07.04.2015 · IWW-Abrufnummer 144199
Finanzgericht Köln: Urteil vom 03.12.2014 – 13 K 2231/12
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln
13 K 2231/12
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten über die Frage, ob der aus der Veräußerung seiner Einzelpraxis resultierende Gewinn des Klägers nach § 18 Abs. 3 i.V.m. §§ 16, 34 Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) tarifbegünstigt zu versteuern ist.
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Der Kläger ist Steuerberater. Nach seinem Ausscheiden aus der A Wirtschaftsprüfungsgesellschaft im Jahr 2003 hatte er seine berufliche Tätigkeit zunächst in deren ehemaligen Räumlichkeiten in der B Innenstadt (C-Straße) ausgeübt. Ab dem 1. April 2004 war der Kläger als Steuerberater unter der Büroanschrift D-Straße ... in B freiberuflich tätig.
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Mit Vertrag vom 24. Januar 2008 veräußerte der Kläger seine als Einzelpraxis geführte Steuerberatungskanzlei mit Wirkung zum 1. April 2008 zu einem Kaufpreis von 750.000 € an die in B, E-Straße ..., geschäftsansässige S & T KG Steuerberatungsgesellschaft (STS). Gegenstand des Kaufvertrags, auf dessen Inhalt wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, war neben dem mobilen Praxisinventar (Mobiliar, Geräte, Maschinen und Fachliteratur) der gesamte Mandantenstamm des Klägers. Den aus diesen Mandatsverhältnissen erzielten Jahresumsatz bezifferten die Vertragsparteien mit ca. 600.000 €. Der Kläger verpflichtete sich insoweit, im Rahmen seiner Möglichkeiten darauf hinzuwirken, dass die Mandanten dem Beraterwechsel zustimmen, an der Mandatsüberleitung mitzuwirken und weitere Akquisitionen für die STS durchzuführen. Darüber hinaus war vertraglich vereinbart, dass die bestehenden Lieferungs- und Leistungsverträge, die unfertigen Arbeiten und die bei dem Kläger seinerzeit angestellten (sechs) Arbeitnehmer gemäß § 613a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) von der Erwerberin (STS) mit allen Rechten und Pflichten übernommen werden.
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Unter demselben Datum (24. Januar 2008) trafen die vorgenannten Parteien eine freiberufliche Tätigkeitsvereinbarung, in dem die bereits im Kaufvertrag genannten Verpflichtungen des Klägers, bei der Überleitung der übertragenen Mandate auf die STS mitzuwirken und neue Mandanten für die STS zu akquirieren, wiederholt wurden. Die fachliche Beratung der eingebrachten und etwaiger neu akquirierter Mandate sollte im Namen und für Rechnung der STS erfolgen. Diese schuldete dem Kläger als Vergütung für seine mit 32 Wochenstunden (4-Tage-Woche) angesetzte Tätigkeit ein monatliches Pauschalhonorar i.H. von 5.000 € zzgl. Mehrwertsteuer; für neu akquirierte Mandate sollte er zusätzlich 20 v.H. des fakturierten Jahresumsatzes erhalten. Dem Kläger wurde ausdrücklich gestattet, auch für andere Auftraggeber als die STS tätig zu werden, für einen unmittelbaren Wettbewerber der STS allerdings nur nach deren vorheriger schriftlicher Zustimmung. Die Geltungsdauer des Vertrags war „zunächst“ bis zum 31. Dezember 2010 befristet. Für den Fall, dass der Kläger über diesen Zeitpunkt hinaus für die STS tätig bleiben würde, sollten ihm statt des monatlichen Festhonorars 40 v.H. der fakturierten Umsätze zustehen, soweit diese auch persönlich durch ihn erbracht werden.
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Unter dem 9. Mai 2009 schlossen der Kläger und die STS eine weitere privatschriftliche Vereinbarung, in deren Präambel zunächst auf den Veräußerungsvertrag vom 24. Januar 2008, insbesondere die Modalitäten der Kaufpreisfindung, Bezug genommen wurde. In Anknüpfung an die darin übereinstimmend dokumentierte Absicht, „die endgültige Gegenleistung zum Kaufpreis auf den 31. März 2009 zu ermitteln“, vereinbarten die Parteien auf Basis einer beiliegenden Mandantenumsatzliste einen Gesamtkaufpreis von 700.000 €. Abschließend stellten sie fest, dass mit dieser Vereinbarung und deren Erfüllung die gegenseitigen Ansprüche aus dem Kaufvertrag vom 24. Januar 2008 abschließend geregelt seien und etwaige weitere Ansprüche nicht mehr bestünden. Die darüber hinaus getroffenen Regelungen in der freiberuflichen Tätigkeitsvereinbarung gleichen Datums sollten unverändert fortgelten.
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Nachdem der Beklagte mit Bescheid vom 10. November 2009 die Einkommensteuer des Klägers für 2008 (Streitjahr) unter Zugrundelegung von gemäß § 162 der Abgabenordnung (AO) geschätzten Besteuerungsgrundlagen (u.a. Einkünften aus selbständiger Tätigkeit i.H. von 130.000 €) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO) auf 36.247 € festgesetzt hatte, reichte der Kläger am 31. Mai 2010 eine mit „Ermittlung Veräußerungsgewinn zum 01.04.2008 (in Euro)“ überschriebene Berechnung sowie eine Kopie der Vereinbarung vom 9. Mai 2009 beim Beklagten ein und beantragte, den mit 685.000 € bezifferten Veräußerungsgewinn zu berücksichtigen. Zugleich kündigte er an, die noch ausstehende Einkommensteuererklärung nachzureichen.
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Daraufhin erteilte der Beklagte dem Kläger unter dem 14. Juni 2010 einen gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderten, weiterhin unter Nachprüfungsvorbehalt stehenden Bescheid, in dem er die Einkommensteuer für das Streitjahr ausgehend von einem - wie bisher - (geschätzten) laufenden Gewinn aus selbständiger Arbeit i.H. von 130.000 € und einem gemäß § 34 EStG tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn i.H. von 685.000 € auf 323.737 € erhöhte.
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Beginnend ab 28. Februar 2011 fand bei dem Kläger für die Veranlagungszeiträume 2006 bis 2008 eine die Einkommen- und Umsatzsteuer betreffende steuerliche Außenprüfung durch das Finanzamt für Groß-und Konzernbetriebsprüfung (GKBp) B statt, in deren Verlauf der Kläger dem Prüfer die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr übergab. Darin deklarierte der Kläger Einkünfte aus seiner selbständigen Steuerberatertätigkeit i.H. von 17.574 € und einen Veräußerungsgewinn i.H. von 687.856 €. Unter Berücksichtigung dieser Erklärungsangaben veranlagte der Beklagte den Kläger mit gemäß § 164 Abs. 2 AO geändertem Bescheid vom 21. März 2011 unter Beibehaltung des Nachprüfungsvorbehalts zu einer Einkommensteuer i.H. von 243.873 € für das Streitjahr. Dabei ging er wie schon im vorangegangenen (Schätzungs-) Bescheid davon aus, dass der Veräußerungsgewinn gemäß § 34 EStG tarifbegünstigt sei.
