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03.12.2013 · IWW-Abrufnummer 133758

Sozialgericht Stuttgart: Urteil vom 21.11.2013 – S 11 KA 5773/12

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Verkündet am 21.11.2013
Im Namen des Volkes
Urteil
in dem Rechtsstreit
Dr. med.
- Kläger -
Proz.-Bev.: Rechtsanwälte
gegen
Beschwerdeausschuss Baden-Württemberg
vertreten durch den Vorsitzenden
- Beklagte -
Beigeladen:
1. Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg
vertreten durch den Vorstand
2. AOK Baden-Württemberg
vertreten durch den Vorstand der AOK Baden-Württemberg - Hauptverwaltung
3. BKK Landesverband Baden-Württemberg
vertreten durch den Vorstand
4. IKK classic
vertreten durch den Vorstand
5. Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau als landwirtschaftliche Krankenkasse
vertreten durch den Geschäftsführer
6. Verband der Ersatzkassen e.V.- vdek
vertreten durch den Vorstand
Die 11. Kammer des Sozialgerichts Stuttgart
hat auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 21.11.2013 durch
die Richterin am Sozialgericht ... als Vorsitzende
sowie den ehrenamtlichen Richter
für Recht erkannt:
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen eine in einem Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren (Richtgrößenprüfung) verfügte Honorarrückforderung (Heilmittelregress) in Höhe von 10.303,54 €.
Der Kläger nimmt seit 1. Januar 1990 als Orthopäde mit Vertragsarztsitz in Stuttgart an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Die Bezirksprüfungsstelle Stuttgart der Gemeinsamen Prüfungseinrichtungen B.-W. (Prüfungsstelle) führte beim Kläger für das Jahr 2008 eine Wirtschaftlichkeitsprüfung hinsichtlich der Verordnung von Heilmitteln aufgrund der Überschreitung des individuellen Richtgrößenvolumens des Klägers durch.
Mit Anhörungsschreiben vom 11. November 2010 teilte die Prüfungsstelle dem Kläger mit, man habe festgestellt, dass sein Heilmittelvolumen im Jahr 2008 sein individuelles Richtgrößenvolumen um mehr als 15% übersteige, ohne dass dies, soweit ersichtlich, durch Praxisbesonderheiten begründet sei. Die Heilmittelverordnungskosten hätten (nach Bereinigung um anerkannte Mehrkosten) insgesamt 316.651,10 € betragen und das Richtgrößenvolumen von 234.247,73 € um 35,18% überschritten.
Mit Schreiben vom 8. Dezember 2010 erklärte der Kläger, ab 2008 habe die Zahl ambulant (z.B. an Kniegelenken und Sprunggelenken) operierter Patienten deutlich zugenommen. Diese hätten intensiv nachbehandelt werden müssen, u.a. mit Kontrolluntersuchungen, physikalischen Maßnahmen und Medikamenten, um baldmöglichst die Beweglichkeit und Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen. Dadurch würden Kosten für stationäre Behandlungen eingespart. Hinzukämen Patienten, die nach nur kurzer stationärer Behandlung eine Rehabilitationsmaßnahme meist aus beruflichen Gründen nicht durchführen könnten und ambulant (weiter-)behandelt werden müssten. Außerdem habe das Unfallgeschehen (Stürze, Stauchungen, Zerrungen) besonders bei älteren Patienten, die den Hauptteil seiner Patientenschaft ausmachten, deutlich zugenommen. Bei diesen bestehe nach Unfällen ein höherer Behandlungsbedarf als bei jungen Patienten. Er habe auch einen sehr großen Teil multimorbider Patienten, die häufig nicht medikamentös und deswegen physikalisch behandelt werden müssten.
Mit Schreiben vom 20. Dezember 2010 unterbreitete die Prüfungsstelle dem Kläger ein Vergleichsangebot. Man habe einen Regress in Höhe von 23.841,55 € brutto bzw. 16.977,57 € netto beschlossen und biete an, diesen Betrag um die höchstzulässige Minderung von 20% zu ermäßigen (Regressbetrag 13.582,06 €). Der Kläger nahm das Vergleichsangebot nicht an.
