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21.04.2015 · IWW-Abrufnummer 144284

Finanzgericht Münster: Beschluss vom 05.02.2015 – 11 K 1172/14 Kg

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Finanzgericht Münster

11 K 1172/14 Kg

Gerichtsbescheid

Tenor:

Die Beklagte wird unter Aufhebung der Kostenentscheidung in der Einspruchsentscheidung vom 11.03.2014 sowie unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 11.03.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.04.2014 verpflichtet, dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, die in dem durch Einspruchsentscheidung vom 11.03.2014 entschiedenen Einspruchsverfahren angefallen sind.

Es wird festgestellt, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das durch Einspruchsentscheidung vom 11.03.2014 entschiedene Einspruchsverfahren notwendig war.

Die Beklagte trägt die Kosten des Klageverfahrens.

Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

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Der Kläger begehrt die Erstattung von Rechtsverfolgungskosten, die im Rahmen eines Einspruchsverfahrens angefallen sind.

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Der Kläger bezog Kindergeld für seinen Sohn D. V., geboren am 03.04.1982. Ab Oktober 2013 stellte die Beklagte die Zahlung des Kindergeldes, ohne jedoch einen entsprechenden schriftlichen Aufhebungsbescheid erlassen zu haben. Der Kläger selbst wandte sich zunächst mit Schreiben vom 04.11.2013 an die Beklagte und bat um Wiederaufnahme der Kindergeldzahlung. Zur Begründung erklärte er, dass er oder sein Sohn keinen Abzweigungsantrag stellen würden, so dass es an einer Rechtsgrundlage für die Einstellung der Kindergeldzahlungen fehle. Die Beklagte entsprach dem Antrag des Klägers nicht. Vielmehr teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 11.11.2013 mit, dass die rechtlichen Voraussetzungen der Kindergeldgewährung zu prüfen seien, und bat den Kläger eine Erklärung über die verfügbaren finanziellen Mittel des Kindes bei der Beklagten einzureichen.

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Mit Schreiben vom 30.01.2014 forderte die Stadt N. den Kläger dazu auf, auf seinen Sohn einzuwirken, damit dieser einen Abzweigungsantrag verbunden mit einem Antrag auf Auszahlung des Kindergeldes an sich selbst stelle. Der Kläger teilte der Stadt N. mit, dieser Aufforderung nicht Folge leisten zu wollen. Daraufhin erwiderte die Stadt N. mit Schreiben vom 19.02.2014, dass sie die Abzweigung nicht weiter verfolgen werde.

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Mit Schreiben vom 14.02.2015 legte der Kläger Einspruch gegen die Aufhebung der Kindergeldbewilligung ein.

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Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 19.02.2014 mit, dass dem seitens der Stadt N. gestellten Antrag auf Erstattung des Kindergeldes nach § 104 SGB X nicht entsprochen und die Zahlung des Kindergeldes an den Kläger wieder aufgenommen werde. Es erfolge die rückwirkende Kindergeldauszahlung ab Oktober 2013.

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Mit Schreiben vom 28.02.2014 machte der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegenüber der Beklagten Kosten für die außergerichtliche Vertretung in Höhe von 380,80 EUR geltend. Die Beklagte lehnte die Begleichung der Kosten mit Schreiben vom 11.03.2014 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass § 77 EStG, der eine Kostenerstattung nur in Einspruchsverfahren zu Festsetzungsverfahren vorsehe, nicht einschlägig sei. Ebenfalls am 11.03.2014 erließ die Beklagte eine Einspruchsentscheidung, mit der sie den Einspruch des Klägers vom 14.02.2014 als unzulässig zurückwies. Zur Begründung der Einspruchsentscheidung führte die Beklagte aus, dass die seinerzeitige Einstellung der Zahlung des Kindergeldes keinen Verwaltungsakt nach § 118 AO darstelle. In der Einspruchsentscheidung verfügte die Beklagte, dass die dem Kläger im Einspruchsverfahren entstandenen Aufwendungen nicht von ihr übernommen werden.

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Am 14.04.2014 legte der Kläger erneut Einspruch bei der Beklagten ein. Der Einspruch richtete sich gegen die Versagung der Kostenübernahme durch die Beklagte. Zugleich hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Die Beklagte wies den Einspruch gegen die Versagung der Kostenübernahme mit weiterer Einspruchsentscheidung vom 14.04.2014 zurück, woraufhin der Kläger nochmals Klage erhob. Die beiden Klageverfahren, die jeweils die identische Streitfrage der Kostenübernahme betrafen, sind durch Gerichtsbeschluss vom 22.08.2014 miteinander verbunden worden und werden unter dem vorliegenden Aktenzeichen weitergeführt.

