31.05.2013
Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Beschluss vom 26.03.2013 – 7 V 7361/12
1. Die im Rahmen einer Franchising-Vereinbarung als Einzelunternehmerin eine Musikschule betreibende Erzieherin kann sich
für die Umsatzsteuerfreiheit ihrer Umsätze auf die für Privatlehrer geltende Vorschrift des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j Mehrwertsteuersystemrichtlinie
2006/112/EG berufen.
2. Der Begriff „Schul- und Hochschulunterricht” i. S. d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystemRL beschränkt sich nicht auf
Unterricht, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die
Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt, sondern schließt andere Tätigkeiten ein, bei denen die Unterweisung in Schulen
und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studierenden zu entwickeln, sofern diese
Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben.
BESCHLUSS
In dem Verfahren
hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg – 7. Senat – am 26. März 2013 durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht …,
die Richterin am Finanzgericht … und den Richter am Finanzgericht …
beschlossen:
Die Vollziehung der Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für das I. bis III. Quartal 2012 vom 23.11.2012 wird mit Wirkung
vom Fälligkeitstag bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer abschließenden Entscheidung über den Einspruch vom 29.11.2012
ausgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
Gründe:
Die Beteiligten streiten darum, ob die Umsätze der Antragstellerin nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j Mehrwertsteuersystemrichtlinie
– MwStSystemRL – von der Umsatzsteuer befreit sind.
Die Antragstellerin ist ausgebildete Erzieherin und hat eine Prüfung im Akkordeon-Lehrer-Verband bei der Musikschule B. abgelegt.
An den durch diese Musikschule angebotenen Fortbildungsveranstaltungen nimmt sie regelmäßig teil.
Im Rahmen einer Franchising-Vereinbarung mit der Musikschule B. betreibt die Antragstellerin als Einzelunternehmerin eine
Musikschule, indem sie in angemieteten Schulräumen erste melodische Ausbildungen für kleine Kinder und Musikunterricht, der
auch auf Musikprüfungen vorbereitet, durchführt.
Für die Jahre 2009 und 2010 reichte die Antragstellerin Umsatzsteuererklärungen ein, in denen sie steuerpflichtige Umsätze
in Höhe von 35.329 EUR bzw. 33.992 EUR erklärte. Für die streitigen Voranmeldungszeiträume meldete sie ausgehend von steuerfreien
Umsätzen Vorauszahlungen in Höhe von jeweils 0 EUR an. Auf Anfrage des Antragsgegners erläuterte sie, dass sie unter Berufung
auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystemRL ihre Umsätze als Musiklehrerin als die einer Privatlehrerin für steuerfrei halte.
Der Antragsgegner folgte dem nicht und erließ am 23.11.2012 Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für das I. bis III. Quartal
2012, mit denen er die Umsatzsteuer auf 963,93 EUR, 1.194,71 EUR und 1.262,82 EUR (zusammen: 3.421,46 EUR) festsetzte.
Dagegen legte die Antragstellerin am 29.11.2012 Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Der Antragsgegner
lehnte den Aussetzungsantrag am 17.12.2012 ab. Der Einspruch ist nach Aktenlage nach wie vor anhängig.
Am 21.12.2012 hat die Antragstellerin einen Antrag nach § 69 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung – FGO – gestellt. Sie macht geltend,
sie kontrahiere unmittelbar mit ihren Schülern, denen sie die streitigen Unterrichtsleistungen erbringe. Der Begriff des Privatlehrers
setze keine Hochschulausbildung voraus, so dass sie auch die erforderlichen Qualifikationen aufweise. Dem entsprechend sei
sie nach der einschlägigen Rechtsprechung Privatlehrerin i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystemRL, auf den sie sich
berufe.
Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung der Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für das I. bis III. Quartal 2012 vom 23.11.2012 auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er hält den Antrag für unbegründet, da die Antragstellerin keine Privatlehrerin i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystemRL
sei. Denn nicht sie, sondern die Musikschule B. sei Trägerin der Einrichtung des Unterrichtsangebots. Es bestünden keine Rechtsbeziehungen
zwischen der Antragstellerin und den einzelnen Schülern.
Dem Gericht haben je eine Einkommensteuer-, Umsatzsteuer-, Bilanz- und Rechtsbehelfsakte vorgelegen, die vom Antragsgegner
für die Antragstellerin unter der Steuer-Nr. … geführt werden.
Gründe
Der Antrag ist begründet.
Es bestehen i.S. des § 69 Abs. 2 und 3 FGO ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder
teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll u.a. erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes
bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits
dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen
gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit
in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung seit dem Beschluss des Bundesfinanzhofs
– BFH– vom 10.02.1967 III B 9/66, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFHE – 87, 447, Bundessteuerblatt – BStBl – III 1967,
182; Beschluss vom 07.09.2011 I B 157/10, BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im
Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten
und der Aktenlage ergibt (vgl. BFH, Beschluss vom 22.03.2005 II B 14/04, BFH/NV 2005, 1379 m.w.N.). Zur Gewährung der Aussetzung
der Vollziehung ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit
überwiegen (BFH, Beschluss vom 07.09.2011 I B 157/10, BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590). Wie im Hauptsacheverfahren gelten
auch im Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO grundsätzlich die Regeln über die objektive Feststellungslast mit der Folge, dass die
Beteiligten entscheidungserhebliche Einwendungen im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten darlegen und ggf. glaubhaft machen müssen
(BFH, Beschluss vom 26.08.2004 V B 243/03, BFH/NV 2005, 255).
