Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Internationale Steuerplanung

    Der Steuerexperte im Spannungsfeld zwischen Legalität und Legitimität

    von Prof. Dr. Dieter Endres, Frankfurt a. M.

    | BEPS, aggressive Steuerplanung, LuxLeaks, das Fingerpointing auf Konzerne mit niedrigen Konzernsteuerquoten, Panama Papers - im derzeitigen Umfeld ist die Festlegung der Steuerstrategie ein komplexes Unterfangen. Die von Politik, Verwaltung, NGOs und den Medien angeheizte Moraldebatte kann in den Konzernzentralen nicht ausgeblendet werden. Bei der Abwägung zwischen potenziellen Steuerersparnissen und möglichen Reputationsrisiken drohen Fallstricke, in denen sich selbst ein pfiffiger Steuerexperte verfangen kann. Der folgende Musterfall beschreibt die Zwickmühle zwischen noch akzeptabler und als aggressiv empfundener Steuerplanung. |

    1. Sachverhalt

    1.1 Was bisher geschah

    Der Lebenslauf des Steuerberaters Siggi Pfiffig liest sich zunächst beeindruckend: Jahrgang 1975, Abschluss des Studiums als Dipl.-Kfm. im Jahr 2000, anschließend erfolgreiche Tätigkeit bei einer Big-Four-Gesellschaft, Ablegung des Steuerberaterexamens mit exzellenter Note im Frühjahr 2005, danach Wechsel in die Industrie, wo er sich in einer erstaunlichen Karriere bis zum Leiter Steuern der Frischkäse GmbH empor arbeitete. Allerdings sah sich Siggi Pfiffig in dieser Position rasch mit Vorwürfen und Beschwerden (z. B. über Fristversäumnisse, fehlerhafte Gesetzesanwendung, organisatorische Mängel) konfrontiert, die für ihn einen Karriereumschwung bedeuteten. Letztlich erwies sich die Fehlerliste einfach als zu lang, um seinen beruflichen Abstieg im Käse-Konzern zu verhindern. Das Leben hatte für unseren Steuerexperten aber nochmals eine glückliche Wendung parat: Kurz vor dem anstehenden Rauswurf heiratete er die Tochter seines Geschäftsführers. Finanziell nun unabhängig und den Niederungen des steuerlichen Alltagsgeschäfts entflohen gab er seine bisherige Position auf, blieb aber seiner Vorliebe für das Steuerrecht treu und widmete sich fortan insbesondere den grenzüberschreitenden fiskalischen Fragestellungen. Seit dem Jahr 2008 war er Dozent bei Steuerseminaren und schrieb Beiträge für steuerliche Fachzeitschriften.

     

    1.2 Siggi Pfiffig will es noch einmal wissen

    Um eine möglichst hohe Zuhörer- und Leserschaft zu gewinnen, wusste sich unser Experte durchaus gekonnt mit steuerlichen Modethemen in Szene zu setzen. So widmete sich sein jüngster Fachbeitrag den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Steuerberatung, wobei er sich auch nicht vor ein wenig Phrasendrescherei und dem Einsatz von Schlagwörtern wie Big Data, E-Akte, Steuerberatung 4.0 oder Cyber Security scheute. Auch sein darauf aufbauendes Seminarangebot, werbewirksam betitelt mit: „Change Management in der Steuerkanzlei - kommen Sie mit mir auf die Reise in die digitale Zukunft“, stieß auf ordentliche Resonanz, wenn auch in dem einen oder anderen Feedbackbogen durchaus etwas Zweifel am Credo vom papierlosen Office und vollständiger Digitalisierung der Compliance anklang. Um seinen wachsenden Leser- und Zuhörerkreis auch elektronisch über seine Erkenntnisse zu Fachthemen und Megatrends auf dem Laufenden zu halten, entschloss sich Siggi Pfiffig zum Beitritt in ein soziales Netzwerk. Er stellte ein Foto (mit Hintergrundbild seiner Alma Mater), einen Lebenslauf und Hinweise auf Veröffentlichungen und Veranstaltungen in sein Profil ein und konnte sich eines gewissen Stolzes nicht erwehren, dass sein Netzwerk nach nur zwei Monaten bereits die angestrebte Zahl von 500+ Kontakten sprengte.

