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11.05.2011 · IWW-Abrufnummer 111542

Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 22.12.2010 – 16 K 303/10

1. Die Anwendung der Kleinunternehmerregelung ist für jeden Besteuerungszeitraum gesondert zu prüfen, sie hat keine Auswirkung auf das Folgejahr.



2. Für die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten ist ein Antrag notwendig, aufgrund dessen das FA nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet, ob es die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten erstmals oder nach einem Wechsel von der Soll- zur Istversteuerung gestattet.




3. Die Entscheidung wird durch formlosen VA getroffen.




4. Der Unternehmer kann rückwirkend von der Ist- zur Sollversteuerung zurückkehren.


Niedersächsisches Finanzgericht v. 22.12.2010

16 K 303/10

Tatbestand
Streitig ist die Frage, ob der Kläger für das Streitjahre 2006 seine Umsätze nach vereinnahmten oder vereinbarten Entgelten versteuert und welche Konsequenzen ein nachträglicher Verzicht auf die Gestattung der Berechnung nach vereinnahmten Entgelten hat.

Der Kläger meldete bei der Gemeinde R ein Gewerbe „Sanitär- und Heizungsbau” zum 4. Mai 2005 an. In dem beim Beklagten eingereichten Betriebseröffnungsfragebogen beantragte er die Istversteuerung gem. § 20 UStG. Außerdem erklärte er, dass seine Umsätze mit voraussichtlich 17.000,- € nicht die Grenze für die Anwendung der Kleinunternehmerbesteuerung überschreiten würden. Der Beklagte hat auf dem Vordruck den Abschnitt betreffend die Istversteuerung mit dem Vermerk „Kleinunternehmer” durchgestrichen.

Tatsächlich hat der Kläger in 2005 Nettoerlöse in Höhe von 43.002,- € vereinnahmt. Für weitere in 2005 erbrachte Leistungen hat der Kläger die Entgelte erst in 2006 vereinnahmt, und zwar in Höhe von 12.472,- € (netto). Die unentgeltlichen Wertabgaben des Jahres 2005 betragen 1.498,- €.

Aus Umsätzen des Streitjahres 2006 hat der Kläger in diesem Jahr 62.554,- € netto vereinnahmt; weitere 4.168,38 € netto hat er in 2007 vereinnahmt. Die unentgeltlichen Wertabgaben des Jahres 2006 betragen 1.096,- €.

Der Kläger reichte eine Umsatzsteuererklärung für 2005 ein, in der er lediglich die Zeilen zur Besteuerung der Kleinunternehmer ausfüllte. Der Beklagte stimmte der Umsatzsteuererklärung zu.

Am 21. Dezember 2007 reichte der Kläger seine Umsatzsteuererklärung für 2006 ein. Als steuerpflichtige Umsätze sind darin die in 2006 vereinbarten und gleichzeitig vereinnahmten Entgelte angegeben, nicht aber die in 2006 vereinnahmten Entgelte für in 2005 ausgeführte Umsätze sowie ebenfalls nicht die erst in 2007 vereinnahmten Entgelte für Umsätze des Jahres 2006. Die in 2006 vereinnahmten Entgelte aus im Jahre 2005 ausgeführten Umsätzen hat der Kläger im Abschnitt des Erklärungsvordrucks zur Kleinunternehmerbesteuerung aufgeführt. Auch dieser Erklärung stimmte der Beklagte zunächst zu.

Im Zeitraum vom 30. Juni bis zum 16. Oktober 2008 fand beim Kläger eine Außenprüfung statt. Der Prüfer stellte sich dabei auf den Standpunkt, dass der Kläger nicht unter die Kleinunternehmerregelung des § 19 Abs. 1 UStG fallen würde, weil der in dem Betriebseröffnungsfragebogen angegebene voraussichtliche Umsatz in 2005 von 17.000,- € für den Zeitraum ab Betriebseröffnung auf das Kalenderjahr hochgerechnet die maßgebliche Grenze von 17.500,- € übersteigen würde. Die Erlöse aus 2005, die in 2006 vereinnahmt wurden, ordnete er dem Besteuerungszeitraum 2006 zu. Der die Umsatzsteuer betreffende Abschnitt im Betriebsprüfungsbericht ist mit dem Klammerzusatz „Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten” versehen. In der Umsatzsteuerakte findet sich ein handschriftlicher Vermerk vom 27. Oktober 2008 mit folgendem Inhalt: „USt – bitte „Ist”-Besteuerung ab 1.5.2005 = GID setzen.”

