Damit hat der Beklagte die Klägerin darüber informiert, das für ihn keine Umstände im Sinne von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB erkennbar waren, die einen Behandlungsfehler begründen. Zuvor hat er bereits in der Klageerwiderung vom 29.05.2015 mitgeteilt, dass ihm keine Umstände bekannt seien, die auf einen Behandlungsfehler schließen lassen könnten und damit den Auskunftsanspruch der Klägerin erfüllt. Ohne diese am 29.04.2015 erteilte Auskunft wäre die Klage weiterhin erfolgversprechend gewesen.

a) Die Auskunftspflicht aus § 630c Abs. 2 S. 2 BGB umfasst auch die Mitteilung an den nachfragenden Patienten, dass für den Behandelnden keine behandlungsfehlerbegründende Umstände erkennbar sind. Zwar erweckt der Wortlaut der Vorschrift den Eindruck, dass eine Auskunftspflicht erst durch das Vorliegen derartiger Umstände ausgelöst wird. Dies ist nur zutreffend, soweit es um die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Offenbarung der behandlungsfehlerbegründenden Umstände geht. Daneben begründet § 630 Abs. 2 S. 2 BGB einen Anspruch des Patienten, auf Nachfrage auch entsprechend informiert zu werden, falls der Behandelnde keine Anhaltspunkte für Behandlungsfehler hat.

aa) § 630c BGB wurde durch das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.02.2013 (BGBI. I, S. 277 ff.) eingeführt. Es ist das erklärte Ziel dieses Gesetzes, die Rechte von Patienten zu stärken und die Behandelnden und Patienten auf Augenhöhe zu bringen (BT-Drs. 17/10488). Mit diesem Zweck wäre es nicht vereinbar, wenn die Behandelnden die Nachfrage des Patienten im Sinne von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB, ob für ihn Umstände erkennbar sind, die einen Behandlungsfehler begründen, einfach unbeantwortet lassen könnten. Der Patient könnte nicht erkennen, ob auf seine Nachfrage nur deshalb nicht reagiert worden wäre, weil der Behandelnde keine Anhaltspunkte für einen Behandlungsfehler hätte, oder ob ihm sehr wohl behandlungsfehlerbegründende Umstände bekannt wären, er sie aber nicht preisgeben möchte. Diese Ungewissheit könnte der Patient nur im Rahmen eines Klageverfahrens beseitigen. Dabei liefe er jedoch Gefahr, im Falle der Nichterkennbarkeit der behandlungsfehlerbegründenden Umstände die Kosten für eine Klage zu tragen, die er nur deshalb angestrebt hätte, da seine vorherigen Anfragen bei den Behandelnden ignoriert worden wären.

Zu berücksichtigen ist zudem, dass es für die Erkennbarkeit der Umstände im Sinne von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB auf das subjektive Sonderwissen des Behandelnden ankommt (Rehborn/Gescher, in: Erman, BGB, 14. Auflage 2014, § 630c Rn. 13). Würde die Auskunftspflicht aus § 630 Abs. 2 S. 2 BGB erst durch die Erkennbarkeit der behandlungsfehlerbegründenden Umstände ausgelöst, wäre ein Sonderwissen der Behandelnden eine vom Kläger zu beweisende Anspruchsvoraussetzung. Unabhängig von den damit verbundenen Beweisschwierigkeiten hätte der Kläger, dessen Nachfragen unbeantwortet bleiben, vor Erhebung der Auskunftsklage keine Grundlage, auf der er die Erfolgsaussichten einschätzen könnte. Der Kläger liefe Gefahr, eine kostenintensive, aber aussichtslose Klage zu erheben, während die Behandelnden die Nichterkennbarkeit behandlungsfehlerbegründender Umstände in einem Satz mitteilen könnten. Zu dieser Negativauskunft sind die Behandelnden deshalb aus Transparenzgründen ebenfalls gemäß § 630c Abs. 2 S. 2 BGB verpflichtet. Anderenfalls würde die Auskunftspflicht dem Anspruch, Ausdruck einer "Abwägung zwischen den Interessen des Behandelnden am Schutz seiner Person und dem Interesse des Patienten am Schutz seiner Gesundheit" zu sein (so BT-Drs. 17/10488, S. 21; vgl. auch L. Thole, MedR 2013, S. 145 f.), nicht gerecht.