     

    Anfang 2016 geschieht dann das Vorhersehbare: Ein Personalberater wird bei seiner Internetrecherche auf das Profil von Siggi Pfiffig aufmerksam und findet heraus, dass dessen Kompetenzen mit den Voraussetzungen eines Suchauftrags kompatibel sind. So erhält Siggi Pfiffig das Angebot zu einem Vorstellungsgespräch bei Partnern des Private-Equity-Investors Golden Parachute. Dieses M&A-Transaktionshaus hatte zu Jahresbeginn einen großen mittelständischen Brillenhersteller, die Schönoptik GmbH, erworben und ist nach dem Austausch des gesamten Managements auch auf der Suche nach einem neuen Steuerabteilungsleiter. Siggi überlegt. Im Vergleich zur Tätigkeit als Dozent und Schriftsteller ist die Position wohldotiert und verspricht eine neue vielseitige Herausforderung. Zwar wirken die Negativerfahrungen der Vergangenheit noch etwas nach, aber er ist erst 41 Jahre alt und fühlt sich im Vollbesitz seiner Kräfte. Nach kurzer Rücksprache mit seiner Ehefrau nimmt er das Gesprächsangebot an - Siggi Pfiffig will es noch einmal wissen.

     

    1.3 Die neuen Herausforderungen

    Die Schönoptik GmbH wird von Jim Venture, Partner von Golden Parachute und neuerdings CFO der Zielgesellschaft, als großes internationales Unternehmen mit ca. 500 Mio. EUR Umsatz und etlichen Vertriebsgesellschaften im Ausland präsentiert. Die Aufgaben für den neuen Steuerabteilungsleiter sind vielschichtig: zügige Abwicklung der Betriebsprüfung für alle offenen Jahre bis zum Transaktionszeitpunkt, Optimierung und Digitalisierung der Abläufe im Finanzwesen, Vermeidung jeglicher Überraschungen im Tax-Compliance-Bereich und - last but not least - Reduzierung der doch als relativ hoch empfundenen Konzernsteuerquote von 36 % (zu den Aufgaben der Steuerplanung vgl. Roth, in: Lüdicke/Schnitger/Spengel, Besteuerung internationaler Unternehmen, Festschrift für Dieter Endres, München 2016, 313 ff.). Da die Schönoptik Gruppe im Konsumgüterbereich tätig ist, soll ein klares Augenmerk darauf gerichtet werden, trotz aller steuergestalterischen Energie das Standing des Brillenherstellers am Markt nicht zu beschädigen. Siggi Pfiffig fühlt sich den Aufgaben gewachsen. Über viele der anstehenden Aufgaben hat er referiert und publiziert - er ist der richtige Mann für die Position!

    2. Lösungshinweise

    2.1 Zurück in einer Steuerabteilung: der Start gelingt!

    Bereits zum 1.3.16 tritt Siggi Pfiffig seine neue Stelle an. Es geht gut voran: Schon nach vier Monaten kann er die Betriebsprüfung für die Jahre 2011 bis 2014 abschließen und die strittigen Verrechnungspreis- und Organschaftsfragen mit einem befriedigenden Kompromiss für das Unternehmen lösen. Mit dem Versprechen einer zeitnahen Abgabe der Steuererklärungen für das Jahr 2015 kann mit der Betriebsprüfung sogar bereits ein Folgetermin für den Herbst 2016 vereinbart werden, um damit auch alle steuerlichen Unwägbarkeiten aus dem letzten Jahr vor dem Unternehmenserwerb zu beseitigen. Auch im Bereich der Abteilungsorganisation gibt es mit der Einführung neuer Tools zum Global Tax Data Management der Schönoptik Gruppe schnelle Effizienzfortschritte zu verzeichnen. Siggi Pfiffig arbeitet eng und vertrauensvoll mit dem CFO zusammen, der wiederum die Leistung seines Steuerabteilungsleiters zu schätzen weiß. Als Beweis für die gute Einstiegsphase mag auch die Einladung des „Innendienstlers“ zu einem Vertriebsevent mit Kunden gelten, das anlässlich der Neueröffnung eines Geschäfts in Mannheim im örtlichen Capitol-Filmtheater stattfindet. Beim Auftritt des kurpfälzischen Lokalhelden Bülent Ceylan versteht Siggi Pfiffig zwar nicht jede Pointe, das Wort „Uffbasse“ nimmt er aber als Motto für seine nächsten Herausforderungen in der Steuerabteilung vorsorglich mit.

