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11.02.2014 · IWW-Abrufnummer 140440

Landgericht Offenburg: Beschluss vom 15.12.2003 – 3 Qs 114/03

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Tenor:

Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Haftbefehl des Amtsgerichts Offenburg vom 18. Juni 2003, 5 Gs 254/03, aufgehoben.

Die im Rahmen des Außervollzugsetzungsbeschlusses des Amtsgerichts Offenburg vom 06.10.2003, AZ: 6 Ds 10 Js 212/03, geleistete Kaution wird freigegeben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Staatskasse.
Gründe

I.

Dem Angeklagten wird mit der Anklage vom 26.09.2002 zur Last gelegt, er habe sich am 26.07.2003 vom Geschädigten ... ein Darlehen in Höhe von 30.000,- EUR auszahlen lassen, obwohl er von Anfang an nicht vorgehabt habe, diesen Betrag zurückzuzahlen. Ein zur Rückzahlung gedachter Scheck sei von der Sparkasse Hanauerland mangels Deckung im August 2002 nicht eingelöst worden. Aufgrund dieses Tatverdachts war bereits am 18.06.2003 der angegriffene Haftbefehl gegen den Angeklagten erwirkt worden. Dieser stützt sich auf den Haftgrund der Flucht und für den Fall, dass der Angeklagte festgenommen würde, auf denjenigen der Fluchtgefahr, § 112 und 2 Nr. 1 und 2 StPO. Der Angeklagte sei flüchtig bzw. halte sich verborgen. Er habe im Inland keinen Lebensmittelpunkt oder soziale Bindungen. Er müsse mit einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung rechnen.

Am 05.09.2003 wurde der Angeklagte aufgrund des angegriffenen Haftbefehls festgenommen.

Im Haftprüfungstermin vom 06.10.2003 wurde der Haftbefehl gegen die Auflagen außer Vollzug gesetzt, Wohnsitz bei einem Bekannten in Ettlingen zu nehmen, sich dort zwei Mal wöchentlich bei der örtlichen Polizeidienststelle zu melden, sämtliche Ausweispapiere zu den Akten zu geben und eine Kaution in Höhe von 5.000,-EUR zu zahlen.

Nachdem der Reisepass des Angeklagten zu den Akten gelangt war und die Kaution gezahlt war, wurde der Angeklagte am 07.10.2003 aus der JVA Offenburg entlassen.

Gegen den Außervollzugssetzungsbeschluss des Amtsgericht Offenburg vom 06.10.2003, AZ: 6 Ds 10 Js 212/03, legte der Angeklagte unter dem 03.11.2003 Beschwerde ein. Das Beschwerdevorbringen richtet sich allerdings, wie bereits im Haftprüfungsantrag vom 22.09.2003, gegen den Bestand des Haftbefehls selbst. Bei interessengerechter Auslegung ist diese daher als Beschwerde gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Offenburg vom 18. Juni 2003, 5 Gs 254/03, auszulegen, was vom Verteidiger auf telefonische Nachfrage auch bestätigt wurde. Auch die Staatsanwaltschaft und das Amtsgericht Offenburg gingen von dieser Auslegung aus. Das Amtsgericht Offenburg hat der Beschwerde mit Beschluss vom 18.11.2003 nicht abgeholfen. Die Staatsanwaltschaft hat die Zurückweisung der Beschwerde aus den Gründen des Haftbefehls und des Nichtabhilfebeschlusses beantragt.

Mit der Beschwerde wird vorgetragen, der Angeklagte sei nicht flüchtig gewesen, sondern habe an seinem regulären Familienwohnsitz im benachbarten europäischen Ausland, 28 rue de l'Etang, F... gewohnt. Er habe von vorliegenden Strafverfahren bis zu seiner Inhaftierung keine Kenntnis gehabt. Dass er seinen Wohnsitz im europäischen Ausland habe, könne ihm nicht zum Nachteil gereichen.

II.Die zulässige Beschwerde ist begründet. Es besteht zum derzeitigen Zeitpunkt weder der Haftgrund der Flucht noch der der Fluchtgefahr, § 112 und 2 Nr. 1 und 2 StPO.

1.

Der Haftgrund der Flucht besteht nur, wenn der Verdächtigte flüchtig ist oder sich verborgen hält. Dies ist jedenfalls jetzt nicht mehr der Fall.

Allerdings hat der Angeklagte sich an seiner Adresse in Frankreich nicht angemeldet. So ergab der Ermittlungsbericht des Gemeinsamen Zentrums für Polizei- und Zollzusammenarbeit vom 25.02.2003, dass der Beschuldigte in allen französischen Dateien unbekannt ist. Weiter befindet sich in der Akte als Fotokopie ein Fernschreiben des BKA Wiesbaden vom 04.12.2002, wonach durch die Polizei in La ... mitgeteilt wurde, dass dort ein ... und ein ... wohnen, es aber nicht möglich war festzustellen, ob dort auch der Angeklagte wohnhaft ist. Warum diese Feststellung nicht möglich war und ob der Angeklagte tatsächlich dort erreichbar ist, ergibt sich aus diesem Fernschreiben allerdings nicht.

