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20.04.2007 · IWW-Abrufnummer 071162

Amtsgericht Frankfurt/Main: Urteil vom 13.02.2007 – 30 C 2192/06

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Amtsgericht Frankfurt am Main

Aktenzeichen 30 C 2192/06-45
Verkündet am: 13.02.2007

Urteil

Im Namen des Volkes

Im Rechtsstreit XXX

hat das Amtsgericht Frankfurt am Main, Abt. 30 durch Richter am Amtsgericht XXX
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25.01.2007 für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.200,00 ? nebst .Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.07.2006 zuzüglich 87,29 ? vorgerichtliche Anwaltskosten zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar ..

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger macht gegenüber der Beklagten aus eigenem und abgetretenem Recht seiner Ehefrau Ausgleichsansprüche nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 geltend.

Der Kläger und seine Ehefrau waren im Besitz bestätigter Buchungen für den Flug XXX, der am 03.03.2006 um 14.25 Uhr von Frankfurt am Main nach D. fliegen sollte.

Das Boarding für diesen Flug wurde von der Beklagten erst um 15.30 Uhr durchgeführt. Nach einer Wartezeit von einer Stunde mussten die Passagiere das Flugzeug wieder verlassen und auf dem Flughafen warten.

Um 20.15 Uhr erfolgte ein erneutes Boarding; diesmal mussten die Passagiere 3 ½ Stunden im Flugzeug warten um dieses dann gegen 23.45 Uhr wieder zu verlassen.

Der Kläger und seine Ehefrau wurden sodann in einem Hotel untergebracht und am nächsten Tag, dem 04.03.2006 mit dem Flug XXX um 14.00 Uhr nach D geflogen.

Der Kläger ist der Ansicht, ihm stünden aufgrund der Annullierung des gebuchten Fluges Ausgleichsansprüche nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 zu.

Der Kläger stellt den Antrag,
auf den erkannt wurde.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, am 03.03.2006 habe auf dem Frankfurter Flughafen starker Schneefall geherrscht, so dass sich auch durch die erforderlich werdenden Enteisungen ein enormer Rückstau wartender Flugzeuge gebildet hätte.

Grundsätzlich dauere eine Enteisung bei normalem Schneefall ca. 15-20 Minuten, bei schwerem Schneefall dauere eine Enteisung ca. 50 Minuten.

Nach der. Enteisung bleibe ein Flugzeug bei andauerndem schlechten Wetter max. 25 Minuten eisfrei; nur innerhalb dieser 25 Minuten dürfe es starten, danach müsse es erneut enteist werden.

Ihr für den Flug XXX vorgesehenes Flugzeug sei erst um 23.26 Uhr enteist gewesen, nachdem es sehr lange auf die Enteisung habe warten müssen und auch die Enteisung sehr viel Zeit benötigt habe.

Um 23.26 Uhr sei dann unglücklicherweise die Dienstzeit der Crew überschritten gewesen und habe keine Ersatzcrew mehr zur Verfügung gestanden, so dass der Flug erst am nächsten Tag durchgeführt werden konnte.

Die Beklagte ist der Ansicht, der Flug sei nicht annulliert worden, sondern lediglich verspätet durchgeführt worden.

Es sei mit dem selben Flugzeug geflogen worden; welches für den Flug XXX am 03.03.2006 vorgesehen war, die Flugnummer sei nur zur Vermeidung von Verwechselungen auf XXX geändert worden, auch seien mit dem Flug XXX am 04.03.2006 im Wesentlichen dieselben Passagiere befördert worden, die für den Flug XXX am Vortag gebucht waren. Von den 303Passagieren, die mit dem Flug XXX befördert wurden, seien nur 2 Passagiere nicht bereits für den Flug XXX gebucht gewesen.

Die Beklagte regt an, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH die Frage vorzulegen, wie ein verspäteter Flug von einem annullierten Flug unterschieden werden kann bzw. ob eine Verspätung ab einem bestimmten Zeitpunkt in eine Annullierung umschlägt.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gegenseitig gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Dem Kläger stehen gegenüber der Beklagten die geltend gemachten Ausgleichsansprüche aus Art. 5 Abs. 1 lit. c) i.V.m. Art. 7 Abs. 1 lit. c) Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vom 11.02.2004 zu.

Entgegen der Ansicht der Beklagten liegt keine bloße Verspätung, sondern eine Annullierung des Fluges XXX vom 03.03.2006 vor.

Nach der Legaldefinition des Begriffs ?Annullierung" in Art. 2 lit. I der EG Verordnung 261/2004 bezeichnet der Ausdruck .?Annullierung" die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war.

Der Kläger und seine Ehefrau waren im Besitz bestätigter Buchungen für den Flug XXX, der am 03.03.2006 um 14.25 Uhr von Frankfurt am Main nach D fliegen sollte.

Am 03.03.2006 wurde von der Beklagten der Flug XXX jedoch nicht durchgeführt.

Während Prof. Dr. Ronald Schmid (NJW 2006, 1841 ff. und NJW 2007,261 ff.), bei der Abgrenzung zwischen Verspätung und Annullierung auf den Zeitfaktor setzt, soll es nach Tonner (Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 13a, Rn. 661) für die Annahme der Annullierung entscheidend darauf ankommen, ob ein Passagier neu abgefertigt wird und eine neue Bordkarte erhält (dann Annullierung), oder die ursprüngliche Bordkarte weiterhin gilt (dann Verspätung).

