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09.12.2002 · IWW-Abrufnummer 021672

Finanzgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 19.06.2002 – I 1339/97

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Az.: I 1339/97
Urteil vom 19. Juni 2002

Zur Veröffentlichung freigegeben ab: 14. August 2002

Stichwort: Gruppenunfallversicherung;
Invaliditätsentschädigungen gehören nicht zum Arbeitslohn
§ 19 EStG (rechtskräftig)

Sonstige Hinweise
Veröffentlichung EFG: 2002, 1381
Aktenzeichen des BFH:

Das Urteil wurde im Hinblick auf die Wahrung des Steuergeheimnisses gemäß
§ 30 Abgabenordnung überarbeitet.

I 1339/97

In dem Rechtsstreit wegen Einkommensteuer 1992
hat der I. Senat des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts am 19. Juni 2002 für Recht erkannt:

Der geänderte Einkommensteuerbescheid 1992 vom 3. März 2000 wird dahingehend geändert, dass die Einkommensteuer nach einem um 50.000 DM zu vermindernden Einkommen festgesetzt wird. Dem Finanzamt wird die Errechnung des Steuerbetrages aufgegeben.

Die Kosten des Verfahrens trägt das Finanzamt.

Die Revision wird zugelassen.

T a t b e s t a n d

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob Leistungen aus einer Gruppenunfallversicherung, die der Arbeitgeber für den Kläger abgeschlossen hatte, zum Arbeitslohn gehören.

Der Kläger erzielte im Streitjahr als Geschäftsführer Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Die Arbeitgeberin hatte für ihn und andere Arbeitnehmer eine Gruppenunfallversiche-rung abgeschlossen und die Zahlung der jeweiligen Prämien übernommen. Die Versicherung erstreckte sich auf Unfälle innerhalb und außerhalb des Berufs. Zahlungen waren bei Invalidi-tät und Tod zu leisten. Bezugsberechtigter im Todesfall war der namentlich benannte Versi-cherungsnehmer.

Nach den allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 88) richtete sich die Höhe der Leistung nach dem Grad der Invalidität (§ 7 Abs. 2). Die Invaliditätsleistung war als Rente zu erbringen, wenn der Versicherte bei Eintritt des Unfalls das 65. Lebensjahr vollendet hatte (§ 7 Abs. 1). Die Ausübung der Rechte stand nicht dem Versicherten, sondern dem Versiche-rungsnehmer zu (§ 12). Er war neben dem Versicherten für die Erfüllung der Obliegenheiten (z.B. Aufsuchen des Arztes, Meldepflicht, Auskunfterteilung etc.) verantwortlich (§ 9).

Der Kläger und seine Arbeitgeberin hatten hierzu am 30. April 1985 folgende Vereinbarung getroffen:
?... Es wird vereinbart, dass bei Unfällen des privaten Bereichs die Versicherungsleistung der Gesellschaft und bei Unfällen im beruflichen Bereich die Versicherungsentschädigung dem Geschäftsführer zusteht.
Der Geschäftsführer erklärt, dass er aufgrund dieser Vereinbarung bei einem Berufsunfall gegenüber der Arbeitgeberin keine weiteren Ansprüche geltend machen wird.
Die Arbeitgeberin erklärt, dass sie im Fall eines Unfalls im privaten Bereich gegenüber dem Geschäftsführer keine weiteren Ansprüche geltend machen wird.?

Der Kläger erlitt im August 1991 bei einem Kundenbesuch für seine Firma einen Unfall. Er stolperte auf der Treppe und zog sich hierbei eine Fraktur des rechten Handgelenks zu. Am 25. November 1991 war er dann wieder arbeitsfähig. Bleibende Unfallschäden blieben zu-rück. Die Versicherung zahlte deshalb als Invaliditätsleistung im Jahr 1992 50.000 DM und im Jahr 1993 37.500 DM an die Arbeitgeberin. Diese leitete die Beträge an den Kläger weiter.

Im Anschluss an eine Lohnsteuer(LSt)-Außenprüfung bei der Arbeitgeberin des Klägers vertrat das Finanzamt die Ansicht, die Versicherungsleistung sei steuerpflichtiger Arbeitslohn. Dementsprechend setzte es die Einkommensteuer (ESt) durch ESt-Bescheid vom 1. August 1994, der in der Folgezeit aus hier nicht entscheidungserheblichen Gründen mehrmals geän-dert wurde, fest.

