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05.05.2011

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 17.11.2010 – 8 Sa 323/10


Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 21.04.2010, Az.: 6 Ca 2288/09, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Darüber hinaus begehrt der Kläger vom Beklagten die Erteilung eines Arbeitszeugnisses.

Der am 14.06.1960 geborene Kläger war seit dem 12.10.2009 bei dem Beklagten, der ein Transportunternehmen betreibt, als Kraftfahrer beschäftigt. Die Parteien haben arbeitsvertraglich eine sechsmonatige Probezeit vereinbart.

Mit Schreiben vom 06.11.2009, welches dem Kläger am 09.11.2009 zuging, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos sowie hilfsweise ordentlich zum 20.11.2009. Gegen diese Kündigung richtet sich die vom Kläger am 20.11.2009 beim Arbeitsgericht eingereichte Klage.

Von der Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen streitigen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 21.04.2010 (Bl. 43 R bis 45 R d. A.).

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung vom 06.11.2009 - zugegangen am 09.11.2009 - nicht beendet wurde, sondern aufgrund der hilfsweise fristgerechten Kündigung bis zum 23.11.2009 fortbesteht,

den Beklagten zu verurteilen, ihm ein Zeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt und ihn in seinem beruflichen Fortkommen fördern wird.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 21.04.2010 stattgegeben. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 7 bis 10 dieses Urteils (= Bl. 46 bis 47 R d. A.) verwiesen.

Gegen das ihm am 24.06.2010 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 07.07.2010 Berufung eingelegt und diese am 24.08.2010 begründet.

Der Beklagte macht im Wesentlichen geltend, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei der Ausspruch einer fristlosen Kündigung gerechtfertigt gewesen, da sich der Kläger nach Erhalt einer mündlichen Abmahnung zwei weitere Pflichtverletzungen habe zu schulden kommen lassen. Am 02.11.2009 sei der Kläger mit dem ihm zugeteilten Fahrzeug nicht, wie angewiesen, zur Fa. W in Möckmühl zum Zwecke der Entladung gefahren, sondern aus nicht nachvollziehbaren Gründen zu einer Spedition in Ulm. Der vereinbarte Entladungstermin habe deshalb nicht mehr eingehalten werden können. Daraufhin sei der Kläger von dem Disponenten am 03.11.2009 telefonisch ermahnt worden. Dabei habe der Disponent dem Kläger auch mitgeteilt, dass er den Vorfall ihm - dem Beklagten - geschildert habe und er - der Beklagte - gesagt habe, dass er das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger sofort lösen werde, falls er sich noch einmal einen solchen Lapsus erlauben würde und dass der Kläger bei Rückkehr diese Abmahnung auch noch in schriftlicher Form erhalten werde. Um wieder in den vorgesetzten Zeitplan zu kommen, sei der Kläger vom Disponenten angewiesen worden, die anstehende zwölfstündige Pause auf neun Stunden zu verkürzen. Diese Anweisung habe der Kläger nicht befolgt. Dadurch hätten weitere Termine nicht eingehalten werden können. Das Fahrzeug habe einen Tag herum gestanden, ohne dass damit Fracht habe befördert werden können. Ihm - dem Beklagten - sei dadurch ein Tagessatz in Höhe von mindestens 550,00 EUR entgangen. Am 05.11.2009 sei der Kläger vom zuständigen Disponenten angewiesen worden, von der Entladestelle Leinfelden zur Entladestelle Ehingen nicht über die Autobahn A 8, sondern über die Bundesstraße 465 zu fahren, damit er die Entladestelle noch innerhalb des vorgesehenen Zeitfensters erreiche. Entgegen dieser eindeutigen Anweisung habe der Kläger die für ihn bequemere Route über die Autobahn genommen und die Entladestelle mit Verspätung erreicht. Eine weitere, bereits disponierte Tour habe deshalb nicht durchgeführt werden können. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist sei im Hinblick auf das uneinsichtige Fehlverhalten des Klägers unzumutbar gewesen.

Zur Darstellung aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens des Beklagten im Berufungsverfahren wird auf dessen Berufungsbegründungsschrift vom 24.08.2010 (Bl. 83 bis 91 d. A.) Bezug genommen.