Mit Prüfbescheid vom 20. Dezember 2010 setzte die Prüfungsstelle gegen den Kläger einen Nettoregress i. H. v. 16.977,57 € fest. Zur Begründung führte sie aus, gemäß § 106 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 i. V. m. § 106 Absatz 5a und 84 Absatz 6 SGB V sei bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 15 % von Amts wegen eine Wirtschaftlichkeitsprüfung durchzuführen (Auffälligkeitsprüfung). Grundlage sei die zwischen der Beigeladenen Nummer 1 und den Landesverbänden der Krankenkassen abgeschlossene Heilmittel-Richtgrößenvereinbarung für das Jahr 2008 vom 18. Dezember 2007. Die danach für die Fachgruppe der Orthopäden maßgeblichen Richtgrößen (Mitglieder und Familienversicherte 43,06 €, Rentner 45,87 €) seien durch Rundschreiben vom 18. Dezember 2007 bekannt gegeben worden. Man habe vorab verschiedene Praxisbesonderheiten ohne regelhafte Indikationsprüfung definiert. Die Auswahl umfasse als Filter 4 bezeichnete Indikationsschlüssel, die indikationsbezogen selten seien und in der Regel Verordnungskosten verursachten, die zu einer Überschreitung der Richtgrößen führten. Die darauf entfallenden Kosten (2.522,50 €) seien zu 100 % als Praxisbesonderheit berücksichtigt worden. Außerdem habe man Praxisbesonderheiten mit regelhafter Indikationsprüfung definiert und als Filter 5 bezeichnet. Diese Auswahl umfasse Indikationsschlüssel, die nach positiver Indikationsprüfung als Praxisbesonderheiten gewertet worden seien. Die hierauf entfallenden Kosten (274,02 €) seien ebenfalls zu 100 % als Praxisbesonderheiten berücksichtigt worden. Zudem sei für ausgewählte Diagnosegruppen ein Mehrbedarf berücksichtigt worden, der sich aus der überdurchschnittlichen Häufigkeit von Verordnungen mit den unter Filter 6a1 bis 6a12 angeführten Indikationsschlüsseln errechne. Die Berechnung und Berücksichtigung eines etwaigen Mehraufwandes erfolge hierbei quartalsbezogen; dabei könne ein Versicherter im Laufe eines Jahres bis zu vier Rezeptfälle auslösen. Für die genannten Indikationsschlüssel seien die Kosten je Rezeptfall für die Vergleichsgruppe und für die Praxis des Antragstellers aufsummiert worden. Gleichzeitig habe man jeweils die Zahl der Rezeptfälle ermittelt sowie deren prozentualen Anteil an den Gesamtbehandlungsfallzahlen. Für die über dem Durchschnitt der Vergleichsgruppe hinausgehenden Rezeptfälle würden die durchschnittlichen Fallkosten des Antragstellers, höchstens die durchschnittlichen Fallkosten der Vergleichsgruppe als berechtigter Mehraufwand anerkannt. Die Gesamtkosten der mit den Filtern 4, 5 und 6a1 bis 6a12 berücksichtigten Praxisbesonderheiten betrügen 71.579,35 €. Diesen Betrag habe man für das Jahr 2008 um einen Sicherheitsaufschlag von 9,12 % (6.528,04 €) erhöht, den man ebenfalls vom Verordnungsvolumen abgezogen habe. Das beruhe darauf, dass 9,12 % der Verordnungskosten nicht oder nicht eindeutig einem Indikationsschlüssel hätten zugeordnet werden können. Das Heilmittelverordnungsvolumen des Klägers überschreite jedoch auch nach Abzug der genannten Kostenanteile das Richtgrößenvolumen noch um mehr als 25 %. Die Prüfstelle habe von Amts wegen geprüft, inwieweit Praxisbesonderheiten und/oder kompensatorische Einsparungen berücksichtigt werden könnten. Dabei sei auf der Grundlage der elektronisch übermittelten Daten festgestellt worden, dass die Honoraranforderung des Klägers im Durchschnitt des Jahres 2008 um 25,03 % unter dem Fachgruppendurchschnitt gelegen habe. Allerdings fehle ein kausaler Zusammenhang mit den überhöhten Heilmittelverordnungskosten, da die überwiegende Mehrheit der angesetzten Gebührenordnungsnummern keinen Einfluss auf hohe oder niedrigere Heilmittelverordnungskosten habe; die den Fachgruppendurchschnitt deutlich unterschreitende Honoraranforderung sei deshalb nicht zu berücksichtigen. Das danach neu errechnete Richtgrößenvolumen betrage 234.247,73 €, das um Praxisbesonderheiten bereinigte Verordnungsvolumen des Antragstellers betrage 316.651,21 € (Überschreitung 35,18 %). Weitere Praxisbesonderheiten bestünden nicht. Die verbleibenden (nicht bereits im Rahmen von Praxisbesonderheiten berücksichtigten) Krankheitsbilder unterschieden sich nicht wesentlich von den Krankheitsbildern einer durchschnittlichen orthopädischen Praxis. Nach abschließender Berücksichtigung der Zuzahlungen der Versicherten ergebe sich der endgültige Regressbetrag von 16.977,57 €.
