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08.03.2011

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 24.11.2010 – 4 Sa 250/10

Eine sogenannte vorzeitige Kündigung (hier: 2 Jahre vor beabsichtigter Stilllegung) kann rechtsmissbräuchlich sein.


In dem Rechtsstreit

pp.

hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 24.11.2010 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und d. ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer und d. ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer

für Recht erkannt

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 23.04.2010 - 4 Ca 43/10 - wird auf ihre Kosten zurück- gewiesen.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses.

Der am ....1954 geborene Kläger trat am 15.05.1978 in die Dienste der Beklagten ein. Er verdiente zuletzt 1.821,-- brutto bei einer 39-Stunden-Woche und war als Chef de Brigade tätig.

Die Beklagte ist eine 100 %ige Tochter der in der S... ansässigen M. Hotel- & R... AG. Sie hat ihren Sitz in L.E. und betreibt in Deutschland mehrere Hotels. Im M... Hotel in L... beschäftigt sie 132 Arbeitnehmer.

Am 18.11.2009 befasste sich die Alleingesellschafterin der Beklagten mit der strategischen Ausrichtung der von der Beklagten in Deutschland betriebenen Hotels, unter anderem auch des M... Hotels in L... . Eine Entscheidung über die strategische Ausrichtung war insoweit notwendig, als unter anderem der Mietvertrag über das Hotelgrundstück und -gebäude in L... zum 31.12.2011 endet und die Beklagte dem Vermieter bis Ende 2009 Nachricht geben musste, ob sie von der Option zur Verlängerung des Mietverhältnisses Gebrauch machen will. Die Alleingesellschafterin der Beklagten beschloss am 18.11.2009, den für das Hotelgebäude in L... bestehenden Mietvertrag nicht zu verlängern, sondern zum 31.12.2011 auslaufen zu lassen, zu diesem Zeitpunkt den Hotelbetrieb in L... einzustellen und soweit notwendig bestehende Arbeitsverhältnisse zu kündigen. Sie wies den Geschäftsführer der Beklagten an, diese Entscheidung umzusetzen. Grund für diese Entscheidung war der Umstand, dass bei einer Verlängerung des Mietverhältnisses in siebenstelliger Höhe in den Hotelbetrieb hätte investiert werden müssen, um das Hotel auf ein Qualitätsniveau zu bringen, das dem aktuellen Qualitätsanspruch und -standard der M... Gruppe entspricht. Unter Berücksichtigung der Marktlage in L..., der bestehenden und weiterhin zu erwartenden Fixkosten für den Betrieb des Hotels kam die Alleingesellschafterin der Beklagten zu dem Ergebnis, eine solche Investition rentiere sich wirtschaftlich nicht.

Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 11.12.2009 gegenüber der Vermieterin des Hotelgrundstücks, der H... Immobilien GmbH & Co. KG, das Mietverhältnis vom 22.03.1995 nebst des Nachtrages Nr. 1 vom 04.02./01.05.2009 über das gepachtete Grundstück samt aufstehenden Hotelgebäudes "Beim H.../W-B-Allee 1 - 5" in L... zum 31.12.2011. Die Beklagte hatte zuvor der Vermieterin telefonisch die Kündigung des Mietverhältnisses angekündigt und mit ihr die Option der Weiterführung des Hotels besprochen. Die H... Immobilien GmbH & Co. KG brachte unmissverständlich zum Ausdruck, das Hotel nicht selbst weiterführen zu wollen. Am 17.12.2009 hielt die Beklagte eine Betriebsversammlung ab, informierte die Belegschaft des Hotels in L... über die bevorstehende Schließung zum 31.12.2011 und beantwortete die aufkommenden Fragen der Mitarbeiter. Sie überreichte am Ende der Betriebsversammlung allen zu kündigenden Mitarbeitern die schriftliche Kündigung ihrer Arbeitsverhältnisse zum 31.12.2011. Bereits zuvor - am 14.12.2009 - hatte sie die beabsichtigten Kündigungen nach § 17 KSchG bei der zuständigen Agentur für Arbeit angezeigt. Mit Bescheid vom 15.01.2010 sah die Agentur für Arbeit von einer Änderung der Sperrfrist nach § 18 KSchG ab.