Auch nach Führich (Newsletter 11/2006 des ?Competenz Centrum Reiserecht der FH Kempten") ist für die Abgrenzung der Verspätung von der Annullierung nicht der Zeitfaktor das Entscheidende, die Abgrenzung sei vielmehr danach vorzunehmen, ob ein neues Ticket oder eine neue Bordkarte ausgestellt wurde, eine neue Flugnummer . vergeben wurde, nochmals eingecheckt werden musste oder andere Passagiere auf dem Flug befördert wurden.

Selbst wenn man mit der Beklagten den Ausführungen von Prof. Dr. Ronald Schmid nicht folgt, wonach im Hinblick auf den Charakter des Luftbeförderungsvertrages als Fixgeschäft eine Verspätung immer dann in eine Nichtbeförderung umschlägt, wenn die Abflugzeit - wie hier - unangemessen überschritten werde, kann im vorliegenden Fall nicht mehr von einer Verspätung ausgegangen werden.

Zum einen haben der Kläger und seine Ehefrau für den Flug XXX am 04.03.2006 neue Bordkarten erhalten (Anl. K4), zum anderen erfolgte der Flug unter einer anderen Flugnummer als vorgesehen, auch wurden (wenn auch nur zwei) andere Passagiere befördert, als für den Flug XXX am 03.03.2006vorgesehen waren.

Insbesondere die Tatsache, dass auch andere Passagiere mit dem Flug XXX befördert wurden, als für den Flug XXX gebucht, zeigt deutlich, dass nicht mehr von einer Verspätung gesprochen werden kann.

Es ist ? bis auf die Fälle des Todes oder der Geburt während des "Wartens? - denklogisch ausgeschlossen, dass sich durch einen verspätet erfolgten Abflug eines Fluges die Zusammensetzung der wartenden Passagiergruppe ändern kann.

Ändert sich aber bei einem bestätigten Flug nicht durch der Abflugtag, die Flugnummer, die Zusammensetzung der Gruppe der Passagiere und der Sitzplatz innerhalb des Flugzeugs, so kann nicht mehr von einer bloßen Verspätung eines Fluges gesprochen werden. Es liegt vielmehr die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges vor, für den ein Platz reserviert war, was nach der Legaldefinition in Art. 2 Iit. I der EG Verordnung 261/2004 den Begriff ?Annullierung" bezeichnet.

Die Beklagte kann sich im vorliegenden Fall auch nicht mit Erfolg auf die Ausnahmeregelung des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung stützen.

Die Beklagte wäre nach dieser Ausnahmeregelung nicht verpflichtet, die festgeschriebenen Ausgleichszahllungen zu leisten, wenn sie nachweisen könnte, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

Der Vortrag der Beklagten zu den Wetterbedingungen am Frankfurter Flughafen unterstellt, konnte die Beklagte die Verzögerung des Abflugs bis 23.26 Uhr, dem Zeitpunkt, zu dem das Flugzeug endlich enteist war, trotz Ergreifung aller zumutbaren Maßnahmen vermutlich nicht vermeiden.

Die Tatsache, dass nach erfolgter Enteisung die Beklagte kein Personal hatte, um den dann möglichen Flug durchzuführen, da die Dienstzeit der Crew überschritten war und keine Ersatzcrew mehr zur Verfügung stand, hätte sich aber vermeiden lassen können.

Die Beklagte hätte bei Auftreten der wetterbedingten Verzögerungen erkennen können und müssen, dass die Enteisung und das Warten hierauf einen Zeitraum benötigen wird, der zur Kollision mit den Dienstzeiten der Crew führen kann und daher für eine Ersatzcrew sorgen müssen.

Die Beklagte führt allein in Deutschland regelmäßige Linienflüge von vier Flughäfen - Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg und München - aus durch, so dass es nicht darauf ankommt, dass sie an jedem. Flughafen eine Ersatzcrew vorrätig halten muss. Es wäre vielmehr auch möglich gewesen, dafür Sorge zu tragen, dass von einem der nahegelegenen Flughäfen eine Ersatzcrew herangezogen werden kann.

Der Beklagten ist insoweit Recht zu geben, dass die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 keine Einlassungs- und Darlegungslast der Beklagten vorschreibt, unter welchen Voraussetzungen sie wann, wo, wie schnell und zu welchen Kosten Ersatzpersonal nach Frankfurt am Main hätte bringen können.

Die positive Verpflichtung zur Zahlung der Ausgleichsleistung nach Art. 5 Abs. 1 Iit. c) in Verbindung mit Art. 7 der Verordnung stellt zunächst nicht darauf ab, ob eine Fluggesellschaft darlegt, warum ein geplanter Flug, für den zumindest ein Platz reserviert war, nicht durchgeführt wurde (Legaldefinition des Begriffs ?Annullierung" in Art. 2 lit. I der EG Verordnung 261/2004).

Die Verordnung räumt der Fluggesellschaft jedoch in Art. 5 Abs. 3 der Verordnung die Möglichkeit zur Exkulpation ein, indem diese nachzuweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückging, die sich auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

Nur wenn die Fluggesellschaft dies darlegen - und im Zweifelsfall nachweisen - kann, ist sie nicht verpflichtet, die Ausgleichszahlungen nach Art. 7 der Verordnung zu zahlen.

Eine Pflicht zur Exkulpation besteht aber in der Tat nicht.

Als unterlegene Partei hat der Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 ZPO); der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr.11, 711 ZPO.

RechtsgebietLuftbeförderungsrechtVorschriftenArtikel 5 Abs. 1c, i.v.m. Artikel 7 Abs. 1c, Verordnung (EG) Nr 261/2004

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