Im Streitfall sind sich die Beteiligten zu Recht einig darüber, dass die Umsätze der Antragstellerin nicht die Voraussetzungen
für eine Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 21 Umsatzsteuergesetz – UStG – aufweisen. Jedoch beruft sich die Antragstellerin mit
Erfolg auf die Steuerfreistellung von Unterrichtsleistungen durch Privatlehrer gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystemRL,
die durch den nationalen Gesetzgeber nicht ausreichend umgesetzt worden ist. Nach dieser Vorschrift befreien die Mitgliedstaaten
den von Privatlehrern erteilten Schul- und Hochschulunterricht von der Umsatzsteuer. Die Antragstellerin erteilt bei summarischer
Prüfung i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystemRL als Privatlehrerin Schulunterricht.
Der Begriff „Schul- und Hochschulunterricht” i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystemRL beschränkt sich nicht auf Unterricht,
der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer
Berufstätigkeit vermittelt, sondern schließt andere Tätigkeiten ein, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen
erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studierenden zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht
den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben (Gerichtshof der Europäischen Union, Urteile vom 14.06.2007 C-445/05 – Haderer,
Umsatzsteuer-Rundschau – UR – 2007, 592, Rz 26; vom 28.01.2010 C-473/08 – Eulitz GbR, UR 2010, 174, Rz 30). Dazu ist es nicht
erforderlich, dass der Unterricht in einen organisatorischen Rahmen eingebunden ist, der letztlich zu einem Ausbildungsabschluss
führt (vgl. BFH, Urteil vom 10.01.2008 V R 52/06, BFHE 221, 295, UR 2008, 276).
Bei summarischer Prüfung hat das Gericht keine Zweifel daran, dass der von der Antragstellerin erteilte Unterricht geeignet
ist, die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler zu entwickeln. Denn Musikunterricht gehört zu den klassischen Schulfächern
und kann letztlich Grundlage für eine Berufsausbildung als Musiker oder Musiklehrer sein. Es kommt nicht darauf an, ob Schüler
der Antragstellerin die letztgenannten Ziele tatsächlich verfolgen (BFH, Urteil vom 24.01.2008 V R 3/05, BFHE 221, 302, BStBl
II 2012, 267). Daher stellt der Musikunterricht auch keine bloße Freizeitgestaltung dar. Dem entsprechend hat auch der BFH
Musikschulunterricht als Schulunterricht angesehen (BFH, Urteil vom 20.08.2009 V R 25/08, BFHE 226, 479, BStBl II 2010, 15).
Die Antragstellerin war Privatlehrerin i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystemRL. Der Begriff des Privatlehrers setzt
keinen bestimmten Ausbildungsgang voraus. Das Gericht verweist insoweit auf die Urteile des Finanzgerichts – FG – Hamburg
vom 16.06.2011 6 K 165/10 (Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2012, 560) und des Niedersächsischen FG vom 19.12.2011
5 K 370/11 (EFG 2012, 882), denen es folgt. Da die Antragstellerin ausgebildete Erzieherin ist, verfügte sie über die für
ihren Schülerkreis erforderlichen pädagogischen Fähigkeiten. Durch die von der Musikschule B. angebotenen Fortbildungen hatte
sie nach Aktenlage die erforderlichen musikalischen Fachkenntnisse erworben. Sie hat den Unterricht nach Aktenlage in eigener
Person erbracht.
Schließlich stand die Antragstellerin nach summarischer Prüfung auch – wie erforderlich (vgl. EuGH, Urteil vom 28.01.2010
C-473/08 – Eulitz GbR, UR 2010, 174, Rz 48 ff.) – in unmittelbaren Rechtsbeziehungen zu den von ihr unterrichteten Schülern.
Das Gericht hält den dahin gehenden Vortrag der Antragstellerin für glaubhaft, da dies die bei Franchisingmodellen übliche
Gestaltung ist. Der Franchisenehmer erwirbt typischerweise das Recht, eine eingeführte Marke und gewisse Serviceleistungen
nutzen zu dürfen, erbringt die Leistungen an den Endkunden aber im eigenen Namen (vgl. Müller, UR 2008, 365 [366]; Weimann,
Umsatzsteuer-Berater – UStB – 2008, 267). Daran hat der Franchisegeber ein ausgeprägtes Interesse, weil auf diese Weise das
Akquisitions- und Beitreibungsrisiko beim Franchisenehmer liegt. Der Antragsgegner hat keine Anhaltspunkte mitgeteilt, weshalb
es sich im Streitfall anders verhalten soll. Auch aus den vorliegenden Akten ergeben sich solche Anhaltspunkte nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.