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07.02.2012

Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 07.11.2011 – 8 Sa 733/11

Anforderungen an die Darlegung des prognostizierten Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit bei nicht zeitgerechter Umsetzung der geplanten Organisationsänderung.


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 12.11.2010 - 3 Ca 520/10 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Mit seiner Klage wendet sich der im Jahre 1955 geborene Kläger, welcher seit dem 01.07.1983 als Sachbearbeiter im Vertriebsinnendienst der Beklagten unter Eingruppierung in Entgeltgruppe 9 ERA gegen ein monatliches Entgelt von ca. 3300 € brutto beschäftigt ist, gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses durch ordentliche betriebsbedingte Kündigung vom 05.03.2010 mit Wirkung zum 31.10.2010. Das mit der Kündigung verbundene Angebot zur Änderung des Arbeitsvertrages hat der Kläger nicht angenommen. Hilfsweise begehrt er die Verurteilung der Beklagten zu Wiedereinstellung und macht ferner für den Unterliegensfall einen Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs gem. § 113 BetrVG geltend.

Die angegriffene Kündigung stützt die Beklagte, welche sich u. a. mit der Fertigung von Achsen und Fahrwerkssystemen für Anhänger befasst und ca. 200 Arbeitnehmer beschäftigt, auf den Vortrag, abweichend von der früheren, nach Sparten gegliederten Organisation des Vertriebsinnendienstes, bei welcher jedem Außendienstmitarbeiter ein fester Mitarbeiter des Innendienstes mit entsprechend eingegrenztem Kundenkreis zugeordnet gewesen sei, werde der Vertrieb künftig von einem für sämtliche Bereiche und Kunden zuständigen "Back-Office" erledigt, welchem sämtliche Mitarbeiter des Vertriebsinnendienstes zugeordnet seien. Anders als zuvor sei damit auch der Kläger für englischsprachige Kunden zuständig. Wie der im Betrieb durchgeführte Sprachtest ergeben habe, seien die beim Kläger vorhandenen Englischkenntnisse zur Aufgabenerledigung nicht ausreichend und seien auch während der siebenmonatigen Kündigungsfrist nicht zu erlangen, vielmehr sei hierzu ein zeitlicher Aufwand von zwei Jahren erforderlich. Demgegenüber hat der Kläger die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats sowie die sachliche Berechtigung der Kündigung u. a. mit der Begründung bestritten, er verfüge über ausreichende Englischkenntnisse, jedenfalls seien diese binnen eines Monats zu erlernen. Der durchgeführte Sprachtest sei insoweit nicht aussagekräftig.

Durch Urteil vom 12.11.2010 (Bl. 145 ff. der Akten), auf welches wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens sowie der Fassung der Klageanträge Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgerichts im wesentlichen antragsgemäß festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die angegriffene Kündigung nicht beendet worden ist. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, die Kündigung sei nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse gerechtfertigt. Zwar sei nachvollziehbar, dass die Beklagte für die Tätigkeit im Back-Office englische Sprachkenntnisse voraussetze. Demgegenüber fehle es an einem ausreichenden Vortrag, dass die Tätigkeit im Back-Office "verhandlungssicheres" Englisch erfordere, zumal der Kläger nachvollziehbar und plausibel dargestellt habe, dass er in der Vergangenheit im Zuge der wechselseitigen Vertretung auch mit englischsprachigen Kunden schriftlich und mündlich kommuniziert habe. Der abweichende Vortrag der Beklagten sei in keiner Weise plausibel. Im Übrigen sei, soweit tatsächlich Defizite in der Beherrschung der englischen Sprache vorlägen, nicht nachvollziehbar, inwiefern der Kläger innerhalb der Kündigungsfrist nicht in der Lage sein solle, seine Englischkenntnisse entsprechend zu verbessern.

Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung hält die Beklagte unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens an ihrem Standpunkt fest, die geänderten Aufgabenstellung der Vertriebsmitarbeiter im Back-Office erfordere ein verhandlungssicheres Englisch, da nicht allein routinemäßige Vorgänge abzuwickeln, sondern u. a. Reklamationen zu bearbeiten seien. Schon die Tatsache, dass der Kläger allein auf den schulischen Erwerb von Sprachkenntnissen vor 35 Jahren verweisen könne und beim durchgeführten Sprachtest zu einer Kommunikation in englischer Sprache nicht in der Lage gewesen sei, belege, dass er den geänderten Arbeitsplatzanforderungen nicht gerecht werden könne. Von den umsatzstärksten 30 Kunden sei jedenfalls bei 12 Kunden ein Kontakt ausschließlich in englischer Sprache zu führen. Im Übrigen sei unabhängig von der konkreten Zahl englischsprachiger Kunden wegen der geänderten Arbeitsorganisation von jedem Mitarbeiter eine entsprechende Sprachkompetenz zu erwarten, welche dem Kläger indessen fehle und welche er auch nicht innerhalb zumutbarer Zeiten erwerben könne.

Soweit der Kläger nunmehr auch den tatsächlichen Vollzug der Organisationsänderung vor dem 31.12.2010 bestreite, treffe auch dieser Einwand nicht zu. Vielmehr sei noch vor Ablauf der Kündigungsfrist - dem 31.10.2010 - nach Freistellung des Klägers ab 01.09.2010 etwa im Zeitraum September/Oktober 2010 die bisherige Rufnummer des Klägers mit der Endziffer 142 umgestellt und als zentrale Rufnummer für den Vertriebsinnendienst eingerichtet worden. Ab diesem Zeitpunkt seien dementsprechend sämtliche Mitarbeiter des Back-Office auch für englischsprachige Kunden zuständig und unter der genannten zentralen Rufnummer erreichbar gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das am 12.11.2010 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn - 3 Ca 520/10 -, soweit der Klage stattgegeben wurde, aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens als zutreffend und hält insbesondere an seinem Vortrag zum Umfang englischsprachiger Kommunikation sowie zur Frage ausreichender englischer Sprachkenntnisse fest. Weiter behauptet der Kläger, jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bzw. zum Jahresende sei Umstellung der Telefonanlage auf eine zentrale Rufnummer für den Vertriebsinnendienst nicht eingerichtet worden, nach wie vor habe sich die Kundschaft an die bislang zuständigen Sachbearbeiter gewandt. Ein dringendes betriebliches Erfordernis, welches die Möglichkeit der Beschäftigung spätestens zum Ablauf der Kündigungsfrist entfallen lasse, lass sich nach alledem nicht begründen.

Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben gemäß dem Beweisbeschluss vom 08.09.2011 (Bl. 286 der Akte) über die Behauptung der Beklagten, der Vertriebsinnendienst sei seit dem Zeitraum September/Oktober 2010 unter einheitlichen Telefonnummer (Endziffer 142) zu erreichen sowie über die Behauptung des Klägers jedenfalls bis zum 31.10.2010 sei noch keine Umstellung auf eine einheitliche Telefonnummer erfolgt, durch Vernehmung der Zeugen K1, C1, B2, S1 und R1. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf die Sitzungsniederschrift vom 07.11.2011, Bl. 317 ff. der Akten, Bezug genommen.

Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

I. In Übereinstimmung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil ist das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die angegriffene Kündigung nicht beendet worden.

Zutreffend hat das Arbeitsgericht die angegriffene Kündigung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur sog. "freien Unternehmerentscheidung" auf ihre soziale Rechtfertigung hin überprüft und die Zulässigkeit der vorgetragenen Organisationsentscheidung - Einrichtung eines "Back-Office" mit entsprechender Anpassung des Anforderungsprofils im Sinne der Beherrschung der englischen Sprache - herausgestellt. Soweit das Arbeitsgericht den erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten zu den ihrer Ansicht nach unzureichenden und auch nicht zeitnah zu erwerbenden Sprachkenntnisse als unsubstantiiert angesehen hat, hat die Beklagte ihren Vortrag im zweiten Rechtszuge entsprechend ergänzt. Einer weiteren Aufklärung in dieser Hinsicht bedarf es indessen nicht. Es kann nämlich nicht festgestellt werden, dass bereits im Zeitpunkt der Kündigung ausreichende Grundlagen für die Prognose bestanden haben, die vorgesehene Umstellung der Arbeitsorganisation mit der hierdurch bedingten Änderung des Anforderungsprofils werde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit spätestens zum Ablauf der Kündigungsfrist vollzogen sein, womit die bisherige Beschäftigungsmöglichkeit entfalle.