bb) Der Einwand, dass den Behandelnden mit § 630c Abs. 2 S. 2 BGB keine Recherchepflicht zur Abklärung möglicher, für ihn aber nicht erkennbarer Behandlungsfehler aufgebürdet werden soll, rechtfertigt keine andere Auslegung. Die an sein subjektives Sonderwissen anknüpfende Mitteilung, dass für ihn keine behandlungsfehlerbegründenden Umstände erkennbar waren, kann der Behandelnde auch ohne Recherchen vornehmen.

b) Selbst wenn § 630c Abs. 2 S. 2 BGB aufgrund des engen Wortlauts keinen Anspruch auf eine Negativauskunft bei Nichtvorliegen behandlungsfehlerbegründender Umstände umfassen würde, stünde der Klägerin gemäß § 242 BGB ein entsprechender Auskunftsanspruch zu. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gebieten es Treu und Glauben, dem Anspruchsberechtigten einen Auskunftsanspruch zuzubilligen, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, und wenn der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft zu erteilen (BGH, Urteil vom 06.02.2007, X ZR 117/04, Rn. 13 m. w. N., zitiert nach juris). Dies vorliegend aufgrund der bereits aufgezeigten Umstände der Fall.

2. Der Beklagte hat den Anspruch der Klägerin auf Mitteilung des Nichtvorliegens behandlungsfehlerbegründender Umstände vor der Klageerhebung nicht erfüllt, sondern die Nachfragen vom 25.09.2014, 03.11.2014 und 15.01.2015 unbeantwortet gelassen. Auch wenn der Beklagte, wie er behauptet, den Eltern der Klägerin direkt nach der Geburt mitgeteilt hätte, keine Anhaltspunkte für eine Traumatisierung während des Kaiserschnittes oder eine die Fermurfraktur zu verursachen geeignete postoperative Situation zu haben, hätte er seine Auskunftspflicht damit noch nicht erfüllt. Die unmissverständliche Erklärung, dass für ihn keine erkennbaren Umstände auf einen Behandlungsfehler schließen lassen, enthielte diese Information nicht, zumal derartige Umstände auch noch im weiteren Behandlungsverlauf zu Tage treten könnten. Zudem stellt sich die Frage, wie er eine solche Mitteilung "direkt nach der Geburt" (S. 3 der Klageerwiderung vom 29.04.2015) gemacht haben kann, wenn die Fermurfraktur erst einen Tag später erkannt worden ist.

Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der Beklagte bereits in der Klageerwiderung vom 29.04.2015 mitgeteilt hat, Umstände, die auf einen Behandlungsfehler schließen lassen könnten, nicht zu kennen. Ihm sei nicht bekannt, wie es zu der Oberschenkelfraktur hat kommen können. Damit hat er seiner Verpflichtung aus § 630 c Abs. 2 S. 2 GBG genügt. Die Klägerin hat den Rechtstreit jedoch nicht schon nach Eingang der Klageerwiderung für erledigt erklärt, sondern die Erklärung des Beklagten angezweifelt und dessen persönliche Vernehmung als Partei beantragt. Diese hat ergeben, dass die Klage nicht mehr erfolgversprechend war, da keine Anhaltspunkte für Zweifel an einer wahrheitsgemäßen Aussage des Beklagten ersichtlich waren. Im Rahmen der Kostenentscheidung ist deshalb einerseits zu berücksichtigen, dass die Klage bis zur Klageerwiderung erfolgversprechend war, die mündliche Verhandlung jedoch allein deshalb erforderlich geworden ist, weil die Klägerin den - im Ergebnis erfolglosen - Antrag auf Vernehmung des Beklagten gestellt hat. Vor diesem Hintergrund ist es sachgerecht, die Kosten des Rechtstreits gegeneinander aufzuheben.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.

RechtsgebietErledigungVorschriftenBGB § 630 Abs. 2 S. 2

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