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01.10.2003 · IWW-Abrufnummer 032160

Oberlandesgericht Koblenz: Beschluss vom 01.09.2003 – 1 Ss 151/03

1. Will der Bußgeldrichter von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot absehen und stattdessen lediglich die Geldbuße erhöhen, hat er dies besonders eingehend zu begründen. Er muss im einzelnen darlegen, auf Grund welcher Tatsachen er zu der Überzeugung gelangt ist, dass es in objektiver und subjektiver Hinsicht gerechtfertigt erscheine, vom Regelfahrverbot abzusehen. Rein subjektive Eindrücke des Richters ohne Tatsachensubstanz sind können ein Absehen vom Fahrverbot grundsätzlich nicht rechtfertigen. Die eingehend darzulegenden Tatumstände müssen so aus dem Rahmen üblicher Begehungsweise fallen, dass die Vorschrift über das Regelfahrverbot offensichtlich nicht darauf zugeschnitten wäre.



2. Dass der Betroffene bisher verkehrsrechtlich unbelastet ist, ist ohne Bedeutung. Dies ist der Normalfall, von dem die Regelahndung nach der Bußgeldkatalogverordnung ausgeht. Soweit Voreintragungen für die Verhängung des Fahrverbots bzw. seine Bemessung von Bedeutung sind, ist dies in § 4 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 BKatV besonders zum Ausdruck gebracht.



3. Ohne Bedeutung ist auch, dass der Betroffene nach der Tat bis zum Erlaß des Urteils verkehrsrechtlich nicht mehr aufgefallen ist. Dies ist lediglich bereits eine Folge der "Denkzettelfunktion" des Fahrverbots, die naturgemäß auch schon vor dessen Vollzug Wirkung zeitigt. Mehr als dass das Fahrverbot in diesem Sinne bereits "vorgewirkt" hat, läßt sich aus dem beanstandungsfreien Verhalten des Betroffenen in diesem Zeitraum in aller Regel nicht herleiten. Daraus den Schluß zu ziehen, dass er des Vollzugs nicht mehr bedürfe und das im Bußgeldbescheid verhängte Fahrverbot wieder aufgehoben werden könne, ist unvertretbar.



4. Der Richter ist durch die Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolge und die dadurch eingetretene Rechtskraft der Schuldform "Fahrlässigkeit" zwar gehindert, neue oder ergänzende Schuldfeststellungen zu treffen, die stattdessen die Tatschuld "Vorsatz" ergeben würden. Nicht gehindert, sondern mit Blick auf § 25 Abs. 1 StVG sogar verpflichtet ist er jedoch, Feststellungen darüber zu treffen, ob dem Betroffenen im Rahmen der Fahrlässigkeit der Vorwurf grober Nachlässigkeit zu machen ist.



5. Bei der Bemessung des Fahrverbots hat der Bußgeldrichter sich grundsätzlich an die Vorgaben der BKatV zu halten. Die Anordnung des Fahrverbots in den Anwendungsfällen des § 4 BKatV wahrt nicht nur die Verhältnismäßigkeit der Sanktion, sondern gewährleistet darüber hinaus die Gleichbehandlung der Betroffenen und erfüllt damit auch ein Gebot der Gerechtigkeit.



6. Die allgemein und mit großer Akzeptanz anerkannte Fahrverbotsregelung würde in ihrer erzieherischen Wirkung empfindlich geschwächt, wenn "berufliche Streßsituationen", wie sie in der heutigen Arbeitswelt an der Tagesordnung und für viele Kraftfahrer schon zum Normalfall geworden sind, als "Entschuldigungsgrund" für gefährliche Raserei Anerkennung fänden.



7. Macht der Betroffene, um dem Fahrverbot zu entgehen, eine besondere berufliche Härte geltend, genügt es nicht, dass dem Tatrichter ein vom Betroffenen behaupteter Arbeitsplatzverlust möglich oder wahrscheinlich erscheint. Er muss vom sicheren Eintritt dieser - erfahrungsgemäß kaum jemals wirklich eintretenden - Folge vielmehr überzeugt sein und diese Überzeugung im Einzelnen begründen können. Keinesfalls dürfen die vom Betroffenen geltend gemachten Erschwernisse und Behinderungen ungeprüft übernommen werden. Etwaigen "Bestätigungen" des Arbeitgebers, dass es im Falle eines ein- oder mehrmonatigen Fahrverbots zum Arbeitsplatzverlust kommen werde, hat das Gericht mit gebotenem Misstrauen zu begegnen.


