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  • 02.11.2010

    Finanzgericht München: Urteil vom 27.04.2010 – 6 K 4441/07

    Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts schließen die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit aus. § 129 AO ist ferner nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht.

    Regelmäßig wird ein Rechtsfehler bei Anwendung einer komplizierten Rechtsvorschrift möglich sein; dadurch wird die Anwendung des § 129 AO ausgeschlossen. Gleiches gilt bei einer nicht einfachen, neu eingefügten Vorschrift. Die Möglichkeit eines Rechtsirrtums muss auf im Einzelfall festgestellten Tatsachen beruhen; die bloße theoretische Möglichkeit genügt nicht.


    IM NAMEN DES VOLKES

    URTEIL

    In der Streitsache

    hat der 6. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung des Richters am Finanzgericht NN als Vorsitzender, des Richters am Finanzgericht NN und der Richterin am Finanzgericht NN sowie der ehrenamtlichen Richter NN und NN ohne mündliche Verhandlung am 27. April 2010

    für Recht erkannt:

    1. Die Klage wird abgewiesen.

    2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

    Gründe

    I.

    Die Klägerin wurde zum 1.1.2001 im Wege des Formwechsels unter Buchwertfortführung gegründet.

    Der das Nennkapital übersteigernde Betrag des bisherigen Eigenkapitals der umgewandelten KG wurde als Kapitalrücklage in die Eröffnungsbilanz der Klägerin eingestellt und im Jahresabschluss zum 31.12.2001 i.H.v. 733.366,25 DM unverändert ausgewiesen.

    In der Feststellungserklärung nach § 27 Abs. 2 KStG zum 31.12.2001 vom 8. August 2002 wurde im Vordruck KSt 1 F (2001) ein steuerliches Einklagekonto nach § 27 KStG nicht ausgewiesen. Der Vordruck KSt 1 F – 27/28 – (Ermittlung des steuerlichen Einlagekontos (§ 27 Abs. 2 Satz 1 KStG) und des durch Umwandlung von Rücklagen entstandenen Nennkapitals (§ 28 Abs. 1 Satz 3 KStG)) war der Erklärung nicht beigefügt. Der daraufhin ergangene Feststellungsbescheid vom 5. September 2002, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erging, wies ebenfall kein steuerliches Einlagekonto aus.

    Eine Betriebsprüfung für das Jahr 2001 bezifferte mit dem Bericht vom 28. Mai 2004 wegen einer Korrektur bei der KG die Kapitalrücklage auf 736.779,67 DM (Tz. 1.7). Das steuerliche Einlagekonto wurde mit 0 DM angesetzt (Tz. 3).

    Im Bescheid zum 31.12.2001 über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 27 Abs. 2, § 28 Abs. 1 S. 3 und § 38 Abs. 1 KStG vom 9. Juli 2004 stellte das FA folgende Beträge fest:

    DM / EUR
    Steuerliches Einlagekonto0
    Durch Umwandlung von Rücklagen entstandenes Nennkapital0
    Endbetrag i.S.d. § 36 Abs. 7 KStG aus dem Teilbetrag i.S. des § 30 Abs. 2 Nr. 2 KStG 1999 – EK 020
    Das Körperschaftsteuerguthaben wurde mit 0 DM/EUR ermittelt.

    Dieser Bescheid vom 9. Juli 2004, mit dem auch der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde, ist bestandskräftig.

    Im Jahr 2004 nahm die Klägerin eine Ausschüttung vor, die der Kapitalrücklage zum 31.12.2001 entsprach. Mangels eines festgestellten Werts in entsprechender Höhe auf dem Einlagekonto gelangte das FA zu der Auffassung, dass diese Ausschüttung nicht als eine beim Anteilseigner steuerlich nicht zu erfassende Rückzahlung einer Kapitalrücklage anzusehen sei, sondern als eine dem Halbeinkünfteverfahren unterliegende Gewinnausschüttung. Neben dem Betriebsprüfungsbericht für 2001 vom 28. Mai 2004 wird ergänzend auf den Betriebsprüfungsbericht für die Jahre 2003 – 2004 (vor allem Tz. 3.2) vom 29. Mai 2007 Bezug genommen.

