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16.03.2012

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 12.01.2012 – 10 Sa 533/11


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 18. August 2011, Az.: 9 Ca 954/09, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Beendigungskündigung der Beklagten vom 27.04.2009 zum 30.11.2009.

Der mit einem GdB von 50 schwerbehinderte, verheiratete Kläger ist am 27.05.1955 geboren. Er ist seit dem 01.09.1977 bei der Beklagten als Heizungsinstallateur zu einem Bruttomonatsentgelt von ca. € 3.600,00 beschäftigt. Die Beklagte betreibt ein Fertighausunternehmen. Sie beschäftigt ca. 120 Arbeitnehmer, es besteht ein Betriebsrat.

Im September 2008 bot die Beklagte dem Kläger einen freien Arbeitsplatz in einer ihrer Richtkolonnen an. Diese Kolonnen bestehen in der Regel aus vier Arbeitnehmern, die die Fertighäuser auf der Baustelle montieren. Der Kläger schlug das Angebot aus.

Am 20.10.2008 trafen die Gesellschafter der Beklagten die unternehmerische Entscheidung, die Installationsabteilung, in der der Kläger bisher beschäftigt war, aus Kostengründen zu schließen und die Aufträge zum Einbau der Heizungsanlagen in ihre Fertighäuser künftig an Subunternehmer zu vergeben. Die Beklagte setzte diese Entscheidung auch um.

Mit Schreiben vom 21.11.2008 hörte sie den Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung des Klägers und weiterer zwei Arbeitnehmer an. Mit Antrag vom 02.12.2008 begehrte sie die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung des Klägers. Nachdem das Integrationsamt der Kündigung mit Bescheid vom 22.04.2009 zugestimmt hatte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27.04.2009, zugestellt am 28.04.2009, ordentlich zum 30.11.2009. Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 05.05.2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage.

Seit Mitte September 2009 beschäftigt die Beklagte den Kläger im Rahmen eines Prozessarbeitsverhältnisses in einer Richtkolonne.

Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den Zustimmungsbescheid des Integrationsamtes hatten keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht Koblenz hat mit Urteil vom 13.10.2010 (Az. 5 K 163/10.KO) die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat mit Beschluss vom 11.02.2011 (Az. 7 A 11286/10.OVG) den Antrag des Klägers, die Berufung zuzulassen, abgelehnt.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 18.08.2011 (dort Seite 2-10 = Bl. 173-181 d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers bei der Beklagten durch die Kündigung vom 27.04.2009 zum 30.11.2009 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat der Klage mit Urteil vom 18.08.2011 stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrates nach § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam. Die Beklagte habe dem Kläger noch im September 2008, kurz vor ihrem Beschluss zur Schließung der Installationsabteilung, einen Arbeitsplatz in einer Richtkolonne angeboten, den der Kläger abgelehnt habe. Die Beklagte hätte den Betriebsrat darüber informieren müssen, dass der im September 2008 noch vorhandene Arbeitsplatz nunmehr, ggf. aus welchen Gründen, nicht mehr zur Verfügung stehe. Hinzu komme, dass der Betriebsrat im Anhörungsverfahren eine aus seiner Sicht bestehende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in der Richtkolonne, der Hofkolonne und in der Vorinstallation angesprochen habe. Die Beklagte hätte dem Betriebsrat darlegen müssen, weshalb eine Weiterbeschäftigung des Klägers auf den genannten Arbeitsplätzen nicht in Betracht komme, zumal ein Arbeitsplatz in der Richtkolonne noch kurz vor ihrer unternehmerischen Entscheidung frei gewesen sei. Selbst wenn der Kläger damals eine Weiterbeschäftigung in der Richtkolonne abgelehnt habe, hätte der Ausspruch einer Änderungskündigung und eine entsprechende Unterrichtung des Betriebsrates nahegelegen, weil erfahrungsgemäß die Bereitschaft zur Eingehung von - auch geringer dotierten - Beschäftigungsalternativen mit der Erkennbarkeit des Verlustes des Arbeitsplatzes steige. Im Übrigen werde der Kläger unstreitig seit Mitte September 2009, also bereits während der laufenden Kündigungsfrist bis 30.11.2009, aber auch darüber hinaus, nunmehr annähernd zwei Jahre in der Richtkolonne beschäftigt. Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 10 bis 16 des erstinstanzlichen Urteils vom 18.08.2011 (Bl. 181-187 d.A.) Bezug genommen.