Neben dem Kündigungsschreiben übergab die Beklagte den zu kündigenden Mitarbeitern ein Begleitschreiben unter demselben Datum. In diesem Schreiben legte sie dar, dass die ausgesprochene Kündigung zum 31.12.2011 auf dem zeitgleich endenden Mietvertrag über das Hotelgebäude beruhe. Sie informierte die zu kündigenden Mitarbeiter in diesem Schreiben auch darüber, dass ihr die weiteren Pläne des Vermieters in Bezug auf das Mietobjekt nicht bekannt seien, im Falle eines möglichen Betriebsübergangs durch Weiterführung des Hotelbetriebs durch den Vermieter oder einen neuen Betreiber ohne wesentliche Änderung und ohne größere Unterbrechung den gekündigten Arbeitnehmern jedoch ein Beschäftigungsanspruch gegen den neuen Betreiber zustehen könne. Sie sicherte den gekündigten Arbeitnehmern zu, sie über neue Entwicklungen - soweit sie davon Kenntnis erhalte - zu informieren.

Der Kläger hält die Kündigung für sozial ungerechtfertigt.

Wegen des streitigen Vortrages erster Instanz und der dort gestellten Anträge wird Bezug genommen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils mit seinen dortigen Verweisungen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte habe zu erkennen gegeben, es sei ihr im Kern bei der frühzeitigen Kündigung darum gegangen, die Sozialplanpflicht zu vermeiden. Wegen der weiteren Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 14.05.2010 zugestellte Urteil am 14.06.2010 Berufung eingelegt und diese am 16.08.2010 begründet nach Verlängerung der Frist bis 16.08.2010.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, das Arbeitsgericht habe die tatsächlichen Beweggründe für die frühzeitige Kündigung verkannt und im Übrigen die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts falsch ausgelegt. Sie habe - so behauptet sie weiterhin - vor Ausspruch der Kündigungen geprüft, ob sie die zu kündigenden Mitarbeiter auf anderen, freien Arbeitsplätzen in ihrem L... Betrieb oder anderen freien Arbeitsplätzen im Unternehmen weiterhin beschäftigen könne. Dazu habe ihr Geschäftsführer sowie die Leiterin der Personalabteilung N... die damalige und die am 01.01.2012 zu erwartende Beschäftigungssituation beraten. Infolge der auf die Auslastung der Hotels durchschlagenden Wirtschaftskrise habe es bereits seit Februar 2009 und auch noch im Dezember 2009 unternehmensweit einen Einstellungsstopp gegeben. Auf diese Weise habe sie 2009 unternehmensweit im Verhältnis zu 2008 92 Mitarbeiter abgebaut. Die Prüfung von freien Arbeitsplätzen habe weiterhin ergeben, dass auch zum 01.01.2012 für den Kläger in anderen Hotels des Unternehmens aufgrund Befristung oder Erreichen der Altersgrenze keine Arbeitsplätze frei werden würden. Schließlich zeichneten sich ihre Hotels durch eine niedrige Fluktuation aus. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung habe es daher keinen freien Arbeitsplatz bei ihr gegeben und sei auch nicht absehbar gewesen, dass ein Arbeitsplatz bis zum Ablauf der Kündigungsfrist frei werden würde, auf dem der Kläger hätte beschäftigt werden können.

Sie habe die Kündigung bereits im Dezember 2009 ausgesprochen, weil sie habe verhindern wollen, dass die Mitarbeiter von der Schließung des Hotels durch Dritte erfahren würden. Gleichzeitig hätte die bloße Information von der Betriebsstilllegung den Mitarbeitern nicht den Ernst der Lage verdeutlicht. Durch den frühzeitigen Ausspruch der Kündigungen bleibe den betroffenen Mitarbeitern Zeit für Weiterbildung. Dies und die frühzeitig mögliche Bewerbung bei anderen Arbeitgebern erhöhe letztlich die Chancen der betroffenen Mitarbeiter auf eine unmittelbare Anschlussbeschäftigung nach Ende des Arbeitsverhältnisses.