Die Adresse 28 rue de l'Etang, F -... war aber bereits vom Rechtsanwalt des Geschädigten in seiner Strafanzeige vom 12.12.2002 genannt worden. Die Zivilklage des Geschädigten wegen des verfahrengegenständlichen Anspruchs konnte dem Angeklagten an der genannten Adresse zugestellt werden. Dies versetzte das LG Offenburg in die Lage, am 13.02.2003 ein entsprechendes Versäumnisurteil gegen den Angeklagten zu erlassen, wie der Rechtsanwalt des Geschädigten am 25.02.2003 unter Vorlage einer Ausfertigung mitteilte. Auch das Polizeirevier Kehl geht in seinem Schlussbericht davon aus, dass der Angeklagte unter der genannten Adresse wohnhaft sei; eine Einbestellung (zur Beschuldigtenvernehmung) könne aber gemäß der derzeit geltenden Bestimmungen nicht vorgenommen werden. Zudem legte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 23.09.2003 das Fax einer (soweit lesbar nicht datierten) "declaration d'arrivee" vor, die vom Vermieter unterschrieben bei der Gemeinde ... vorgelegt wurde und bescheinigt, dass der Angeklagte im September 1996 zusammen mit seiner Ehefrau in die genannte Adresse in La ... eingezogen ist.

Angesichts dessen besteht jedenfalls inzwischen keine hohe Wahrscheinlichkeit mehr dafür, dass der Angeklagte sich in Frankreich verborgen hält. Dass er überhaupt in Frankreich lebt, ist angesichts der Niederlassungsfreiheit innerhalb Europas und der sowohl zivilrechtlich als auch seit In-Kraft-Treten des Schengener Durchführungsübereinkommens strafrechtlich erleichterten Rechtsverfolgung im europäischen Ausland als solches nicht als Verborgenhalten zu werten.

2.

Auch von Fluchtgefahr kann jedenfalls inzwischen nicht mehr mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden.

Allerdings ist der Angeklagte einschlägig vorbestraft und soll der Geschädigte ... von ihm um eine erhebliche Summe betrogen worden sein. Hieraus ergibt sich eine deutliche Straferwartung. Ob diese allerdings über zwei Jahren liegen wird, ist angesichts der Umstände des Falles, soweit sie bisher aus den Akten hervorgehen, eher fraglich, wie sich auch aus der Anklageerhebung zum Strafrichter ergibt (§ 25 Ziff. 2 GVG).

Eine Bewährungsaussetzung dieser Strafe ist gem. § 56 StGB grundsätzlich möglich.

Sie erscheint auch nicht ausgeschlossen, zumal die Vollstreckung der Untersuchungshaft für die Dauer von einem Monat dem Angeklagten die Risiken seines Wirtschaftsgebarens deutlich vor Augen geführt haben dürfte.

Wenn die Strafe aber bewährungsfähig ist, ergibt sich vorliegend keine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Angeklagte sich dem Verfahren entziehen wird. Zwar lebt er in Frankreich, sodass eine unproblematische Vorführung für den Fall des Ausbleibens nicht möglich ist. Seit In-Kraft-Treten des Schengener Durchführungsübereinkommens sind die Erwirkung und Vollstreckung eines internationalen Haftbefehls sowie die Auslieferung an Deutschland aber in einem Fall wie dem Vorliegenden ohne größere Probleme möglich (vgl. BGBI. 1993 Teil II, Band 1, S. 1013 ff., Art. 59 ff. i.V.m. dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen von 13. September 1957), da der angeklagte Sachverhalt auch in Frankreich als Betrug (escroquerie) zu bestrafen wäre. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte, der augenscheinlich zumindest wirtschaftliche Beziehungen nach Deutschland hat, das Risiko eines internationalen oder nationalen Haftbefehls, sei es nach § 112 StPO oder nach § 230 Abs. 2 StPO, eingehen würde, zumal er hierdurch die Aussichten auf die Bewilligung von Bewährung weiter reduzieren würde. Dies gilt jedenfalls nach seiner vorübergehenden Inhaftierung im vorliegenden Verfahren. Zuvor ist er ausweislich der Strafakten nicht über das vorliegende Ermittlungsverfahren informiert worden. Wie er auf eine solche Information reagiert hätte, kann beim jetzigen Sachstand dahinstehen.

Allerdings sind auch noch andere Strafverfahren anhängig. Hier haben sich aber die jeweils örtlich zuständigen Strafverfolgungsbehörden nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen können. Diverse Verfahren scheinen nach § 205 StPO eingestellt worden zu sein, obwohl aus dem Verfahren der Staatsanwaltschaft Offenburg die französische Adresse des Herrn ... bekannt ist und daher einer Fortführung nichts entgegenstünde. Unter diesen Umständen kann sich auch aus diesen Verfahren, deren Inhalt hier nicht bekannt ist, keine hohe Wahrscheinlichkeit dafür ergeben, dass der Angeklagte sich dem Verfahren vordem Strafgericht Offenburg entziehen wird.

Mangels Haftgründen war der Haftbefehl daher aufzuheben und der Beschwerde mit der Kostenfolge des § 473 StPO stattzugeben.

Vorschriften§ 112 Abs. 2 Nr. 1, 2 StPO § 112 Abs. 1 StPO

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