Der Beklagte beantragt,

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 21.10.2010 (Bl. 119 bis 122 d. A.), auf den Bezug genommen wird und macht im Wesentlichen geltend, es treffe zwar zu, dass er am 05.11.2009 angewiesen worden sei, anstelle über die A 8 über die B 465 nach Ehingen zu fahren. Da die Zeit jedoch knapp gewesen sei und er die Strecke auch nicht gekannt habe, habe er diejenige Route gewählt, welche ihm sein Navigationsgerät als schnellste Strecke angezeigt habe. Am 02.11.2009 habe er sich bezüglich der richtigen Entladestelle in einem Irrtum befunden. Die Kündigung sei jedenfalls in Ermangelung einer vorherigen Abmahnung unwirksam. Das vom Beklagten behauptete Gespräch zwischen ihm - dem Kläger - und dem Disponenten V habe nicht stattgefunden.

Entscheidungsgründe

I. Die an sich statthafte Berufung des Beklagten ist zum Teil unzulässig.

Soweit der Beklagte im Berufungsverfahren weiterhin auch die Abweisung der Klage auf Erteilung eines qualifizierten Arbeitszeugnisses begehrt, so genügt die Berufungsbegründung nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO. Nach dieser Vorschrift muss die Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Im Streitfall enthält die Berufungsbegründung des Beklagten keinerlei Ausführungen bezüglich der vom Arbeitsgericht ausgeurteilten Verpflichtung zur Erteilung eines Arbeitszeugnisses.

Die Berufung war daher insoweit als unzulässig zu verwerfen, ohne dass dies im Urteilstenor gesondert zum Ausdruck gebracht werden musste.

II. Die im Übrigen insgesamt zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der gegen die fristlose Kündigung gerichteten Klage zu Recht stattgegeben.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die streitbefangene fristlose Kündigung nicht aufgelöst worden. Die Kündigung erweist sich in Ermangelung eines wichtigen Grundes i. S. von § 626 Abs. 1 BGB als unwirksam.

Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB ist nach der gesetzlichen Definition gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, die es dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses fortzusetzen. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt - ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles - (überhaupt) geeignet ist, einen wichtigen Grund zu bilden. Sodann ist zu untersuchen, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist, d. h. ob es dem Kündigenden unzumutbar geworden ist, das Arbeitsverhältnis bis zu dem gemäß § 626 Abs. 1 BGB relevanten Zeitpunkt fortzusetzen.

Im Streitfall erscheint es bereits zweifelhaft, ob der Sachverhalt, auf die der Beklagte seine Kündigung stützt, an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund i. S. von § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. Insoweit ist nämlich zu berücksichtigen, dass Schlecht- und Minderleistungen des Arbeitnehmers regelmäßig nur den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung rechtfertigen können (vgl. Müller-Glöge in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 11. Auflage, § 626 BGB, Rz. 128, m. N. a. d. R.). Eine außerordentliche Kündigung kommt hingegen im Falle einer beharrlichen, d. h. wiederholten, bewussten und nachhaltigen Verletzung der Arbeitspflicht in Betracht (vgl. Müller-Glöge, aaO., Rz. 70, m. N. a. d. R.).

Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob das Fehlverhalten des Klägers (Anfahren einer falschen Entladestelle, anweisungswidriges Nichtverkürzen einer Ruhezeit, anweisungswidrige Auswahl einer Fahrtstrecke) in seiner Gesamtheit betrachtet bereits als beharrliche Verletzung der Arbeitspflicht anzusehen ist und somit das Vorliegen eines an sich wichtigen Grundes im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB bejaht werden kann. Die Kündigung erweist sich nämlich jedenfalls wegen Fehlens einer vorherigen Abmahnung als unwirksam.