Sie - Beklagte - habe ihrer Darlegungslast genügt, wenn sie vortrage, dass eine Weiterbeschäftigung des Klägers nicht erkennbar gewesen sei. Sie habe dazu auch nähere Umstände vorgetragen. Der Kläger selbst habe weder schriftsätzlich noch in mündlicher Verhandlung dargelegt, in welchem anderen Betrieb er sich eine anderweitige Beschäftigung vorstelle und an welche Art der Beschäftigung er konkret denke. Allein der Hinweis, sie - Beklagte - betreibe weitere Hotels, genüge nicht den Anforderungen an die abgestufte Darlegungslast. Die Grundsätze der abgestuften Darlegungslast seien insbesondere auch anzuwenden für den Fall, dass ein längerer Zeitraum in Rede stehe, in dem es Beschäftigungsmöglichkeiten geben könne. Im Übrigen handele es sich nicht um eine Vorratskündigung. Zum Kündigungszeitpunkt hätten die die Kündigung erfordernden betrieblichen Umstände festgestanden und auch bereits greifbare Formen angenommen. Die Lage sei nicht mehr offen gewesen. Sollte gegebenenfalls - worauf sie keinen Einfluss habe - die Vermieterin sich dazu entschließen, den Hotelbetrieb durch einen anderen Betreiber fortführen zu lassen, so sei dies bei einem Wiedereinstellungsanspruch der gekündigten Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Schließlich gebe es auch kein gesetzliches Verbot, früh zu kündigen. Bei den Kündigungsfristen handele es sich nur um Mindestfristen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 23.04.2010 - 1 Ca 43/10 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und meint, der gesetzliche Kündigungsschutz entfalle praktisch und sei wertlos, wenn ein Arbeitgeber eine Kündigung, die erst in ferner Zukunft wirksam werden solle, allein damit begründen könne, dass er den Betrieb, in dem die klagende Partei tätig war, nicht mehr weiter betreiben wolle und nach Ablauf der Kündigungsfrist eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in einem der zahlreichen anderen Betriebe des Arbeitgebers nicht gesehen werde. Er - Kläger - bestreite, dass die Beklagte Ende 2009 vor Ausspruch der Kündigung überhaupt die Möglichkeit geprüft habe, ihn in einem anderen Betrieb ihres Unternehmens zu beschäftigen. Welche Beschäftigungsmöglichkeiten es im Übrigen innerhalb der Hotelgruppe für sie ab dem 01.01.2012 geben werde, wisse heute niemand und habe auch niemand im Dezember 2009 gewusst. Im Übrigen habe die Beklagte - unstreitig - am 15.09.2010 für 14 Hotelbetriebe in Deutschland für insgesamt 39 Arbeitsplätze Mitarbeiter gesucht. Dies belege die Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen Hotelbetrieben.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufung wird Bezug genommen auf den Inhalt der dort gewechselten Schriftsätze.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist statthaft und frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis richtig festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 17.12.2009 nicht zum 31.12.2011 beendet werden wird. Die Beklagte kann sich zur sozialen Rechtfertigung dieser Kündigung nicht darauf berufen, die Kündigung sei gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstehen. Denn die bereits im Dezember 2009 zum 31.12.2011 ausgesprochene vorzeitige Kündigung erweist sich als eine Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes und damit wegen dieser Normumgehung als rechtsmissbräuchlich.