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Nach abschließender Ermittlung des zugrunde liegenden Sachverhalts durch die GKBp gelangte der Prüfer zu der Auffassung, dass der streitige Veräußerungsgewinn richtigerweise nicht steuerbegünstigt, sondern als laufender Gewinn zu erfassen sei. Hierzu traf er unter Tz. 2.1.4 seines Berichts vom 6. Oktober 2011 folgende Feststellungen:
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Der Kläger habe in 2008 einen Gewinn aus der Veräußerung seiner Steuerberaterpraxis erzielt. Nach Veräußerung der Praxis zum 1. April 2008 sei er auf Honorarbasis für die Praxis der Erwerberin tätig gewesen und habe dort weiterhin seine früheren Mandanten betreut. Diese Tätigkeit habe der Kläger zum 28. Februar 2010 wieder aufgegeben und die Beratung im Rahmen einer Einzelpraxis wieder aufgenommen, wobei der übertragene Mandantenstamm im Wesentlichen wieder in die Einzelpraxis übernommen worden sei. Zu der von der BFH-Rechtsprechung für die Anwendung der Tarifbegünstigung geforderten Einstellung der Beratungstätigkeit und Neueröffnung einer Beratungspraxis sei es daher nicht gekommen. Das veräußerte Praxisvermögen diene somit wieder der Einkünfteerzielung. Dass diese Entwicklung im Zeitpunkt der Veräußerung nicht vorhersehbar gewesen sei, stehe der Annahme einer bloßen Unterbrechung nicht entgegen, da die Gründe, die zur Wiederaufnahme der Tätigkeit geführt hätten, für die rechtliche Würdigung unerheblich seien.
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Ausgehend von den Feststellungen der GKBp erließ der Beklagte nach zwischenzeitlicher Durchführung hier nicht streitbefangener Änderungen am 19. Januar 2012 einen weiteren auf § 164 Abs. 2 AO gestützten Änderungsbescheid, mit dem er die Einkommensteuer des Klägers für 2008 auf nunmehr 294.333 € erhöhte. Zur Begründung verwies er auf die Ausführungen im Prüfbericht vom 6. Oktober 2011.
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Hiergegen legte der Kläger am 22. Februar 2012 Einspruch ein, mit dem er die sich gegen die Behandlung seines Veräußerungsgewinns als laufender Gewinn wandte und die Herabsetzung der Einkommensteuer auf 248.454 € begehrte. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor:
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Er habe seine Tätigkeit als Steuerberater nach seinem Ausscheiden bei A im Jahr 2003 in den ehemaligen Räumen der Niederlassung dieser Gesellschaft in der C-Straße in der B selbständig fortgesetzt. Aufgrund eines mit A vereinbarten und durchgeführten Procedere sei es ihm möglich gewesen, den größten Teil des bis dahin von ihm - dem Kläger - betreuten Klientels zur nunmehr eigenen Betreuung zu übernehmen. Zum 1. April 2004 habe er seine Praxisräume nach B in die D-Straße ... verlegt. Es habe seiner damaligen beruflichen und persönlichen Planung entsprochen, mit Vollendung seines 65. Lebensjahres die umfängliche Verantwortung für seine Einzelpraxis auf einen Nachfolger zu übertragen, um danach allenfalls noch in rein beratender, aber fachspezifischer Ausrichtung tätig zu bleiben. Ende 2007/Anfang 2008 habe sich sodann die Möglichkeit ergeben, diesen Plan durch Abschluss der Verträge vom 24. Januar 2008 und Übertragung der Einzelpraxis auf die STS umzusetzen.
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Nach etwa anderthalb Jahren der Zusammenarbeit mit der STS seien Virulenzen bei der Durchführung der freiberuflichen Tätigkeitsvereinbarung aufgetreten. So sei es zur verzögerten Auszahlung seines Honorars aus Gründen gekommen, die wohl auf innergesellschaftliche Umstände zurückzuführen seien. Die STS sei an ihn herangetreten mit dem Ansinnen, er möge seine tägliche Tätigkeitsdauer halbieren, dies natürlich gegen entsprechende Minderung seines vertraglich vereinbarten Honorars. Dies habe er abgelehnt, was das Verhältnis in der Folgezeit nachhaltig belastet habe. Ende 2009 habe er einen Rechtsanwalt beauftragen müssen, um seine - des Klägers - unerfüllten Zahlungsansprüche einzuklagen. Dieser ungewöhnliche Zustand habe ihn im Januar 2010 dazu veranlasst, die Tätigkeitsvereinbarung vom 24. Januar 2008 fristlos zum 31. Januar 2010 aufzukündigen. Die STS habe dies akzeptiert.
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Mit Wirkung zum 1. Februar 2010 habe er sich dann wieder verselbständigt. Seine berufliche Tätigkeit habe er zunächst von seinem häuslichen Arbeitszimmer aus in der H‑Straße ... in B aufgenommen. Fünf ehemalige Mandanten hätten in jedem Fall weiter, und zwar beratend, von ihm betreut werden wollen. Sein daraus resultierendes monatliches Honorar habe ein wenig über dem Festhonorar gelegen, das mit der STS vereinbart gewesen sei.
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Im April 2010 seien seine beiden ehemaligen Mitarbeiterinnen, Frau J, die für die Finanzbuchhaltung und steuerliche Betreuung zuständig gewesen sei, und Frau K, die in der Lohn- und Gehaltsbuchhaltung tätig gewesen sei, auf ihn zugekommen und hätten ihn gebeten, sie nach geplanter Kündigung bei der STS zum 30. Juni 2010 wieder einzustellen. Hierzu habe er sich sodann entgegen seinen ursprünglichen Planungen bereitgefunden, was zur Folge gehabt habe, dass er sich auch wieder zu einer umfangreicheren Tätigkeit habe entschließen müssen. Hinsichtlich der möglicherweise anfallenden größeren Jahresabschlussarbeiten habe er sich daher vorab der Unterstützung seiner ehemaligen, nunmehr freiberuflich tätigen Mitarbeiter Frau L und Herr M versichert.
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Zum 1. Juli 2010 habe er Frau K und Frau J bei sich fest angestellt. Nicht alle, aber doch ein erheblicher Teil der früheren Mandanten habe sich aufgrund der sich bietenden Konstellation wieder seiner Praxis angeschlossen. Selbstverständlich habe er infolgedessen wieder ein Umsatzvolumen erreicht, das er durchaus mit 50 bis 60 v.H. seiner früheren Umsätze bemessen müsse.
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Ausgehend von diesem - zwischen den Beteiligten unstreitigen - Sachverhalt sei der streitige Veräußerungsgewinn nach § 34 EStG steuerbegünstigt.
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Unter Berücksichtigung der BFH-Entscheidungen vom 18. Mai 1994 I R 109/93 (BStBl II 1994, 925) und vom 17. Juli 2008 X R 40/07 (BStBl II 2009, 43) sei im Streitfall davon auszugehen, dass die Fortsetzung seiner beruflichen Tätigkeit bei der STS der Annahme einer tatsächlichen Veräußerung nicht entgegenstehe. Übertrage nämlich - wie hier - der Veräußerer die wesentlichen wirtschaftlichen Grundlagen seiner Praxis definitiv auf den Erwerber, bestünden Rechtsbeziehungen nur noch zwischen diesem und den Mandanten; alleine dem Erwerber - hier der STS - stünden die Honoraransprüche aus den Mandaten zu. Dagegen erhalte er als Veräußerer seine Honorare nur noch von der STS als Erwerberin.
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Die entscheidende Frage sei vorliegend jedoch, ob sich die Wiederaufnahme seiner freiberuflichen Tätigkeit im Februar bzw. ab Juli 2010 steuerschädlich auf die Tarifbegünstigung der im April 2008 vollzogenen Veräußerung auswirke. Diese Frage sei vor dem Hintergrund der einschlägigen BFH-Rechtsprechung, namentlich der Entscheidungen vom 18. Mai 1994 I R 109/93 (BStBl II 1994, 925), vom 10. Juni 1999 IV R 11/99 (BFH/NV 1999, 1594), vom 7. November 2006 XI B 177/05 (BFH/NV 2007, 431), vom 29. Mai 2008 VIII B 166/07 (BFH/NV 2008, 1478) und vom 17. Juli 2008 X R 40/07 (BStBl II 2009, 43) zu verneinen.
