Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

20.01.2011

Landesarbeitsgericht Köln: Urteil vom 17.09.2010 – 4 Sa 584/10

Entstehung von Urlaub bei ruhendem Arbeitsverhältnis.


Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 23.03.2010 - 4 Ca 5694/09 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass der Klägerin aus dem Jahr 2008 noch 21 Werktage und aus dem Jahr 2009 noch 12 Werktage Urlaub zustehen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagte 9/10 und die Klägerin 1/10 zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob der Klägerin aus dem Jahr 2008 und aus der Zeit bis zum Juli 2009, einer Zeit, in der sie arbeitsunfähig erkrankt war und ab dem 12.08.2008 nach Aussteuerung in der gesetzlichen Krankenversicherung Arbeitslosengeld bezog, noch Urlaubsansprüche zustehen

Wegen des erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Gegen dieses ihr am 29.03.2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 26.04.2010 Berufung eingelegt und diese am 28.05.2010 begründet.

Beide Parteien verfolgen in der Berufungsinstanz im Wesentlichen mit Rechtsausführungen ihre jeweiligen Prozessziele weiter.

Zur Bescheinigung nach § 312 SGB III trägt die Klägerin vor, die Agentur für Arbeit habe sie gebeten, diese ausfüllen zu lassen. Ihr sei nicht bekannt gewesen, zu welchem Zweck dies geschehen sei.

Im Übrigen trägt die Klägerin - ohne dass die Beklagte das bestritten hätte - Folgendes vor: Das Arbeitsamt habe durch einen Amtsarzt ein medizinisches Gutachten veranlasst, aus dem sich ergeben habe, dass sie, die Klägerin, nur leichtere Arbeit als die bisher bei der Beklagten ausgeübte ausüben dürfe. Dieses Gutachten habe sie der Beklagten in Anwesenheit der Betriebsärztin Frau D. E vorgelegt. In dem Gespräch habe die Beklagte erklärt, sie werde sich bei der Klägerin bezüglich eines leichteren Arbeitsplatzes melden. Die Beklagte habe jedoch bis zum 11.07.2009, dem Tag, als die Klägerin ihre Arbeit wieder zur Verfügung gestellt habe, keinen Kontakt mit ihr aufgenommen.

Zu keinem Zeitpunkt - so die Klägerin weiter - seien ihr betriebliche Gründe für die Nichtgewährung des Urlaubs genannt worden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 23.03.2010 - 4 Ca 5694/09 - abzuändern und festzustellen, dass der Klägerin aus dem Jahr 2008 noch 24 Werktage Urlaub und aus dem Jahr 2009 noch 18 Werktage Urlaub zustehen.

Die Beklagte beantragt

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Insoweit wird auf die Berufungserwiderung (Bl. 76 f. d. A.) und den Schriftsatz der Beklagten von 16.09.2010 Bezug genommen.

Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin hatte zum Teil Erfolg.

I. Der Urlaubsanspruch der Klägerin ist im Jahre 2008 und im Jahre 2009 bis zur Wiederaufnahme der Arbeit durch die Klägerin am 11.07.2009 zumindest in Höhe des gesetzlichen Mindesturlaubs nach §§ 3 und 5 BUrlG entstanden und nicht aufgrund eines Ruhens des Arbeitsverhältnisses während des Arbeitslosengeldbezuges der Klägerin ab dem 12.08.2008 zu mindern.

1. Das Arbeitsgericht ist davon ausgegangen, dass der Anspruch ab August 2008 aufgrund der Vorlage einer Bescheinigung gemäß § 312 SGB durch die Klägerin entsprechend dem Urteil des BAG vom 14.03.2008 - 9 AZR 312/05 - aufgrund des Ruhens des Arbeitsverhältnisses gemäß § 28 Abs. 2 c TVöD zu mindern gewesen sei.

Das Arbeitsgericht begründet indes nicht, warum es auch bis zu diesem Zeitpunkt die Klage abgewiesen hat.

Es ist kein Grund ersichtlich, warum der Anspruch bis zum August 2008 nicht hätte entstehen sollen. Auch die Beklagte beruft sich insoweit nicht auf einen Ruhenstatbestand. Jedenfalls bis zum August 2008 stand der Klägerin daher jedenfalls der gesetzliche Mindestanspruch zu.