Zwar hat die Beklagte ihre diesbezügliche Planung dargelegt und auch den Betriebsrat hierüber schriftlich informiert. Der Kläger hat indessen - wie im folgenden auszuführen ist - eine ausreichend sicherere Prognose im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs bestritten und als Indiz für das Gegenteil darauf verwiesen, noch bei Ablauf der Kündigungsfrist sei die für die Organisationsänderung wichtige zentrale Rufnummer noch nicht eingeführt gewesen. Die Beweislast für die soziale Rechtfertigung der Kündigung trifft den Arbeitgeber, wobei es als beweiskräftiges Indiz für die Berechtigung der Prognose anzusehen ist, wenn die Änderung der Arbeitsorganisation tatsächlich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist realisiert worden ist. Letzteres hat sich in der vom Landesarbeitsgericht durchgeführten Beweisaufnahme nicht bestätigt. Da der Beklagtenvortrag ansonsten keine Umstände erkennen lässt, welche die Schlussfolgerung rechtfertigen, im Zeitpunkt der Kündigung sei mit ausreichend hoher Wahrscheinlichkeit mit einem Abschluss der Maßnahme und einem Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zu rechnen gewesen, zu zeitlichen Verzögerungen sei es allein aufgrund nicht vorhersehbarer Umstände gekommen, lässt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit die Überzeugung gewinnen, schon im Kündigungszeitpunkt sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen gewesen, spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist werde die Beschäftigungsmöglichkeit entfallen sein.

1. Maßgeblich für die Rechtswirksamkeit der Kündigung sind die Verhältnisse im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs.

a) Da der Arbeitgeber mit dem Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung wegen Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit nicht den Eintritt dieses Umstandes abwarten muss, sondern die Kündigung auf eine diesbezügliche Prognose stützen kann (allg. Ansicht, vgl. KR-Griebeling, 9. Aufl., § 1 KSchG Rn 527 m.w.N.), kommt es bei einer vom Arbeitgeber beschlossenen Änderung der Arbeitsorganisation darauf an, ob die entsprechende Maßnahme im Zeitpunkt der Kündigung bereits greifbare Formen angenommen hat, so dass spätestens bei Ablauf der Kündigungsfrist infolge der vollzogenen Organisationsänderung der Bedarf für die Beschäftigung des Arbeitnehmers entfallen sein wird. Welche Umstände als Grundlage einer ausreichend sicheren Prognose in Betracht kommen, lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern kann nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (BAG 23.11.2004, 2 AZR 24/04, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 132 = NZA 2004, 375; LAG Hamm, 06.08.2007, 8 Sa 2311/04, NZA-RR 2008,180; Berkowsky, Die betriebsbedingte Kündigung, 6. Aufl., Rn 82 ff.). Ist der Vollzug der im Kündigungszeitpunkt getroffenen Organisationsentscheidung tatsächlich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist erfolgt, so liegt hierin regelmäßig ein überzeugungskräftiges Indiz für die Richtigkeit der Prognose (BAG, 27.11.2003, 2 AZR 48/03, AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 64 = NZA 2004, 477). Ist hingegen die Maßnahme bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht vollzogen, bedarf es der Prüfung im Einzelfall, inwiefern dies die behauptete Prognose infrage stellt oder gleichwohl die beschlossene Umsetzung der Maßnahme im Kündigungszeitpunkt bereits greifbare Formen angenommen hatte und allein aufgrund von nicht vorhersehbaren Umständen verzögert worden ist.