1. Grundsätzlich weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass der kündigende Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, mit dem Ausspruch der Kündigung bis zum letzten Tage vor Beginn der Frist zum nächstmöglichen Termin zu warten. Vielmehr ist er grundsätzlich berechtigt, schon vor diesem Zeitpunkt mit einer längeren als der gesetzlichen oder vorgesehenen Frist zu kündigen. In der sogenannten vorzeitigen Kündigung liegt in der Regel ein Verzicht auf die gesetzliche Kündigungsfrist (vgl. KR-Spilger, 9. Aufl., § 622 BGB, Rn. 135; ErfK-Müller-Glöge, § 622 BGB, Rn. 13 ; LAG Berlin, Urteil vom 11.01.1999 - 9 Sa 106/98 -, zit. nach juris, Rn. 36). Auch das Bundesarbeitsgericht hat bereits mit Urteil vom 16.10.1987 (7 AZR 204/87, veröffentlicht in AP Nr. 2 zu § 53 BAT) ausgeführt, dass ein Hinausschieben des Wirksamwerdens einer arbeitgeberseitigen ordentlichen Kündigung über die gesetzlichen oder tariflichen Kündigungsfristen hinaus an sich rechtlich möglich ist, weil die gesetzlichen und tariflichen Kündigungsfristen nur Mindestfristen zum Schutze des Arbeitnehmers sind und eine Verlängerung dieser Fristen durch den Arbeitgeber beim Ausspruch der Kündigung dem Arbeitnehmer zugute kommt, weil dadurch sein Arbeitsverhältnis länger aufrechterhalten wird.

Allerdings gilt eine solche Betrachtung nicht ausnahmslos. Sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur wird das Problem gesehen, dass eine verfrühte Kündigung dann bedenklich sein könnte, wenn darin eine Umgehung von Kündigungsschutz liegt, weil zum Beispiel die Kündigung an dem letztmöglichen Zeitpunkt für die Einhaltung der Kündigungsfrist erschwert oder ausgeschlossen wäre (vgl. KR-Spilger, 9. Aufl., § 622 BGB,. Rn. 136; Schaub-Linck, Arbeitsrechtshandbuch, 13. Aufl., § 126 Rn. 26). Auch das Landesarbeitsgericht Berlin, das grundsätzlich gegen eine vorzeitige Kündigung keine Bedenken hat, weist in der zitierten Entscheidung darauf hin, rechtlich problematisch könne eine verfrühte Kündigung unter Umgehungsgesichtspunkten sein (LAG Berlin, Urteil vom 11.01.1999 - 9 Sa 106/98 -, zitiert nach juris, Rn. 26). Zudem hat auch bereits das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 16.10.1987 (7 AZR 204/87, AP Nr. 2 zu § 53 BAT) darauf hingewiesen, dass eine vorzeitige Kündigung dann zu beanstanden sein könnte, wenn sie sich als Normumgehung darstellt, weil sie - wie dort - die Regeln der tariflichen Unkündbarkeit umgeht und deshalb funktionswidrig war. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts in seiner Entscheidung vom 07.03.2002 (2 AZR 93/01, zit. nach juris, Rn. 25, 26) ausführt, im dortigen Fall sei nicht zu entscheiden, ob eine Verlängerung der Kündigungsfrist, die allein oder überwiegend im Interesse des Arbeitgebers liege und die längste tarifliche Kündigungsfrist überschreite, zu beanstanden wäre. Mit anderen Worten: Das Bundesarbeitsgericht sieht einerseits, dass eine Verlängerung der Kündigungsfrist, die sich für den Arbeitnehmer überwiegend vorteilhaft auswirkt, weil er sich beispielsweise frühzeitig auf die geänderte Situation einstellen kann, durchaus beanstandungsfrei sein kann, wenn es sich um eine überschaubare längere Kündigungsfrist handelt. Andererseits lässt das Bundesarbeitsgericht aber die Frage offen, ob eine Verlängerung der Kündigungsfrist, die allein oder überwiegend im Interesse des Arbeitgebers liegt, noch beanstandungsfrei wäre.

2. Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze erweist sich die bereits im Dezember 2009 zum 31.12.2011 ausgesprochene vorzeitige Kündigung als eine Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes. Diese frühzeitige Kündigung wirkt sich überwiegend nachteilig für den gekündigten Arbeitnehmer aus und stellt sich als Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes dar. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

a. Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung ist der Kündigungszugang (BAG, Urteil vom 13.02.2008 - 2 AZR 79/06 -, zit. nach juris, Rn. 21). Grundsätzlich muss zu diesem Zeitpunkt der Kündigungsgrund - nämlich der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit - vorliegen. Im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung muss die auf Tatsachen gestützte, vernünftige betriebswirtschaftliche Prognose gerechtfertigt sein, dass zum Kündigungszeitpunkt mit einiger Sicherheit der Eintritt des die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes vorliegen wird (BAG, Urteil vom 13.02.2008 - 2 AZR 79/06 -, zit. nach juris, Rn. 23).