     

    2.2 Der Lackmustest: die Gratwanderung zwischen Steueroptimierung und Vermeidung von Reputationsrisiken

    Für seine nächste Herausforderung, die Reduzierung der Konzernsteuerquote, nimmt sich Siggi Pfiffig - auch unter Einbezug externer Berater - ausreichend Zeit, um mit geeigneten Vorschlägen aufzuwarten. Natürlich ist ihm bekannt, dass die OECD mit dem BEPS-Projekt Einzelmaßnahmen zur Bekämpfung von Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung vorgelegt hatte und parallel dazu auch die Europäische Kommission einen Richtlinienentwurf am 28.1.16 für die Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken veröffentlicht hat (zu diesen Initiativen vgl. Meister, in: Lückicke/Schnitger/Spengel, a. a. O., 237 ff.). Die hohe mediale Präsenz um das Thema „aggressive Steuerplanung“ hatte Siggi Pfiffig noch Ende 2015 Rekordteilnahmequoten bei diesbezüglichen Vorträgen beschert. So hat er auch volles Verständnis dafür, dass Jim Venture als CFO alle Initiativen vermeiden will, die auch die Schönoptik Gruppe in Gefahr bringen könnten, wegen ihrer Steuerpolitik an den Pranger gestellt zu werden. Obwohl er Aussagen wie „legal ist nicht unbedingt legitim“ ablehnt, realisiert Siggi Pfiffig den öffentlichen Druck und die reflexartigen Rufe nach erhöhter Transparenz und restriktiveren Vorschriften (vgl. zu reputativen Risiken auch Hardeck, in: Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., 3 ff.; zu den Grundregeln für ein erfolgreiches Risikomanagement in der Steuerabteilung vgl. Roth, a. a. O., 320 ff.). Insoweit akzeptiert er auch den Vorschlag des CFO, ihm als Sparringspartner für Gestaltungstechniken Sascha Ferdinand Tyllmann, einen langjährigen Mitarbeiter der Steuerabteilung, zur Seite zu stellen. Safety, wie Sascha Ferdinand Tyllmann überall gerufen wird, zeichnete in der bisherigen Ägide für die Formulierung der Steuerpolitik verantwortlich.

     

    Im vollen Bewusstsein der Gratwanderung zwischen Steueroptimierung und Reputationssicherung schließt Siggi Pfiffig bei seinen Gestaltungsvorschlägen von vornherein alles aus, was aus seiner Sicht in der Öffentlichkeit als zu aggressiv und damit verwerflich angesehen werden könnte. Von den Gestaltungsideen, die auf dem Markt der Möglichkeiten angeboten werden, will er sich nur robusten und den Strategien des Geschäfts angepassten Vorschlägen widmen. So streicht er mangels ausreichender Substanz in den betreffenden Staaten Vorschläge seiner Berater, eine IP-Box in den Niederlanden zu errichten oder im Rahmen eines Entrepreneur-Modells mehr Wertschöpfung des Konzerns in niedriger besteuernden Staaten zu allokieren. Auch den Einsatz hybrider Finanzierungsstrukturen lehnt er ab (eine Beschreibung prominenter Gestaltungsmodelle von US-Konzernen findet sich u. a. bei Spengel/Nusser, in: Oestreicher, BEPS - Base Erosion and Profit Shifting, Herne 2015, 125 ff.). Was verbleibt sind fünf Steuerplanungsideen, mit denen die Konzernsteuerquote von 36 % um etwa 4 Prozentpunkte reduziert werden soll, womit im Benchmarking mit den Wettbewerbern ungefährer Gleichstand erreicht würde. Nachfolgend sind die fünf Gestaltungsvorschläge zusammengefasst.