Geschäftsnummer:
1 Ss 151/03
8015 Js 19527/02 2 OWi StA Trier

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ
BESCHLUSS

In dem Bußgeldverfahren

wegen Geschwindigkeitsüberschreitung

hat der 1. Strafsenat - Senat für Bußgeldsachen - des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Völpel und die Richterin am Oberlandesgericht Hardt

am 01. September 2003 beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Trier vom 03. April 2003 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Betroffene, der seit 1989 im Besitz einer Fahrerlaubnis und im Verkehrszentralregister nicht eingetragen ist, wurde am 04. Januar 2002 um 10.09 Uhr als Fahrer eines mit luxemburgischen Kennzeichen versehenen BMW seines Arbeitgebers auf der Trierer "Stadtautobahn" (A 602), auf der die Höchstgeschwindigkeit durch Zeichen 274 auf 100 km/h beschränkt ist, mit (nach Toleranzabzug) 179 km/h gemessen. Der Betroffene gibt den Verstoß zu und stellt auch die Korrektheit der Messung nicht in Abrede.

Der Bußgeldbescheid ist von einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung ausgegangen und hat ihm die Regelgeldbuße von 375 ? sowie das Regelfahrverbot von drei Monaten auferlegt. Auf Einspruch des Betroffenen, beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch, hat das Amtsgericht unter Erhöhung der Geldbuße auf 500 ? das Fahrverbot aufgehoben.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1.

Nicht zu beanstanden ist allerdings, dass das Amtsgericht von der Wirksamkeit der Einspruchbeschränkung ausgegangen ist. Dass der Bußgeldbescheid eine bestimmte Schuldform nicht ausdrücklich benannt hatte und insoweit explizit auch keine Feststellungen enthielt, war kein Hinderungsgrund: "In Bußgeldsachen kann, soweit fahrlässiges Verhalten geahndet wird, auf solche Feststellungen in der Regel verzichtet werden, ohne dass die Vollständigkeit der Tatdarstellung darunter leidet. Die Fahrlässigkeit begründende Pflichtwidrigkeit des Handelns ergibt sich nämlich in diesen Sachen regelmäßig schon aus der objektiven Verwirklichung des Bußgeldtatbestandes. Denn das Wesen eines Bußgeldtatbestandes ist gerade das pflichtwidrige Handeln, d.h. die Verletzung eines verwaltungsrechtlich normierten oder in der Bußgeldvorschrift selbst enthaltenen Gebots oder Verbots, so dass die Erfüllung des Tatbestands Pflichtwidrigkeit jedenfalls in objektiver Hinsicht und regelmäßig auch, soweit nicht im Einzelfall besondere Umstände vorliegen oder die Vermeidung der Sorgfaltspflichtverletzung nicht besondere Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert, in subjektiver Hinsicht indiziert (Göhler, OWiG, § 10 Rdn. 8; Rebmann/Roth/Herrmann aaO. § 10 Rdn. 20). In diesen Fällen, in denen sich das Verschulden von selbst aus dem äußeren Geschehen ergibt, brauchen die inneren Tatsachen nicht im Einzelnen aufgezeigt zu werden (Göhler aaO. § 66 Rdn. 14; Rebmann/Roth/Herrmann aaO. § 66 Rdn. 5). Das wird in der großen Masse der Bußgeldsachen überwiegend der Fall sein. Bei Verkehrsordnungswidrigkeiten kann sogar gänzlich auf die Angabe der Schuldform verzichtet werden, wenn sich aus der Anwendung der Regelsätze der Bußgeldkatalogverordnung der Vorwurf fahrlässigen Verhaltens ergibt" (Senat, 1 Ss 79/99 vom 20.04.1999; Göhler, Rebmann/Roth/Herrmann, jeweils aaO., m.w.N.).

Damit war das Amtsgericht - obwohl nach Lage der Dinge alles für eine Vorsatztat sprach - darauf beschränkt, die für eine fahrlässige Geschwindigkeitsüberschreitung angemessene Rechtsfolge zu bestimmen.

2.