Mit Schreiben vom 14.01.2011 erhob der Kläger Widerspruch. Gemäß § 106 Absatz 2 Satz 7 SGB V sollten Richtgrößenprüfungen, die als Auffälligkeitsprüfung durchgeführt würden, in der Regel bei nicht mehr als 5 % der Ärzte einer Fachgruppe vorgenommen werden. Dem Bescheid der Prüfungsstelle sei nicht zu entnehmen, dass ein entsprechendes Auswahlverfahren stattgefunden habe. Sollten alle Orthopäden im Jahr 2008 einer Richtgrößenprüfung unterzogen worden sein, wäre dies rechtswidrig. Außerdem würden im Prüfbescheid Auswahlkriterien nicht benannt und in der Prüfvereinbarung seien ein entsprechendes Auswahlverfahren und Auswahlkriterien nicht festgelegt. Der deswegen verfahrensfehlerhaft ergangene Regressbescheid sei auch nicht ausreichend begründet. Er enthalte Widersprüche und fehlerhafte Zahlen, weshalb die Berechnungen nicht nachvollzogen werden könnten. Die Verordnungskosten der Vergleichsgruppe und die einschlägigen Fallzahlen seien nicht angegeben. Die von ihm geltend gemachten Praxisbesonderheiten habe man nicht hinreichend gewürdigt. Die Prüfungsstelle habe mit ihrem Filtermodell eine rein schematische Prüfung vorgenommen und ihr Ermessen nicht richtig ausgeübt. Mit der Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten anhand von Durchschnittswerten der Prüfgruppe werde die zum 01. Januar 2004 abgeschaffte Durchschnittsprüfung der Sache nach wieder eingeführt. Das widerspreche auch der Prüfvereinbarung. Danach sei die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise nach Durchschnittswerten vorzunehmen (§ 6 der Prüfvereinbarung), die Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Verordnungsweise allerdings im Rahmen einer Richtgrößenprüfung im Wege der Auffälligkeitsprüfung (§ 8 Absatz 1 der Prüfvereinbarung). Ein Vergleich mit der Fachgruppe sei nicht vorgesehen. Die Quantifizierung der Praxisbesonderheiten müsse daher einzelfallbezogen nicht im Hinblick auf Werte der Vergleichsgruppe erfolgen. Andernfalls könnte er gerade besonders „teure“ Patienten nicht mehr geltend machen und dementsprechend auch nicht mehr behandeln. Bei der Übernahme von Elementen einer statistischen Vergleichsprüfung müssten nach der Rechtsprechung auch alle Kriterien für eine zulässige Durchschnittsprüfung beachtet werden; u.a müsse eine intellektuelle Prüfung der ermittelten Ergebnisse durch die Prüfgremien vorgenommen werden. Im Hinblick auf die strikte Filterprüfung sei auch das unterblieben. Bei Durchschnittsprüfungen erbringe außerdem erst die Überschreitung des offensichtlichen Missverhältnisses den Anscheinsbeweis der Unwirtschaftlichkeit. Regelmäßig werde das offensichtliche Missverhältnis bei einer Überschreitung der Durchschnittswerte um mehr als 40 % angesetzt. Vergleiche man den Vertragsarzt auch bei der Ermittlung der Praxisbesonderheiten immer nur mit den Verordnungskosten der Vergleichsgruppe, werde gleichsam in den wirtschaftlichen Bereich hinein gekürzt, da jede Wirtschaftlichkeitsprüfung eine gewisse Überschreitung der Werte der Vergleichsgruppe erlaube.
In der Sache sei der Berechnung des Richtgrößenvolumens im Jahr 2008 eine fehlerhafte Fallzahl zugrunde gelegt worden. Außerdem habe die Prüfungsstelle den berücksichtigungsfähigen Mehraufwand falsch berechnet und Praxisbesonderheiten zu Unrecht nicht berücksichtigt. Aus den Honorarbescheiden für 2008 gingen 5.378 Fälle und nicht (wie im Prüfbescheid) 5.355 Fälle hervor; das Richtgrößenvolumen müsse entsprechend erhöht werden. Der Sicherheitsabschlag sei ebenfalls unrichtig; würden 9,12 % der Verordnungskosten angesetzt, ergebe sich ein Abschlag von 36.001,98 € (nicht bzw. nicht eindeutig einem Indikationsschlüssel zuordenbarer Kosten) und nicht von nur 6.258,04 €. Die Praxisbesonderheiten seien nicht richtig in die Berechnung eingegangen, insbesondere habe man Patienten mit voraussichtlich hohem Heilmittelbedarf nicht ausreichend berücksichtigt. Er führe die Zusatzbezeichnung Chirotherapie. Deswegen erbringe er bestimmte Behandlungen häufiger als die Vergleichsgruppe (u.a. chirotherapeutische Eingriffe an der Wirbelsäule). Entsprechendes gelte für Behandlungen wegen der Zusatzbezeichnung Sportmedizin und physikalische Therapie. Wegen dieser Behandlungen werde er vermehrt konsultiert. Seine Praxis liege in der Stadtmitte, weswegen ihn viele Büroangestellte als Akutpatienten aufsuchten. Schließlich seien die kompensatorischen Einsparungen unzureichend ermittelt worden. Seine Praxis habe einen Behandlungsschwerpunkt bei Osteoporose- Patienten. Fast 60 % seiner Patienten litten unter dieser Erkrankung, die er nur bei absoluter Notwendigkeit mit Medikamenten versorge. Er setze vorrangig chirotherapeutische Mobilisierungen und physiotherapeutische Maßnahmen ein, um Schmerzfreiheit zu erreichen. Dadurch ergäben sich kompensatorische Einsparungen bei teuren Arzneimitteln. Deswegen habe er sein Richtgrößenvolumen im Bereich der Arzneimittel in allen Quartalen des Jahres 2008 unterschritten (insgesamt 2,17 %). Er verordne deutlich weniger Osteoporosemedikamente als die Fachgruppe. Aus seinen Aufzeichnungen ergebe sich, dass im Jahr 2008 bei 922 Patienten wegen der Heilmittelverordnungen auf eine medikamentöse Therapie habe verzichtet werden können. Auch die deutlich unterdurchschnittliche Honoraranforderung (25,03 % unter dem Fachgruppendurchschnitt) hänge mit der Überschreitung des Heilmittelverordnungsvolumens zusammen. Das niedrigere Honorar verdeutliche seine wirtschaftliche Behandlungsweise; es folge nicht aus unterdurchschnittlichen Fallzahlen, sondern aus deutlich niedrigeren Fallwerten als bei der Vergleichsgruppe. Das gelte auch für postoperative Behandlungen, obgleich er auch Chirurg sei und ambulante Operationen vornehmen dürfe. Er lege freilich ein besonderes Augenmerk auf die konservative Therapie.