Mit Datum vom 6. November 2009 erließ der Beklagte gem. § 164 Abs. 2 AO geänderte Umsatzsteuerbescheide für 2008, in denen er die Besteuerungsgrundlagen entsprechend den Feststellungen der Außenprüfung berücksichtigte. Die Zahlenwerte entsprechen einer Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten.

Das anschließende Einspruchsverfahren hatte keinen Erfolg. Der Beklagte hat im Rahmen der Einspruchsentscheidung seine Argumentation umgestellt; er begründete die Nichtanwendung der Kleinunternehmerregelung nunmehr damit, dass bei einer objektivierten Prognose der im laufenden Kalenderjahr voraussichtlich zu erzielenden Umsätze von einer Überschreitung der Umsatzgrenze auszugehen sei. Auf die Frage der Art der Berechnung der Steuer ist der Beklagte in der Einspruchsentscheidung nicht eingegangen.

Der Kläger erklärte im Klageverfahren zunächst, er habe niemals einen Antrag auf Versteuerung nach vereinnahmten Entgelten gestellt. Nach Hinweis des Gerichts darauf, dass ein solcher Antrag im Rahmen des Betriebseröffnungsfragebogens gestellt wurde, hat der Kläger diesen Antrag im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 17. Dezember 2010 zurückgenommen. Der Kläger räumt zudem ein, dass bei Anwendung der Soll-Versteuerung die in 2007 vereinnahmten Entgelte aus Umsätzen des Jahres 2006 erfasst werden müssten.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Umsatzsteuer 2006 um 1.328,58 € herabzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält zwar grundsätzlich die Rückkehr zur Sollversteuerung bis zur Bestandskraft der Steuerfestsetzung für möglich. Zu beachten sei hier jedoch die Regelung des § 20 Abs. 1 Satz 3 UStG. Danach dürfe es beim Wechsel der Art der Steuerberechnung nicht dazu kommen, dass Umsätze unversteuert blieben. Das sei hier der Fall, weil die bislang zutreffend in 2006 erfassten Umsätze des Jahres 2005 dann unversteuert blieben.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2010 auf mündliche Verhandlung verzichtet. Der Beklagte hat im Erörterungstermin am 17. Dezember 2010 den Verzicht auf mündliche Verhandlung zu Protokoll erklärt.



Gründe
Die Klage ist begründet.

Die Umsatzsteuer 2006 ist nach vereinbarten Entgelten festzusetzen.

1. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers hat der Beklagte in dem angefochtenen Umsatzsteuerbescheid 2006 vom 6. November 2008 zunächst zu Recht die in 2005 vereinbarten und in 2006 vereinnahmten Entgelte in Höhe von netto 12.472,- € erfasst.

a) Für das Streitjahr 2006 kommt die Kleinunternehmerregelung des § 19 UStG nicht zur Anwendung. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG wird von Unternehmen die für Umsätze im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG geschuldete Umsatzsteuer nicht erhoben, wenn der Umsatz zuzüglich der darauf entfallenden Steuer im vorangegangenen Kalenderjahr 17.500,- € nicht überstiegen hat und im laufenden Kalenderjahr 50.000,- € voraussichtlich nicht übersteigen wird. Umsatz in diesem Sinne ist der nach vereinnahmten Entgelten bemessene Gesamtumsatz (§ 19 Abs. 1 Satz 2 UStG). Da es nach § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG beim Vorjahresumsatz auf den tatsächlich erzielten Umsatz – und nicht auf die damalige Prognose – ankommt und der Kläger in 2005 auch bei Anwendung der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten weit höhere Umsätze als 17.500,- € – nämlich brutto 51.620,- € – erzielt hat, kann sich der Kläger auf die Kleinunternehmerregelung nicht berufen. Soweit der Kläger in seiner Umsatzsteuererklärung für 2006 die in 2005 ausgeführten und in 2006 vereinnahmten Entgelte als in 2006 der Kleinunternehmerbesteuerung unterliegend angegeben und ansonsten die Umsatzsteuer nach vereinbarten Entgelten berechnet hat, liegt dem offensichtlich eine Fehlvorstellung zugrunde. Zwar wird der Grenzbetrag für die Anwendung der Kleinunternehmerbesteuerung nach den Regeln der Ist-Besteuerung ermittelt. Dies bedeutet aber nicht, dass die Steuer selbst notwendigerweise nach vereinnahmten Entgelten berechnet wird. Ebenfalls ist darauf hinzuweisen, dass die Anwendung der Kleinunternehmerregelung für jeden Besteuerungszeitraum gesondert zu prüfen ist und keine Auswirkung auf das Folgejahr hat. Selbst wenn für 2005 keine Umsatzsteuer aufgrund des § 19 UStG zu erheben wäre, würden bei Anwendung der Ist-Besteuerung in 2006 vereinnahmte Entgelte der Regelbesteuerung unterliegen. Insofern sind die Verfahrensbeteiligten zu Unrecht davon ausgegangen, dass für das Streitjahr 2006 die Problematik des Falles auf der Ebene der Anwendung des § 19 UStG liege; vielmehr geht es um die Frage der Art der Steuerberechnung, d.h. der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten (§ 16 Abs. 1 UStG) oder vereinnahmten Entgelten (§ 20 Abs. 1 UStG).