Eine Kündigung, die wiederum aufgrund einer zum Wegfall des bisherigen Arbeitsplatzes führenden organisatorischen Maßnahme ausgesprochen worden ist - hier Beendigung des Hotelbetriebes zum 31.12.2011 - ist jedoch nur dann durch ein dringendes betriebliches Erfordernis "bedingt", wenn der Arbeitgeber keine Möglichkeiten hat, den Arbeitnehmer anderweitig zu beschäftigen. Dies folgt aus dem "Ultima-Ratio-Grundsatz", den das Gesetz in § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG konkretisiert hat. Danach ist die Kündigung auch dann sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann (BAG, Urteil vom 02.02.2006 - 2 AZR 38/05 -, zit. nach juris, Rn. 20).

Als frei gelten dann wiederum - darauf weist die Beklagte zutreffend hin - nur solche Arbeitsplätze, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung unbesetzt sind oder bei denen der Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung mit hinreichender Sicherheit vorhersehen kann, dass der Arbeitsplatz bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zur Verfügung stehen wird (BAG, Urteil vom 23.11.2004 - 2 AZR 38/04 - zit. nach juris, Rn. 37; BAG, Urteil vom 02.02.2006 - 2 AZR 38/05 -, zit. nach juris, Rn. 22).

Allerdings ist zu beachten, dass bei unterlassener Prüfung durch den Arbeitgeber damit die Kündigung nicht automatisch unwirksam wird. Vielmehr kann sich der Arbeitgeber nur dann nicht auf dringende betriebliche Erfordernisse berufen, wenn tatsächlich ein anderer Arbeitsplatz vorhanden ist, auf dem der gekündigte Arbeitnehmer hätte weiterbeschäftigt werden können (BAG, Urteil vom 18.01.1990 - 2 AZR 357/89 -, zitiert nach juris, Rn. 24).

b. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wiederum greift bei der Frage der anderweitigen Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz eine abgestufte Darlegungslast. Bestreitet bei der betriebsbedingten Kündigung der Arbeitnehmer nur den Wegfall seines Arbeitsplatzes, genügt der allgemeine Vortrag des Arbeitgebers, wegen der notwendigen Betriebsänderung sei eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nicht möglich. Er muss nicht unter Darlegung genauer Einzelheiten behaupten, eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit sei nicht vorhanden. Es obliegt dann vielmehr dem Arbeitnehmer darzulegen, wie er sich eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, wenn sein bisheriger Arbeitsplatz tatsächlich weggefallen ist. Es genügt deshalb für die Darlegungen des Arbeitnehmers, wenn er angibt, welche Art der Beschäftigung gemeint ist. Er muss im Allgemeinen keinen konkreten freien Arbeitsplatz benennen (BAG, Urteil vom 15.08.2002 - 2 AZR 195/01 -, zitiert nach juris, Rn. 17; BAG, Urteil vom 18.01.1990 - 2 AZR 357/89 - zitiert nach juris, Rn. 25).