Auch unter Zugrundelegung des Sachvortrages des Beklagten wurde dem Kläger keine Abmahnung erteilt. Der Beklagte hat diesbezüglich zwar vorgetragen, der Disponent V habe dem Kläger erklärt, dass er - der Beklagte - gesagt habe, er werde dem Kläger bei dessen Rückkehr eine schriftliche Abmahnung erteilen und das Arbeitsverhältnis im Wiederholungsfalle kündigen. Die Wiedergabe einer diesbezüglichen Äußerung des Beklagten durch den Disponenten V gegenüber dem Kläger stellt indessen keine Abmahnung dar, sondern beinhaltet vielmehr lediglich die Ankündigung einer solchen. Aus dem vom Beklagten wieder gegebenen Inhalt des betreffenden Telefongesprächs ergibt sich nicht, dass der Disponent selbst dem Kläger eine Abmahnung erteilt hat. Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, dass der Disponent eine diesbezügliche Erklärung des Beklagten in dessen Auftrag an den Kläger weitergegeben hat. Vielmehr hat der Disponent den Kläger lediglich davon unterrichtet, dass der Beklagte seinerzeit beabsichtigte, den Kläger bei dessen Rückkehr schriftlich abzumahnen. Eine schriftliche Abmahnung erfolgte indessen unstreitig nicht.

Jedenfalls im Rahmen der Interessenabwägung wirkt es sich zum Nachteil des Beklagten aus, dass er den Kläger vor Kündigungsausspruch nicht (erfolglos) abgemahnt hat. Nach näherer Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. hierzu die Nachweise bei Müller-Glöge, aaO., § 626 BGB, Rz. 24 ff.) folgt aus dem im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB geltenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Notwendigkeit der Abmahnung (vgl. auch § 314 Abs. 2 BGB). Aus dem im Kündigungsrecht weiter geltenden Prognoseprinzip lässt sich die Notwendigkeit der Abmahnung ebenfalls herleiten. Der Zweck der Kündigung ist - jedenfalls nach herrschender Meinung - nicht eine Sanktion für eine begangene Vertragspflichtverletzung, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer (erheblicher) Pflichtverletzungen. Das Abmahnungserfordernis ist bei jeder Kündigung zu prüfen, die - wie in vorliegendem Fall - wegen eines steuerbaren Verhaltens des Arbeitnehmers ausgesprochen wurde, wenn also mittels Abmahnung eine Verhaltensänderung bewirkt und eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann (BAG v. 04.06.1997 - 2 AZR 526/96 - AP Nr. 137 zu § 626 BGB).

Im Streitfall sind keine derart schwerwiegenden Pflichtverletzungen des Klägers gegeben, bei denen die vorherige Erteilung einer Abmahnung entbehrlich sein könnte. Auch ansonsten liegen keinerlei ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass auch bei Erteilung einer Abmahnung mit einer Verhaltensänderung des Klägers nicht gerechnet werden konnte.

Zwar ist im Rahmen der Interessenabwägung zu Gunsten des Beklagten dessen Interesse an der zeitgerechten und ordnungsgemäßen Ausführung von Transportaufträgen zu berücksichtigen. Auch kann es dem Beklagten schlechthin nicht zugemutet werden, wegen der Nichtbefolgung arbeitgeberseitiger Weisungen durch einen Arbeitnehmer finanzielle Nachteile zu erleiden. Letztlich kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs erst wenige Wochen beim Beklagten beschäftigt war. Zugunsten des Klägers fällt jedoch ins Gewicht, dass sich die einzuhaltende ordentliche Kündigungsfrist während der vereinbarten Probezeit auf lediglich zwei Wochen belief und insbesondere, dass es - wie bereits ausgeführt - an einer Abmahnung fehlt, die geeignet gewesen wäre, den Kläger zu einer Änderung seines Arbeitsverhaltens zu bewegen.

Insgesamt überwiegt das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist, die sich vorliegend gemäß § 622 Abs. 3 BGB auf lediglich zwei Wochen beläuft, gegenüber dem Interesse des Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist daher nicht durch die mit Schreiben des Beklagten vom 06.11.2009, welches dem Kläger am 09.11.2009 zugegangen ist, erklärte fristlose Kündigung aufgelöst worden, sondern hat erst zum 23.11.2009 infolge der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung geendet.

III. Die Berufung des Beklagten war daher mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.

VorschriftenBGB § 626 Abs. 1

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