     

    Vorschlag 1: grenzüberschreitende Finanzierungsgestaltung

    Die Schönoptik GmbH (Tarifbelastung 30 %) hat je eine Tochtergesellschaft in Paris (französische Tarifbelastung 38 %) und in London (UK-Tarifbelastung 21 %). Beide Tochtergesellschaften haben Kapitalbedarf von je 10 Mio. EUR, der bislang von der Schönoptik GmbH jeweils mit 5 Mio. EUR verzinslichem Darlehen und 5 Mio. EUR Eigenkapital gedeckt wurde. Siggi Pfiffig schlägt vor, der französischen Tochtergesellschaft vorrangig Fremdkapital (Zinsabzug im Hochsteuerland Frankreich) und der im Vergleich zu Deutschland niedriger besteuerten englischen Tochtergesellschaft vorrangig Eigenkapital zuzuführen. Für die unterschiedliche Art der Finanzierung ist ausschließlich die Steuerarbitrage maßgeblich.

     

    Vorschlag 2: Nutzung belgischer Steuerprivilegien: die abzugsfähige Dividende

    Die Schönoptik GmbH verfügt zusätzlich über eine Tochtergesellschaft in Brüssel, die wegen einer anstehenden Investition einen hohen Kapitalbedarf hat. Dieser soll durch ein hohes Eigenkapital gedeckt werden, da in Belgien für einen bestimmten Prozentsatz des Eigenkapitals ein fiktiver Zinsabzug in Anspruch genommen werden kann (Notional Interest Deduction). Bei Ausschüttungen der belgischen Tochtergesellschaft wird die Dividende in Deutschland freigestellt. Mit einer hohen Eigenkapitalfinanzierung ließe sich also ein Zinsabzug in Belgien ohne korrespondierende Besteuerung in Deutschland erreichen (vgl. zu Möglichkeiten und Grenzen solcher Gestaltungen Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Aufl., 1273 f.).

     

    Vorschlag 3: Verlustnutzung durch Finanzierungsumleitung

    Die Schönoptik GmbH hat weitere Tochtergesellschaften in Wien und Madrid. Die spanische Tochtergesellschaft hat Kapitalbedarf von 10 Mio. EUR. Die Gesellschaft in Wien hat aufgrund einer Kundeninsolvenz hohe Verluste erlitten und verfügt entsprechend über Verlustvorträge von über 1 Mio. EUR. Statt der spanischen Tochtergesellschaft direkt ein Darlehen zu gewähren, empfiehlt Siggi Pfiffig, dass die deutsche Schönoptik GmbH ihre österreichische Tochtergesellschaft mit 10 Mio. EUR zusätzlichem Eigenkapital ausstattet, das diese als Darlehen an die Schwestergesellschaft in Madrid weiterleitet. Ergebnis der Back-to-Back-Finanzierung: Zinsabzug in Spanien, keine Besteuerung der Zinserträge durch Verbrauch der Verlustvorträge in Österreich.

     

    Vorschlag 4: Treaty Shopping

    Vor wenigen Jahren hat die Schönoptik GmbH versucht, mit einer Tochtergesellschaft in Shanghai auf dem chinesischen Markt Fuß zu fassen. Mittlerweile ist das Geschäft in China profitabel und es stehen Dividendenausschüttungen an. Bei Dividendenzahlungen der chinesischen Gesellschaft direkt an die Schönoptik GmbH fällt nach dem bisherigen Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland/China (DBA D/China) eine Quellenbesteuerung von 10 % an. Diese wird sich nach dem ratifizierten und ab dem 1.1.17 anzuwendenden revidierten DBA auf 5 % für Schachtelbeteiligungen reduzieren. Allerdings entfällt bei Zahlungen an eine qualifizierende holländische BV jegliche Quellensteuerbelastung in China; bei der Weiterausschüttung nach Deutschland verbietet die Mutter-/Tochterrichtlinie eine niederländische Dividendensteuer. Siggi Pfiffig schlägt deshalb vor, die Beteiligung an der chinesischen Gesellschaft auf die bestehende Tochtergesellschaft in den Niederlanden zu übertragen, sodass die Dividendenausschüttungen aus China quellensteuerfrei in Deutschland ankommen können. Dass vor der Implementierung chinesische Missbrauchsregeln (analog § 50d Abs. 3 EStG) zu überprüfen sind, ist selbstverständlich.

