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  • · Fachbeitrag · Wirtschaftlichkeitsprüfung

    Ab 2017 bleibt alles anders!

    von RA FAfMedR Jörg Brochnow, Dresden, ETL Medizinrecht

    | Wer als Arzt zu viel verschreibt und seine Richtgrößen überschreitet, muss mit Regress rechnen. Die Einhaltung von Richtgrößen ist Gegenstand von Wirtschaftlichkeitsprüfungen. Zum 1.1.12 wurde § 106 Abs. 5e S. 1 SGB V eingefügt, wonach bei erstmaliger Überschreitung der Richtgröße um 25 % vor Ausspruch eines Regresses eine Beratung erfolgen müsse (Beratung vor Regress) Das Wort „erstmalig“ war allerdings bis zu zwei Entscheidungen des BSG (2.10.14, B 6 KA/8/14 und B 6 KA 3/14) streitig. Das Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) sieht eine Neuordnung der Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Richtgrößenprüfungen zum 1.1.17 vor. |

    1. Zum Hintergrund der Neuregelungen

    Im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens zum GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) versprachen die Parteien vor der vorletzten Bundestagswahl eine deutliche Entschärfung des „allgemein als ungerecht und zunehmend existenzgefährdend für niedergelassene Arztpraxen empfundenen Wirtschaftlichkeitsprüfungswesens“ in Form der Richtgrößenprüfung. Das wirklich Wenige, das sich durch diese Regelungen des GKV-VStG hierbei zunächst für Vertragsärzte verbessert zu haben schien, wurde für die meisten betroffenen Praxen durch die Rechtsprechung zwischenzeitlich vollständig konterkariert.

     

    Die sichere und lukrative Einnahmequelle Wirtschaftlichkeitsprüfung (ärztliche Verordnungen und ärztliche Leistungen) soll nun auch durch das GKV-VSG keinesfalls zum Versiegen gebracht werden. Zumindest bleibt die Richtgrößenprüfung in letztlich unveränderter Form mit ihren festen Grenzen 15 % (Beratung) und 25 % (Regress) zunächst einmal bis 2017 bestehen.

    2. Regionalisierung der Wirtschaftlichkeitsprüfung

    Erst ab 1.1.17 wird die Richtgrößenprüfung nicht mehr als Regelprüfmethode vorgeschrieben und die Regelungskompetenz geht ‒ allerdings unter engsten Vorgaben der Bundesebene (Kassenärztliche Bundesvereinigung und Spitzenverband der Krankenkassen) ‒ auf die regionalen Prüfebenen über. Was allerdings weder heißt, dass die Richtgrößenprüfung automatisch, noch dass die ganze Wirtschaftlichkeitsprüfung abgeschafft würde. Eine Lücke wird dabei nicht bleiben. Kommt auf Landesebene keine Regelung bis zum 31.12.16 zustande, gelten die bisherigen Regelungen weiter. Offenbar erwartet der Gesetzgeber dann eine Verschlimmbesserung der Systeme.

     

    Es ist zu befürchten, dass er damit Recht behält. Tief versteckt im Gesetzestext wird ab 2017 das System der Wirtschaftlichkeitsprüfungen weiter verschärft. Von der einst versprochenen Stärkung des Grundsatzes „Beratung vor Regress“ und „Vereinheitlichung der Anerkennung von Praxisbesonderheiten“ bleibt also so gut wie nichts übrig.

    3. Die „Erstmaligkeit“ beim Prinzip „Beratung vor Regress“

    Nur Vertragsärzte, die noch niemals einen bestandskräftigen Richtgrößenregress erhalten haben, können sich überhaupt auf das Prinzip „Beratung vor Regress“ berufen (BSG 22.10.14, B 6 KA/8/14 und B 6 KA 3/14). Diese ‒ streitbaren ‒ Urteile korrigieren den damals verkündeten Willen des Gesetzgebers. Im Zusammenhang mit der seinerzeit umkämpften Abschaffung der Praxisgebühr waren die zunehmend existenzvernichtenden Richtgrößenregresse im Arznei- und Heilmittelbereich 2009 Wahlkampfthema. Insbesondere die Richtgrößenprüfungen sollten deshalb deutlich entschärft werden. Arztpraxen sollten vor Ausspruch eines existenzgefährdenden Richtgrößenregresses einen Warnschuss erhalten.