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Die Anwendung der Tarifbegünstigung hänge im hier zu entscheidenden Fall maßgeblich davon ab, ob er - wie vom BFH gefordert - seine Tätigkeit nach der Veräußerung seiner Praxis an die STS in dem bisherigen örtlich begrenzten Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit eingestellt habe.
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Das Merkmal des „örtlich begrenzten Wirkungskreises“ werde zwar in einigen Rechtsprechungsfällen durch Kilometerangaben (4 km, 9,4 km, etc.) näher konkretisiert. Derartige Klassifizierungen seien bei einem Angehörigen des wirtschaftsprüfenden oder steuerberatenden Berufsstands jedoch unangebracht. Anders als z.B. bei Ärzten oder ggf. auch Anwälten liege bei einem Steuerberater überhaupt kein örtlich begrenzter Wirkungskreis vor, weil die räumliche Entfernung keinen Einfluss auf das Mandatsverhältnis habe. So sei sein damaliges und teilweise auch noch heutiges Klientel zwischen N und O, zwischen P und Q, die allerwenigsten jedoch in einem Umkreis von 10 km um seine Kanzlei angesiedelt.
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Insoweit komme es im Streitfall letztlich darauf an, ob die Voraussetzung, dass er seine Tätigkeit wenigstens „für eine gewisse Zeit“ eingestellt habe, hier erfüllt sei. Nach Auffassung des BFH wie auch Teilen der Kommentarliteratur werde hierfür eine Zeitspanne von drei Jahren als ausreichende Wartezeit angesehen. Dabei handele es sich indes nicht um ein K.O.-Kriterium, dessen Fehlen zwingend zur Versagung der Tarifbegünstigung führe. Vielmehr richte sich die Beurteilung des Merkmals der „gewissen Zeit“ nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls.
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Der vorliegende Sachverhalt unterscheide sich in rechtserheblicher Weise von den Fällen, die Gegenstand der zitierten BFH-Rechtsprechung gewesen seien. So habe er ‑ der Kläger - unstreitig seinen Mandantenstamm vollständig auf die STS übertragen und seine selbständige Tätigkeit eingestellt. Er sei in keinem einzigen Fall in eigenem Namen und für eigene Rechnung tätig gewesen. Während seiner Zeit bei der STS habe er etwa fünf neue gute bis sehr gute Mandate akquirieren können, die allesamt von Beginn an Mandate der STS geworden seien; einige von ihnen seien dann auch später bei ihr verblieben.
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In dem Praxisübertragungsvertrag sei keine Konkurrenzklausel bzw. kein Wettbewerbsverbot vereinbart worden. Im ersten Jahr der gemeinsamen Berufsausübung habe er schon selbst ein eigenständiges Interesse daran haben müssen, zum Wohlergehen seiner übertragenen Praxis beizutragen, weil davon letztlich die endgültige Höhe des Kaufpreises abhängig gewesen sei. Trotz fehlender Schutzklausel sei es für ihn selbstverständlich gewesen, auch zeitlich darüber hinausgehend seinen Tätigkeitsvertrag vereinbarungsgemäß zu erfüllen.
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Die Beendigung seiner freiberuflichen Tätigkeit für die STS sei nicht vorhersehbar oder gar geplant gewesen. Es sei ihm nicht zumutbar gewesen, auf der Basis eines völlig zerstörten Vertrauensverhältnisses zu den Gesellschaftern der STS seine dortige Arbeit fortzusetzen. Zudem sei es für ihn ein materiell-existenzielles Problem gewesen, seine Honorierung von dem Ausgang immer wieder anzustrengender Klageverfahren abhängig zu machen.
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Mit Rechtsbehelfsentscheidung vom 13. Juni 2012 wies der Beklagte den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Hierzu führte er im Wesentlichen aus:
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Der Gewinn aus der Veräußerung der Steuerberatungspraxis i.H. von 687.856 € sei zutreffend als laufender und nicht als begünstigter Gewinn i.S. der §§ 18 Abs. 3, 34 EStG behandelt worden, da der Kläger seine mit dem veräußerten Praxisvermögen verbundene Tätigkeit nicht zumindest für eine gewisse Zeit eingestellt habe. Die Gründe, weshalb er seine Tätigkeit in Form einer Einzelpraxis wieder aufgenommen habe, seien dabei nicht entscheidend.
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Dem Kläger sei insoweit zuzustimmen, als die weitere steuerliche Beratung seines auf die STS übertragenen Mandantenstamms in deren Namen und für deren Rechnung im Rahmen des mit ihr abgeschlossenen Tätigkeitsvertrags der Annahme eines tarifbegünstigten Veräu ßerungsgewinns nicht entgegenstehe. Dies sei jedoch im vorliegenden Fall nicht streitig. Für die rechtliche Beurteilung maßgebend sei vielmehr ausschließlich die Frage, ob der Kläger seine mit dem veräußerten Praxisvermögen verbundene Tätigkeit tatsächlich beendet, zumindest aber für eine gewisse Zeit unterbrochen habe. Eben diese Frage sei unter Heranziehung der auch vom Kläger zitierten BFH-Rechtsprechung zu verneinen.
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Der Kläger habe sich 22 Monate nach der Veräußerung seiner Einzelpraxis (zum 1. April 2008) ab dem 1. Februar 2010 wieder selbständig gemacht. Als Praxisräume hätten ihm dabei die zuvor bereits genutzten Räumlichkeiten in der H-Straße ... in B gedient. Die erneute Tätigkeit sei mit der zuvor eingestellten vergleichbar, wenn nicht sogar deckungsgleich. Art und Struktur der Mandate entsprächen den zuvor auf die STS übertragenen Mandaten. Der Kläger habe hierzu selbst vorgetragen, dass fünf ehemalige Klienten in jedem Fall nach erneuter Aufnahme der beratenden Tätigkeit im Rahmen der Einzelpraxis weiterhin von ihm - dem Kläger - hätten betreut werden wollen. Zudem habe sich nach seinem eigenen Vorbringen ein erheblicher Anteil der ehemaligen Mandanten wieder seiner Einzelpraxis angeschlossen. Schließlich habe der Kläger sogar ehemalige Mitarbeiter wieder bei sich eingestellt. Nach eigenem Bekunden habe er danach wieder ein Umsatzvolumen erreicht, das ca. 50 bis 60 v.H. seines früheren Aufkommens entspreche. Vor dem Hintergrund dieser Umsatzzahlen könne auch nicht von einer in der BFH-Rechtsprechung als unschädlich angesehenen „geringfügigen Nebentätigkeit“ ausgegangen werden.