Das genannte Urteil ist der Beklagten am 14.09.2011 zugestellt worden. Sie hat mit am 15.09.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 11.11.2011 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Sie ist der Ansicht, sie habe den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört. Es treffe zu, dass sie dem Kläger im September 2008 einen Arbeitsplatz in einer der vorhandenen Richtkolonnen angeboten habe. Der Kläger habe das Angebot definitiv und mit Nachdruck ausgeschlagen. Dies sei im Übrigen zuletzt am 18.11.2008 geschehen. Sie sei nicht verpflichtet gewesen, den Betriebsrat über das ausgeschlagene Angebot zu informieren. Sie habe dem Betriebsrat im Anhörungsschreiben vom 21.11.2008 mitgeteilt, dass sie nicht in der Lage sei, dem Kläger einen anderen Arbeitsplatz oder eine andere durchgängige Beschäftigung anzubieten. Der Betriebsrat habe vor Einleitung des Anhörungsverfahrens keine Auskunft über Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten für den Kläger auf einem konkreten kürzlich frei gewordenen Arbeitsplatz verlangt, so dass sie nicht gehalten gewesen sei, irgendwelche dahingehende Mitteilungen zu machen. Dies gelte umso mehr, als der Kläger selbst vor Anhörung des Betriebsrates bekundet habe, dass er nicht auf einem anderen Arbeitsplatz beschäftigt werden wolle. Es treffe zu, dass sie den Kläger seit Mitte September 2009 in einer Richtkolonne im Rahmen eines Prozessarbeitsverhältnisses beschäftige. Dies habe ihr der Vorsitzende im Gütetermin am 09.06.2009 empfohlen. Der Kläger versehe in der Richtkolonne nur Handlanger- und Helferdienste, die üblicherweise von den Facharbeitern miterledigt würden. Allein die Beschäftigung in einem Prozessarbeitsverhältnis zur Vermeidung evtl. Verzugslohnansprüche könne ihr nicht zum Nachteil gereichen. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Inhalt des Schriftsatzes der Beklagten vom 11.11.2011 (Bl. 221-233 d.A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 18.08.2011, Az. 9 Ca 945/09, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung vom 16.12.2011 (Bl. 246-253 d.A.), auf die Bezug genommen wird, als zutreffend. Die Beklagte könne ihn trotz Fremdvergabe der Installationsarbeiten in ihrem Betrieb weiterbeschäftigen. Es bestehe eine seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechende anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit, was nicht zuletzt durch die Tatsache dokumentiert werde, dass er seit fast drei Jahren in der Richtkolonne arbeite.

Ergänzend wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die zu den Sitzungsniederschriften getroffenen Feststellungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und in ausreichender Weise begründet worden. Sie ist somit zulässig.

II. In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.04.2009 zum 30.11.2009 aufgelöst worden ist.

Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Da eine anderweitige Beschäftigung des Klägers zu veränderten Arbeitsbedingungen in einer Richtkolonne möglich war, musste die Beklagte anstatt der Beendigungskündigung eine entsprechende Änderungskündigung aussprechen. Für eine Beendigungskündigung lag deshalb kein dringendes betriebliches Erfordernis i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG vor.

Ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung liegt nur vor, wenn es dem Arbeitgeber nicht möglich ist, der bei Ausspruch der Kündigung bestehenden betrieblichen Lage durch andere Maßnahmen technischer, organisatorischer oder wirtschaftlicher Art als durch eine Beendigungskündigung zu entsprechen. Das Merkmal der "Dringlichkeit" der betrieblichen Erfordernisse konkretisiert den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (ultima-ratio-Prinzip), aus dem sich ergibt, dass der Arbeitgeber vor jeder ordentlichen Beendigungskündigung von sich aus dem Arbeitnehmer eine beiden Parteien objektiv mögliche und zumutbare Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz auch zu geänderten Bedingungen anbieten muss.