b) Gegenstand der Organisationsänderung, welche vorliegend zur Änderung der Arbeitsplatzanforderungen führt, ist die Einrichtung des Back-Office für den Vertriebsinnendienst in der Weise, dass künftig jeder hier tätige Mitarbeiter für jeden - auch englischsprachigen - Kunden ansprechbar und zur fachlichen Bearbeitung der Anfrage in der Lage sein soll. Dies erfordert neben der fachlichen Qualifizierung die Ansprechbarkeit der Mitarbeiter über eine zentrale Rufnummer, über welche der Anrufer mit dem nächsten freien Mitarbeiter verbunden wird. Erst ab diesem Zeitpunktkommt die umfassende Zuständigkeit der Mitarbeiter des Back-Office in beabsichtigtem Maße zur Geltung. Auch wenn - wie die Beklagte dem Betriebsrat mitgeteilt hat - auch schon vor Einführung der zentralen Rufnummer eine Umstellung der Telefonanlage in der Weise geplant war, dass externe Anrufe in das Back-Office weitergestellt werden, wenn der Apparat des gewünschten Sachbearbeiters besetzt ist, blieb es bis zur Einführung der zentralen Rufnummer doch dabei, dass der Sachbearbeiter vom Kunden gezielt unter seiner Durchwahlnummer angesprochen wird, eine Weiterschaltung des Anrufs nur im Fall der Nichterreichbarkeit erfolgt und für diesen Fall die Annahme des Telefonats sich aus Sicht des Anrufers nur als vertretungsweiser Einsatz darstellt. Die dem Betriebsrat mitgeteilte zeitliche Planung sah vor, dass das Back-Office spätestens zum 01.07.2010 eingerichtet werden sollte. Die Einführung der zentralen Rufnummer nebst Wegfall der bisherigen Durchwahlnummern war sodann nach ca. zwei Monaten vorgesehen. Ab diesem Zeitpunkt - also noch vor dem 31.10.2010 - sollte damit die Organisationänderung mit den geänderten Anforderungen an die fremdsprachlichen Kenntnisse der Mitarbeiter umgesetzt sein.

Die Umsetzung des geänderten Organisationskonzepts sollte danach in einzelnen Schritten erfolgen, wobei der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs mit vollständigem Vollzug der Maßnahme eintrat. Für die auf den Kündigungszeitunkt bezogene Prognose hinsichtlich des Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit und Beurteilung, inwiefern zu diesem Zeitpunkt die Rationalisierungsmaßnahme bereits greifbare Formen angenommen hatte, kann es damit nicht darauf ankommen, dass mit ersten Schritten zur Umsetzung - etwa der Durchführung eines Sprachtests zur Feststellung ausreichender Englischkenntnisse oder der Festlegung eines Zeitplans zur sachgebietsübergreifenden Schulung der Mitarbeiter - begonnen war. Vielmehr betrifft die Prognose und die Frage greifbarer Formen die zeitgerechte Abwicklung der Maßnahme insgesamt, wobei der Einführung der zentralen Rufnummer nebst ihrer Mitteilung an die Kundschaft entscheidende Bedeutung zukommt, weil erst hierdurch die Organisationsänderung mit dem geänderte Anforderungsprofil den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger bewirkten.