     

    Zunächst verwunderte anlässlich der politisch erklärten Intention einer „Warnschussfunktion“, dass die Regelung eben nur bei Richtgrößenprüfungen (Arznei- und Heilmittel) gilt. Sie gilt also insbesondere nicht bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung der Zahnärzte und auch nicht bei der sonstigen Wirtschaftlichkeitsprüfung der vertragsärztlichen Leistungsabrechnung.

     

    Zur Frage der „Erstmaligkeit“ bestanden zuvor vollständig divergierende Ansichten von Landessozialgerichten:

     

    • Laut LSG Baden-Württemberg (19.2.13, L 5 KA 222/13 ER-B, Beschluss) stellte die Einführung des Gesetzes zum 1.1.12 eine Zäsur dar. Es sei unerheblich, so das LSG, ob die Richtgröße in der Vergangenheit (ggf. auch bereits mehrfach) überschritten worden sei. Für alle Verfahren habe ab dem 1.1.12 zunächst eine Beratung stattzufinden, bevor ein Regress festgesetzt werden könne.

     

    • Völlig anderer Auffassung war das LSG Nordrhein-Westfalen (20.11.13, L 11 KA 49/13). Nach dem Wortlaut der Regelung sei ausschließlich darauf abzustellen, ob der Arzt „erstmalig“ die Richtgröße überschreite. Dieses habe keine zeitliche Dimension. Insofern sei eine restriktive Auslegung der Norm angezeigt, da nur der Arzt schutzbedürftig sei, der bislang, also auch in der Vergangenheit, völlig unauffällig verordnet habe.

     

    Wenig überraschend schloss sich das BSG (22.10.14, B 6 KA 8/14 R und B 6 KA 3/14) der Auffassung des LSG Nordrhein-Westfalen an. Bedenkt man dabei, dass die Richtgrößenprüfung nach §§ 84 und 106 SGB V schon 1993 als flankierendes Steuerungsinstrument zum Arzneimittelbudget als alternative Prüfmethode eingeführt und als verbindliche Regelprüfmethode ab 1.1.04 gesetzlich vorgeschrieben ist, bleibt von den ursprünglichen politischen Versprechungen ‒ nun zumindest bis 1.1.17 ‒ nicht viel mehr als eine Art „Welpenschutz für Anfängerpraxen“.

     

    Alle anderen Praxen müssen bis dahin mit der Androhung der Richtgrößenprüfung für bis zu 16 Quartale rückwirkend und damit verbundener Gefahr von Regressen in bis zu sechsstelliger Höhe zumindest bis 2017 weiter (über-) leben.

    4. Perspektive 2017

    Das Prüfverfahren muss künftig in allen Einzelheiten auf regionaler Ebene zwischen KV und Landeskrankenkassenverbänden vereinbart werden. Vergegenwärtigt man sich die Tatsache, dass bereits seit 2004 die Findung der Richtgrößen auf den jeweiligen Gesamtvertragsebenen stattfindet (§ 84 SGB V) ist fraglich, warum die ab 2017 generell vorgeschriebene gesamtvertragliche Vereinbarung des gesamten Verfahrens und der anzuwendenden Prüfmethoden etwas verbessern können sollen. Außer einer weiteren Steigerung der Konfusion der Verfahrensweisen und damit verbundenen Rechtsunsicherheiten werden sich die Rahmenbedingungen der von Regressen bedrohten Praxen nicht wesentlich ändern.

    5. Keine Regresslimitierungen mehr?

    In § 106 Abs. 5c SGB V in der derzeit geltenden Fassung heißt es:

     

     

    •  § 106 Abs. 5c SGB V

    „Abweichend von Satz 1 setzt die Prüfungsstelle für Ärzte, die erstmals das Richtgrößenvolumen um mehr als 25 % überschreiten, für die Erstattung der Mehrkosten einen Betrag von insgesamt nicht mehr als 25.000 EUR für die ersten beiden Jahre einer Festsetzung eines Betrags nach Satz 1 fest.“

     

    5.1 Bisherige Rechtslage

    Es handelt sich also um eine Art gestaffeltes gesetzliches „Schutzwallsystem“:

     

    • Zunächst einmal muss die Prüfstelle „in erforderlichen Fällen“ alle Praxen beraten und zwar „über die von ihnen im Zeitraum eines Jahres oder in einem kürzeren Zeitraum erbrachten, verordneten oder veranlassten Leistungen“ (Abs. 1a).

     

      • Bei Praxen, die ihre Richtgrößen 15 %, aber noch keine 25 % überschreiten, findet lediglich eine Beratung statt (Abs. 5a, Vorab-Prüfung).
      • Praxen, die absolut erstmalig ihre Richtgröße um mehr als 25 % überschreiten, erhalten ebenfalls nur eine Beratung (Abs. 5e, Freischussberatung).