c. Die Prüfung einer anderweitigen Beschäftigung in einem anderen Betrieb des Unternehmens ist für den vom Arbeitnehmer zu führenden Kündigungsschutzprozess von maßgeblicher Bedeutung. Insbesondere dann, wenn - wie hier - sein Beschäftigungsbetrieb stillgelegt werden soll, wird die Erfolgsaussicht seines Kündigungsschutzprozesses ganz maßgeblich geprägt von der Frage, ob es anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten in einem anderen Betrieb des Unternehmens gibt. In einem solchen Fall bedingt also eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit im Wesentlichen gerade seinen Kündigungsschutz. Wenn dann wiederum dem Arbeitnehmer im Rahmen der abgestuften Darlegungslast in der zweiten Stufe die Pflicht auferlegt wird, konkreter zu freien Beschäftigungsmöglichkeiten vorzutragen, dann darf ihm dieser Vortrag durch eine sehr frühzeitige Kündigung nicht unmöglich gemacht werden. Denn anderenfalls verlöre er ein wichtiges Argument seines Kündigungsschutzes. Dabei ist wiederum festzustellen, dass sich die Position des Arbeitnehmers zum Vortrag einer anderweitigen Beschäftigung im Unternehmen umso ungünstiger darstellt, je früher die Kündigung ausgesprochen wurde. Je weiter sich also der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vom Zeitpunkt der letzten Kündigungsmöglichkeit entfernt, umso ungünstiger wird die Position des Klägers zum Vortrag bezüglich einer anderweitigen Beschäftigung im Betrieb. Spiegelbildlich bedeutet dies wiederum, dass sich insoweit die Position des Arbeitgebers im Prozess verbessert, je früher er kündigt. Denn je früher der Kündigungszugang erfolgt, umso unsicherer ist die Frage zu beurteilen, ob zum Ende der Kündigungsfrist eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in einem anderen Betrieb des Unternehmens besteht. Wenn aber die Rechtsprechung ein System bezüglich der Darlegungslast aufstellt, dass vom Arbeitnehmer in der zweiten Stufe konkreten Vortrag verlangt, der sich nicht erschöpfen darf in dem bloßen Hinweis auf die Fluktuation, dann darf durch eine frühzeitige Kündigung es dem Arbeitnehmer nicht unmöglich gemacht werden, dass er dazu sachgerecht vorträgt.

Bei einer Kündigung wie der hier streitgegenständlichen ist jedoch festzuhalten, dass der gekündigte Arbeitnehmer zwei Jahre vor Ablauf der Kündigungsfrist überhaupt nicht zu freien Arbeitsplätzen vortragen kann, jedenfalls nicht mit der Anforderung, die die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auf der zweiten Stufe der Darlegungslast erwartet. Zwar muss er dort nicht konkret einen freien Arbeitsplatz benennen, er genügt den Anforderungen an die Darlegungslast jedoch aber auch nicht, wenn er nur allgemein auf die Personalfluktuation im Unternehmen hinweist. Vielmehr muss er konkrete Anhaltspunkte für eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit angeben. Zwei Jahre vor Ablauf der Kündigungsfrist kann ein Arbeitnehmer allerdings allenfalls pauschal auf die Personalfluktuation im Unternehmen hinweisen. Näherer Vortrag ist ihm nicht möglich. Dies bedeutet aber gleichzeitig, dass es ihm durch die hier zu beurteilende vorzeitige Kündigung praktisch unmöglich gemacht wird, den Anforderungen der Darlegungslast zu genügen, was dazu führt, dass durch die hier streitgegenständliche frühzeitige Kündigung ein Aspekt seines Kündigungsschutzes - nämlich die anderweitige Beschäftigung im Unternehmen - praktisch bedeutungslos wird. Folglich ist die vorzeitige Kündigung eine Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes, das gerade vom Arbeitgeber verlangt, eine Kündigung nur dann auszusprechen, wenn es keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten im Unternehmen gibt.

d. Einer solchen Argumentation steht auch nicht entgegen der Hinweis der Beklagten, die vorzeitige Kündigung liege im Interesse der Arbeitnehmer. Zwar soll insoweit nicht verkannt werden, dass selbstverständlich eine vorzeitige Kündigung sich auch vorteilhaft für die Arbeitnehmer auswirken kann, da diese sich rechtzeitig auf die Verhältnisse einstellen können. Allerdings ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass dies auch dann möglich gewesen wäre, wenn die Beklagte im Dezember 2009 lediglich auf ihre ernsthafte Stilllegungsabsicht zum Dezember 2011 hingewiesen hätte. Auch dies wäre ausreichender Anlass für die betroffenen Arbeitnehmer gewesen, sich rechtzeitig auf die Situation einzustellen. Entscheidend ist aber, dass sich die hier streitgegenständliche vorzeitige Kündigung jedenfalls nicht überwiegend als für die Arbeitnehmer vorteilhaft darstellt, vielmehr überwiegend im Interesse der Beklagten liegt. Auch wenn den Arbeitnehmern durch die weiträumig vor dem Kündigungstermin ausgesprochene Kündigung überaus viel Zeit zur Stellensuche eingeräumt worden ist, wiegt das die oben beschriebenen Nachteile im Kündigungsschutzprozess, in denen es um den Fortbestand des aktuellen Arbeitsverhältnisses geht, nicht auf. Bei einer derart frühzeitigen Kündigung stehen nicht die Interessen der Arbeitnehmer im Vordergrund, sich auf den Verlust des Arbeitsplatzes einzurichten, sondern der Wunsch der Beklagten nach einer rechtssicheren Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Denn bei einer derart langen Vorlaufzeit schließt der Arbeitgeber das Risiko, vom gekündigten Arbeitnehmer auf Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten verwiesen zu werden, praktisch aus.