(1) Die Überprüfung der Sprachkenntnisse ist unstreitig bereits vor Ausspruch der Kündigung erfolgt. Allein hiermit hat die Organisationsänderung aber noch keine greifbaren Formen angenommen, welche den Wegfall der Beschäftigung spätestens bei Ablauf der Kündigungsfrist erwarten lässt. Soweit es die Frage der fachlichen Qualifizierung betrifft, ergibt sich jedenfalls aus dem vorgelegten Besprechungsprotokoll vom 05.10.2010, dass die Umsetzung in der 39. - 41. KW - also noch vor dem 31.10.2010 vorgesehen war. Geht man davon aus, dass diese Festlegung des Schulungszeitraums im Rahmen eines realitätsgerecht geplanten Zeitplans erfolgt und die Schulungsmaßnahmen auch tatsächlich wie geplant durchgeführt worden ist, so rechtfertigt dies die Annahme, dass im Zeitpunkt der Kündigung mit dem Abschluss der erforderlichen fachlichen Qualifizierung bis Ende Oktober 2010 gerechnet werden konnte. Weder bietet der Sachvortrag der Parteien Anhaltspunkte zu Zweifeln, noch hat der Kläger die zeitgerechte Durchführung der Qualifizierungsmaßnahmen bestritten. Dann liegt aber schon in der tatsächlichen zeitgerechten Durchführung der Qualifizierungsmaßnahmen ein ausreichendes Indiz dafür, dass jedenfalls insoweit im Kündigungszeitpunkt die Voraussetzungen für eine zeitgerechte diesbezügliche Umsetzung gegeben waren. Für die Prognose, ob damit zugleich auch die Organisationsänderung mit der Folge des Wegfalls des Beschäftigungsbedarfs greifbare Formen angenommen hatte, kann dies allerdings schon deshalb nicht genügen, weil eine sachgebietsübergreifende Qualifizierung sämtlicher Mitarbeiter nicht allein auf der Grundlage der angestrebten zentralen Erreichbarkeit des Vertriebsinnendienstes, sondern auch ohne eine solche aus Gründen eines flexiblen Personaleinsatzes sinnvoll sein konnte und nach der dargestellten zeitlichen Planung die Einführung der zentralen Rufnummer nicht zeitgleich mit der Umsetzung der internen Vorbereitungsmaßnahmen erfolgen sollte.

(2) Soweit es die Einrichtung einer zentralen Rufnummer für das Back-Office bis zum Zeitpunkt seines Ausscheidens (31.10.2010) betrifft, hat der Kläger dies ausdrücklich bestritten und geltend gemacht, jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt sei die Abwicklung der Telefonate unverändert in der Weise erfolgt, dass die Sachbearbeiter allein über die unverändert gebliebenen Durchwahlnummern erreichbar gewesen seien, die zentrale Rufnummer sei hingegen erst nach seinem Ausscheiden eingeführt worden. Ersichtlich will der Kläger mit diesem Vortrag nicht lediglich eine verzögerte Umsetzung einer im Kündigungszeitpunkt zeitgerecht geplanten Maßnahme geltend machen, um so den hilfsweise verfolgten Wiedereinstellungsanspruch zu begründen - letzteren stützt der Kläger vielmehr auf die behauptete Ausschreibungen für Neueinstellungen. Vielmehr dient der Vortrag des Klägers erkennbar zur Stützung seines Standpunkts, es fehle an einem ausreichenden Grund für die Kündigung, da er - der Kläger - zum einen auch bei Durchführung der geplanten organisatorischen Änderungen weiterhin im Vertriebsinnendienst eingesetzt werden könne und zum anderen selbst bei Annahme des Gegenteils im Kündigungszeitpunkt noch nicht absehbar gewesen sei, dass spätestens zum Ablauf der Kündigungsfrist die beabsichtigte Organisationänderung einschließlich der Einrichtung einer Zentralrufnummer und entsprechender Information der Kundschaft realisiert sein würde; eben dies werde durch die tatsächlichen Gegebenheiten indiziert.

(3) Die Beklagte hat hierauf ausdrücklich vorgetragen, die zentrale Rufnummer sei bereits im Zeitraum September/Oktober eingerichtet worden. Unter Berücksichtigung der dem Betriebsrat erteilten Informationen bedeutet dies, dass nach Behauptung der Beklagten konkrete zeitliche Planungen auch hinsichtlich der Umstellung der Telefonanlage bereits im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs vorhanden waren und aufgrund entsprechender Vorgaben eine Realisierung der Maßnahme bis zum 31.10.2010 zu erwarten war. Wenn die Bildung des Back-Office spätestens zum 01.07.2010 erfolgen sollte und die Voraussetzungen dafür begründet waren, die bislang bestehenden Durchwahlnummern nach ca. 2 Monaten durch eine zentrale Nummer zu ersetzen, trat der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger noch vor dem 31.10.2010 ein.