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Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der der Kläger sein außergerichtliches Begehren, den Veräußerungsgewinn gemäß §§ 18 Abs. 3, 16, 34 EStG tarifbegünstigt zu versteuern, weiterverfolgt. Zur Begründung wiederholt er unter umfangreicher Zitierung und Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung im Wesentlichen sein Vorbringen im Einspruchsverfahren. Ergänzend und vertiefend führt er aus:
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Die Einzelfälle, die der zitierten Rechtsprechung zugrunde lägen, hätten gemeinsam, dass Veräußerungsvorgänge, meist im Zusammenhang mit einer freiberuflichen Tätigkeit, vorlägen und dass die Wiederaufnahme derselben oder einer gleichartigen Tätigkeit entweder sofort oder nach einem kurzen Zeitraum von wenigen Monaten oder einem Jahr nach der Veräußerung stattgefunden habe. Hiervon weiche der vorliegende Fall in seinem Gehalt wesentlich ab. So mache neben den bereits im Einspruch erwähnten Aspekten die Tatsache, dass er seine berufliche Tätigkeit ohne Einschränkung für die STS erbracht habe, und dies über einen Zeitraum von nahezu zwei Jahren, deutlich, dass die danach folgende Neuaufnahme seiner früheren Tätigkeit nicht die steuerliche Begünstigung seines Veräußerungsgewinns beeinträchtigen könne. Die vertraglichen Absprachen mit der STS und der sich anschließende tatsächliche Ablauf ließen erkennen, dass er seine eigene berufliche Tätigkeit in einem geschlossenen Dienstverhältnis zur STS auch irgendwann einmal habe auslaufen lassen wollen.
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Bei Würdigung des Merkmals „örtlich begrenzter Wirkungskreis“ dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass die schon seit Jahren zunehmende Digitalisierung der Arbeitswelt auch Einfluss auf die Tätigkeit der Steuerberater insoweit habe, als die örtliche Gebundenheit mehr und mehr an Bedeutung verliere. Angesichts dessen könne die Entscheidung im vorliegenden Fall wohl kaum an der Frage ausgerichtet werden, ob die Tätigkeit selbst am Ort der bisherigen Tätigkeit eingestellt und später wieder an diesem Ort oder in dessen Nähe wieder aufgenommen worden sei. Eine Wettbewerbs- oder Konkurrenzsituation gegenüber dem früheren Erwerber könne sich nicht aufgrund des Standorts der Berufsträger ergeben, sondern nur in Bezug auf das einzelne Mandat, unabhängig davon, wo dieses ansässig sei. Entscheidend sei vielmehr die Person des Beraters als solche, nicht wer in geringster Entfernung zum Mandanten liege.
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Hinsichtlich des Merkmals der „Vergleichbarkeit der Betätigung oder der Art und Struktur der Mandate“ sei anzumerken, dass die im Steuerberatungsgesetz aufgeführten Hilfeleistungen, zu deren Erbringung er als Berufsträger befugt sei, umfassend seien. Er selbst habe sich im Laufe seines Berufslebens mehr und mehr mit rein beratenden Tätigkeiten auseinandergesetzt, während das übrige Leistungsspektrum von angestellten und/oder freien Mitarbeitern erbracht worden sei.
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Selbst wenn er sich nach seinem Ausscheiden bei der STS anfänglich mehr oder weniger ausschließlich mit dem Teilgebiet der steuerlichen und wirtschaftlichen Beratung beschäftigt habe, müsse er sich entgegenhalten lassen, letztlich eine gleichartige Tätigkeit ausgeübt zu haben. § 1 StBerG sei dafür einschlägig. Da er jedoch über keine zusätzliche Ausbildung und/oder Zulassung, z.B. zum Beruf des Rechtsanwalts, verfüge, bliebe ihm, wenn die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung entsprechend eng auszulegen wäre, nichts anderes übrig, als sein berufliches Glück in einem völlig anderen Geschäftszweig zu suchen.
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Wolle man also die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung nur an dem Wortlaut der einzelnen tatbestandlichen Merkmale messen, müsste der alles übergreifende und in allen einschlägigen Fällen zu wiederholende Leitsatz lauten: Setzt ein Praxisveräußerer seine berufliche Tätigkeit gleichartig und - nach welchen zeitlichen Abständen auch immer - innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren fort, kann es sich in keinem Fall um einen Veräußerungsgewinn i.S. des § 18 Abs. 3 EStG mit der Rechtsfolge des § 34 Abs. 1 EStG handeln. Wird die berufliche Tätigkeit gleichartig, jedoch nach Ablauf von drei Jahren nach der Praxisveräußerung wieder aufgenommen, handele es sich hingegen um einen tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn. Eine solchermaßen uniformierte Rechtsprechung gebe es indes nicht; vielmehr verlange der BFH eine Entscheidung anhand der Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls.
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Der Kläger beantragt,
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unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 13. Juni 2012 den Einkommensteuerbescheid vom 19. Januar 2012 in der Weise zu ändern, dass die Einkommensteuer ausgehend von einem tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn auf 248.454 € herabgesetzt wird,
40
hilfsweise für den Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen,
43
hilfsweise für den Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen.
44
Er hält an seiner im außergerichtlichen Vorverfahren vertretenen Auffassung fest und nimmt vollinhaltlich Bezug auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Ergänzend weist er darauf hin, dass beide Beteiligten zur Begründung ihrer gegensätzlichen Ansicht dieselben BFH-Urteile heranzögen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unbegründet.
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Der angefochtene Einkommensteuerbescheid vom 19. Januar 2012 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 13. Juni 2012 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO). Insbesondere hat der Beklagte den Gewinn des Klägers aus dem Verkauf seiner Steuerberaterpraxis an die STS bei der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr zu Recht nicht als gemäß § 18 Abs. 3 i.V.m. §§ 16 Abs. 2 bis 4, 34 EStG tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn behandelt, sondern als laufenden Gewinn der Regelversteuerung unterworfen.
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Nach § 18 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 2 bis 4 und § 34 EStG sind Veräußerungsgewinne steuerbegünstigt, die ein freiberuflich Tätiger bei der Veräußerung seines der selbständigen Arbeit dienenden Vermögens, eines selbständigen Teils dieses Vermögens oder eines der selbständigen Arbeit dienenden Anteils am Vermögen erzielt. Eine Veräußerung in diesem Sinne liegt nach ständiger Rechtsprechung des BFH vor, wenn der Steuerpflichtige die für die Ausübung der selbständigen Tätigkeit wesentlichen wirtschaftlichen Grundlagen entgeltlich auf einen anderen überträgt (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 23. Januar 1997 IV R 36/95, BStBl II 1997, 498, vom 18. Mai 1994 I R 109/93, BStBl II 1994, 925, vom 29. November 1988 VIII R 316/82, BStBl II 1989, 602, und vom 7. November 1985 IV R 44/83, BStBl II 1986, 335, jeweils m.w.N.). Zu den wesentlichen wirtschaftlichen und vermögensmäßigen Grundlagen einer freiberuflichen Praxis gehören dabei insbesondere immaterielle Wirtschaftsgüter wie die Beziehungen des Praxisinhabers zu seinen bisherigen Mandanten (Mandantenstamm) und das durch den Praxisnamen bestimmte Wirkungsfeld, das die maßgebliche Basis für die Möglichkeit darstellt, neue Mandate zu erlangen (BFH-Urteile vom 23. Januar 1997 IV R 36/95, BStBl II 1997, 498, vom 18. Mai 1994 I R 109/93, BStBl II 1994, 925, und vom 14. März 1975 IV R 78/71, BStBl II 1975, 661, sowie BFH-Beschluss vom 29. Mai 2008 VIII B 166/07, m.w.N.). Diese Annahme beruht auf der - rechtstatsächlich zutreffenden - Überlegung, dass der Wert einer freiberuflichen Praxis in erster Linie durch den Mandanten- bzw. Patientenstamm und die im Ansehen der Praxis verkörperten Umsatz- und Gewinnaussichten beeinflusst wird (vgl. hierzu ausführlich Busse, Betriebsberater - BB - 1989, 1951, 1952).