2. Auch in der Zeit von August 2008 bis Juli 2009 ist der gesetzliche Mindestanspruch selbst dann entstanden, wenn das Arbeitsverhältnis im Sinne des § 26 Abs. 2 c TVöD ruhte, wobei hier unterstellt werden kann, dass das Arbeitsverhältnis ähnlich wie im Fall des BAG vom 14.03.2006 (9 AZR 312/05) nach Anforderung der Arbeitsbescheinigung durch die Klägerin geruht hat.

Denn § 26 Abs. 2 c TVöD wäre, soweit er überhaupt dahin auszulegen sein sollte, dass er auch den gesetzlichen Mindestanspruch erfasst, gemäß § 13 Abs. 1 BUrlG unwirksam (vgl. BAG 14.03.2006 a.a.O., Rn. 38).

3. Der gesetzliche Mindestanspruch wurde im Übrigen allein durch ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses in seiner Entstehung nicht gehindert. Vielmehr war der gesetzliche Mindestanspruch wegen des Ruhens des Arbeitsverhältnisses und der bestehenden Arbeitsunfähigkeit nicht erfüllbar. Er wäre nach der gesetzlichen Regelung des § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG auf der Grundlage der früheren Rechtsprechung des BAG allerdings 3 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres untergegangen (vgl. BAG 14.03.2006 - 9 AZR 312/05, Rn. 38).

4. Auch die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin stand dem Entstehen des gesetzlichen Urlaubsanspruchs nicht entgegen. Das Entstehen des Urlaubsanspruchs setzt keine erbrachte Arbeitsleistung voraus (BAG a.a.O., Rn. 19 m.w.N.).

5. Soweit die Beklagte im Schriftsatz vom 16.09.2010 die Auffassung vertreten hat, im Sinne der "Einheitlichkeit der Rechtsordnung" sei im vorliegenden Fall die Vorschrift des § 143 SGB III zu beachten, in dessen Absatz 2 es heißt: "Hat der Arbeitslose wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Urlaubsabgeltung erhalten oder zu beanspruchen, so ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit des abgegoltenen Urlaubs", so ist der Kammer nicht ersichtlich, welche Bedeutung diese Vorschrift auf den vorliegenden Fall haben sollte. Das Arbeitsverhältnis ist nicht beendet. Die Vorschrift kommt nicht zur Anwendung. Auch sonst ist dem SGB III nicht zu entnehmen, dass der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber entfällt, solange der Arbeitnehmer, der noch in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber steht, nach § 125 SGB III Arbeitslosengeld erhält.

II. Der gesetzliche Mindestanspruch der Klägerin für das Jahr 2008 ist auch nicht mit Ablauf des Jahres 2008 gemäß § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG untergegangen. Denn gemäß § 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG erfolgte eine Übertragung in das nächste Kalenderjahr (2009), weil ein in der Person der Klägerin liegender Grund dies rechtfertigte. Die Klägerin war nämlich arbeitsunfähig, so dass der Anspruch bis dahin nicht erfüllbar war.

Der Anspruch ging auch nicht gemäß § 26 Abs. 2 a TVöD wegen fortbestehender Arbeitsunfähigkeit der Klägerin bis zum 31. Mai 2009 unter.

Dem steht nämlich die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 20.01.2009 (C-350/06 u. a. - NZA 2009, 135 ff.) entgegen. Das Bundesarbeitsgericht hat in der Entscheidung vom 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 - daraus die Konsequenz gezogen, dass der Anspruch auf Abgeltung gesetzlichen Voll- oder Teilurlaubs nicht erlischt, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deshalb arbeitsunfähig ist. Dieses gilt aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs sowohl für § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG als auch für tarifliche Vorschriften wie § 26 Abs. 2 a TVöD.

Die Frage der Rückwirkung oder des Vertrauensschutzes entsteht hier insoweit nicht, als das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 20.01.2009 datiert und es hier um ein Erlöschen zum 31. März 2009 bzw. zum 31. Mai 2009 geht.

Der Klägerin stand damit im Jahre 2009 der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch für das Jahr 2008 in voller Höhe (24 Werktage) und auch der gesetzliche Teilanspruch für die Zeit bis einschließlich Juni 2009 (12 Werktage) zu.