(4) Die zu diesem Beweisthema - tatsächlicher Vollzug der Umstellung der Telefonanlage als Indiz für die Richtigkeit der Prognose im Kündigungszeitpunkt - durchgeführte Beweisaufnahme hat der Kammer kein klares Ergebnis vermitteln können.

(a) Der Vertriebsleiter K1 hat zwar ausgesagt, die Einführung der zentralen Back-Office-Nummer sei im Zeitraum September/Oktober - und damit noch vor Ablauf der Kündigungsfrist - erfolgt. Diese subjektive Überzeugung hat der Zeuge mit der allgemeinen Erwägung begründet, es sei nicht sinnvoll, die Kundschaft über längere Zeit im Unklaren zu lassen, wer als Ansprechpartner zuständig sei. Abgesehen davon, dass sich entsprechende Unklarheiten für die Kundschaft nicht ergeben konnten, solange die Durchwahlnummer zum früher zuständigen Sachbearbeiter erhalten blieb, zeigt auch die Unsicherheit des Zeugen in der Frage, ob die Kündigungsfrist "zum 01.11. oder 01.12." des Jahres ablief, dass es an einer konkreten zeitlichen Erinnerung fehlt. Die volle und zweifelsfreie Überzeugung von der Richtigkeit der Sachdarstellung der Beklagten, die zentrale Rufnummer sei bereits vor Ablauf der Kündigungsfrist eingeführt worden, kann danach nicht gewonnen werden. Hieran vermag auch nichts die Erklärung des Zeugen zu ändern, er selbst habe einzelne Kunden vor dem 31.10. telefonisch über die geänderten Telefonnummern informiert. In Anbetracht der nicht zweifelsfreien zeitlichen Erinnerung des Zeugen kann zum einen nicht ausgeschlossen werden, dass die geschilderte telefonische Unterrichtung erst nach Oktober erfolgt ist, zum anderen kommt auch in Betracht, dass der Zeuge wegen der Freistellung des Klägers und der räumlichen Veränderungen jedenfalls subjektiv davon ausging, die zentrale Rufnummer sei bereits eingerichtet. Selbst hatte der Zeuge jedenfalls mit der Umstellung der Telefonanlage und den diesbezüglich im Zeitpunkt der Kündigung geplanten bzw. in die Wege geleiteten Schritten nichts zu tun und konnte daher aus eigener Anschauung keinen näheren Angaben hierzu machen.

(b) Gleiches gilt für die Aussage des Zeugen B2. Dieser hat erklärt, er meine, die Umstellung der Rufnummer sei im zeitlichen Zusammenhang mit der Freistellung des Klägers ab September 2010 erfolgt. Auch insoweit handelt es sich jedoch um eine Schlussfolgerung, wie die Aussage des Zeugen belegt, nach seiner Überzeugung müsse die Umstellung des Telefons jedenfalls vor dem Monat November stattgefunden haben, weil es keinen Sinn gemacht hätte, nur die Tische umzustellen, nicht aber die Telefonanlage. Weder liegt danach eine konkrete zeitliche Erinnerung des Zeugen vor, noch hatte der Zeuge Anlass, auf konkrete zeitliche Umstände zu achten, da er selbst wegen seiner besonderen Aufgabenstellung von der Einführung der zentralen Rufnummer nicht berührt war. Im Übrigen entsprach es gerade den bestehenden Planungen, zunächst eine interne Änderung der Arbeitsorganisation vorzunehmen und erst ca. zwei Monate später die zentrale Rufnummer einzuführen.