Den hiergegen vom Kläger erhobenen Einspruch wies das Finanzamt durch Einspruchsent-scheidung vom 6. Oktober 1997, auf die verwiesen wird, als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die Klage.

Zur Begründung trägt der Kläger vor:
Bei dem streitbefangenen Betrag handele es sich weder um Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit noch um sonstige Einkünfte, die der ESt unterliegen. Die Leistungen der Unfallversi-cherung seien keine Entschädigung für entgangene oder entgehende Einnahmen, da er - der Kläger - seinen Beruf weiterhin ohne irgendwelche Entgeltkürzungen habe ausüben können. Mit der Versicherungsleistung hätten Schadensersatzansprüche abgegolten werden sollen. Sie seien gezahlt worden für die durch den beruflichen Einsatz entstandenen Unfallfolgen wie Invalidität, Schmerzensgeld und sonstige entstandene Kosten. Es habe sich um nicht steuer-pflichtigen Schadensersatz gehandelt.

Der Kläger beantragt,
den geänderten ESt-Bescheid vom 3. März 2000 dahingehend zu ändern, dass die ESt unter Nichtberücksichtigung der Versicherungsleistung in Höhe von 50.000 DM niedri-ger festgesetzt wird.

Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht es sich im Wesentlichen auf seine Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor:
Der Kläger habe keine direkte Leistung aus einer Unfallversicherung erhalten, sondern eine solche von seinem Arbeitgeber. Die streitige Zahlung hätte nur dann keinen Arbeitslohn dargestellt, wenn der Arbeitgeber gesetzlich zum Schadensersatz verpflichtet gewesen wäre oder wenn er einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch des Klägers wegen schuldhafter Verletzung arbeitsvertraglicher Fürsorgepflichten erfüllt hätte (Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 17. Juli 2000, Der Betrieb 2000, 1492).

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Die angefochtenen Verwaltungsakte verletzen den Kläger in seinen Rechten gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Leistung aus der Unfallversicherung gehört nicht zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit. Bei der Invaliditätsentschädigung handelt es sich um nichtsteuerbaren Schadensersatz für den erlittenen Gesundheitsschaden.

Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) gehören zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit u.a. Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentli-chen oder privaten Dienst gewährt werden. Ein Vorteil wird für eine Beschäftigung gewährt, wenn er durch das individuelle Dienstverhältnis des Arbeitnehmers veranlasst ist. Das ist dann der Fall, wenn der Vorteil mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis eingeräumt wird und sich die Leistung im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuel-len Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist. Die Zuwendung muss dabei nicht ausschließlich wegen des Dienstverhältnisses gewährt werden. Es genügt vielmehr eine ganz überwiegende Mitveranlassung. Entscheidend ist, dass das Dienstverhältnis im bewertbaren, aus Sicht des Arbeitgebers zu beurteilenden Rahmen mitauslösend ist und der Arbeitnehmer die Zuwen-dung als solche aus seinem Dienstverhältnis begreift. Hierbei ist allerdings die Beurteilung nach objektiven Maßstäben vorzunehmen. Durch das Dienstverhältnis können auch solche Einnahmen veranlasst sein, die ein Steuerpflichtiger von einem Dritten erhält, sofern diese ein Entgelt für seine Leistungen bilden, die er im Rahmen seines Dienstverhältnisses für den Arbeitgeber erbringt, erbracht hat oder erbringen soll. Für den Arbeitnehmer muss sich die Zuwendung des Dritten wirtschaftlich als Frucht seiner Dienstleistung darstellen (Schmidt/Drenseck, Kommentar zum EStG, 21. Aufl. 2002, § 19 Rz. 24 f m.w.N.).

Bei Anwendung dieser Grundsätze im Streitfall sind die von der Arbeitgeberin an den Kläger ausgekehrten Leistungen aus der Versicherung kein Arbeitslohn.