Die Beigeladene Nummer 1 erklärte, offenbar habe der Prüfungsausschuss in den Jahren 2006 und 2007 noch berücksichtigte Praxisbesonderheiten im Kalenderjahr 2008 nicht mehr berücksichtigt. Im Prüfbescheid für 2006 seien Einsparungen bei der Arzneimittelverordnung angerechnet worden. Gleichzeitig habe man für die deutlich unterdurchschnittliche Fallzahl (minus 20,2 %) einen Aufschlag von 20% auf die Richtgröße vorgenommen. Im Bescheid für 2007 habe man im Hinblick auf kostenintensive Patienten aufgrund postoperativer Behandlung bzw. ambulanter Operationen einen Zuschlag auf die Richtgröße von 25 % gewährt. Das fehle im Bescheid für 2008 ebenfalls. Problematisch sei auch, dass durch die Berechnungsmethode der unterschiedlichen Filter in den wirtschaftlichen Mehraufwand regressiert werde. Bei korrekter Berücksichtigung aller Praxisbesonderheiten hätte sich ein Regressbetrag sicherlich nicht ergeben.
Am 27. Juni 2012 führte der Beklagte eine mündliche Verhandlung durch, in der ein widerruflicher Vergleich (Widerrufsfrist bis 12. Juli 2012) abgeschlossen wurde. Der Regressbetrag wurde auf 8.241,95 € vermindert.
Mit Schreiben vom 06. Juli 2012 wies der Kläger darauf hin, dass durch Änderung des § 106 Absatz 5e SGB V der Grundsatz „Beratung vor Regress“ – rückwirkend – eingeführt werden solle, weshalb vorliegend ein Regress nicht stattfinden dürfe. Am 12. Juli 2012 widerrief er den in der mündlichen Verhandlung des Beklagten vom 27. Juni 2012 geschlossenen Vergleich.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19. September 2012 half der Beklagte dem Widerspruch des Klägers teilweise ab und verminderte den Regressbetrag unter Berücksichtigung des Minderaufwands in der Physikalischen Therapie von 9.372,32 € auf 10.303,54 €. Im Übrigen wies er den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Praxis des Klägers habe 2008 insgesamt 5.378 kurative Fälle aufgewiesen, wovon 5.355 von der Verordnungsstatistik Heilmittel nach Richtgrößen erfasst worden seien; die Differenz beruhe auf der Nichterfassung der bei einer AOK oder LKK außerhalb von B.-W. versicherten Patienten. Man habe die Heilmittelverordnungskosten (brutto) des Antragstellers mit dem praxisindividuellen Richtgrößenvolumen verglichen, das sich aus der Multiplikation der Fallzahlen mit den geltenden Richtgrößenwerten für Orthopäden im Jahr 2008 ergebe. Ermittelt worden seien die folgenden Werte:
Jahreswert 2008 Fallzahl Richtgröße je Fall in € Richtgrößenvolumen in € Verordnungsvolumen in € Abweichung gesamt in %
M/F 4.052 43,06 174.479,12 292.146,67 67,44
R 1.303 45,87 59,768,61 102.611,93 71,68
Gesamt 5.355 234.247,73 394.758,60 68.52
Nach Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten und Sicherheitszuschlägen ergäben sich folgende Werte:
Verordnungskosten insgesamt 394.758,60 €
Praxisbesonderheit Filter 4 2.522,50 €
Praxisbesonderheit Filter 5 274,02 €
Praxisbesonderheit Filter 6a 68.782,83 €
Sicherheitszuschlag nicht zuordnungsfähige IS 6.528,00 €
Verordnungskosten gesamt abzüglich o.g. Besonderheiten 316.651,21 €
Richtgrößenvolumen gesamt 234.247,73 €
Abweichung 82.403,48 €
Abweichung in % 35,18