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Der Kläger ist der Auffassung, dass ein Kostenerstattungsanspruch für die Kosten des Einspruchverfahrens gem. § 77 Abs. 1 EStG bestehe. Zwar habe die Beklagte keinen schriftlichen Aufhebungsbescheid hinsichtlich des zuvor bewilligten Kindergeldes erlassen. Jedoch liege in der tatsächlichen Einstellung der Kindergeldzahlung ein gleichzusetzender Sachverhalt. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Einspruchsverfahren sei mit Blick auf die streitigen Rechtsfragen auch notwendig gewesen.

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Der Kläger beantragt – sinngemäß –,

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die Beklagte unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 11.03.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.04.2014 zu verpflichten, die infolge des Einspruchsverfahrens entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu erstatten, und

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festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie ist der Auffassung, dass der vom Kläger geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch nicht besteht. § 77 EStG sehe eine Kostenerstattungspflicht vor, soweit ein Einspruch gegen eine Kindergeldfestsetzung erfolgreich war. Eine solche erfolgreiche Einspruchsentscheidung sei vorliegend nicht ergangen. Bei dem Schreiben vom 19.02.2014 handele es sich um eine Mitteilung in der Kindergeldangelegenheit des Klägers. Der Einspruch gegen die Zahlungseinstellung des Kindergeldes sei mit Einspruchsentscheidung vom 11.03.2014 zu Recht verworfen worden.

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Entscheidungsgründe:

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Die Klage ist zulässig und begründet.

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Die Entscheidung über die Kostenübernahme in der Einspruchsentscheidung vom 11.03.2014 sowie der Bescheid vom 11.03.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.05.2013 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO. Der Kläger verfügt über einen Kostenerstattungsanspruch gegen die Beklagte gem. § 77 Abs. 1 Satz 1 EStG. Auch war die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig im Sinne des § 77 Abs. 2 EStG.

19

I.

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Die Voraussetzungen des § 77 Abs. 1 Satz 1 EStG sind im vorliegenden Fall erfüllt, da sich der Kläger erfolgreich durch Einlegung eines Einspruchs gegen die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung gewehrt hat.

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Nach der gesetzlichen Regelung des § 77 Abs. 1 Satz 1 EStG hat die Familienkasse dem Einspruchsführer die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Einspruch gegen die Kindergeldfestsetzung erfolgreich ist. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass diese Regelung nicht nur Einsprüche gegen die Versagung einer Kindergeldbewilligung, sondern über ihren Wortlaut hinaus auch Einsprüche gegen die Aufhebung einer Kindergeldbewilligung betrifft (BFH-Urteil vom 23.07.2002 VIII R 73/00, BFH/NV 2002, 25).

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Es liegt – entgegen der Auffassung der Beklagten – eine mit Einspruch anfechtbare Entscheidung über die Aufhebung der Kindergeldbewilligung vor.

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Die bloße Einstellung der Kindergeldauszahlung mit Wirkung ab Oktober 2013 kann allerdings noch nicht als anfechtbarer Verwaltungsakt angesehen werden. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die erste Auszahlung des Kindergeldes nach Stellung eines entsprechenden Antrags als konkludente Bewilligung des Kindergeldes anzusehen ist und damit einen Verwaltungsakt im Sinne des § 118 AO beinhaltet. Die Auszahlung des Kindergeldes ist nicht bloßer Realakt, sondern bringt zugleich konkludent gegenüber dem Empfänger die Entscheidung über das Bestehen des Anspruchs auf das beantragte Kindergeld zum Ausdruck (vgl. Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.06.2009, 2 K 1807/08, Juris Rn. 18). Diese Sichtweise kann jedoch nicht auf den hier streitigen Fall der Einstellung der Kindergeldauszahlung übertragen werden. Während bei der erstmaligen Auszahlung des Kindergeldes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass der Auszahlung eine bewusste Entscheidung der Familienkasse über den Kindergeldantrag zugrundeliegt, verhält es sich bei der Einstellung der Auszahlung des Kindergeldes anders. Wenn die Zahlung des bewilligten Kindergeldes für einen Monat oder auch mehrere Monate ohne weitere Erklärung ausbleibt, muss der betroffene Bürger nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass die Kindergeldbewilligung durch die Kindergeldkasse aufgehoben worden ist. Vielmehr ist regelmäßig die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass ein bloßes Kassen- oder Bankversehen vorliegt