Ergänzend ist darauf hinweisen, dass der Siebte Senat des Bundesarbeitsgericht bereits in der oben erwähnten Entscheidung vom 16.10.1987 (AP Nr. 2 zu § 53 BAT) darauf hingewiesen hat, dass die Erwägung, der Arbeitnehmer könne sich durch eine vorzeitige Kündigung frühzeitig auf die Arbeitsplatzsuche einstellen, nur dann durchschlagen könne, wenn die Arbeitgeberin auch zum tariflichen oder vertraglich nächstmöglichen Termin hätte wirksam kündigen können. Übertragen auf den hier zu beurteilenden Fall könnte dies bedeuten, dass das Argument, die Arbeitnehmer könnten sich frühzeitig auf die Situation einstellen, nur dann als sachlicher Grund durchgreifen könnte, sofern die Beklagte auch bereits im Dezember 2009 unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist hätte kündigen können. Dies wäre jedoch nicht möglich gewesen, denn dies hätte eine Kündigung mit einem Auslaufen der Kündigungsfrist bereits im Laufe des Jahres 2010 bedeutet, wogegen jedoch das Fehlen eines betrieblichen Grundes gestanden hätte. Denn zu diesem Zeitpunkt sollte - unstreitig - der Hotelbetrieb noch nicht eingestellt werden. Letztlich kann diese Argumentation jedoch dahingestellt bleiben, denn entscheidend ist, dass sich aus den bereits oben dargelegten Gründen die vorzeitige Kündigung als Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes darstellt.

e. Die Berufungskammer verkennt im Übrigen nicht, dass es mit einer gewissen Rechtsunsicherheit verbunden ist, wenn einerseits zwar vorzeitige Kündigungen akzeptiert werden, andererseits aber im Einzelfall zu prüfen ist, ob sich eine vorzeitige Kündigung möglicherweise als Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes darstellt. Die Frage, wann die zeitliche Grenze überschritten ist, kann abstrakt nicht beurteilt werden. Sie muss hier auch nicht festgelegt werden, denn im vorliegenden Fall ist sie jedenfalls weit überschritten. Hinzuweisen ist insoweit zunächst auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 07.03.2002 (2 AZR 93/01 - zitiert nach juris, Rn. 26), wo der Senat von einer nicht zu beanstandenden überschaubaren längeren Kündigungsfrist spricht beziehungsweise von einem die kurze Probezeitkündigungsfrist angemessen überschreitenden Beendigungszeitpunkt. Von einer solchen moderaten längeren Kündigungsfrist kann hier jedoch keine Rede mehr sein, denn die streitgegenständliche Kündigung überschritt die längste gesetzliche Kündigungsfrist um mehr als das dreifache und die längste Kündigungsfrist nach dem Manteltarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Schleswig-Holstein um ein Vielfaches.