Die Beklagte ist ihrer entsprechenden Initiativlast insoweit nachgekommen, als sie dem Kläger vor Ausspruch der Kündigung eine Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz in einer der vorhandenen Richtkolonnen angeboten hat. Der Umstand, dass der Kläger das Angebot vor Ausspruch der Kündigung unstreitig abgelehnt hat, entband die Beklagte jedoch nicht von ihrer Verpflichtung, dem Kläger die geänderten Arbeitsbedingungen in Form einer Änderungskündigung anzubieten, anstatt sofort eine Beendigungskündigung auszusprechen (vgl. BAG Urteile vom 21.04.2005 - 2 AZR 132/04 und 2 AZR 244/04 - AP Nr. 79 und Nr. 80 zu § 2 KSchG 1969 sowie Urteil vom 21.09.2006 - 2 AZR 607/05 - AP Nr. 130 zu § 2 KSchG 1969; jeweils m.w.N.).

Es ist dem Arbeitnehmer nur dann verwehrt, den Arbeitgeber bei einer ausgesprochenen Beendigungskündigung auf eine mögliche Änderungskündigung mit dem abgelehnten Inhalt zu verweisen, wenn er das Änderungsangebot zuvor vorbehaltlos und endgültig abgelehnt hat. Allein die Ablehnung eines der Kündigung vorangegangenen Angebots auf einvernehmliche Abänderung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer enthebt den Arbeitgeber hingegen grundsätzlich nicht von der Verpflichtung, das Änderungsangebot mit einer nachfolgenden Beendigungskündigung erneut zu verbinden. Denn die Ablehnung der einverständlichen Abänderung schließt nicht aus, dass der Arbeitnehmer bereit ist, zu den geänderten Bedingungen weiterzuarbeiten, wenn sich in einem Änderungsschutzverfahren die Berechtigung der Änderung herausstellt. Deshalb ist der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, trotz der Ablehnung einer freiwilligen Änderung eine Änderungskündigung auszusprechen. Nur für den Fall, dass der Arbeitnehmer bei der Ablehnung des Änderungsangebots unmissverständlich zu erkennen gibt, dass er unter gar keinen Umständen - auch nicht unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung - bereit ist, zu den geänderten Arbeitsbedingungen zu arbeiten, kann der Arbeitgeber eine Beendigungskündigung aussprechen. Der Arbeitgeber trägt im Kündigungsschutzverfahren die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Arbeitnehmer definitiv und endgültig das Änderungsangebot abgelehnt hat, d.h., dass dieser weder einvernehmlich noch unter dem Vorbehalt der Prüfung der sozialen Rechtfertigung i.S.d. § 2 KSchG bereit war, zu den geänderten Bedingungen zu arbeiten (BAG 21.04.2005 - 2 AZR 132/04 - aaO.; m.w.N).

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte eine Ablehnung mit der Klarheit, wie sie von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gefordert wird, nicht vorgetragen. Sie hat bereits nicht dargelegt, welche konkreten neuen Arbeitsbedingungen sie dem Kläger vor Ausspruch der Kündigung überhaupt angeboten hat. Die Tätigkeit in der Richtkolonne sollte wohl auch mit einer Reduzierung des Stundenlohnes verbunden sein. Die Beklagte hat auch nicht vorgetragen, dass sie gegenüber dem Kläger eindeutig und unmissverständlich klargestellt hat, dass sie im Falle der Ablehnung ihres Änderungsangebots eine Kündigung beabsichtigt. Aus dem Vortrag der Beklagten geht schließlich nicht hervor, dass der Kläger auch für den Fall des Ausspruchs einer Änderungskündigung nicht bereit gewesen sei, zu geänderten Bedingungen in der Richtkolonne zu arbeiten. Der Vortrag der Beklagten zielt lediglich darauf ab, der Kläger habe die einvernehmliche Lösung endgültig abgelehnt, nicht aber, der Kläger wäre auch nicht unter Vorbehalt der gerichtlichen Prüfung der sozialen Rechtfertigung der geänderten Arbeitsbedingungen zur Arbeit in der Richtkolonne bereit gewesen.

Damit erweist sich allein aus diesem Grunde, unabhängig von der Frage, ob der Betriebsrat nach § 102 Abs. 1 BetrVG ordnungsgemäß über Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten informiert worden ist, die ausgesprochene Beendigungskündigung als sozial ungerechtfertigt.

III. Die Berufung der Beklagten ist mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

VorschriftenKSchG 1 Abs. 2, KSchG § 2

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