Der Kläger habe 2008 das Richtgrößenvolumen für Orthopäden um 68,52 % überschritten, was i. S. d. § 106 Absatz 2 Satz 1, Absatz 5a SGB V eine statistische Auffälligkeit begründe und eine Prüfung von Amts wegen zur Folge habe. Man selektiere vorab, welche Praxen einer Prüfung unterzogen würden und begrenze die Prüfung auf (regelmäßig) nicht mehr als 5 % der Praxen der Fachgruppe. Hier hätten allerdings 73 von 465 orthopädischen Praxen (15,70 %) die Richtgrößen um mehr als 15 % überschritten. Gleichwohl seien nur bei 10 Praxen Prüfverfahren eingeleitet worden, weshalb die gesetzliche Begrenzung der Prüfverfahren auf regelmäßig 5 % der Praxen einer Fachgruppe gewahrt worden sei. Hinsichtlich der Zusatzqualifikationen des Klägers habe man an Hand der Leistungsstatistiken festgestellt, dass (z.B.) ambulante Operationen nur eine untergeordnete Rolle im Leistungsangebot des Antragstellers gespielt hätten und deswegen keine Praxisbesonderheit begründeten. Die Fallzahlen des Klägers lägen nur um 8,45 % und damit geringfügig unter den Fallzahlen seiner Fachgruppe. Kostenintensive Fälle wirkten sich aber nur bei deutlich unterdurchschnittlichen Fallzahlen auf das Heilmittelverordnungsvolumen aus; das werde bei einer Unterschreitung der Durchschnittsfahlzahl ab 50% angenommen. Auch der Rentneranteil liege beim Antragsteller (im Jahr 2008) unter dem Fachgruppendurchschnitt (minus 20,13 %). Damit begründeten weder die Praxisgröße noch die Altersstruktur eine Praxisbesonderheit. Kompensatorische Einsparungen gebe es bei der Arzneimittelverordnung nicht, da auch hier das Richtgrößenvolumen überschritten worden sei (plus 3,34 %, 1.580,80 €). Der Minderaufwand beim (Gesamt-)Honorar (minus 25,03 %, 9.708,81 €) könne den Heilmittelkosten nicht zugeordnet und deswegen nicht kompensatorisch berücksichtigt werden. Der Kläger habe ersichtlich zu viele passive Heilmittelverordnungen, insbesondere für Massagen und Wärmetherapie, ausgestellt, für einzelne Patienten teilweise mehrfach am Tag oder in der Woche. Angezeigt wären mehr aktive Therapiemaßnahmen, wie Krankengymnastik, gerade bei den vom Kläger angeführten Büroangestellten; dies werde dem Kläger zur Vermeidung künftiger Prüfungen empfohlen. Postoperative Behandlungen begründeten keine Praxisbesonderheit, da diese im Jahr 2008 unterdurchschnittlich erbracht worden seien. Man habe die von der Beigeladenen Nummer 1 monierte Berechnungsmethode der Filter überprüft und für korrekt befunden. Auch der Sicherheitszuschlag von 9,12 % sei zutreffend berechnet worden, da die nicht zuordenbaren Indikationsschlüssel nur auf die als Praxisbesonderheit zu berücksichtigenden Indikationen zu beziehen seien. Nach alledem errechne sich ein Regressbetrag von (noch) 10.303,54 €. Die Regelung des § 106 Absatz 5e SGB V über den Vorrang der Beratung werde nicht rückwirkend angewandt, da bereits zwei bestandskräftige Prüfentscheidungen (Regressbescheide) für 2006 und 2007 vorlägen und damit ein Regress nicht erstmals festgesetzt werde. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Antragsteller am 20. September 2012 zugestellt.
Am (Montag, dem) 22. Oktober 2012 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Stuttgart erhoben.
Der Kläger erklärt,
die Klage stütze sich auf die Einführung des Grundsatzes „Beratung vor Regress“ durch § 106 Absatz 5e SGB V zum 01. Januar 2012. Da bis dahin ein Beschluss des Beklagten noch nicht vorgelegen habe, gelte dieser Grundsatz auch hier (rückwirkend). Vor dem Prüfungszeitraum 2008 sei er nicht beraten worden. Er habe zwar schon vor dem Jahr 2008 (in den Jahren 2006 und 2007) das Richtgrößenvolumen um mehr als 25 % überschritten. Das Prüfverfahren für 2006 sei jedoch erst im Dezember 2008, das Prüfverfahren für 2007 erst im Dezember 2009 und damit nach bzw. mit dem Prüfverfahren für 2008 eingeleitet worden. Beide vorausgegangene Verfahren hätten nicht mit einer Beratung, sondern mit einem Regress geendet. Gemäß § 106 Absatz 5e SGB V sei ein Regress aber frühestens für den Prüfzeitraum nach erfolgter Beratung zulässig. Nach der Gesetzesbegründung scheide die Festsetzung eines Regressbetrags für Prüfzeiträume aus, die vor der tatsächlichen Beratung lägen.