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Der BFH macht die Anerkennung einer nach § 18 Abs. 3 i.V.m. §§ 16 Abs. 2 bis 4, 34 EStG tarifbegünstigten „Veräußerung“ in Anlehnung an die ebenfalls steuerlich privilegierte Aufgabe eines Betriebs oder einer freiberuflichen Tätigkeit (§ 18 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. §§ 16 Abs. 3, 34 EStG) bei Praxisübertragungen in ständiger Rechtsprechung darüber hinaus von dem Erfordernis abhängig, dass der Veräußerer seine freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit einstellt (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 14. Mai 1970 IV 136/65, BStB II 1970, 566, vom 14. März 1975 IV R 78/71, BStBl II 1975, 661, vom 27. April 1978 IV R 102/74, BStBl II 1978, 562, vom 18. Mai 1994 I R 109/93, BStBl II 1994, 925, und vom 17. Juli 2008 X R 40/07, BStBl II 2009, 43, jeweils m.w.N.).
50
Wird der Veräußerer wie hier nach Übertragung seiner Praxis in dem - innerhalb seines bisherigen örtlichen Wirkungsbereichs belegenen - Betrieb des Erwerbers entweder als Angestellter oder als freier Mitarbeiter auf Honorarbasis im Auftrag und für Rechnung des Erwerbers tätig, steht dies nach höchstrichterlicher Rechtsprechung der Anwendung der Tarifbegünstigung auf den Veräußerungsvorgang dann nicht entgegen, wenn der Veräußerer - wie der BFH es formuliert - die wesentlichen wirtschaftlichen Grundlagen seiner Praxis einschließlich des Mandantenstamms „definitiv“ auf den Erwerber übertragen, ihn also „zivilrechtlich und wirtschaftlich“ in die Lage versetzt hat, die Beziehungen des Veräußerers zu den übertragenen Mandanten bzw. Patienten zu verwerten (BFH-Urteile vom 18. Mai 1994 I R 109/93, BStBl II 1994, 925, und vom 17. Juli 2008 X R 40/07, BStBl II 2009, 43, m.w.N.).
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Hiervon ausgehend hat der BFH in seinem die Klagestattgabe der Vorinstanz bestätigenden Urteil vom 18. Mai 1994 I R 109/93 (BStBl II 1994, 925) einem Steuerberater, der seine Einzelpraxis mit sämtlichen Mandanten und dem Praxisinventar an eine kurz zuvor gegründete Steuerberatungsgesellschaft mbH veräußert hatte und dem es nach dem Kaufvertrag untersagt war, für die bisher von ihm betreuten Mandanten auf eigene Rechnung tätig zu werden, die Tarifbegünstigung nach §§ 18 Abs. 3, 16 Abs. 2 bis 4, 34 EStG zuerkannt, obwohl er aufgrund einer mit der GmbH zeitgleich zum Kaufvertrag getroffenen Vereinbarung für diese als freier Mitarbeiter gegen Zahlung einer monatlichen Festvergütung zuzüglich einer gewinn- und umsatzabhängigen Tantieme (weiterhin) steuerberatend tätig war. Zur Begründung hat der BFH ausgeführt, die Rechtsprechung zum Erfordernis der zeitweiligen Einstellung einer freiberuflichen Tätigkeit am bisherigen Wirkungsort beruhe auf der Überlegung, dass bei fortdauernder Tätigkeit des Freiberuflers in seinem bisherigen örtlichen Umfeld eine - eine „echte“ Praxisübertragung ausschließende - weitere Nutzung der persönlichen Beziehungen zu den bisherigen Mandanten auf Rechnung des „Veräußerers“ naheliege. Diese grundsätzlich weiterhin geltende Überlegung greife jedoch dann nicht, wenn der Veräußerer seine Tätigkeit nur noch für Rechnung des Erwerbers ausübe, also keinerlei Rechtsbeziehungen mehr zwischen dem Veräußerer und seinen bisherigen Mandanten bestünden und die Honoraransprüche aus den Mandaten ausschließlich dem Erwerber zustünden. Allein der Umstand, dass Umfang und Art der Beziehungen des Erwerbers zu den übertragenen Mandanten und die Nutzungsdauer eines Mandantenstamms von einer beratenden Mitarbeit des Veräußerers für die Praxis des Erwerbers beeinflusst werden könnten, rechtfertige nicht den Schluss, dass keine „Veräußerung“ i.S. des § 18 Abs. 3 EStG stattgefunden habe.
52
Ebenfalls bestätigt hat der BFH mit Urteil vom 10. Juni 1999 IV R 11/99 (BFH/NV 1999, 1594) eine klageabweisende Vorentscheidung, deren zugrunde liegender Sachverhalt durch die Besonderheit geprägt war, dass ein Rechtsanwalt, der seine Einzelkanzlei an einen Berufskollegen verkauft und mit diesem gleichzeitig vertraglich vereinbart hatte, für ein Jahr als freier Mitarbeiter in der (nunmehrigen) Kanzlei des Erwerbers tätig zu sein, diese Mitarbeit schon nach fünf Monaten beendete und seine freiberufliche Tätigkeit in seinem etwa vier Kilometer von der Kanzlei entfernten Wohnhaus kurzfristig (für neun Monate) wieder aufnahm. Dabei hat der BFH die Frage, ob bereits die Weiterbeschäftigung des Veräußerers als freier Mitarbeiter in der Kanzlei des Erwerbers begünstigungsschädlich sei, dahinstehen lassen und erkannt, dass jedenfalls die Wiederaufnahme der freiberuflichen Betätigung nach einer Frist von (nur) fünf Monaten nicht dem Erfordernis der höchstrichterlichen Rechtsprechung genüge, zufolge derer der Veräußerer seine freiberufliche Tätigkeit nach der Praxisveräußerung für eine gewisse Zeit einzustellen habe. Dieses ausdrückliche Festhalten an dem Erfordernis der zumindest zeitweiligen Tätigkeitseinstellung hat der BFH mit dem in ständiger Rechtsprechung wiederholten Hinweis verknüpft, dass die nähere Bestimmung der „gewissen Zeit“, für die die Tätigkeit nach der Praxisübertragung einzustellen ist, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls wie etwa der räumlichen Entfernung der wiederaufgenommenen Berufstätigkeit zu der veräußerten Praxis, der Vergleichbarkeit der Betätigungen sowie der Art und Struktur der Mandate abhänge (vgl. hierzu BFH-Beschlüsse vom 29. Mai 2008 VIII B 166/07, BFH/NV 2008, 1478, und vom 1. Dezember 2005 IV B 69/04, BFH/NV 2006, 298). Daraus wird deutlich, dass der BFH die Einstellung der bisherigen freiberuflichen Tätigkeit „für eine gewisse Zeit“ als unabdingbare Mindestanforderung für die Annahme einer tarifbegünstigten Praxisveräußerung versteht, die tatsächliche Dauer dieser Zeit indes nicht allgemeingültig, sondern im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des konkreten Sachverhalts, d.h. einzelfallabhängig zu bestimmen ist (BFH-Beschluss vom 29. Mai 2008 VIII B 166/07, BFH/NV 2008, 1478).