III. Diese Ansprüche sind jedoch ebenso wie alle ev. entstandenen weitergehenden Ansprüche, nämlich wie die tariflichen Urlaubsansprüche und der Zusatzurlaub der Schwerbehinderten am Ende des Urlaubsjahres 2009 gemäß § 7 Abs. 3 S. 1 und 2 BUrlG - die insoweit durch § 26 Abs. 2 a TVöD nicht abgeändert werden - verfallen. Die Klägerin war nämlich seit Juli 2009 wieder arbeitsfähig, so dass ab diesem Zeitpunkt die zitierte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und die ihr nachfolgende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht mehr einschlägig sind. Die Zeit vom 11. Juli bis zum 31. Dezember 2009 war auch ausreichend, um den gesamten Urlaubsanspruch der Klägerin für 2009 und zusätzlich den gesetzlichen Urlaubsanspruch der Klägerin für das Jahr 2008 zu erfüllen.

IV. Ein Teil der verfallenen Urlaubsansprüche steht der Klägerin jedoch als Schadensersatz zu.

Hat der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber rechtzeitig, aber erfolglos die Freistellung im Urlaubsjahr verlangt und damit den Arbeitgeber gemahnt und in Verzug gesetzt und war die Gewährung des Urlaubs im Kalenderjahr nach diesem Verlangen noch möglich, so hat der Arbeitgeber den Schaden zu ersetzen, der durch die während seines Verzugs infolge Zeitablaufs eingetretene Unmöglichkeit der Erfüllung des Urlaubsanspruchs entstanden ist. Dieses geschieht nach den Grundsätzen der Naturalrestitution wie bei der Erfüllung durch Befreiung von der Arbeitspflicht, so dass sich nur der Rechtsgrund, nicht aber der Inhalt des Urlaubsanspruchs ändert (vgl. statt vieler ErfK/Dörner§ 7 BUrlG Rn. 39 m. N. zur ständigen Rechtsprechung des BAG).

Ein solches Freistellungsverlangen hat die Klägerin erst mit Schreiben vom 19.11.2009 (Bl. 7 d. A.) abgegeben.

Sofern sie in der Klageschrift mitteilt, bei Antritt ihrer Arbeit im Juli 2009 habe sie geltend gemacht, dass zumindest der ihr zustehende gesetzliche Mindesturlaub aus dem Jahre 2008 auf das Urlaubskonto für das Jahr 2009 gutzuschreiben sei, so liegt darin kein konkretes Freistellungsverlangen.

Auch sofern in der Klageschrift desweiteren ein Schreiben der Gewerkschaft vom 17.09.2009 erwähnt wird, so wurde ausweislich der Klageschrift darin nur die Übertragung aus das Urlaubskonto des Jahres 2009 geltend gemacht und gleichzeitig geltend gemacht, dass der Urlaubsanspruch für das Jahr 2009 nicht nur 18, sondern 36 Tage betrage. Auch hierin liegt kein konkretes Freistellungsverlangen.

Nach dem Schreiben vom 19.11.2009, das am 20.11.2009 zuging, fielen indes - gerechnet ab dem 21.11.2009 - nur noch 33 Werktage an. Dieses reichte nicht mehr, den unter Berücksichtigung von 24 Werktagen für 2008 und von 12 Werktagen für 2009 (bis zum Juli) noch offenstehenden gesetzlichen Urlaub zu erfüllen. Von diesen auf 36 Werktage zu summierenden Urlaubstagen hat die Klägerin entsprechend dem Vorgesagten daher nur noch einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 33 Werktagen.

Insgesamt stehen der Klägerin damit noch 33 Werktage Urlaub, analog § 366 BGB verteilt auf 21 für das Jahr 2008 und 12 für das Jahr 2009 aus den im vorliegenden Rechtsstreit streitigen Urlaubsansprüchen zu.

V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.

VI. Die Kammer hat die Revision nicht zugelassen, da alle für den vorliegenden Fall relevanten grundsätzlichen Rechtsfragen in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, insbesondere in den Entscheidungen vom 14.03.2006 - 9 AZR 312/05, 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 und 23.03.2010 - 9 AZR 128/09 - geklärt worden sind.

Sprechen Sie uns an!

Kundenservice
Max-Planck-Str. 7/9
97082 Würzburg
Tel. 0931 4170-472
kontakt@iww.de

Garantierte Erreichbarkeit

Montag - Donnerstag: 8 - 17 Uhr
Freitag: 8 - 16 Uhr