     

    Vorschlag 5: Doppelte Aufwandsverrechnung

    Der Schönoptik Konzern plant eine Investition in ein Forschungslabor in Kiel mit einem Kapitalbedarf von 20 Mio. EUR. Die Investition soll in Kooperation mit der schwedischen Konzerngesellschaft erfolgen. Siggi Pfiffig schlägt vor, diese Investition in einer Personengesellschaftsform durchzuführen und die schwedische Tochtergesellschaft als paritätischen Partner zu beteiligen. Zur Finanzierung des Kapitalbedarfs für die Investition soll die schwedische Gesellschaft ein Darlehen aufnehmen, das sie der deutschen OHG als Kapitaleinlage überlässt. Die dafür gezahlten Zinsen sind in Deutschland als Sonderbetriebsausgaben bei der Gewinnermittlung auf Ebene der Personengesellschaft abzugsfähig (a. A. Hruschka, IStR 14, 785). Die Refinanzierungszinsen mindern gleichzeitig in Schweden die steuerlichen Einkünfte der Kapitalgesellschaft. Die länderübergreifend unterschiedliche Besteuerung von Personengesellschaften führt somit zu einer doppelten Abzugsfähigkeit der in Schweden gezahlten Zinsen.

     

    Gespannt erwartet Siggi Pfiffig die Reaktion von Safety auf seine fünf Gestaltungsvorschläge. Schnell wird deutlich, wie bei den einzelnen Sachverhaltskonstellationen die Wertungen auseinandergehen, welche Gestaltung noch als übliches Steuerverhalten anzusehen ist. Safety räumt ein, dass alle Vorschläge legal sind, will aber dennoch den Vorwurf verwerflicher Steueroptimierung nicht ausschließen. Er empfiehlt, keine Strukturen zu verwenden, die nicht gewählt würden, wenn das Steuermotiv entfiele.

     

    Siggi Pfiffig hält dagegen, dass es keinerlei Verpflichtungen gibt, mehr Steuern zu zahlen als es das Gesetz verlangt. Auch zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit - gerade auch gegenüber internationalen Konkurrenzunternehmen - dürfe die steuerliche Komponente nicht außer Acht gelassen werden. Schließlich seien Steuern Kosten, deren Minimierung im Interesse der Anteilseigner anzustreben sei. Insoweit gäbe es keine guten und schlechten Kosten. Im Übrigen bestünden für alle Strukturen auch nicht steuerliche Gründe.

     

    Schnell wird in der Diskussion der beiden Antipoden deutlich, dass es an einer stringenten Abgrenzung von akzeptabler zu aggressiver Steuerplanung fehlt (zur Definition aggressiver Steuerplanung vgl. u. a. Blumers, BB 13, 2785 ff.; Ehrke-Rabel/Kofler, ÖStZ 09, 456, 471; Endres/Spengel, International Company Taxation and Tax Planning, Alphen aan den Rijn 2015, 391 ff.). Sollten Moralvorstellungen die Grenze der Steuerplanung bestimmen - um wessen Moral geht es dann? Nach langer Diskussion über die einzelnen Fälle gibt Safety seine Zustimmung zu Vorschlag 1, während der Steuerabteilungsleiter Pfiffig die Ablehnung von Vorschlag 5 nachzuvollziehen vermag. Bezüglich der Vorschläge 2 bis 4 will Safety nicht ausschließen, dass hier in der öffentlichen Meinung der Eindruck entstehen könne, der Schönoptik Konzern tue hier etwas Künstliches und damit Inakzeptables. Siggi Pfiffig kann eine drohende Diskreditierung des Unternehmens durch diese Vorschläge nicht erkennen. Es kommt zu der Eskalation vor dem CFO.

     

    2.3 Meinungsunterschiede zur unternehmensindividuell angemessenen Steuerstrategie - der Abschied naht!

    Mangels Einigung der beiden Steuerexperten muss der CFO Jim Venture über die Verträglichkeit der vorgeschlagenen Steuerstrukturen mit dem Oberziel, dem absoluten Schutz des Standings des Unternehmens am Markt, entscheiden. Diese Aufgabe bringt für den CFO zweifellos ein Dilemma, da die Erwartungen und Ansichten verschiedener Interessengruppen weit auseinanderfallen. Gebetsmühlenartig fasst Siggi Pfiffig noch einmal seine Sichtweise zusammen:

     

    • Niemand kann moralisch gezwungen werden, freiwillig mehr Steuern zu zahlen als es das Gesetz verlangt.