Zwar bestand zwischen dem Dienstverhältnis und den Leistungen aus der Gruppenunfallver-sicherung ein tatsächlicher Zusammenhang. Er ist darin begründet, dass die Arbeitgeberin den Versicherungsvertrag im eigenen Namen zu Gunsten ihrer Arbeitnehmer abgeschlossen hatte, um sie vor Unfällen im privaten und beruflichen Bereich abzusichern. Auch wenn nur sie allein die Rechte aus dem Vertrag ausüben konnte, so war doch der Kläger materieller Träger des Rechtsanspruchs gegenüber dem Versicherer (§§ 179 Abs. 2, 75 Abs. 1 Satz 1 Versiche-rungsvertragsgesetz -VVG-). Hieraus sowie insbesondere aus der zwischen ihm und seiner Arbeitgeberin abgeschlossenen Vereinbarung vom 30. April 1985 ergab sich für den Kläger ein Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme, soweit es sich um einen Unfall im beruflichen Bereich handelte.

Dieser Zusammenhang zwischen dem Dienst und dem Versicherungsverhältnis war aber nicht so eng, dass die Versicherungsleistung als Ertrag der nichtselbstständigen Arbeit und damit als steuerpflichtiger Arbeitslohn im Sinne von § 19 Abs. 1 EStG angesehen werden kann.

Grundsätzlich ist es zwar möglich, dass Leistungen aus einer Gruppenunfallversicherung, die der Arbeitgeber zu Gunsten seiner Arbeitnehmer abgeschlossen hat, Arbeitslohn sind, wenn die Ausübung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag - wie hier - ausschließlich dem Arbeitgeber zustehen. Dem können dann aber Werbungskosten bei einem dienstlichen Unfall und außergewöhnliche Belastungen bei einem Privatunfall gegenüberstehen, so dass grund-sätzlich nur der Lohnersatz das Einkommen erhöht (Urteile des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 16. April 1999 VI R 60/96 und VI R 66/97, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2000, 406 und 408).

Vorliegend handelt es sich bei der an den Kläger ausgekehrten Versicherungssumme jedoch nicht um derartigen Lohnersatz, denn die Versicherungsleistung diente nicht dem Zweck, Einnahmeausfälle des verunglückten Klägers zu ersetzen. Sie war nicht Entgelt für eine von ihm geleistete Tätigkeit, sondern war der Ausgleich dafür, dass der Kläger einen verbleiben-den Körperschaden erlitten hatte. Die damit verbundenen Belastungen sollten ausgeglichen bzw. gemildert werden. Die Versicherungsleistung hatte mithin nicht die Funktion von Lohn-ersatz, sondern eher die von Schmerzensgeld. Das zeigt sich auch darin, dass die Invaliditäts-entschädigung in Höhe eines im voraus vertraglich vereinbarten festen Betrages und ohne Rücksicht darauf zu leisten war, ob der Kläger durch den Schadensfall möglicherweise Einnahmeverluste hatte oder anderweitig entschädigt wurde. Bei dieser Sachlage tritt der im Streitfall vorhandene Bezug der Unfallversicherungsleistung zum Arbeitsverhältnis in den Hintergrund. Auch kommt es nicht darauf an, dass der Anspruch ohne das Arbeitsverhältnis nicht entstanden wäre. Die Invaliditätsentschädigung ist als nicht steuerbarer Schadensersatz zu beurteilen, der keiner der sieben Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1-7 EStG zuzu-ordnen ist (BFH-Urteile vom 22. April 1982 III R 135/79, BStBl II 1982, 496; vom 25. Oktober 1994 VIII R 79/91, BStBl II 1995, 121; Schmidt/Drenseck, a.a.O., § 19 Rn. 50 ?Unfallversicherung?; Eisgruber in Kirchhoff, EStG, § 19 Rn. 150 ?Unfallversicherung?; Pflüger in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 19 Anm. 452; anderer Ansicht: BMF BStBl I 2000, 1204, Hartmann, Die Information in Steuer und Wirtschaft 2001, 42).

Das hat zur Folge, dass das bisher zu versteuernde Einkommen des Klägers um 50.000 DM gemindert werden muss. Die Errechnung des Steuerbetrages wird dem FA aufgegeben (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die Notwendigkeit, einen Bevollmächtigten für das Vorverfahren hinzuzuziehen, auf § 139 Abs. 3 FGO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10 der Zivilprozessordnung (ZPO).

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

RechtsgebietEStGVorschriften§ 19 EStG

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