Ebenfalls zutreffend hat das Amtsgericht ausgeführt, der Betroffene habe "den Regelfall des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV und damit nach 11.3.10. Tabelle 1 Buchstabe c BKatV die Voraussetzung zur Anordnung eines dreimonatigen Regelfahrverbotes neben einer Regelgeldbuße von 375 ? verwirklicht".

3.

Gleichwohl hat der Amtsrichter das im Bußgeldbescheid verhängte Fahrverbot entfallen lassen lediglich eine höhere Geldbuße festgesetzt. Zur Begründung hat er ausgeführt:

"Im Rahmen der amtswegigen Prüfung ist auch eine Würdigung der Täterpersönlichkeit des Betroffenen vorzunehmen und festzustellen, ob angesichts dieser Täterpersönlichkeit der mit dem (Regel-)Fahrverbot erstrebte Besinnungs- und Erziehungseffekt auch durch angemessene Erhöhung des (Regel-)Bußgeldes erzielt werden kann. Die...Prüfung der Persönlichkeit des Betroffenen, den das Gericht in den Hauptverhandlungsterminen vom 13.2. und 3.4.2003 kennengelernt hat, hat zur Überzeugung des Gerichts die verlässliche Einschätzung erbracht, dass der Betroffene nicht durch ein ein- bis dreimonatiges Fahrverbot verkehrserzieherisch gemaßregelt werden muss. Der Betroffene weiß um die hohe Gefahr, die er mit seiner deutlich geschwindigkeitsüberschreitenden Fahrweise am Tattage für den allgemeinen Verkehr abstrakt herbeigeführt hat. Er hat dies in glaubhafter Selbstanschuldigung, die auch nicht ansatzweise heuchlerisch und prozesstaktisch geprägt war, überzeugend dargestellt und deutlich gemacht, dass die von ihm im Tatzeitpunkt gezeigte hektische Fahrweise völlig persönlichkeitsfremd und durch eine am Morgen des Tattages plötzlich eingetretene berufliche Streßsituation mit situativem Ausnahmecharakter ausgelöst worden ist.... Dass der Betroffene, wie von ihm reklamiert, ein durchweg besonnener, umsichtiger und verantwortungsbewusster Mann ist, zeigte sich in seiner bisherigen tadelfreien Teilnahme am Straßenverkehr ("blütenweißer" KBA-Auszug) und wird im Übrigen durch seinen zeugenschaftlich vernommenen Arbeitgeber...bestätigt, der dem Betroffenen nicht nur hohe fachliche Kompetenz, sondern auch große persönliche Stabilität und Souveränität auch unter hohem Leistungsdruck bescheinigt hat. Angesichts dieser Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, die auch durch seine bis zum Verkehrsverstoß vom 4.1.202 gezeigte beanstandungsfreie Fahrweise, die sich nachtatlich fortgesetzt hat, verlässlich belegt ist, besteht zur Überzeugung des Gerichts keine Wiederholungsgefahr und damit kein Erfordernis, den Betroffenen durch begleitendes Fahrverbot im Jetztzeitpunkt und damit über ein Jahr nach Begehung zu (noch) besserer Einsicht zu bringen. Bei diesem Betroffenen greift daher weder der Denkzettelzweck noch die Funktion des § 25 StVG, einen Beitrag zur nachhaltigen Hebung der Verkehrsdisziplin zu leisten. Angesichts des rein spezialpräventiven Charakters des § 25 StVG erschien daher bei diesem Betroffenen die Verhängung des (Regel-)Fahr-verbots ausnahmsweise als verfehlt..."

Die "plötzlich eingetretene berufliche Streßsituation mit situativem Ausnahmecharakter" beschreibt das Urteil wie folgt:

"Der Betroffene hatte Mitteilung erhalten, dass mehrere Tankstellen im Wittlicher Bereich infolge eines technischen Defektes der EDV-Anlage ausgefallen waren und hatte sich vergeblich bemüht, die Betriebsstörung von der Hauptniederlassung in Trier aus zu beheben."