(c) Auch die übrigen vernommenen Zeugen haben die Darstellung der Beklagten nicht bestätigt. Vielmehr hat der Zeuge C1 sinngemäß ausgeführt, nach seiner Einschätzung sei die Umstellung der Rufnummer erst um die Weihnachtszeit erfolgt. Zuvor - im Zusammenhang mit der Umstellung der Tische - habe er die am vormals für den Kläger bestimmten Apparat 142 eingehenden Anrufe durch manuelle Umstellung der Anlage auf seinen - des Zeugen - Telefonapparat umgeleitet, weil der Apparat 142 pausenlos geklingelt habe. Bei isolierter Betrachtung könnte zwar das häufige Klingeln des Apparats 142 als Zeichen dafür anzusehen sein, dass der Kundschaft bereits eine Zentralrufnummer mitgeteilt worden war. Andererseits sollten aber mit der Einführung der zentralen Rufnummer die Durchwahlnummern entfallen, so dass dann überhaupt keine unmittelbaren Anrufe bei den einzelnen Sachbearbeitern hätten ankommen können. Auch nach den Planungen der Beklagten sollte die zentrale Rufnummer nicht gleichzeitig mit der Einrichtung des Back-Office, sondern erst später erfolgen. Zweifel daran, dass zum behaupteten Zeitpunkt September/Oktober die zentrale Rufnummer bereits eingerichtet war, ergeben sich weiter daraus, dass es bei Einführung der zentralen Rufnummer 142 mit automatischer Weiterschaltung zum nächsten freien Apparat einer manuellen Umschaltung durch den Zeugen C1 nicht bedurft hätte. Auch die vom Zeugen berichtete wiederholte Erneuerung der Rufumstellung von Apparat 142 auf das eigene Telefon spricht schließlich gegen eine zu diesem Zeitpunkt bereits eingerichtete Zentralrufnummer. Auch die Zeugen S1 und R1 haben weder einen konkreten Zeitpunkt zur Umstellung der Telefonanlage noch eine entsprechende offizielle Mitteilung über die Einrichtung der zentralen Rufnummer bestätigt.

(5) Auf dieser Grundlage vermag die Kammer nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen, dass tatsächlich bei Ablauf der Kündigungsfrist die zentrale Rufnummer für den Vertriebsinnendienst eingerichtet und der Kundschaft bekannt gegeben war. Die Umsetzung des Konzepts der umfassenden Zuständigkeit und telefonischen Erreichbarkeit sämtlicher Mitarbeiter des Vertriebsinnendienstes mit Hilfe einer Zentralrufnummer war damit noch nicht vollständig realisiert. Als Zwischenergebnis ist damit festzuhalten, dass sich die Beklagte für die Richtigkeit ihrer Behauptung, schon bei Ausspruch der Kündigung sei die Prognose berechtigt gewesen, spätestens zum Ablauf der Kündigungsfrist werde die Änderung der Arbeitsorganisation vollzogen und der Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit eingetreten sein, nicht als Indiz auf den tatsächlichen Ablauf des Geschehens nach Zugang der Kündigung berufen kann.

2. Auch ohne Rückgriff auf die spätere Entwicklung kann sich die Richtigkeit der Prognose zum Wegfall der bisherigen Beschäftigungsmöglichkeit aus anderen, im einzelnen darzulegenden Umständen ergeben. Weder trägt die Beklagte indessen konkrete Umstände vor, aus denen sich ergibt, die innerhalb des vorgesehene Zeitplans eingeleiteten Maßnahmen rechtfertigten die Annahme, die beabsichtigte Organisationsänderung mit der Einrichtung eines zentral erreichbaren Vertriebsinnendienstes habe im Kündigungszeitpunkt bereits derart greifbare Formen angenommen, dass mit einem Abschluss bis zum 31.10.2010 zu rechnen gewesen sei, noch sind Anhaltspunkte für eine planwidrige Verzögerung erkennbar, welche trotz Verfehlung des Zeitplans die Berechtigung der getroffenen Prognose nicht infrage stellten. Erst recht lässt nicht schon die die Lebenserfahrung die Überzeugung zu, allein die tatsächlich in Gang gesetzten Einzelmaßnahmen hätten - im Sinne einer gewissen Zwangsläufigkeit - den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger spätestens bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zur Folge.