b) Der Beklagte hat durch den Umsatzsteuerbescheid 2006 vom 6. November 2008 die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten schlüssig gestattet. Gem. § 20 Abs. 1 Satz 1 UStG kann das Finanzamt auf Antrag gestatten, dass ein Unternehmer, dessen Gesamtumsatz im vorangegangenen Kalenderjahr nicht mehr als 250.000,- € beträgt, die Steuer nicht nach den vereinbarten Entgelten (sog. Soll-Besteuerung), sondern nach den vereinnahmten Entgelten (sog. Ist-Besteuerung) berechnet.

Danach ist für die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten ein Antrag notwendig, auf Grund dessen das FA nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet, ob es die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten erstmals oder nach einem Wechsel von der Soll- zur Istbesteuerung gestattet. Die Entscheidung wird durch formlosen Verwaltungsakt (§ 118 Satz 1 AO 1977) getroffen. Der Verwaltungsakt muss bekannt gegeben werden, um wirksam zu sein (§ 124 Abs. 1 AO 1977). Die Bekanntgabe braucht nicht förmlich zu erfolgen. Der Verwaltungsakt kann auch formlos durch eine erkennbare Gestattung der beantragten Besteuerung bekannt gegeben werden. Daraus ergibt sich, dass keine Gestattung zur Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten vorhanden ist, wenn das FA keine oder keine nach außen erkennbare Entscheidung trifft (BFH Beschluss vom 28. August 2002 V B 65/02, BFH/NV 2003, 210; Sölch/Ringleb-Wagner, Kommentar zum UStG, § 20 Rn. 35).

Im Streitfall hat der Beklagte dem Kläger zwar nicht durch ausdrücklichen Verwaltungsakt die Versteuerung nach vereinnahmten Entgelten gestattet. Der Beklagte hat jedoch im Anschluss an die Außenprüfung erkannt, dass ein bis dato noch nicht beschiedener Antrag auf Gestattung der Ist-Versteuerung vorlag, den er im Sinne des Klägers bescheiden wollte. Dies ergibt sich aus dem – selbst allerdings nur internen – Aktenvermerk vom 27. Oktober 2008, in dem er zum Zwecke der zutreffenden EDV-technischen Erfassung ausdrücklich vermerkte, dass der Kläger ab Betriebseröffnung der Ist-Besteuerung unterliegt. Diese Gestattung hat der Beklagte dem Kläger auch bekanntgegeben, und zwar in Gestalt der Umsatzsteuerbescheide 2005 und 2006 vom 6. November 2008, in denen er die Steuern entsprechend der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten festsetzte. Dass dieses bewusst geschah, ergibt sich aus dem Betriebsprüfungsbericht, in dem es einerseits zum Prüfungspunkt Umsatzsteuer ausdrücklich heißt, dass diese der Ist-Besteuerung unterliege, andererseits aus den einzelnen Feststellungen (Textziffern 12, 13 und 16), ausweislich derer der Prüfer die Besteuerungsgrundlagen nach vereinnahmten Entgelten berechnet hat. Mit den diesen Zahlenwerten entsprechenden Umsatzsteuerbescheiden 2005 und 2006 hat der Beklagte konkludent die Ist-Versteuerung gestattet.