Diese Ausführungen sind, wie die Staatsanwaltschaft zu Recht beanstandet, in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft und zwingen zur Urteilsaufhebung:

a) Zwar unterliegt es in erster Linie tatrichterlicher Würdigung, ob Gründe vorliegen, die ausnahmsweise Anlass geben, von der Rechtsfolge des § 25 Abs. 1 StVG i.V.m. § 4 Abs. 1 BKatV abzusehen (BGHSt 38, 231, 237; OLG Hamm NZV 1997, 185; OLG Karlsruhe VRS 88, 476). Dem Tatrichter steht dabei aber kein rechtlich ungebundenes freies Ermessen zu (vgl. OLG Hamm aaO.). Denn § 4 BKatV konkretisiert im Sinne der Ermächtigungsnorm die Anordnungsvoraussetzungen eines Fahrverbots als Regelmaßnahme (vgl. BGHSt 38, 125, 132), gewährleistet damit die Gleichbehandlung der Betroffenen und erfüllt so auch ein Gebot der Gerechtigkeit (vgl. BGH NStZ 92, 286, 288). Deshalb hat der Amtsrichter eine ausschließlich auf Tatsachen gestützte, besonders eingehende Begründung zu geben, in der er im einzelnen dargelegt, welche besonderen Umstände in objektiver und subjektiver Hinsicht es gerechtfertigt erscheinen lassen, vom Regelfahrverbot abzusehen (vgl. BGHSt aaO. 133; OLG Karlsruhe aaO. 478). Sein Entscheidungsspielraum wird durch die gesetzlich niedergelegten und von der höchstrichterlichen oder obergerichtlichen Rechtsprechung herausgearbeiteten Strafzumessungskriterien eingeengt und unterliegt auch hinsichtlich der Angemessenheit der Rechtsfolgen in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Beschwerdegericht (vgl. OLG Hamm aaO.).

b) Diesen Maßstäben genügt das angefochtene Urteil nicht. Die vom Amtsgericht angeführten Umstände lassen - weder für sich allein noch zusammen betrachtet - die Tatumstände keinesfalls so aus dem Rahmen üblicher Begehungsweise fallen, dass die Vorschrift über das Regelfahrverbot offensichtlich nicht darauf zugeschnitten wäre. Der Verzicht auf ein Fahrverbot, sei es ganz oder teilweise, ist hier aus den vom Amtsgericht angeführten Gründen nicht einmal im Ansatz vertretbar.

Will der Bußgeldrichter von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot absehen und stattdessen lediglich die Geldbuße erhöhen, hat er dies besonders eingehend zu begründen. Das angefochtene Urteil enthält hierzu zwar breite Ausführungen; sie erweisen sich jedoch ganz überwiegend als die über weite Passagen stark emotional geprägte Verbalisierung rein subjektiver Eindrücke des Richters, die jedweder (Tatsachen-)Substanz entbehren. Sie sind deshalb weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit geeignet, die Aufhebung des Fahrverbotes einer rationalen Überprüfung zugänglich, geschweige denn verständlich zu machen:

Den Betrachtungen zur "Persönlichkeitsstruktur" des Betroffenen, die nach Meinung des Amtsgerichts jedwede Denkzettel- oder Besinnungsmaßnahme als "verfehlt" erscheinen lasse, hätten zunächst die nach § 25 Abs. 1 StVG erforderlichen Tatsachenfeststellungen vorangestellt werden müssen, um beurteilen zu können, ob der Betroffene die Geschwindigkeitsbeschränkung - auch bei nur fahrlässiger Begehung - in grob pflichtwidriger Weise außer Acht gelassen hat (Senat, 1 Ss 163/03 vom 18.08.2003). Angesichts der extrem hohen Geschwindigkeitsüberschreitung und des Umstandes, dass der Betroffenen offenbar auf einer Strecke unterwegs war, die er tagtäglich befährt, ist nach Lage der Dinge nur schwer vorstellbar, dass das Amtsgericht hier bei korrektem Vorgehen zu einer anderen Bewertung als (zumindest) besonders grober Nachlässigkeit hätte gelangen können. Dass es keinerlei Feststellungen in dieser Hinsicht getroffen und sich damit der Grundlage für eine ordnungsgemäße Gewichtung der Pflichtwidrigkeit begeben hat, ist bereits ein schwerwiegender Rechtsfehler.