53
Teile der - auch vom BFH zitierten - Fachliteratur lassen als ausreichende Wartezeit, nach deren Ablauf von einer begünstigungsunschädlichen Praxisneueröffnung auszugehen ist, eine Zeitspanne von drei Jahren genügen (vgl. z.B. Siewert in Frotscher, EStG, Kommentar, § 18 Rz. 116, Stöcker in Lademann / Söffing / Brockhoff, EStG, Kommentar, § 18 Rz. 913, OFD Koblenz vom 15. Dezember 2006 S 2249 A – St 31 1, StEK EStG, § 18 Nr. 273, Mellinghoff in Kirchhof, EStG, Kommentar, 13. Auflage, § 34 Rz. 19: 3-5 Jahre, und Brandt in Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, § 18 Anm. 321 und 324, m.w.N.). Andere Vertreter des Schrifttums erachten einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren als ausreichende Karenzzeit und verweisen zur Begründung sowohl auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Konkurrenzverbot nach Praxisverkauf (z.B. BGH-Urteil vom 18. Dezember 1954, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1955, 337) als auch auf die steuerrechtliche Erwägung, dass der erworbene Praxiswert nach herrschender Meinung auf diesen Zeitraum abzuschreiben sei (so z.B. Busse, BB 1989, 1951, 1954, zum diesbezüglichen Meinungsstand in der Literatur vgl. auch Richter, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1998, 442, 444, und Brandt in Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, Kommentar, § 18 Anm. 324). Der BFH hat die vorgenannten Erwägungen in seiner Rechtsprechung dargelegt, ohne sich jedoch verbindlich - ablehnend oder zustimmend - hierzu zu äußern (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 10. Juni 1999 IV R 11/99, BFH/NV 1999, 1594). Vielmehr hat er sich unter Verzicht auf verallgemeinernde Ausführungen zur Dauer der Tätigkeitseinstellung darauf beschränkt, über den ihm jeweils vorliegenden Sachverhalt und die vom dortigen Veräußerer konkret eingehaltene Wartezeit dahingehend zu entscheiden, dass diese (mit fünf bzw. acht Monaten) „jedenfalls“ zu kurz bemessen sei, um von einer tarifbegünstigten Veräußerung i.S. des § 18 Abs. 3 EStG ausgehen zu können (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 10. Juni 1999 IV R 11/99, BFH/NV 1999, 1594, und BFH-Beschluss vom 29. Mai 2008 VIII B 166/07, BFH/NV 2008, 1478).
54
Auch für die räumliche Entfernung, in der sich die neue Praxis zu der bisherigen Tätigkeitsstätte befinden muss, um eine Arbeitsaufnahme außerhalb des bisherigen örtlichen Wirkungsbereichs annehmen zu können, lassen sich nach höchstrichterlicher Rechtsprechung keine allgemeingültigen Regeln aufstellen (BFH-Beschluss vom 1. Dezember 2005 IV B 69/04, BFH/NV 2006, 298, vgl. auch Brandt in Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, Kommentar, § 18 Anm. 323, m.w.N., und Stöcker in Lademann / S öffing / Brockhoff, EStG, Kommentar, § 18 Rz. 915). Vielmehr ist - wie bei der Bestimmung der „gewissen Zeit“ - auf den jeweiligen Einzelfall und dabei insbesondere auf den bisherigen tatsächlichen Wirkungskreis des Steuerpflichtigen abzustellen (OFD Düsseldorf vom 28. Februar 1989, Der Betrieb - DB - 1989, 555, und Brandt in Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, Kommentar, § 18 Anm. 323). Je renommierter und auch räumlich weitgreifender ein Rechtsanwalt oder Steuerberater, insbesondere bei hochgradiger Spezialisierung und infolgedessen großem Einzugsbereich, bis zur Veräußerung seiner Praxis tätig war, desto weiter muss die räumliche Entfernung sein, in der er seine berufliche Tätigkeit (wieder) aufnimmt, will er die Tarifermäßigung des § 18 Abs. 3 i.V.m. §§ 16 Abs. 2 bis 4, 34 EStG nicht gefährden (Streck, Anwaltsblatt 1991, 449, und Brandt in Herrmann / Heuer / Raupach, EStG, Kommentar, § 18 Anm. 323).
55
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Beklagte den - der Höhe nach - unstreitigen Gewinn, den der Kläger anlässlich der Veräußerung seiner Einzelpraxis an die STS im Streitjahr erzielt hat, zutreffend als laufenden Gewinn der Regelbesteuerung unterworfen. Der Kläger hat zwar die wesentlichen Grundlagen seiner Steuerberaterpraxis, insbesondere seinen Mandantenstamm, mit Wirkung zum 1. April 2008 auf die STS als Erwerberin übertragen. Diese Übertragung war aber - wie die weitere Entwicklung im Nachhinein gezeigt hat - nicht im Sinne der BFH-Rechtsprechung „definitiv“.
56
Der Kläger hat mit Vertrag vom 24. Januar 2008 unstreitig neben dem Praxisinventar seinen gesamten Mandantenstamm - ohne Zurückbehaltung einzelner Mandate - sowohl zivilrechtlich als auch wirtschaftlich in der Weise auf die STS übertragen, dass diese nunmehr alleinige Gläubigerin der Honoraransprüche aus diesen Mandatsverhältnissen wurde. Sowohl im Kaufvertrag als auch in der zeitgleich abgeschlossenen freiberuflichen Tätigkeitsvereinbarung war ausdrücklich geregelt, dass der Kläger die fachliche Beratung und Betreuung seiner „eingebrachten“ Mandanten wie auch etwaiger neu akquirierter Mandate im Namen und für Rechnung der STS durchführen sollte. Hierfür sollte dem Kläger lediglich ein Vergütungsanspruch gegenüber der STS zustehen. Unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen dem Kläger und den von ihm betreuten Mandanten bestanden nach den getroffenen Vereinbarungen, deren tatsächliche Durchführung zwischen den Beteiligten unstreitig ist, nicht. Der Umstand, dass der Kläger mit Übertragung seiner Einzelpraxis auf die STS - ohne zeitliche Zäsur - bei dieser als freier Mitarbeiter auf Honorarbasis steuerberatend tätig geworden ist, hindert die Anwendung der Tarifbegünstigung gemäß § 18 Abs. 3 i.V.m. §§ 16 Abs. 2 bis 4, 34 EStG nach der vorzitierten BFH-Rechtsprechung (zunächst) noch nicht. Selbst die Tatsache, dass der Kläger seine mitgebrachten Mandanten weiterhin steuerlich berät und betreut, faktisch also „alles beim alten“ bleibt, steht der Annahme einer - wie der BFH es nennt - „echten“ Übertragung der wesentlichen Praxisgrundlagen nicht entgegen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 17. Juli 2008 X R 40/07, BStBl II 2009, 43, m.w.N.). Dabei verkennt der BFH zwar nicht, dass die Mitarbeit des Veräußerers im Betrieb des Erwerbers „den Umfang und die Art der Beziehungen des Erwerbers zu dem übertragenen Patienten- bzw. Mandantenstamm beeinflussen“ kann. Diesen Gesichtspunkt hält der BFH aber nicht für begünstigungsschädlich, wenn der Erwerber „zivilrechtlich und wirtschaftlich in der Lage ist, diese Beziehungen zu verwerten“ (BFH-Urteile vom 29. Juni 1994 I R 105/93, BFH/NV 1995, 109, und vom 17. Juli 2008 X R 40/07, BStBl II 2009, 43, m.w.N.).