Der Kläger beantragt,
den Prüfbescheid der Prüfstelle Baden-Württemberg vom 22. Dezember 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 19. September 2012 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte erklärt,
die Prüfverfahren für 2006 und 2007 seien mit der Festsetzung von Regressbeträgen i. H. v. 5.433,04 € bzw. 9.038,46 € (bestandskräftig) abgeschlossen worden (Bescheide vom 16. Dezember 2008 und 18. Dezember 2009). Hinsichtlich des Jahres 2007 habe der Antragsteller einen Vergleich (Regressbetrag noch 7.230,77 €) akzeptiert. Mit den Prüfbescheiden für 2006 und 2007 habe der Antragsteller auch die notwendige Beratung erhalten. Die Neuregelung des § 106 Absatz 5e SGB V solle Ärzte vor Regressen schützen, die noch keine Beratung erhalten hätten und gegen die auch noch kein Regress festgesetzt worden sei und die deswegen auf die Wirtschaftlichkeit ihrer Verordnungsweise vertraut hätten. Bei erstmaliger Überschreitung der Richtgröße sollten sie nicht sogleich mit einem Regress überzogen werden. Dem Kläger sei die Unwirtschaftlichkeit seiner Verordnungsweise freilich wegen der Prüfbescheide für 2006 und 2007 bewusst gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, insbesondere wurde sie innerhalb der Monatsfrist des § 87 Absatz 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erhoben. Zwar wurde dem Kläger der Widerspruchsbescheid am 20. September 2012 zugestellt, so dass Fristbeginn nach § 64 Absatz 1 SGG am 21. September 2012 und Fristende am 20. Oktober 2012 war. Jedoch handelte es sich dabei um einen Samstag, so dass nach § 64 Absatz 1 SGG das Ende der Klagefrist auf Montag, den 22. Oktober 2012, fiel.
Die Klage ist auch begründet. Der Widerspruchsbescheid des Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Festsetzung eines Regresses ist mit dem in § 106 Absatz 5e SGB V geregelten Grundsatz „Beratung vor Regress“ nicht vereinbar.
Das Landessozialgericht Baden-Württemberg führt in seiner Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes aus: „Rechtsgrundlage des vom Beklagten verfügten Regresses ist § 84 Absatz 6 und 8 SGB V i. V. m. § 106 Absatz 5a SGB V und der für 2008 maßgeblichen Heilmittel-Richtgrößenvereinbarung vom 18.12.2007. Gem. § 84 Absatz 6 SGB V vereinbaren die Vertragspartner zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung für das auf das Kalenderjahr bezogene Volumen der je Arzt verordneten Arznei- und Verbandmittel (Richtgrößenvolumen) arztgruppenspezifische fallbezogene Richtgrößen als Durchschnittswerte unter Berücksichtigung der nach § 84 Absatz 1 SGB V getroffenen Arzneimittelvereinbarung, erstmals bis zum 31.03.2002. Zusätzlich sollen die Vertragspartner die Richtgrößen nach altersgemäß gegliederten Patientengruppen und darüber hinaus auch nach Krankheitsarten bestimmen. Die Richtgrößen leiten den Vertragsarzt bei seinen Entscheidungen über die Verordnung von Arznei- und Verbandmitteln nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot. Die Überschreitung des Richtgrößenvolumens löst eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 Absatz 5a SGB V unter den dort genannten Voraussetzungen aus. § 84 Absatz 6 SGB V ist für Heilmittel unter Berücksichtigung der besonderen Versorgungs- und Abrechnungsbedingungen im Heilmittelbereich entsprechend anzuwenden. Gem. § 106 Absatz 5a SGB V werden Beratungen (§ 106 Absatz 1a SGB V) bei Überschreitung der Richtgrößenvolumen nach § 84 Absatz 6 und 8 SGB V durchgeführt, wenn das Verordnungsvolumen eines Arztes in einem Kalenderjahr das Richtgrößenvolumen um mehr als 15 % übersteigt und auf Grund der vorliegenden Daten die Prüfungsstelle nicht davon ausgeht, dass die Überschreitung in vollem Umfang durch Praxisbesonderheiten begründet ist (Vorab-Prüfung). Bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 % hat der Vertragsarzt nach Feststellung durch die Prüfungsstelle den sich daraus ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist (§ 106 Absatz 5a Satz 3 SGB V). Die Prüfungsstelle soll vor ihren Entscheidungen und Festsetzungen auf eine entsprechende Vereinbarung mit dem Vertragsarzt hinwirken, die eine Minderung des Erstattungsbetrages um bis zu einem Fünftel zum Inhalt haben kann. Die in Absatz 2 Satz 4 genannten Vertragspartner bestimmen in Vereinbarungen nach Absatz 3 die Maßstäbe zur Prüfung der Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten.