Die weiteren Erwägungen, mit denen der Bußgeldrichter sodann versucht hat, das Regelfahrverbot zu vermeiden, sind ebenfalls ungeeignet, einen Verzicht auf die Regelsanktion zu rechtfertigen. Auf Grund welcher Tatsachen er zu der "Überzeugung" bzw. seiner "verlässlichen Einschätzung" gelangt ist, dass ausgerechnet dieser Betroffene, der auf Grund seiner Raserei nicht nur ein einfaches, sondern ein dreimonatiges (Regel-)Fahrverbot verwirkt hat, "nicht mehr verkehrserzieherisch gemaßregelt werden muss", ist nicht zu erkennen:

Dass der Betroffene "um die hohe Gefahr...weiß, die er mit seiner sehr deutlichen geschwindigkeitsüberschreitenden Fahrweise...für den allgemeinen Verkehr abstrakt herbeigeführt hat", ist eine Selbstverständlichkeit, die auf jeden Verkehrsteilnehmer zutrifft. Das die Tat begleitende oder gar erst in der Hauptverhandlung einsetzende Bewusstsein, eine solche Gefahr für andere darzustellen, ist im übrigen nichts, was den Täter entlasten würde und seine Tat in milderem Lichte erscheinen ließe.

Keine besondere Hervorhebung verdient auch, dass der Betroffene sich in der Hauptverhandlung zu diesem Wissen "in glaubhafter Selbstanschuldigung, die auch nicht ansatzweise heuchlerisch und prozesstaktisch geprägt" gewesen sei, bekannt habe. Ein Kraftfahrer, der sogar noch vor Gericht ernsthaft leugnen würde, durch eine zur Hauptverkehrszeit auf einer Stadtautobahn begangene Geschwindigkeitsüberschreitung um 79 km/h (hier = 79%) andere Verkehrsteilnehmer zumindest ab-strakt zu gefährden, würde damit nur dokumentieren, dass er vollkommen uneinsichtig und daher als Kraftfahrer gänzlich ungeeignet ist - und damit eine Rechtsfolgenverschärfung riskieren. Kaum ein anderer Kraftfahrer würde sich - zumal anwaltlich beraten - vor Gericht anders verhalten als der Betroffene es getan hat.

Verfehlt sind auch die Urteilsausführungen, der Betroffene habe in der Hauptverhandlung "überzeugend dargestellt und deutlich gemacht, dass die von ihm im Tatzeitpunkt gezeigte hektische Fahrweise völlig persönlichkeitsfremd und lediglich durch eine...plötzlich eingetretene berufliche Streßsituation mit situativem Ausnahmecharakter ausgelöst" worden sei. Der Bußgeldrichter hat hier verkannt, dass allein schon die Begehung der Tat als solche belegt, dass diese eben nicht "persönlichkeitsfremd" ist; wäre sie es, hätte der ersichtlich nicht unter einer Persönlichkeitsstörung leidende Betroffene (er wird vom Bußgeldrichter als "besonnen, umsichtig, verantwortungsbewusst" und von seinem Arbeitgeber als hochqualifizierter Mitarbeiter von "großer persönlicher Stabilität und Souveränität auch unter hohem Leistungsdruck" beschrieben) sie nicht begangen.

Nicht frei von Widerspruch ist schließlich die Annahme des Amtsgerichts, der Betroffene sei zwar von "großer persönlicher Stabilität und Souveränität auch unter hohem Leistungsdruck", die Tat sei aber gleichwohl allein "durch eine plötzlich eingetretene berufliche Streßsituation ausgelöst" worden.

Wie der Bußgeldrichter zu dieser Einschätzung gelangt ist, bleibt ebenfalls unverständlich. Auf Tatsachen hat er sie jedenfalls nicht gegründet. Die von ihm mitgeteilten Fakten belegen im Gegenteil, dass von einer "Streßsituation mit situativem Ausnahmecharakter" keine Rede sein konnte. Laut Urteilsfestellungen soll der Betroffene an diesem Vormittag lediglich die Mitteilung erhalten haben, "dass mehrere Tankstellen infolge eines technischen Defektes der EDV-Anlage ausgefallen waren" (der Betroffene selbst hatte nicht einmal dies behauptet; seiner Einlassung zufolge war es allein an der Wittlicher Tankstelle zu einer Störung gekommen, und zwar auch nur zu einem "Kassenausfall", Bl. 22). Störungen an EDV-Anlagen sind aber keineswegs selten und jedenfalls für einen professionellen EDV-Fachmann wie den Betroffenen nichts Ungewöhnliches. Ein derart banaler Vorfall, den der Betroffene zudem auch gar nicht zu vertreten hatte, kann und darf für einen Kraftfahrer - zumal einen "besonnenen, umsichtigen, verantwortungsbewussten", als den das angefochtene Urteil den Betroffenen beschreibt, und erst recht wenn er auch noch von "großer persönlicher Stabilität und Souveränität auch unter hohem Leistungsdruck" ist - kein Anlass sein, zur Hauptverkehrszeit mit extrem überhöhter Geschwindigkeit über eine Stadtautobahn zu rasen.