     

    • Die Grenze der Steuerplanung findet sich im Missbrauchstatbestand, der bei den vorgeschlagenen Strukturen nicht zum Zuge kommt (vgl. auch Kahle/Biebinger/Wildermuth, Ubg 2014, 298; Lüdicke, DStZ 2015, 664). Alle Gestaltungsvorschläge würden im Einklang mit den vermehrten Forderungen nach Transparenz gegenüber den Steuerbehörden offengelegt.

     

    • Bei als unerwünscht oder gar verwerflich eingestuften Steuerreduktionen liegt es am Gesetzgeber, entsprechende Lücken in der Steuergesetzgebung zu schließen (vgl. Jacobs, a. a. O., 892).

     

    Der CFO stimmt all diesen Punkten zu, ohne seine Sorgen über dennoch mögliche reputative Risiken zu verhehlen. Auch wenn entsprechende Vorwürfe ungerechtfertigt seien und es hier in der öffentlichen Diskussion nur darum gehe, legales Verhalten der Unternehmen zu ändern, könne das Ansehen im Markt leiden. Insoweit sei bei Implementierung der infrage stehenden Vorschläge 2 bis 4 überproportionaler Schaden nicht auszuschließen. Die Initiative zur Senkung der Konzernsteuerquote wird insoweit gestoppt.

     

    Siggi Pfiffig ist frustriert und vermag nicht nachzuvollziehen, dass die Nutzung geschriebenen Rechts verwerflich sein soll. Angesichts der aus seiner Sicht moderaten Gestaltungsvorschläge ist der Verzicht auf die möglichen Steuerersparnisse ein zu hoher Preis an die öffentliche Meinungsmache. Durchaus im Branchenjargon wirft er im Vorbeigehen seinem Gegenspieler Safety noch einen Wilhelm-Busch-Zweizeiler zu: „Wer durch des Argwohns Brille schaut, sieht Raupen selbst im Sauerkraut.“ Die Antwort findet sich postwendend im Eingangskorb von Siggi Pfiffig: „Wenn bald Dein Steuerdasein endet, freut sich auch der, der diese Zeilen sendet.“ Der Abschied von Siggi Pfiffig aus dem Schönoptik Konzern steht an.

    3. Resümee

    Siggi Pfiffig sucht neue Wege. Nur knapp ein Jahr nach dem Wiedereinstieg in die Industrie nimmt er das „Overruling“ seiner Steuerstrategie durch den CFO nicht hin. Als er beim Aufräumen seines Schreibtisches unter einem Stapel Steuerliteratur eine aktuelle Festschrift für einen großen Vorsitzenden Richter am Bundesfinanzhof findet, beneidet er diesen um die im Richteramt bewiesene klare Gesetzesorientierung. Seine eigenen Vorstellungen über künftige Aufgaben kreisen zunächst über eine Position in einem US-Industrieunternehmen, wo er sich weniger Widerstände in puncto Steuerstrategie erhofft. Eine vorzeitige Rückkehr in das etwas ruhigere Autoren- und Referentendasein schließt er derzeit aus - zu kurz war die Wiedereinstiegsphase, zu unschuldig fühlt er sich an deren Ausgang.

     

    Als er mitten in dieser Reflektionsphase ein Angebot seines ersten Arbeitgebers, einer Big-Four-Gesellschaft, über den Einstieg in die internationale Gestaltungsberatung erhält, zögert er nicht lange mit der Zusage. Steuerberater als Organe der Steuerrechtspflege sind verpflichtet, ihren Mandanten legale und vorteilhafte Steuergestaltungen zu unterbreiten. Legitimität ist dabei zunächst nicht verortet (vgl. Lüdicke, DStZ 15, 669). Aber natürlich weiß Siggi Pfiffig selbstredend, dass auch Berater auf das geänderte Umfeld reagieren müssen, wollen sie nicht in die Nähe von moralisch Fragwürdigem gerückt werden. Seien wir gespannt, ob sich die Entscheidung unseres Steuerexperten für eine Beratungstätigkeit als pfiffig erweisen wird.

     

    Quelle: Ausgabe 09 / 2016 | Seite 243 | ID 44152339

    Karrierechancen

    Zu TaxTalents