     

    • Dagegen dürfen Praxen, die keine „Ersttäter“ sind, für die ersten beiden Jahre (also die rückwirkenden acht Quartale ab der Beratung) nicht höher regressiert werden als insgesamt 25.000 EUR.

     

    5.2 Neue Rechtslage

    Die letztgenannten Beschränkungen der Regresse finden sich in den neuen §§ 106 bis 106c SGB V nicht mehr. Die genannten „Schutzwälle“ sind gefallen. Näheres wird erst dann bekannt, wenn die Bundesvertragsebene (KBV und Spitzenverband Bund der Krankenkassen) die in § 106b Abs. 2 SGB V n.F. geforderten Rahmenvorgaben erlassen hat. Da ab 1.1.17 die Richtgrößenprüfung zumindest nicht mehr verbindliche Regelprüfmethode ist, regelt das Gesetz auch die individuelle Richtgrößenvereinbarung nicht mehr (jetzt noch in § 106 Abs. 5d SGB V). Nach derzeitiger Rechtslage wird ein zu erstattender Mehraufwand (jetzt „Nachforderung“) nicht festgesetzt, soweit die Prüfstelle mit dem Arzt eine individuelle Richtgröße vereinbart, die eine wirtschaftliche Verordnungsweise des Arztes unter Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten gewährleistet. In dieser Vereinbarung muss sich der Arzt aber verpflichten, ab dem Quartal, das auf die Vereinbarung folgt, jeweils den sich aus einer Überschreitung dieser Richtgröße ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten. Es besteht also sowohl für die Prüfstelle als auch für den Beschwerdeausschuss auf Ersuchen des Arztes eine Verhandlungspflicht (vgl. BSG 28.3.13, B 6 KA 46/12 R). Eine derartige Regelung findet sich in der Fassung des GKV-VSG überhaupt nicht mehr. Auch hier darf man auf die Rahmenvorgaben der Bundesvertragsebene gespannt sein. Hoffentlich wird da nichts vergessen.

     

    PRAXISHINWEIS | Weiterhin heißen Regresse bzw. Honorarkürzungen jetzt „Nachforderungen“. Auch der Grundsatz „Beratung vor Regress“ bei „Ersttätern“ wird weiter relativiert. Bei statistischen Prüfungen sollen individuelle Beratungen bei erstmaliger Auffälligkeit den Nachforderungen vorgehen. Dagegen gilt für Einzelfallprüfungen dieser Grundsatz nicht.

     

    Gesetzestechnisch werden die Normen des Wirtschaftlichkeitsprüfungsrechts in den neu gefassten §§ 106 bis 106c SGB V, sowie weiteren §§ wie 296 und 297 (für die Datenübermittlung u.a.), den früher oder später zu erwartenden Rahmenvorgaben der Bundesebene und insbesondere den Vereinbarungen auf Gesamtvertrags-(KV-)Ebene gefasst. Eine Vereinfachung ist hierdurch eher nicht in Sicht, insbesondere wenn man bedenkt, dass es ab 2017 dann 17 verschiedene Systeme der Wirtschaftlichkeitsprüfungen bei Verordnungen geben wird. § 106 a SGB V bezieht sich dabei auf die arztbezogene Prüfung ärztlicher Leistungen, § 106 b SGB V auf die arztbezogene Prüfung ärztlicher Verordnungen.

    6. Regelhafte Stichprobenprüfungen

    Die arztbezogenen Prüfungen ärztlicher Leistungen gemäß § 106 a SGB V sind zunächst einmal regelhafte Stichprobenprüfungen unter Einbeziehung von mindestens 2 % der Ärzte pro Quartal ohne Berücksichtigung honorarbezogener Begrenzungsregelungen aus dem HVM. Die Überprüfung umfasst dabei abgerechnete Leistungen, Überweisungen, Krankenhauseinweisungen, AU-Bescheinigungen und veranlasste Leistungen (besonders aufwändige medizintechnische Leistungen) über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr.

