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01.02.2011 · IWW-Abrufnummer 110321

Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 03.12.2010 – 20 U 16/10

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Tenor: Die Berufung der Klägerin gegen das am 17.12.2009 verkündete Urteil der Zivilkammer IV des Landgerichts Detmold wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe (§ 540 ZPO):
A.
Die Klägerin ist seit 2005 Versicherungsnehmerin bei dem beklagten Haftpflichtversicherer. Sie begehrt Deckungsschutz für einen Schadensfall vom 27.03.2008, bei dem ihr mitversicherter, damals 13jähriger Sohn X eine Benzinlache anzündete, die sich nach dem Sturz eines Rollerfahrers gebildet hatte, worauf jener von den Flammen erfasst wurde und Verbrennungen dritten Grades erlitt. Mit Schreiben vom 25.05.2008 zeigte die Klägerin der Beklagten den Versicherungsfall an.
Mit der Klage hat die Klägerin beantragt,
1. festzustellen, dass die zugunsten der Klägerin bei der Beklagten bestehende Privathaftpflichtversicherung ################## nicht durch Kündigung der Beklagten vom 08.07.2008 erloschen ist;
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Deckungsschutz aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag ################## aus dem Haftpflichtschadensfall vom 27.03.2008 zu gewähren;
3. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.761,08 € freizustellen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass die Klägerin eine Obliegenheitsverletzung begangen habe, indem sie ihren Sohn nach dem Schadensfall ins Ausland verbracht und dadurch Feststellungen zum Vorsatz und zur Einsichtsfähigkeit des Sohnes vereitelt habe. Wegen der dazu getroffenen tatsächlichen Feststellungen und der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihre Begehren aus den Klageanträgen zu 2.) und 3.) weiter, während die Beklagte das landgerichtliche Urteil verteidigt. Wegen des Berufungsvorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Die Feststellungen sind dahin zu ergänzen, dass es auch vorher schon einen Versicherungsfall gegeben hatte, nachdem X bei einer Tankstelle ein Schild eingetreten hatte. Diesen Versicherungsfall hatte die Klägerin sofort beim Versicherer gemeldet und dann auch Ersatz erhalten.
B.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist im Ergebnis unbegründet.
Für den Schadensfall gelten die vereinbarten "Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB 2001)" der Beklagten sowie das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung (Art. 1 Abs. 2 EGVVG).
Der Klägerin steht ein Anspruch auf die begehrte Versicherungsleistung nicht zu.
I.
Zwar liegt nicht die vom Landgericht angenommene Obliegenheitsverletzung darin, dass die Klägerin ihren Sohn X nach dem Schadensfall einer anderweitigen Erziehung im Ausland zuführte und ihn der polizeilichen Ermittlungstätigkeit entzog. Denn im Strafverfahren ist niemand verpflichtet, sich selbst oder einen nahen Angehörigen zu belasten und an der Aufklärung der von ihm begangenen Straftaten mitzuwirken. Das gilt auch dann, wenn eine konkrete Bestrafung schon wegen Strafunmündigkeit nicht in Betracht käme.
Die fehlende Mitwirkung im Strafverfahren hat auch keine Auswirkung auf das Versicherungsverhältnis. Deshalb durfte die Beklagte sich nicht, wie das Landgericht meint, auf die fehlende Kooperation der Klägerin im Ermittlungsverfahren zurückziehen und von eigenen Rückfragen bei der Klägerin wegen "erkennbarer Aussichtslosigkeit" absehen, sondern musste eigene Nachfragen stellen. Eine Obliegenheitsverletzung nach § 5 Ziff. 3 AHB, auf die das Landgericht seine Entscheidung stützt, hätte daher nur angenommen werden können, wenn die Klägerin eine Aufforderung der Beklagten, den Aufenthalt des Sohnes mitzuteilen, nicht befolgt hätte. Eine solche Aufforderung seitens des Versicherers gab es jedoch nicht.