    Mit Schriftsatz vom 9. März 2007 beantragte die Klägerin, den Bescheid zum 31.12.2001 über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 27 Abs. 2, § 28 Abs. 1 S. 3 und § 38 Abs. 1 KStG vom 9. Juli 2004 nach § 129 der Abgabenordnung (AO) zu berichtigen. Dies lehnte das FA mit Schriftsatz vom 29. Juni 2007 ab. Der Einspruch dagegen vom 11. Juli 2007 wurde mit der Einspruchsentscheidung vom 5. Dezember 2007 als unbegründet zurückgewiesen.

    Die Klage vom 14. Dezember 2007 begründet die Klägerin wie folgt:

    In den Akten des FA befänden sich keinerlei Dokumentationen, Aktenvermerke oder ähnliches zur Rechtsanwendung der Feststellung des steuerlichen Einlagekontos. Ohne gesonderten Vermerk in den Akten sei nicht von einer Rechtsanwendung auszugehen.

    Entscheidend sei die Diskrepanz im Betriebsprüfungsbericht vom 28. Mai 2004, wo unter Tz. 1.7 die Kapitalrücklagen mit dem zutreffenden Betrag ermittelt, hingegen unter Tz. 3.1 der Bestand des steuerlichen Einlagekontos mit 0 DM erfasst worden seien. Anhaltspunkte, dass hier Rechtsüberlegungen stattgefunden hätten, seien nicht ersichtlich.

    Der Bestand des steuerlichen Einlagekontos hätte ohne schwierige Rechenoperationen mit komplizierten Zwischenrechnungen etc. festgestellt werden können.

    Es habe sich um eine den Schreib- und Rechenfehlern ähnliche offenbare Unrichtigkeit gehandelt.

    Lasse sich im Übrigen die Frage, ob eine offenbare Unrichtigkeit vorliege nicht klären, so müssten die Regeln der Beweislast entscheiden. Zweifel gingen hierbei bei einer den Betroffenen beschwerenden Unrichtigkeit dann zu Lasten der Behörde.

    Wegen der Einzelheiten wird insbesondere auf die Schriftsätze der Klägerin vom 29. Juli 2008 und vom 10. November 2008 Bezug genommen.

    Der Klägervertreter nahm am 23. September 2008 Akteneinsicht.

    Die Klägerin beantragt sinngemäß,

    den Bescheid zum 31.12.2001 über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 27 Abs. 2, § 28 Abs. 1 S. 3 und § 38 Abs. 1 KStG dahingehend zu ändern, als das steuerliche Einlagekonto gem. § 27 KStG zum 31.12.2001 in Höhe von 736.779 DM (= 376.709 EUR) festgestellt wird.

    Das FA beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Die Möglichkeit eines Rechtsirrtums des Finanzamtes beim Erlass des Feststellungsbescheids vom 9. Juli 2004 sei nicht von der Hand zu weisen. Es liege vielmehr nahe, dass eine rechtliche Würdigung, wenn auch eine gänzlich unrichtige, stattgefunden habe.

    Um einen bloßen Übertragungsfehler und damit eine offenbare Unrichtigkeit würde es sich dann handeln, wenn aus den Akten ersichtlich wäre, dass die Einstellung der Kapitalrücklage in die Eröffnungsbilanz etc. die zwingende Erfassung beim steuerlichen Einlagekonto zur Folge hätte, also letztlich der Ansatz beim Einlagekonto auf ein Versehen zurückzuführen sei.

    Eine Änderung oder Berichtigung nach anderen Vorschriften (§§ 164, 165, 172, 173 und 179 AO) komme ebenfalls nicht zum Zuge.

    Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 FGO).

    II.

    1. Die Klage ist unbegründet. Das FA hat eine Verpflichtung zur Änderung des bestandskräftigen Feststellungsbescheides für das Streitjahr zu Recht abgelehnt.

    Eine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 Satz 1 AO liegt nicht vor.

    a) Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit berichtigen.

    Das Gesetz benutzt den Begriff der offenbaren Unrichtigkeiten als Oberbegriff; hierunter fallen Schreibfehler, Rechenfehler und „ähnliche” offenbare Unrichtigkeiten. Das Gesetz enthält jedoch keine Definition des Begriffs der offenbaren Unrichtigkeiten. Unrichtigkeit i. S. d. § 129 AO ist nicht als Oberbegriff für alle Fehler zu verstehen, die im Besteuerungsverfahren auftreten können (fehlerhafte Rechtsanwendung, fehlerhafte Tatsachenwürdigung, offenbare Unrichtigkeiten), sondern als ein Fehler, der nur das äußere Erscheinungsbild des Verwaltungsakts betrifft, während objektiv der Regelungsgehalt des Verwaltungsakts rechtmäßig ist.

    Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten sind solche, die mit Schreib- und Rechenfehlern wertungsmäßig vergleichbar sind, also auf einer gleichen Ebene liegen. Der Fehler muss sich als mechanisches Versehen (Verlesen, Vergreifen, Spaltenverwechslung usw.) darstellen; es darf sich regelmäßig nicht um Fehler im Bereich des Überlegens, Schlussfolgerns, Denkens und Urteilens handeln. „Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten” müssen ebenso mechanisch wie Schreib- oder Rechenfehler sein, also ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 19. März 2009 IV R 84/06, BFH/NV 2009. 1394).

    Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit aus. § 129 AO ist ferner nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht.

    Ob jede Möglichkeit eines Rechtsirrtums, eines Denkfehlers oder einer unvollständigen Sachaufklärung bzw. fehlerhaften Tatsachenwürdigung auszuschließen ist, beurteilt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles, vor allem nach Aktenlage. Die Entscheidung darüber ist im Wesentlichen eine Tatfrage. Die objektive Beweislast für das Vorliegen einer offenbaren Unrichtigkeit trägt derjenige, der sich darauf beruft; ein Anscheinsbeweis genügt (vgl. u.a. Urteil des BFH vom 19. März 2009, a.a.O., m.w.N.).

    Regelmäßig wird ein Rechtsfehler bei Anwendung einer komplizierten Rechtsvorschrift möglich sein; dadurch wird die Anwendung des § 129 AO ausgeschlossen. Gleiches gilt bei einer nicht einfachen, neu eingefügten Vorschrift. Die Möglichkeit eines Rechtsirrtums muss auf im Einzelfall festgestellten Tatsachen beruhen; die bloße theoretische Möglichkeit genügt nicht.

    b) Im Streitfall ist nach Überzeugung des Senats von einer unzureichenden Sachverhaltsaufklärung auszugehen. Im Hinblick auf die Problematik des Übergangs vom Anrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren standen für den Veranlagungszeitraum 2001 verschiedene Vordrucke zur Verfügung, um die Beträge ermitteln zu können, die bei einer späteren Ausschüttung für die Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens von Bedeutung sind.

    Gerade der Vordruck KSt 1 F – 27/28 – (Ermittlung des steuerlichen Einlagekontos (§ 27 Abs. 2 Satz 1 KStG) und des durch Umwandlung von Rücklagen entstandenen Nennkapitals (§ 28 Abs. 1 Satz 3 KStG)) war dafür konzipiert die Einlagen des Anteilseigners in die Körperschaft, die nicht auf das Nennkapital erfolgen, insbesondere Kapitalrücklagen, und die bei einer Auskehrung an den Anteilseigner nicht nach § 20 Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes dem Halbeinkünfteverfahren unterliegen, zu ermitteln. Im Jahresabschluss zum 31. Dezember 2001 wies die Klägerin eine Kapitalrücklage von 733.366,25 DM aus. Auch im Betriebsprüfungsbericht für 2001 wurde die Kapitalrücklage, geringfügig modifiziert, mit 736.779,67 DM angesprochen. Dies hätte eine weitere Sachverhaltsaufklärung erfordert, um die für das Halbeinkünfteverfahren relevanten Beträge zu ermitteln.

    Daraus folgert weiter, dass von der sehr konkreten – nicht nur von einer bloßen theoretischen – Möglichkeit eines Rechtsirrtums auszugehen ist. Offensichtlich haben bei der Veranlagung für das Streitjahr rechtsirrtümlich weder die Klägerin noch das FA erkannt, welche Bedeutung die Feststellung des steuerlichen Einlagekontos für eine spätere Ausschüttung für die Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens hat.

    Ein mechanisches Versehen, das ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden könnte, liegt damit nicht vor. Eine Berichtigung des Feststellungsbescheids nach § 129 AO ist nicht möglich.

    c) Eine Änderung oder Berichtigung nach anderen Vorschriften (§§ 164, 165, 172, 173 und 179 AO) kommt ebenfalls nicht zum Zuge. Zur weiteren Begründung wird insoweit auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen (§ 105 Abs. 5 FGO).

    2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    VorschriftenAO § 129 Abs. 1

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