     

    Die Prüfung betrachtet die Indikation für die Leistungen, die Eignung zur Erreichung des Therapieziels, die Einhaltung von Qualitätskriterien sowie die Angemessenheit der Kosten im Hinblick auf das Therapieziel. Wird bei der Stichprobenprüfung ermittelt, dass eine Arbeitsunfähigkeit ohne medizinische Notwendigkeit ausgestellt wurde, kann der betroffene Arbeitgeber zudem Schadenersatzforderungen gegenüber dem Arzt geltend machen. Hierbei soll es aber nicht bleiben. Vielmehr sind auch die ärztlichen Leistungen in den Rahmenvorgaben des Bundes weiter zu regulieren und auf KV-Ebene über Vereinbarungen zu regeln. Da muss es dann z.B. nicht bei den 2 % bleiben und es „können über die Zufälligkeitsprüfungen hinaus Prüfungen ärztlicher Leistungen nach Durchschnittswerten oder andere arztbezogene Prüfungsarten“ vereinbart werden.

    7. Prüfungen bei Zahnärzten

    Derzeit werden Zahnärzte auf der Grundlage der Prüfvereinbarungen auf KZV-Ebene überwiegend per Durchschnittswertmethode („Horizontalvergleich“) hinsichtlich der (insbesondere KCH-)Abrechnungsziffern und Fallwerte geprüft. Leistungen, die also in festen Zeiträumen „horizontal“ nicht prüfbar sind, wie die Individualprophylaxe bei Kindern (IP 5 BEMA), PARO-Leistungen, kieferorthopädische Leistungen und Zahnersatzleistungen, können somit eigentlich nur per Einzelfallprüfung erfolgen. § 105a SGB V n.F. fordert nun in Abs. 2 Ziff. 5 ausdrücklich die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit in den Zufälligkeitsprüfungen, soweit dafür Veranlassung besteht, bei Leistungen des Zahnersatzes und der Kieferorthopädie inklusive der Vereinbarkeit mit dem Heil- und Kostenplan.

     

    Nach dieser Gesetzessystematik scheinen diese Prüfungen in den Leistungsarten ZE und KFO neben den Zufälligkeitsprüfungen aller Leistungsarten die zwingenden Regelprüfungen zu sein. Die sich aus der Kann-Bestimmung des § 106a Abs. 4 SGB V n.F. ergebenden Möglichkeiten von z.B. darüber hinaus gehenden Durchschnittswertprüfungen oder anderen arztbezogenen Prüfungsarten, insbesondere die bislang absolut vorherrschenden Auffälligkeitsprüfungen (Horizontalvergleiche) in der Leistungsart KCH und den Fallwerten, hätten subsidiären Charakter. Auf jedem Fall sind auf der Grundlage des Gesetzes aber bis 31.12.16 neue Vereinbarungen zwischen den KZV und den jeweiligen Landeskrankenkassenverbänden sowie neue Prüfvereinbarungen zwischen diesen Vertragspartnern zu vereinbaren. Vorauszusehen sind dabei erhebliche Steigerungen von Einzelfallprüfungen in den Leistungsarten ZE und KFO.

    8. Fazit

    Das GKV-VSG bringt durch die Neufassung der §§ 106 bis 106c SGB V spätestens ab 1.1.17 nicht unerhebliche weitere Verschärfungen, auf jedem Fall aber Veränderungen in der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Der Gesetzgeber verlagert hierzu Regelungskompetenzen auf die Ebene von Normsetzungsverträgen zwischen K(Z)BV und Spitzenverband der Krankenkassen für die Rahmengestaltung und auf die jeweilige Gesamtvertragsebenen der K(Z)V hinsichtlich der gesamten Prüfsystematik. Das Gesetz an sich schützt Ärzte mit Ausnahme derjenigen, die absolut erstmalig überhaupt von einem Wirtschaftlichkeitsprüfungsregress (jetzt „Nachforderungen“) bedroht sind, nicht mehr vor auch existenzbedrohlichen Regressen.

     

    Selbst die Ermöglichung des Abschlusses von Richtgrößenvereinbarungen zwischen Prüfstelle oder Beschwerdeausschuss und betroffenem Arzt wird nicht mehr gesetzlich geregelt. Es wird also auf das Verhandlungsgeschick der jeweils einzelnen K(Z)V bei der Vereinbarung ihrer jeweiligen Prüfsysteme ankommen. Es steht zu befürchten, dass hier keinerlei Erleichterungen, Vereinfachungen oder auch Verbesserungen der Kalkulationssicherheit der Arztpraxen zu erwarten ist. Bis mindestens 1.1.17 bleibt ohnehin weitgehend alles beim Alten.

     

    HINWEIS | Unter www.iww.de/pfb/downloadrubrik/sonderausgaben können Sie alle Beiträge zum GKV-VSG auch als PDF-Datei herunterladen!

     
    Quelle: Ausgabe 01 / 2016 | Seite 26 | ID 43743381

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