2. Die Umsatzsteuer ist für das Streitjahr 2006 dennoch nach vereinbarten Entgelten zu berechnen, weil der Kläger seinen Antrag auf Versteuerung nach vereinnahmten Entgelten im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 17. Dezember 2010 zurückgenommen hat bzw. erklärt hat, die Umsätze sollversteuern zu wollen.

Die Frage, ob eine einmal erteilte Gestattung der Versteuerung nach vereinnahmten Entgelten Bindungswirkung für den laufenden Besteuerungszeitraum hat oder ob dem Unternehmer nachträglich eine Rückkehr zur Sollversteuerung möglich ist, ist gesetzlich nicht geregelt und bislang höchstrichterlich nicht entschieden.

a) Einheitlich geht die Literatur davon aus, dass der Unternehmer bis zum Eintritt der formellen Bestandskraft eines Steuerbescheides nachträglich einen Antrag auf Versteuerung nach vereinnahmten Entgelten stellen und der Beklagte diesem entsprechen kann (Bunjes/Geist- Schlosser-Zeuner, Kommentar zum UStG, § 20 Rn. 18; Hartmann/Metzenmachen-Henseler, Kommentar zum UStG, § 20 Rn. 26; Offerhaus/Söhn/Lange-Drevermann, § 20 Rn. 106; Reiß/Kraeusel/Lager-Reiß, Kommentar zum UStG, § 20 Rn. 18). Damit ist der Streitfall jedoch nur bedingt vergleichbar, weil hier mit der Gestattung ein Verwaltungsakt ergangen ist, der möglicherweise einer Rückkehr zur Sollversteuerung entgegensteht.

b) Ob nach einmal erteilter Gestattung der Versteuerung nach vereinnahmten Entgelten eine Rückkehr zur Sollversteuerung mit Wirkung für die Vergangenheit zulässig ist, wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt. Bunjes/Geist-Schlosser-Zeuner, Kommentar zum UStG, § 20 Rn. 24 und Hartmann/Metzenmacher-Hensel, Kommentar zum UStG, § 20 Rn. 27 halt eine Rückkehr zur Sollversteuerung nur mit Wirkung für die Zukunft für möglich, weil sich der Steuerpflichtige ansonsten in Widerspruch zu seinem eigenen vorangehenden Verhalten setzen würde. Reiß/Kraeusel/Lager-Reiß, Kommentar zum UStG, § 20 Rn. 21; Sölch/Ringleb-Wagner, Kommentar zum UStG, § 20 Rn. 31 und 40 sowie Rau/Dürrwächter-Geist, Kommentar zum UStG, § 20 Rn. 82 halten demgegenüber eine Rückkehr zur Sollversteuerung für möglich, weil der Steuerpflichtige von der ihm erteilten Gestattung keinen Gebrauch machen müsse. Äußerste zeitliche Grenze soll aber auch nach dieser Ansicht der Eintritt der formellen Bestandskraft des Steuerbescheides sein (Sölch/Ringleb-Wagner, Kommentar zum UStG, § 20 Rn. 31).

Das Gericht schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Dafür spricht der Wortlaut der Regelung des § 20 Abs. 1 Satz 1 UStG, wonach das Finanzamt die Berechnung der Steuer nach vereinnahmten Entgelten „gestattet”. Der ansonsten nicht im UStG verwendete Begriff der „Gestattung” ist dadurch gekennzeichnet, dass er ein Recht einräumt, nicht aber eine Pflicht begründet. Gegen eine Bindung der „Gestattung” spricht auch, dass das Umsatzsteuergesetz an anderer Stelle ausdrücklich die Bindung des Steuerpflichtigen an ein von ihm ausgeübtes Wahlrecht festlegt, etwa bei Wahl der Regelversteuerung eines an sich der Durchschnittssatzbesteuerung unterliegenden Landwirts (§ 24 Abs. 4 UStG) oder beim Verzicht auf die Anwendung der Kleinunternehmerbesteuerung (§ 20 Abs. 2 UStG). Das Fehlen einer entsprechenden Regelung im Rahmen des § 20 Abs. 1 UStG spricht dafür, dass der Gesetzgeber hier den Steuerpflichtigen nicht auf eine bestimmte Art der Berechnung der Steuer festlegen will.