Hinzu kommt, dass die Rechtsprechung eine gesonderte Belehrung des Versicherungsnehmers darüber verlangt, dass vorsätzlich falsche oder unvollständige Angaben auch dann zum Verlust des Versicherungsschutzes führen können, wenn dem Versicherer hieraus kein Nachteil erwächst (s. Prölls/Martin § 5 AHB Rdn. 4). Auch hieran fehlt es.
3.
Allerdings liegt eine Obliegenheitsverletzung nach § 5 Ziff. 1 AHB / § 153 Abs. 1 VVG a.F. darin, dass die Klägerin den Versicherungsfall nicht unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche, bei der Beklagten anzeigte. Die Klägerin erfuhr spätestens am 02.04.2008 durch die Polizei von dem Vorfall, telefonisch sogar bereits am 31.03.2008. Spätestens eine Woche darauf hätte sie den Versicherungsfall bei der Beklagten anzeigen müssen. Tatsächlich zeigte sie den Versicherungsfall erst annähernd drei Monate später mit Schreiben vom 25.06.2008 an.
a)
Vorsätzliches Handeln der Klägerin wird nach § 153 Abs. 1 Satz 2, § 6 Abs. 3 VVG a.F. vermutet. Die Vorsatzvermutung ist nicht dadurch widerlegt, dass die Klägerin im Senatstermin angab, sie habe nicht gewusst, dass sie den Versicherungsfall sofort beim Versicherer habe melden müssen. Denn aus einem vorangegangenen Versicherungsfall, bei dem X ein Schild eingetreten hatte, waren ihr die Abläufe bekannt.
Das Unterlassen der Anzeige war relevant. Die Interessen des Versicherers wurden durch die verspätete Anzeige ernsthaft gefährdet, denn es konnten über einen langen Zeitraum keine Erhebungen angestellt werden.
b)
Selbst wenn man die Vorsatzvermutung als mit der Unwissenheit der Klägerin widerlegt ansähe, beruhte die Obliegenheitsverletzung wenigstens auf grober Fahrlässigkeit der Klägerin. Denn diese hätte sich nach dem Schadensfall über ihre versicherungsrechtlichen Obliegenheiten anhand der Versicherungsbedingungen oder durch Nachfragen beim Versicherer informieren müssen. Das Unterlassen jeglicher Bemühungen, sich über die einzuleitenden Schritte zu orientieren, stellt einen besonders schweren Sorgfaltsverstoß und somit grobe Fahrlässigkeit dar.
Die verspätete Anzeige hatte auch Einfluss auf die Feststellung der dem Versicherer obliegenden Leistung (§ 6 Abs. 3 Satz 2 VVG a.F.), da es dem Versicherer dadurch genommen wurde, Untersuchungen zur deliktischen Einsichtsfähigkeit des Kindes anzustellen. Weil es auf die Einsichtsfähigkeit zum Tatzeitpunkt ankommt, hätten diese Untersuchungen zeitnah nach dem Vorfall angestrengt werden müssen und nicht mit mehrmonatiger Verspätung. Für diese Untersuchungen kam es auch nicht darauf an, ob X bereits ins Ausland verbracht war, da die Untersuchungen auch im Ausland hätten angestellt werden können.
4.
Leistungsfreiheit für den Fall einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung ist auch vereinbart (§ 6 AHB).
II.
Da die Rechtsverfolgung der Klägerin erfolglos blieb, ist auch der Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten unbegründet.
III.
Die nicht nachgelassenen Schriftsätze beider Parteien vom 14.10.2010, 28.10.2010, 08.11.2010 und 26.11.2010 nötigen nicht zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 156 Abs. 1, 2 ZPO).
IV.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97, 708 Nr. 10, 543 Abs. 2 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern.

RechtsgebieteVersicherungsrecht, Haftpflichtversicherung, ObliegenheitsverletzungVorschriften§ 5 Ziff. 1 AHB / § 153 Abs. 1 VVG a.F.

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