Auch die übrigen - wenigen - Tatsachenmitteilungen belegen, dass es sich hier um einen gewöhnlichen Verkehrsverstoß handelt, der sich von der Masse gleichartiger und ähnlicher Ordnungswidrigkeiten nur durch das extreme Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung abhebt:

Das gilt insbesondere für den Umstand, dass der Betroffene bisher unbelastet ist. Die Regelahndung nach der Bußgeldkatalogverordnung geht gerade davon aus, dass der Betroffene unvorbelastet ist (vgl. BayObLG, NZV 94,487; OLG Hamm, NZV 95,366,367). Soweit Voreintragungen für die Verhängung des Fahrverbots bzw. seine Bemessung von Bedeutung sind, ist dies (in § 4 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 BKatV) besonders zum Ausdruck gebracht (vgl. BayObLG aaO.).

Ohne Belang ist auch der vom Amtsgericht als bedeutsam hervorgehobene Umstand, dass der Betroffene nach der Tat bis zum Erlaß des angefochtenen Urteils verkehrsrechtlich nicht mehr aufgefallen ist. Abgesehen davon, dass die Zeitspanne allein wenig besagt und das Urteil nicht mitteilt, wieviel der Betroffene in der Zwischenzeit gefahren ist, liegt es auf der Hand, dass ein Kraftfahrer, gegen den gerade ein Bußgeldbescheid mit dreimonatigem Fahrverbot verhängt wurde, hiervon beeindruckt ist und sich in der Folgezeit ganz besonders zusammennimmt, um nicht erneut aufzufallen. Das gilt für jeden Kraftfahrer, und genau darin liegt die "Denkzettelfunktion" des Fahrverbots, die naturgemäß auch schon vor dessen Vollzug Wirkung zeitigt. Mehr als dass das Fahrverbot offensichtlich bereits "vorgewirkt" hat, läßt sich aus dem beanstandungsfreien Verhalten des Betroffenen in diesem Zeitraum nicht herleiten. Daraus den Schluß zu ziehen, dass er des Vollzugs nicht mehr bedürfe und das Fahrverbot wieder aufgehoben werden könne, ist unvertretbar. Würden durch Bußgeldbescheide verhängte Fahrverbote von den Gerichten auf Grund "nachtatlicher" (UA 4) Unauffälligkeit wieder aufgehoben, würde dies die vom Gesetzgeber gewollte Wirkung des Fahrverbots als eines schmerzhaften, von allen Kraftfahrern gefürchteten Denkzettels zunichte machen.

Die seit Erlaß des Bußgeldbescheides verstrichene Zeitspanne von (bis zum Urteil) rd. einem Jahr - die auch darauf beruht, dass das Amtsgericht die Sache in der Zeit vom 15. August 2002 (Akteneingang beim Gericht, Bl. 17) bis zum 9. Januar 2003 (Terminsbestimmung, Bl. 18) in keiner Weise gefördert hat - ist im übrigen auch nicht annähernd von einer Länge, die ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen könnte (vgl. die Rspr. bei Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 24 StVG, Rdnr. 24).

III.

Der Senat hält es für geboten, die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen. Die augenfällige und auch schon sprachlich überzogene Überbetonung des - auch statistischen (vgl.www.kba.de) - Normalfalles fehlender Eintragungen im Verkehrszentralregister ("blütenweißer KBA-Auszug", UA 3) und das auch sonst erkennbare und nahezu ausschließlich auf rein subjektive Eindrücke und Mutmaßungen gestützte Bemühen des Bußgeldrichters, "diesen Betroffenen" (UA 4; Hervorhebung im Original) vom Fahrverbot zu verschonen, entfernen sich so weit von einer objektiven, auf Tatsachen basierenden Beurteilungsgrundlage, dass eine auf die objektiven Gegebenheiten beschränkte Betrachtungsweise bei einer erneuten Hauptverhandlung vor demselben Richter nicht mehr zu erwarten ist.

IV.

Im Hinblick auf die neue Hauptverhandlung merkt der Senat folgendes an:

1.