Der Eintritt der Bestandskraft steht hier der Rückkehr zur Sollversteuerung nicht entgegen. Zwar hat der Beklagte der am 21. Dezember 2007 eingereichten Umsatzsteuererklärung 2006 des Klägers zugestimmt, die damit gem. § 168 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Diese Steuerfestsetzung ist auch formell bestandskräftig geworden. Die Zahlenwerte der Umsatzsteuererklärung 2006 entsprechen einer in sich inkonsequenten Mischung aus Ist- und Sollversteuerung. Die hier vorrangig zu beurteilenden in 2006 vereinnahmten Entgelte aus Umsätzen des Jahres 2005 in Höhe von 12.472,- € sind jedoch in der Umsatzsteuererklärung für 2006 und damit in der ursprünglichen Steuerfestsetzung nicht enthalten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Beklagte im Übrigen auch noch nicht die Versteuerung nach vereinnahmten Entgelten gestattet, so dass die Steuerfestsetzung zu diesem Zeitpunkt der Sollversteuerung zu entsprechen hatte. Erst der nach der Außenprüfung ergangene Umsatzsteuerbescheid 2006 vom 6. November 2008, den der Kläger mit Rechtsmitteln angegriffen hat und der infolgedessen nicht formell bestandskräftig geworden ist, entspricht vollständig der Ist-Versteuerung. Nach Auffassung des Gerichts kommt es deshalb hier allein darauf an, dass der Bescheid vom 6. November 2008 nicht bestandskräftig geworden ist.

3. Auch die Regelung des § 20 Abs. 1 Satz 3 UStG führt nicht dazu, dass die in 2006 vereinnahmten Entgelte aus Umsätzen des Vorjahrs im Besteuerungszeitraums 2006 zu erfassen wären. Gem. § 20 Abs. 1 Satz 3 UStG dürfen die Umsätze nicht doppelt erfasst werden oder unversteuert bleiben, wenn der Unternehmer die Art der Steuerberechnung wechselt. Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 30. Januar 2003 V R 58/01, BStBl. II 2003, 817) stellt § 20 Abs. 1 Satz 3 UStG keine abweichende Regelung über den Zeitpunkt der Entstehung der Steuer dar. Auch bei Wechsel der Art der Steuerberechnung richtet sich die Entstehung der Steuer weiterhin nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 a) – bei Berechnung nach vereinbarten Entgelten – bzw. b) UStG – bei Berechnung nach vereinnahmten Entgelten. Wird die Steuer für das Jahr der Erzielung des Umsatzes die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten berechnet, so ist § 20 Abs. 1 Satz 3 UStG dahingehend zu verstehen, dass das Entgelt weiterhin dann zu erfassen ist, wenn es vereinnahmt wird, auch wenn für diesen Besteuerungszeitraum nunmehr die Soll-Versteuerung gilt.

Der Streitfall unterscheidet sich jedoch wesentlich von der dem Urteil des BFH zugrundeliegenden Sachverhalt. Während dort die Art der Steuerberechnung für das Jahr der Ausführung des Umsatzes unverändert blieb und damit der Zeitpunkt der Entstehung der Steuer nach § 13 Abs. 1 UStG eindeutig feststand, führt hier der rückwirkende Verzicht auf die Ist-Versteuerung dazu, dass sich auch der Zeitpunkt der Entstehung der Steuer nach § 13 Abs. 1 UStG ändert, weil diese Norm an die Art der Berechnung anknüpft. Während zunächst die Umsatzsteuer auf den Umsatz von 12.472,- € in 2006 entstand und für diesen Besteuerungszeitraum zutreffend im Umsatzsteuerbescheid 2006 vom 6. November 2008 erfasst wurde, führt der rückwirkende Verzicht auf die Anwendung der Ist-Versteuerung dazu, dass die Umsatzsteuer auf den entsprechenden Umsatz nunmehr als in 2005 entstanden gilt. Die Problematik der BFH-Entscheidung, dass nämlich die Art der Steuerberechnung zwischen dem Jahr der Ausführung des Umsatzes und der Vereinnahmung des Entgelts wechselte, stellt sich hier nicht. Vielmehr kam hier zunächst sowohl für das Jahr der Ausführung des Umsatzes als auch für das Jahr der Entgeltsvereinnahmung zunächst die Istversteuerung zur Anwendung und nach Verzicht auf die Istversteuerung einheitlich die Sollversteuerung.