Für die Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Richtgrößenvolumina (Richtgrößenprüfung) hat der Gesetzgeber zum 01.01.2012 den Grundsatz „Beratung vor Regress“ eingeführt. Gem. § 106 Absatz 5e SGB V (i. d. F. des Gesetzes v. 22.12.2011, BGBl I S. 2983, vgl. Art. Nr. 38d) erfolgt abweichend von § 106 Absatz 5a Satz 3 SGB V bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent eine individuelle Beratung nach § 106 Absatz 5a Satz 1 SGB V. Ein Erstattungsbetrag kann bei künftiger Überschreitung erstmals für den Prüfzeitraum nach der Beratung festgesetzt werden. Dies gilt entsprechend, wenn ein Vertragsarzt die ihm angebotene Beratung abgelehnt hat. Im Rahmen der Beratung nach Satz 1 können Vertragsärzte in begründeten Fällen eine Feststellung der Prüfungsstelle über die Anerkennung von Praxisbesonderheiten beantragen. Eine solche Feststellung kann auch beantragt werden, wenn zu einem späteren Zeitpunkt die Festsetzung eines Erstattungsbetrags nach § 106 Absatz 5a SGB V droht.
Die Beratung nach § 106 Absatz 5e SGB V hat nicht nur Warnfunktion. Sie soll vielmehr das ärztliche Verordnungsverhalten steuern und dafür sorgen, dass der Arzt künftig wirtschaftlich handelt und Regresse nach einer Richtgrößenprüfung deshalb vermieden werden. Das tritt in der Begründung zum Entwurf des § 106 Absatz 5e Satz 7 SGB V klar hervor. Danach soll der Grundsatz „Beratung vor Regress“ ab dem 01.01.2012 für alle zu diesem Zeitpunkt laufenden und nachfolgenden Verfahren der Prüfgremien – auch soweit sie zurückliegende Prüfzeiträume betreffen – gelten. Die Prüfungsstelle und der Beschwerdeausschuss können seitdem keinen Erstattungsbetrag mehr festsetzen, wenn nicht zu dem früheren Prüfzeitraum die gesetzlich vorgeschriebene individuelle Beratung der Vertragsärztin oder des Vertragsarztes erfolgt ist. Insoweit haben die Prüfgremien das zum Zeitpunkt ihrer abschließenden Entscheidung geltende Recht anzuwenden. Zudem scheidet die Festsetzung eines Erstattungsbetrages für Prüfzeiträume aus, die vor der tatsächlichen Beratung liegen, weil der Zweck der Vorschrift, einer wiederholten Überschreitung des Richtgrößenvolumens durch individuelle Beratung vorzubeugen, nur mit der Möglichkeit zur Anpassung des Verordnungsverhaltens in den nachfolgenden Prüfzeiträumen erreicht werden kann (BT-Drs. 17/10156 S. 95).
Gem. § 106 Absatz 5e Satz 7 SGB V – eingeführt mit Wirkung vom 26.10.2012 durch Gesetz vom 19.10.2012 (BGBl I S. 2192 vgl. Art. 12b Nr. 3) – gilt § 106 Absatz 5e SGB V auch für Verfahren, die am 31. Dezember 2011 noch nicht abgeschlossen waren. Der Gesetzgeber wollte, wie (ebenfalls) aus den zuvor wiedergegebenen Gesetzesmaterialien hervorgeht - mit § 106 Absatz 5e Satz 7 SGB V (nur) klarstellen, dass der in § 106 Absatz 5e SGB V für die Richtgrößenprüfung (entgegen der bisherigen Rechtsprechung, vgl. etwa BSG, Urt. v. 28.4.2004, Az. B 6 KA 24/03 R) verankerte Grundsatz „Beratung vor Regress“ auch für bei Inkrafttreten des § 106 Absatz 5e SGB V zum 1.1.2012 noch nicht abgeschlossene Richtgrößenprüfungen gelten soll. Dabei wird man unter „Verfahren“ i. S. d. § 106 Absatz 5e Satz 7 SGB V das Verwaltungsverfahren und nicht etwa ein sich daran anschließendes Gerichtsverfahren und hinsichtlich des Verwaltungsverfahrens auch das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss und nicht nur das vor der Prüfungsstelle zu verstehen haben. Das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss gilt als Vorverfahren i. S. d. § 78 SGG (vgl. § 106 Abs. 5 Satz 6 SGB V); es schließt das Verwaltungsverfahren mit dem Widerspruchsbescheid, der allein Gegenstand eines nachfolgenden Klageverfahrens ist, ab. Auch in der Begründung zum Entwurf des § 106 Abs. 5e Satz 7 SGB V ist ausgeführt, dass die Neuregelung (des Grundsatzes „Beratung vor Regress“) für ein bereits vor dem Inkrafttreten abgeschlossenes Widerspruchsverfahren nicht gelten soll, auch wenn eine Klage gegen die Entscheidung des Beschwerdeausschusses noch anhängig ist (BT-Drs. 17/10156, S. 95).“