Zwar ist der nunmehr zur Entscheidung berufene Richter durch die Beschränkung des Einspruchs und die dadurch eingetretene Rechtskraft der Schuldform "Fahrlässigkeit" gehindert, neue oder ergänzende Schuldfeststellungen zu treffen, die stattdessen die Tatschuld "Vorsatz" ergeben würden. Nicht gehindert, sondern mit Blick auf § 25 Abs. 1 StVG sogar verpflichtet ist er jedoch, Feststellungen darüber zu treffen, ob dem Betroffenen im Rahmen der Fahrlässigkeit der Vorwurf grober Nachlässigkeit zu machen ist (Senat aaO.). Hat ein Kraftfahrer wie hier ein Regelbeispiel verwirklicht und sich auch nicht auf ein sog. "Augenblicksversagen" berufen, so ist ohne die Notwendigkeit einer eingehenden Begründung davon auszugehen, dass er, wie es normalerweise der Fall ist, die offensichtlich ordnungsgemäß aufgestellten Geschwindigkeitsbeschränkungsschilder wahrgenommen und mindestens grob nachlässig nicht befolgt hat (Senat aaO.).

Sollte der Betroffene sich in der neuen Hauptverhandlung nunmehr erstmals auf ein sog. "Augenblicksversagen" berufen (dazu BGHSt 43,241,251 f.), hätte das Amtsgericht zusätzliche Feststellungen über Art, Standort, Häufigkeit und Sichtbarkeit der Beschilderung vor und entlang der Meßstrecke zu treffen und insbesondere darauf einzugehen, dass der Betroffene den bisherigen Feststellungen zufolge seit Jahren bei seinem derzeitigen Arbeitgeber beschäftigt, in dessen Auftrag offenbar ständig im Raum Trier unterwegs ist und es sich bei der Tatörtlichkeit um seine "Hausstrecke" handeln dürfte, die er, um seinen Beruf (Betreuung der von seinem Arbeitgeber in der Trierer/Wittlicher Region betriebenen Tankstellen) auszuüben, praktisch täglich befahren muss, und welche jährliche Kilometerleistung er dabei erreicht. Vor diesem Hintergrund dürfte eine auf "Augenblicksversagen" beruhende Unkenntnis von der Geschwindigkeitsbeschränkung rechtsfehlerfrei schwerlich zu begründen sein.

2.

Bei der Bemessung des Fahrverbots hat der Bußgeldrichter sich grundsätzlich an die Vorgaben der BKatV zu halten. Die Anordnung des Fahrverbots in den Anwendungsfällen des § 4 BKatV wahrt nicht nur die Verhältnismäßigkeit der Sanktion, sondern gewährleistet darüber hinaus die Gleichbehandlung der Betroffenen und erfüllt damit auch ein Gebot der Gerechtigkeit (BGHSt 38,125,137).

Sollte der neue Bußgeldrichter - wofür die bisherigen Feststellungen einschließlich der "Persönlichkeitsstrukturanalyse" des angefochtenen Urteils allerdings keinerlei Anlass bieten würden - zu der Auffassung gelangen, dass der vorliegende Fall Besonderheiten aufweist, die es trotz des Gewichts des vorliegenden Verstoßes ausnahmsweise rechtfertigen würden, vom Regelfahrverbot abzuweichen, wäre es unvertretbar, wie im angefochtenen Urteil gleichsam "das Kind mit dem Bade auszuschütten" und ein Fahrverbot gänzlich entfallen zu lassen. Das Gericht hat stets im Blick zu behalten, dass auch die Staffelung der Fahrverbotsdauer in § 4 BKatV auf einer sorgfältig abgestuften (Vor-)Bewertung einschlägiger Verhaltensweisen durch den Verordnungsgeber beruht. Schon mit Rücksicht auf das Gleichbehandlungs-(und damit Gerechtigkeits-)gebot darf davon ohne triftigen Grund, der im Urteil eingehend dargestellt werden und auf Tatsachen - nicht rein subjektiven Eindrücken und Mutmaßungen - beruhen muss, nicht abgewichen werden. Auch muss sich der Bußgeldrichter stets bewusst sein, dass ein Aufweichen der geltenden, allgemein und mit großer Akzeptanz anerkannten Fahrverbotsregelung dem Gesetzeszweck zuwiderlaufen und die erzieherische Wirkung der Besinnungsmaßnahme "Fahrverbot" empfindlich schwächen würde. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn "berufliche Streßsituationen", die in der heutigen Arbeitswelt an der Tagesordnung und für viele Kraftfahrer schon zum Normalfall geworden sind, als "Entschuldigungsgrund" für gefährliche Raserei Anerkennung fänden.