a) Eine derartige Zwangsläufigkeit des einmal in Gang gesetzten Geschehensablaufs mag ohne weiteres anzunehmen sein, wenn der zur Betriebsschließung entschlossene Arbeitgeber vor oder zugleich mit der Kündigung sämtlicher Arbeitsverhältnisse auch den Pachtvertrag hinsichtlich der betrieblichen Räumlichkeiten kündigt sowie das bewegliche Inventar versteigern lässt und sich so der Möglichkeit begibt, den Betrieb fortzuführen. Die einmal eingeleitete Maßnahme vollzieht sich damit von selbst, sofern sie nicht durch eine gegenläufige Entscheidung rückgängig gemacht wird. Liegt demgegenüber ein Plan zur Umstrukturierung vor, welcher die Umsetzung einzelner Schritte erfordert, so kann die Prognose, die Maßnahme werde insgesamt bis zum Ablauf der Kündigungsfrist abgeschlossen sein, nicht schon damit begründet werden, dass wegen der langen Kündigungsfrist der zur Verfügung stehende Zeitraum zur vollständigen Realisierung ersichtlich genügt, ferner mit der Umsetzung einzelner Schritte zügig begonnen wurde und wegen des inneren Sinnzusammenhangs der Einzelmaßnahmen realistischerweise mit einem zeitnahen Abschluss der gesamten Maßnahme zu rechnen sei. Für eine solche vermutete Zwangläufigkeit bietet die Lebenserfahrung keine ausreichende Grundlage.

b) Ebenso wenig lässt sich ein Erfahrungssatz feststellen, jeder Arbeitgeber setze schon im eigenen Interesse einmal getroffene Entscheidungen zeitnah bzw. fristgerecht um. Vielmehr bedarf es erkennbarer, fallbezogener Umstände, aus welchen sich ergibt, dass bei regulärem Verlauf die zur Umsetzung der Organisationsänderung erforderlichen Einzelmaßnahmen zum Ablauf der Kündigungsfrist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit abgeschlossen sein werden. Da die Beklagte selbst davon ausging, dass die organisatorische Zusammenfassung der Mitarbeiter zum Back-Office und die Einrichtung und Bekanntgabe einer zentralen Rufnummer nicht zeitgleich erfolgen sollten, sondern die Ersetzung der Durchwahl durch eine Zentralrufnummer erst mit gewissem zeitlichen Abstand - womöglich unter Berücksichtigung ausreichender Erfahrungen mit der veränderten Arbeitsweise und nach Vorstellung des Konzepts bei der Kundschaft - erfolgen sollte, versteht es sich keineswegs von selbst, dass bereits im Kündigungszeitpunkt mit ausreichender Sicherheit zu erwarten war, dass die bisherige Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger mit Ablauf der Kündigungsfrist entfallen sein würde.

c) Fehlt es nach alledem an Erklärungen dafür, aus welchem Grunde die Änderung des Vertriebskonzepts mit Zentralruf und geändertem Anforderungsprofil nicht bis zum Ablauf der Kündigungsfrist umgesetzt worden ist, vermag die Kammer nicht zu erkennen, inwiefern gleichwohl im Kündigungszeitpunkt mit der vollständigen Umsetzung des Konzepts zu rechnen war mit der Folge, dass spätestens bis zum Ablauf der Kündigungsfrist die Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger entfiel. Schon hieraus ergibt sich die fehlende soziale Rechtfertigung der Kündigung. Die Frage, inwiefern die beim Kläger vorhandenen oder innerhalb der Kündigungsfrist zu erwerbenden Sprachkenntnisse ausreichen, um der zulässigerweise gestellten Anforderung zu entsprechen, die englische Sprache verhandlungssicher zu beherrschen, bedarf danach keiner weiteren Aufklärung.

II. Die Kosten der erfolglosen Berufung hat die Beklagte zu tragen.

III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 ArbGG liegen nicht vor.

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