Davon kann der gegen den Kläger verhängte Regress bereits aus formalen Gründen wegen des Grundsatzes „Beratung vor Regress“ (§ 106 Absatz 5e SGB V) nicht bestehen. Vor Erlass des angefochtenen Bescheids hat keine individuelle Beratung des Antragstellers i. S. d. § 106 Absatz 5e SGB V zur Wirtschaftlichkeit seines Heilmittelverordnungsverhaltens stattgefunden. Die Regressbescheide für 2006 und 2007 stellen keine Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V dar. § 106 Absatz 5e Satz 1 SGB V nimmt für die verlangte individuelle Beratung über § 106 Absatz 5a Satz 1 SGB V letztendlich auf § 106 Absatz 1a SGB V Bezug. Diese Vorschrift legt inhaltliche Vorgaben für die Beratung der Vertragsärzte fest. Danach berät die Prüfungsstelle die Vertragsärzte auf der Grundlage von Übersichten über die von ihnen im Zeitraum eines Jahres oder in einem kürzeren Zeitraum erbrachten oder veranlassten Leistungen über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung. Diesen Anforderungen werden die Begründungen von Regressbescheiden regelmäßig nicht gerecht; das gilt auch für die gegen den Antragsteller für 2006 und 2007 ergangenen Regressbescheide vom 16.12.2008 und 18.12.2009. Diese könnten außerdem die mit der Beratung nach § 106 Absatz 5e SGB V verfolgte Verhaltenssteuerung nicht mehr bewirken, da auch der zuerst ergangene Bescheid für 2006 erst im Dezember 2008 erlassen worden ist, als das hier streitige Prüfjahr 2008 praktisch verstrichen war.
Angesichts der Zielsetzung des § 106 Absatz 5e SGB V wird man dem Kläger auch nicht entgegenhalten können, er habe das Richtgrößenvolumen im Jahr 2008 nicht zum ersten Mal i. S. d. § 106 Absatz 5e Satz 1 SGB V, sondern zum dritten Mal, überschritten. Die Konzeption des § 106 Absatz 5e SGB V mit dem zum 01.01.2012 neu eingeführten Grundsatz „Beratung vor Regress“ sieht vor, dass der Arzt, der mit seinem Verordnungsverhalten die Richtgrößen überschreitet, – jetzt (ab 1.1.2012) – zuerst nach näherer Maßgabe des § 106 Abs. 1a SGB V beraten werden muss. Ein Regress darf erst dann festgesetzt werden, wenn er in einem weiteren Prüfzeitraum nach erfolgter (oder abgelehnter) Beratung i. S. d § 106 Absatz 5e SGB V i. V. m. § 106 Absatz 1a SGB V die Richtgrößen erneut überschreitet. Für diesen dem Grundsatz „Beratung vor Regress“ zugrunde liegenden Verfahrensgang ist es unerheblich, ob die Richtgrößen in der Vergangenheit (ggf. bereits mehrfach) überschritten wurden und deswegen Regressbescheide, die den Anforderungen an eine Beratung nach § 106 Absatz 1a SGB V nicht gerecht werden, ergangen waren. Als erstmalige Überschreitung des Richtgrößenvolumens i. S. d. (neuen) § 106 Absatz 5e Satz 1 SGB V ist diejenige Überschreitung anzusehen, auf die erstmals die in der genannten Vorschrift geforderte Beratung stattfindet. Im Hinblick darauf war der Kläger wegen der (auch) für 2008 festgestellten Überschreitung des Richtgrößenvolumens jetzt zunächst nach nähere Maßgabe des § 106 Abs. 1a SGB V darüber zu beraten, wie er sein Heilmittelverordnungsverhalten wirtschaftlich gestalten kann. Ein Regress kommt erst in Betracht, wenn er nach einer solchen Beratung künftig das Richtgrößenvolumen erneut um mehr als 25 % überschreitet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Absatz 1 SGG i. V. m. § 154 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Es entspricht nicht der Billigkeit, dem Beklagten auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese (insbesondere) Sachanträge nicht gestellt und damit ein Prozessrisiko nicht übernommen haben (§§ 154 Absatz 3, 162 Absatz 3 VwGO).
Die Sprungrevision war nicht zuzulassen, da es sich nicht um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handelt.
Rechtsmittelbelehrung
Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Landessozialgericht Baden-Württemberg, Hauffstr. 5, 70190 Stuttgart - Postfach 10 29 44, 70025 Stuttgart -, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht Stuttgart, Theodor-Heuss-Str. 2, 70174 Stuttgart, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

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