57
Die danach unter Berücksichtigung der BFH-Rechtsprechung zunächst als „definitiv“ anzusehende Übertragung der wesentlichen Praxisgrundlagen auf die STS erweist sich jedoch im Nachhinein als bloße Unterbrechung der bisherigen freiberuflichen Tätigkeit des Klägers und damit als nicht nach § 18 Abs. 3 i.V.m. §§ 16 Abs. 2 bis 4, 34 EStG tarifbegünstigter Vorgang. Der erkennende Senat misst dem Umstand, dass der Kläger nach 22 Monaten in derselben Stadt unter weitgehender „Mitnahme“ seiner zuvor eingebrachten Mandate und teilweiser (Wieder-) Einstellung des bereits vor der Praxisübertragung bei ihm beschäftigt gewesenen Personals als Steuerberater im Rahmen einer Einzelpraxis tätig geworden ist, insoweit steuerliche Rückwirkung bei, als dieser Umstand die im Streitjahr zunächst erfüllt gewesenen Voraussetzungen für eine tarifbegünstigte Praxisübertragung nachträglich entfallen lässt.
58
Indem der Kläger seine freiberufliche Tätigkeit als Steuerberater nach Aufkündigung seiner Mitarbeit bei der STS innerhalb des Stadtgebiets von B aufgenommen hat, übt er diese freiberufliche Tätigkeit in demselben örtlichen Wirkungsbereich aus, in dem er bereits vor der Veräußerung seiner Praxis an die STS als Steuerberater freiberuflich tätig gewesen ist. Dass der Kläger wie auch andere - vor allem hoch spezialisierte - Berufskollegen Mandanten betreut, deren Wohnsitz oder Geschäftsniederlassung sich nicht am Praxisstandort, sondern in einem Einzugsbereich von u.U. mehr als 100 Kilometern befindet, verdeutlicht lediglich die in Literatur und Rechtsprechung postulierte Notwendigkeit einer Einzelfallbetrachtung, macht das Merkmal des örtlichen Wirkungsbereichs als Teil der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände jedoch - auch im Zeitalter fortschreitender Digitalisierung - nicht generell entbehrlich. Reicht das Gebiet, aus dem die Mandanten des Klägers stammen, von - wie er ausführt - Koblenz bis Langenfeld sowie von Aachen bis Bergisch Gladbach, hätte er, um eine Regelbesteuerung seines Veräußerungsgewinns als laufender Gewinn sicher auszuschließen, einen neuen Praxisstandort wählen müssen, der außerhalb dieses - zugegebenermaßen weiten - Einzugsbereichs liegt.
59
Bei der ab Februar 2010 ausgeübten Tätigkeit des Klägers als selbständiger Steuerberater im Rahmen einer Einzelpraxis handelt es sich auch im Wesentlichen um die(‑selbe) freiberufliche Tätigkeit, die er vor der Praxisübertragung auf die STS ausgeübt hat. „Vergleichbar“ sind sowohl Gegenstand und Inhalt der „Betätigung“ des Klägers vor und nach dem maßgeblichen Übertragungsvorgang als auch „Art und Struktur“ seiner zu einem Großteil sogar identischen Mandate. Der Kläger hat zur „Vergleichbarkeit der Betätigung“ selbst eingeräumt, dass er sich als Steuerberater, der über keinerlei zusätzliche Ausbildung und/oder Zulassung z.B. zum Beruf des Rechtsanwalts verfüge, entgegenhalten lassen müsse, letztlich im Laufe seines gesamten Berufslebens eine gleichartige - wirtschaftlich und steuerlich beratende - Tätigkeit ausgeübt zu haben. Zur „Art und Struktur der Mandate“ hat er vorgetragen, dass nach Beendigung seiner Mitarbeit bei der STS fünf ehemalige Mandanten in jedem Fall weiter von ihm beratend betreut werden wollten. Sein daraus resultierendes Honorar habe ein wenig über dem Festhonorar gelegen, das mit der STS vereinbart gewesen sei. Nach (Wieder‑)Einstellung seiner früheren Mitarbeiterinnen Frau J und Frau K im Juli 2010 hätten sich „nicht alle, aber doch ein erheblicher Teil seiner früheren Mandanten“ aufgrund der sich bietenden Konstellation wieder seiner Praxis angeschlossen, was dazu geführt habe, dass er wieder ein Umsatzvolumen erreicht habe, das er durchaus mit 50 bis 60 v.H. seiner früheren Umsätze bemessen müsse.
60
Ein Vergleich der vom Kläger vor der Praxisveräußerung ausgeübten freiberuflichen Tätigkeit mit seiner beruflichen Situation nach Beendigung seiner freien Mitarbeit bei der STS offenbart indes nicht nur weitgehende Übereinstimmungen hinsichtlich der Betätigung sowie der Art und Struktur der Mandate. Hinzu tritt der bereits erwähnte Umstand, dass der Kläger auch einen Teil seines ehemaligen Personals, namentlich Frau K und Frau J, wieder als Arbeitnehmerinnen in seiner Praxis eingestellt und sich wegen der anfallenden Jahresabschlussarbeiten zudem der Unterstützung der nunmehr freiberuflich tätigen Mitarbeiter Frau L und Herrn M bedient hat. Unter Berücksichtigung aller vorab aufgezeigten Parallelen zwischen der Einzelpraxis des Klägers vor ihrer Veräußerung an die STS und der nach seinem Ausscheiden (wieder-)eröffneten Einzelpraxis stellt sich deren Betrieb nach ihrem äußeren Erscheinungsbild für einen unvoreingenommenen Betrachter zwar personell und umsatzmäßig verkleinert, aber gleichwohl als im Kern identisch dar.
61
Bei dieser Sachlage kann der Senat dahinstehen lassen, ab welcher Wartefrist er im Streitfall von einer hinreichend langen Dauer der Tätigkeitseinstellung ausginge. Jedenfalls ist eine Karenzzeit von 22 Monaten bei Würdigung aller entscheidungserheblichen Umstände des konkret zu beurteilenden Sachverhalts nicht ausreichend, um die Annahme einer nach § 18 Abs. 3 i.V.m. §§ 16 Abs. 2 bis 4, 34 EStG tarifbegünstigten Veräußerung, d.h. einer „definitiven“ Übertragung der wesentlichen Praxisgrundlagen, zu rechtfertigen.
62
Der Grund für die Notwendigkeit einer zeitlich befristeten Berufseinstellung durch den Veräußerer wurzelt in dem Gedanken der Überleitung des Mandantenvertrauens. Nach der Vorstellung des BFH ist die Überleitung dieses Vertrauensverhältnisses auf den Erwerber nur sichergestellt, wenn der Veräußerer für eine „gewisse Zeit“ nicht in Konkurrenz zu dem übertragenen Unternehmen bzw. der übertragenen Praxis oder Kanzlei tritt, indem er sein bisheriges, durch Kunden, Mandanten oder Patienten und Praxisnamen bedingtes Wirkungsfeld als maßgebliche Grundlage zukünftiger freiberuflicher Tätigkeit nutzt (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 14. März 1975 IV R 78/71, BStBl II 1975, 661, und vom 23. Januar 1997 IV R 36/95, mit Anm. Gosch, Die Steuerliche Betriebsprüfung - StBp - 1997, 134, 135, Siewert in Frotscher, EStG, Kommentar, § 18 Rz. 117, sowie Busse, BB 1989, 1951, 1952, m.w.N.). Diese Überlegung gilt in besonderem Maße für Freiberuflerpraxen, deren goodwill - anders als bei gewerblichen Unternehmen - primär auf dem durch Leistung erworbenen Vertrauen der Klienten/Mandanten beruht, also nicht unternehmensbezogen, sondern personengebunden ist (Busse, BB 1989, 1951, 1952). Die Personengebundenheit des Mandantenvertrauens birgt daher die Gefahr, dass bei einer Tätigkeitsfortsetzung des Veräußerers ohne Einhaltung einer hinreichenden Karenzzeit ein Großteil der auf den Erwerber übertragenen Mandanten/Patienten nicht bei diesem verbleiben, sondern (weiterhin) die Dienste des Veräußerers in Anspruch nehmen. Dabei gehen Rechtsprechung und Literatur grundsätzlich davon aus, dass der Vertrauenstransfer vom Veräußerer auf den Erwerber diesem die Möglichkeit eröffnet, die Beziehungen zu dem übertragenen Mandantenstamm nach und nach zu festigen und die darin liegenden Chancen nunmehr im Rahmen seiner eigenen freiberuflichen Praxis wirtschaftlich zu nutzen (vgl. hierzu ausführlich Busse, BB 1989, 1591, 1592 f, m.w.N.).