f. Der Argumentation, mit der hier streitgegenständlichen Kündigung werde das Kündigungsschutzgesetz umgangen, kann auch nicht entgegengehalten werden der Hinweis auf einen möglichen Wiedereinstellungsanspruch der gekündigten Arbeitnehmer. Denn ein solcher Wiedereinstellungsanspruch wiegt nicht die durch die frühzeitige Kündigung eingetretene nachteilige Position des gekündigten Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess auf. Denn im Ergebnis trägt bei der Prüfung der anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit in einem anderen Betrieb des Unternehmens der Arbeitgeber trotz der abgestuften Darlegungslast die Beweislast. Denn zu den vom Arbeitgeber zu beweisenden Tatsachen gehören auch die für die Dringlichkeit sprechenden Umstände (Quecke in HWK, Arbeitsrecht-Kommentar, 4. Aufl., § 1 KSchG, Rn. 290; KR-Griebeling, § 1 KSchG, Rn. 555; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, 14. Aufl., § 1, Rn. 782). Für den Wiedereinstellungsanspruch wiederum ist der klagende Arbeitnehmer beweispflichtig. Der Anspruch auf Wiedereinstellung verleiht daher einen wesentlich geringeren Schutz, als er im Kündigungsschutzgesetz vorgesehen ist (BAG, Urteil vom 13.02.2008 - 2 AZR 79/06 -, zitiert nach juris, Rn. 35).

g. Abschließend ist nochmals das Bundesarbeitsgericht mit seinem Urteil vom 12.04.2002 zu zitieren (2 AZR 256/01, zitiert nach juris, Rn. 27). Dort heißt es: "Als sicher konnte bei dieser Lage im Kündigungszeitpunkt allein der Umstand angesehen werden, dass der Wegfall des Beschäftigungsbedarfes für die Klägerin eben unsicher und nicht vorhersehbar war. Eine solche Unsicherheit ist nicht geeignet, ein dringendes betriebliches Erfordernis im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG zu bilden."

Diese Unsicherheit mag sich hier möglicherweise nicht ergeben aus der Frage, ob der Betrieb in Lübeck stillgelegt wird. Die Unsicherheit ergibt sich aber bezogen auf die Frage, ob es zum Zeitpunkt des Auslaufens der Kündigungsfrist anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben des Unternehmens geben wird. Diese Frage konnte zum Zeitpunkt der hier streitgegenständlichen Kündigung weder die Beklagte noch der Kläger beantworten. Sie war schlicht unsicher. Es würden geradezu hellseherische Fähigkeiten verlangt werden, bezogen auf einen Zeitpunkt von mehr als zwei Jahren Aussagen zur Prognose einer anderweitigen Beschäftigung in anderen Betrieben des Unternehmens der Beklagten zu treffen. Da aber wiederum Kündigungsgrund gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG nicht der konkrete Wegfall des zuletzt besetzten Arbeitsplatzes ist, sondern der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs, bei dem auch anderweitige Beschäftigungen in anderen Betrieben zu berücksichtigen sind, bleibt festzuhalten, dass der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs im Sinne der oben zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruches unsicher war. Sicher war zu diesem Zeitpunkt nur, dass der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs für den Kläger eben unsicher und nicht vorhersehbar war.

Dies reicht nicht aus als dringendes betriebliches Erfordernis im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG. Ob aus diesem Grund die Kündigung als Vorratskündigung bezeichnet werden muss, kann jedoch dahingestellt bleiben.

Nach alledem wird das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der streitgegenständlichen Kündigung mit Ablauf des 31.12.2011 enden.

3. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte deshalb auch zu Recht zur Weiterbeschäftigung verurteilt. Der Antrag ist nicht mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Zwar ist die Beklagte erst ab dem 01.01.2012 aufgrund des ausgeurteilten Weiterbeschäftigungsanspruches verpflichtet. Nach Ankündigung der Beklagten im Berufungstermin, gegebenenfalls weitere Rechtsmittel einzulegen, ist jedoch damit zu rechnen, dass die Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag vor diesem Zeitpunkt nicht rechtskräftig werden wird. Der Weiterbeschäftigungsanspruch ist bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Kündigungsschutzverfahrens auf der Grundlage der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 20.02.1985 (GS 171/84 - NZA 1985, 702) begründet. Es liegt auch kein Fall der objektiven, der subjektiven oder der wirtschaftlichen Unmöglichkeit vor. Die Beschäftigung ist nicht unmöglich, denn die Beklagte betreibt weiter Hotels, in denen es entsprechende Stellen gibt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

VorschriftenKSchG § 1 Abs. 2 S. 2

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