3.

Sollte der Betroffene, um dem Fahrverbot zu entgehen, in der neuen Hauptverhandlung eine besondere berufliche Härte geltend machen, wird das Gericht zu beachten haben, dass es zum Wesen der Erziehungs- und Besinnungsmaßnahme "Fahrverbot" gehört, den Betroffenen u. U. auch empfindliche berufliche und wirtschaftliche Nachteile zu bereiten. Nur so kann diese Sanktion ihre erzieherische Wirkung ("Denkzettelfunktion") voll entfalten. Es wäre deshalb grundsätzlich verfehlt, die Sanktion deswegen entfallen zu lassen oder auch nur zu reduzieren, weil sie eben diese Wirkung erzielen würde. Nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung rechtfertigt daher nicht jeder spürbare berufliche Nachteil eine Ausnahme vom Regelfahrverbot. Nur eine Härte ganz außergewöhnlicher Art, wie sie z.B. im (real) drohenden Verlust der beruflichen und damit wirtschaftlichen Existenz zu sehen wäre, könnte dies begründen (OLG Koblenz, 2 Ss 4/99 vom 11.02.1999 und 2 Ss 160/ 96 vom 02.07.1996; OLG Hamm NZV 91,121 sowie 2 Ss OWi 623/95 vom 09.07. 1995, 2 Ss OWi 703/95 vom 26.06.1995, 2 Ss 386/95, vom 18.07.1995, 1 Ss OWi 211/2000 und 2 Ss OWi 830/95 vom 20.07.1995, alle in: www.burhoff.de; vgl auch BVerfG NJW 95,1541; OLG Düsseldorf NZV 95,161; OLG Oldenburg NZV 95, 405 und die Zusammenstellung bei Bode ZfS 95, 21 m.w.N.).

Im Zusammenhang mit den dafür bedeutsamen Umständen genügt es nicht, dass dem Tatrichter ein behaupteter Arbeitsplatzverlust möglich oder wahrscheinlich erscheint. Er muss vom sicheren Eintritt dieser - erfahrungsgemäß kaum jemals wirklich eintretenden - Folge vielmehr überzeugt sein und diese Überzeugung im Einzelnen begründen können (OLG Koblenz aaO.; OLG Celle NZV 96,117). Keinesfalls dürfen die vom Betroffenen geltend gemachten Erschwernisse und Behinderungen ungeprüft übernommen werden (OLG Düsseldorf NZV 97,447). Etwaigen "Bestätigungen" des Arbeitgebers, dass es im Falle eines ein- oder mehrmonatigen Fahrverbots zum Arbeitsplatzverlust kommen werde, wird das Gericht mit dem in solchen Fällen aus Erfahrung gebotenen Misstrauen zu begegnen haben. Im vorliegenden Fall wäre insbesondere zu berücksichtigen, dass der Betroffene bei der Tat ausschließlich im Interesse seines Arbeitgebers unterwegs war und dieser ihm (UA 4) ausdrücklich bescheinigt hat, ein Mitarbeiter von "hoher fachlicher Kompetenz und großer persönlicher Stabilität und Souveränität auch unter hohem Leistungsdruck" zu sein. Vor diesem Hintergrund wäre eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen eines - auch dreimonatigen - Fahrverbots arbeitsrechtlich nicht durchsetzbar (vgl. dazu Senat, 1 Ss 369/97 vom 22.01.1998 und BAG, AP Nr. 70 zu § 626 BGB [dort für den Fall eines siebenmonatigen Fahrerlaubnis-Entzuges sowie Senat, 1 Ss 103/98 vom 15.04.1998; s. auch OLG Koblenz NZV 96, 373 und NStZ-RR 97, jeweils m.w.N.; OLG Düsseldorf NZV 95,161) und könnte deshalb eine unbillige Härte im Sinne der vorerwähnten Rechtsprechung nicht begründen.

RechtsgebieteBKatV, StVGVorschriftenBKatV § 4 I 1 Nr. 1 StVG § 25 I

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