63
Ob diese grundsätzlich zustimmungswürdigen Überlegungen auch dann durchgreifen, wenn der Veräußerer als freier Mitarbeiter in der Praxis des Erwerbers weiterhin seine „mitgebrachten“ Mandate betreut, ist in tatsächlicher Hinsicht nicht frei von Bedenken. Der BFH bejaht auch in diesen Fällen eine - wie er es nennt - „echte“ bzw. „definitive“ Übertragung der wesentlichen Praxisgrundlagen mit der Begründung, der Erwerber sei zivilrechtlich und wirtschaftlich in der Lage, die ihm übertragenen Beziehungen zu verwerten, weil zwischen Praxisveräußerer und Mandanten/Patienten keine selbständigen Rechtsbeziehungen mehr bestehen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 29. Juni 1994 I R 105/93, BFH/NV 1995, 109, und vom 17. Juli 2008 X R 40/07, BStBl II 2009, 43, m.w.N.). Der Senat kann offen lassen, ob er dieser Auffassung generell und uneingeschränkt folgt. Zweifel resultieren insoweit aus der Überlegung, dass der übertragene Mandantenstamm zwar zivilrechtlich und wirtschaftlich auf den Erwerber übergeht, eine tatsächliche Überleitung aber wegen des fortbestehenden Vertrauensverhältnisses der Mandanten zum Veräußerer regelmäßig nicht stattfinden wird, wenn und solange dieser sie weiterhin persönlich, wenn auch nunmehr als freier Mitarbeiter des Erwerbers, in der bisherigen Weise und dem bisherigen Umfang betreut. Ungeachtet dieser Zweifel hält der erkennende Senat es bei derartigen Sachverhalten jedenfalls für begünstigungsschädlich, wenn der Veräußerer nach (nur) 22 Monaten seine Tätigkeit als freier Mitarbeiter in der Praxis des Erwerbers aufgibt und in derselben Stadt mit Teilen seines ehemaligen Personals eine Praxis eröffnet, in der er eine freiberufliche Tätigkeit aufnimmt, die inhaltlich seiner vor der Praxisübertragung ausgeübten Betätigung entspricht, und seine Leistungen gegenüber Mandanten erbringt, die bereits vor der Praxisübertragung rechtlich und wirtschaftlich und danach immerhin faktisch zu seinem Klientel gehörten.
64
Soweit der Kläger sein Begehren, den Veräußerungsgewinn tarifbegünstigt zu versteuern, ausgehend von den nämlichen Rechtsprechungsgrundsätzen mit dem Einwand begründet, seine Situation unterscheide sich in rechtserheblicher Weise von den Sachverhalten, die den zitierten BFH-Urteilen zugrunde liegen, vermag ihm der Senat im Ergebnis nicht zu folgen.
65
Zwar trifft es zu, dass die Zeitspanne zwischen der Einstellung seiner freiberuflichen Tätigkeit als Praxisinhaber und der Wiederaufnahme dieser Tätigkeit mit 22 Monaten deutlich über der Karenzzeit liegt, nach der die Veräußerer in den genannten Urteilsfällen wieder freiberuflich tätig geworden sind. Richtig ist ferner, dass den Gründen der herangezogenen BFH-Urteile keine Anhaltspunkte zu entnehmen sind, die darauf hindeuten, dass die dortigen Veräußerer ihre freiberufliche Betätigung planwidrig, d.h. wegen im Zeitpunkt der Praxisveräußerung nicht vorhersehbarer Entwicklungen, wieder aufgenommen hätten. Schließlich hat der Senat keine Bedenken, dem glaubhaften Vorbringen des Klägers, er habe nicht vorgehabt, erneut eine eigene Praxis zu eröffnen, in tatsächlicher Hinsicht zu folgen. Hierfür spricht nicht zuletzt die Tatsache, dass die freiberufliche Tätigkeitsvereinbarung mit der STS zwar zunächst befristet war, aber ausdrücklich besondere Vergütungsmodalitäten für den Fall einer Verlängerung vorsah. Entgegen der Ansicht des Klägers kommt diesem Umstand jedoch keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Maßgeblich für das Erfordernis der zeitweiligen Tätigkeitseinstellung ist allein die objektive Sachlage; die Gründe, die zu einer (vorzeitigen) Wiederaufnahme der freiberuflichen Tätigkeit führen, sind ebenso wenig maßgebend wie der Anlass für ihre (zeitweilige) Einstellung. Dies entspricht der Literaturauffassung zur ebenfalls tarifbegünstigten Betriebsaufgabe (vgl. z.B. Stuhrmann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Kommentar, § 18 Rdn. D 31, m.w.N.) und dient darüber hinaus der Rechtssicherheit, da sich praktisch oft schwierige Feststellungen zur Motivlage des Veräußerers erübrigen.
66
Dass der Kläger - anders als der Veräußerer im BFH-Urteil vom 10. Juni 1999 IV R 11/99 (BFH/NV 1999, 1594) - erst erheblich später, n ämlich nach fast zwei Jahren, Wartezeit wieder (s-)eine Einzelpraxis eröffnet hat, begründet unzweifelhaft einen tatsächlichen Unterschied. Diese zeitliche Differenz (von siebzehn Monaten) kann auch, in Abhängigkeit von den weiteren Umständen des jeweiligen Einzelfalls, zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung führen, da sich mit fortschreitendem Zeitablauf die Vermutung, dass der Veräußerer eine „neue“ Praxis eröffnet und nicht seine „alte“ - lediglich unterbrochene - Tätigkeit wieder aufnimmt, erhärtet. Im vorliegenden Fall rechtfertigt die mit 22 Monaten vergleichsweise lange Karenzzeit jedoch im Hinblick auf die vorab dargelegten weiteren Umstände keine abweichende Entscheidung.
67
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
68
Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Zwar ist höchstrichterlich bereits geklärt, dass die Bestimmung der „gewissen Zeit“, während derer der Veräußerer seine freiberufliche Tätigkeit nach der Praxisübertragung einstellen muss, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles abhängig ist. Die hier vorliegende Gestaltung, bei der der Veräußerer in der Praxis des Erwerbers als freier Mitarbeiter „seine“ mitgebrachten Mandanten weiter betreut, ist jedoch bei der Übertragung von Freiberuflerpraxen weit verbreitet. Findet der von der Rechtsprechung unterstellte Vertrauenstransfer auf den Erwerber wegen der persönlichen Weiterbetreuung der Mandanten durch den Veräußerer tatsächlich nicht statt und macht dieser sich danach wieder im selben örtlichen Wirkungsbereich mit eigener Praxis selbständig, stellt sich die Frage, welche Wartezeit eingehalten werden muss, um die Tarifbegünstigung des § 18 Abs. 3 i.V.m. §§ 16 Abs. 2 bis 4, 34 EStG für die bereits vollzogene Praxisveräußerung nicht (rückwirkend) zu gefährden.