Wegen dieser abweichenden Sachverhaltsgestaltung geht das Gericht davon aus, dass das oben zitierten BFH Urteil vom 20. Januar 2003 nicht dahingehend verstanden werden kann, dass es bei dem Zeitpunkt der Entstehung der Steuer weiterhin bleibt, wenn die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten einmal erlaubt war, d.h. hier, dass der Umsatz auch nach Verzicht auf den Antrag auf Versteuerung nach vereinnahmten Entgelten weiterhin in 2006 erfasst werden muss.

Nach Auffassung des Gerichts kommt § 20 Abs. 1 Satz 3 UStG im Streitfall nicht zur Anwendung, weil das in 2006 vereinnahmte Entgelt von 12.472,- € nicht „unversteuert” bleibt. Denn der Beklagte ist verfahrensrechtlich in der Lage, den Umsatzsteuerbescheid 2005 zu ändern und für diesen Besteuerungszeitraum eine entsprechend höhere Bemessungsgrundlage in Ansatz zu bringen. Denn der Verzicht auf die Anwendung der Ist-Besteuerung stellt ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO dar; zudem beruht die Änderung des Umsatzsteuerbescheides 2006 auf einem Antrag des Steuerpflichtigen im Sinne des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO, so dass der Beklagte, gestützt auf eine dieser Rechtsnormen, den entsprechenden Umsatz versteuern kann. Das Gericht versteht das Tatbestandmerkmal des „Unversteuertbleibens” in § 20 Abs. 1 Satz 3 UStG dahin, dass ohne die Regelung des § 20 Abs. 1 Satz 3 UStG eine Versteuerung eines Umsatzes nicht möglich wäre. Das ist hier aber nicht der Fall.

Nicht erheblich ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Umsatz von 12.472,- € in 2005 nach § 19 Abs. 1 UStG unversteuert bleibt. Selbst wenn dieses der Fall sein sollte – was wegen der erheblichen Abweichung der tatsächlich erzielten Umsätze von der vom Kläger genannten Zahl als zweifelhaft erscheint –, könnte dies nicht nach § 20 Abs. 1 Satz 3 UStG dazu führen, dass der Umsatz weiterhin in 2006 zu erfassen ist. Denn § 20 Abs. 1 Satz 3 UStG stellt eine spezifische Regelung des Umsatzsteuerrechts zur Vermeidung von widerstreitenden Steuerfestsetzung im Sinne des § 174 AO dar, rechtfertigt aber nicht, einen materiell-rechtlich an sich nicht zu versteuernden Umsatz der Besteuerung zu unterwerfen.

4. Kommt für das Streitjahr 2006 die Soll-Versteuerung zur Anwendung, so mindert sich die umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage um die in 2006 vereinnahmten Entgelte für in 2005 ausgeführte Leistungen und erhöht sich um die in 2006 vereinbarten Entgelte für in diesem Jahr ausgeführte Umsätze, die jedoch erst in 2007 vereinnahmt wurden. Im Einzelnen ergibt sich folgende Berechnung:

Steuerpflichtige Umsätze laut Bescheid v. 6.11.2008 76.122,- €
Abzüglich 2005 vereinbarte Entgelte, in 2006 vereinnahmte ./. 12.472,- €
Zuzüglich 2006 vereinbarte Entgelte, in 2007 vereinnahmt + 4.168,38 €
Umsätze 2006 neu: 67.818,35 €
Darauf Steuer 10.850,93 €
Abzüglich Vorsteuer ./. 8.432,92 €
Umsatzsteuerfestsetzung 2006 neu 2.418,02 €

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

6. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 2 i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

7. Das Gericht lässt die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu, weil die Frage der Zulässigkeit des rückwirkenden Verzichts auf die Versteuerung nach vereinnahmten Entgelten und die sich bei Bejahung ergebenden Folgefragen bislang noch nicht höchstrichterlich geklärt sind.

RechtsgebietUStGVorschriftenUStG § 20 Abs. 1

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