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Allerdings beinhaltet das Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 11.11.2013 die Aufhebung der Kindergeldbewilligung, so dass insoweit ein anfechtbarer Verwaltungsakt im Sinne des § 118 AO vorliegt. Ein Verwaltungsakt ist gemäß § 118 AO jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Zwar verfügte die Beklagte auch in diesem Schreiben nicht ausdrücklich die Aufhebung der Kindergeldbewilligung. Allerdings erklärte sie, dass sie zur Prüfung, ob ein Kindergeldanspruch bestehe, weitere vom Kläger einzureichende Unterlagen benötige. Die zuvor erfolgte Einstellung der Kindergeldauszahlung in Zusammenwirken mit der Mitteilung, dass das Bestehen eines Kindergeldanspruchs erneut rechtlich zu prüfen sei, kann vom betroffenen Bürger nur so verstanden werden, dass die Einstellung der Kindergeldzahlungen eben nicht auf einem bloßen Kassen- oder Bankversehen, sondern auf einer bewussten Entscheidung der Familienkasse beruht. Dass die Aufhebung der Kindergeldbewilligung nach dem Willen der Beklagten zunächst gegebenenfalls nur vorläufig erfolgen sollte, ändert nichts daran, dass die Kindergeldaufhebung als Verwaltungsakt im Sinne des § 118 AO zu qualifizieren ist. Auch eine nur vorläufige Maßnahme ist eine Maßnahme im Sinne des § 118 AO.

25

Der Kläger hat gegen die mit Bescheid vom 11.11.2013 verfügte Aufhebung der Kindergeldbewilligung fristgemäß Einspruch eingelegt. Der Bescheid vom 11.11.2013 beinhaltete keine Rechtsbehelfsbelehrung bezüglich der Aufhebung des Kindergeldes, so dass die Einspruchsfrist gem. § 356 Abs. 3 AO ein Jahr betrug. Der Einspruch vom 14.02.2014 erfolgte innerhalb der Jahresfrist. Die unzutreffende Bezeichnung als „Widerspruch“ ist unschädlich.

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Der Einspruch des Klägers war in vollem Umfang erfolgreich. Ein Einspruch ist dann „erfolgreich“ im Sinne von § 77 Abs. 1 Satz 1 EStG, wenn die Behörde zu Gunsten des Einspruchsführers tatsächlich über den Streitgegenstand des Einspruchsverfahrens entscheidet (vgl. z.B. FG Münster, Urteil vom 21.08.2014 11 K 2070/13 Kg, Juris Rn. 32). Dies ist hier der Fall. Denn mit Schreiben vom 19.02.2014 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Kindergeldzahlung antragsgemäß mit Wirkung ab Oktober 2013 aufgenommen wird. Dass die Beklagte ebenfalls am 19.02.2014 eine Einspruchsentscheidung erlassen hat, in welcher sie den Einspruch als unzulässig zurückwies, ist in diesem Zusammenhang unbeachtlich. Denn die in der Einspruchsentscheidung vorgenommene rechtliche Beurteilung, nach welcher der Einspruch unzulässig war, ist gemäß den vorstehenden rechtlichen Erwägungen unzutreffend.

27

II.

28

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten oder Beistandes war im Streitfall notwendig.

29

Die Frage, ob die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war, ist aus der Sicht eines verständigen Bürgers vom Wissens- und Erkenntnisstand des Rechtsbehelfsführers zu beurteilen. Bei der Entscheidung hierüber sind die zu § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO entwickelten Kriterien entsprechend heranzuziehen (vgl. FG Münster, Urteil vom 21.08.2014, 11 K 2070/13 Kg, Juris Rn. 46, m.w.N.).

30

Die Einstellung der Kindergeldzahlungen durch die Beklagte beruhte auf den Bemühungen der Stadt N., eine Auszahlung des Kindergeldes an sich zu erlangen. Da die Grundsätze, wann eine Auszahlung des Kindergeldes an den Grundsicherungsträger in Betracht kommt, dem rechtlichen Laien nicht bekannt sind, ist die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten als erforderlich anzusehen.

31

III.

32

Nach alledem ist der Kostenerstattungsanspruch dem Grunde nach gegeben. Die Entscheidung über die Anspruchshöhe hat die Beklagte im Verfahren über die Festsetzung der zu erstattenden Aufwendungen zu treffen.

33

IV.

34

Die Entscheidung über die Kosten des vorliegenden Klageverfahrens beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

RechtsgebietFinanz- und Abgaberecht

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