20.07.2004 · IWW-Abrufnummer 041936
Oberlandesgericht Naumburg: Urteil vom 08.01.2004 – 4 U 129/03
Gemäß § 118 Abs. 2 SGB III schließt zwar eine Beschäftigung, die weniger als 15 Stunden wöchentlich umfasst, die Arbeitslosigkeit nicht aus, indes steht es den Beteiligten in der Privatversicherung frei, für eine Arbeitslosigkeitsversicherung den Begriff der Arbeitslosigkeit anders zu definieren. Auch ein Verdienst von monatlich 160,00 Euro kann als Einkommen angesehen werden, das der Annahme der Arbeitslosigkeit entgegensteht.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 U 129/03 OLG Naumburg
verkündet am: 08. Januar 2004
In dem Rechtsstreit
wegen Versicherungsforderung
hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 11. Dezember 2003 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Klußmann, des Richters am Oberlandesgericht Feldmann und der Richterin am Oberlandesgericht Mertens
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 4. Juli 2003 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dessau geändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung von 4.000 Euro abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Streitwert für den Berufungsrechtszug: 17.944,38 Euro
Gründe:
I.
Die Parteien streiten um Leistungen aus einer Arbeitslosigkeitsversicherung.
Der Kläger schloß zur Sicherung der für einen Autokauf zu zahlenden Kreditraten bei der Beklagten eine Arbeitslosigkeitsversicherung. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Arbeitslosigkeitsversicherung (AVB-AL) enthalten in § 1 ("Begriffsbestimmungen") unter Nr. 2 die Formulierung, daß der Versicherungsnehmer u. a. nicht "bei seinem Ehegatten oder einem in direkter Linie Verwandten beschäftigt sein" darf; unter Nr. 3 Satz 1 heißt es zum Begriff der Arbeitslosigkeit: "Arbeitslosigkeit liegt vor, wenn der Versicherte als Arbeitnehmer aus einem unbefristeten Arbeitsverhältnis heraus unverschuldet arbeitslos wird und nicht gegen Entgelt tätig ist"; Nr. 3 Satz 3 lautet u. a.: "Während der Arbeitslosigkeit muß der Versicherte außerdem Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe erhalten ...".
Der Kläger war als Elektromeister bei der H. GmbH tätig, an der er zu 25 % und seine Ehefrau zu 75 % beteiligt sind; seine Ehefrau ist alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführerin. Unter dem 3. Januar 2003 wurde das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Wirkung zum 31. Januar 2003 gekündigt. Der Kläger ist arbeitslos gemeldet und erhält gemäß Bescheid des Arbeitsamtes M. (Geschäftsstelle Sch. ) vom 17. März 2003 wöchentlich 245,21 Euro Arbeitslosengeld.
Im Berufungsrechtszug ist unstreitig geworden, daß der Kläger ab dem 1. Februar 2003
- weiterhin bei der H. GmbH - für monatlich 160 Euro (brutto für netto) beschäftigt ist.
Der Kläger hat gegen die Beklagte die drei seit Februar 2003 fällig gewordenen und von ihm gezahlten Darlehensraten von monatlich 2.638,88 Euro, insgesamt 7.916,64 Euro, sowie Feststellung der künftigen Leistungsverpflichtung geltend gemacht und hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.916,64 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 21. April 2003 zu zahlen
und festzustellen,
daß die Beklagte für die Zeit bis 31. Oktober 2003 verpflichtet ist, die weiteren ab 21. Mai 2003 fälligen monatlichen Raten von jeweils 2.638,88 Euro an den Kläger zu zahlen, sofern die Arbeitslosigkeit des Klägers bis zu diesem Zeitpunkt andauert.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, es liege ein Beschäftigungsverhältnis bei der Ehefrau im Sinne der Allgemeinen Versicherungsbedingungen vor; seine Arbeitslosigkeit sei auch nicht unverschuldet im Sinne von § 1 Nr. 3 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen. In einem nicht nachgelassenen Schriftsatz hat sie behauptet, die Kündigung sei nicht fristgerecht erfolgt, und der Kläger sei auch jetzt noch als technischer Betriebsleiter der H. GmbH in der Handwerksrolle vermerkt.
Die 4. Zivilkammer des Landgerichts Dessau hat durch das am 4. Juli 2003 verkündete Urteil der Klage bis auf die erste Darlehensrate für Februar 2003 stattgegeben und ausgeführt, der Versicherungsfall sei eingetreten. Insbesondere greife die Risikoausschlußklausel nicht, weil der Kläger nicht bei seiner Ehefrau, sondern bei der H. GmbH beschäftigt gewesen sei. Eine erweiternde Auslegung der Ausschlußklausel sei nicht zulässig. Bei einer Erweiterung auf Personengesellschaften und juristische Personen sei ungeklärt, welche Funktion der Ehepartner ausüben müsse, um als Arbeitgeber angesehen zu werden, und es sei u. a. der Fall ungeregelt, daß mehrere Geschäftsführer (möglicherweise mit unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen) bestellt seien. Ein Versicherungsnehmer müsse dann entscheiden, ob die von seinem Ehegatten ausgeübte Funktion dem Sinn und Zweck der Auschlußklausel entspreche oder nicht.
Gegen diese Entscheidung, die ihr am 9. Juli 2003 zugestellt worden ist, hat die Beklagte am 30. Juli 2003 Berufung eingelegt und das Rechtsmittel am 20. August 2003 begründet.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, der Kläger sei weiterhin mit dem Firmenfahrzeug unterwegs und sei auf Baustellen der H. GmbH tätig; auf dem Handy des Klägers melde sich die H. GmbH. Mitarbeiter der H. GmbH bestätigten, daß der Kläger (weiterhin) der Chef sei. Er kaufe auch Baustoffe im Namen der H. GmbH. Diese Tatsachen seien sämtlich im Verlauf des Monats Juli 2003 bekannt geworden. Beweis: Zeugnis des Detektivs P. P. .
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils und die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig; denn sie ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
Das Rechtsmittel ist auch begründet. Ein Anspruch aus der Arbeitslosigkeitsversicherung steht dem Kläger gegen die Beklagte nicht zu. Dies ergibt sich aus § 1 Nr. 3 Satz 1 der AVB-AL: Der Kläger ist gegen Entgelt - nämlich 160 Euro monatlich brutto für netto - im unmittelbaren Anschluß an seine bisherige Tätigkeit bei der H. GmbH weiterbeschäftigt worden. Demgegenüber ist es nicht von Bedeutung, daß der Kläger arbeitslos gemeldet ist und Arbeitslosengeld erhält. Dies besagt lediglich, daß er sozialrechtlich als arbeitslos angesehen wird. Die entsprechende gesetzliche Regelung geht dahin, daß eine Beschäftigung, die weniger als 15 Stunden wöchentlich umfaßt, die Arbeitslosigkeit nicht ausschließt (§ 118 Abs. 2 SGB III). In der Privatversicherung steht es den Beteiligten frei, Arbeitslosigkeit abweichend zu definieren. Dies ist hier in den Versicherungsbedingungen geschehen: Der Versicherte darf überhaupt keine entgeltliche Tätigkeit ausüben, und der Empfang von Arbeitslosengeld ist eine zusätzliche Voraussetzung für das Entstehen des Versicherungsanspruchs (vgl. die Formulierung "außerdem" in § 1 Nr. 3 Satz 3 AVB-AL).
Daß Arbeitslosigkeit im Sozialrecht anders definiert wird als im Privatrecht, ist angesichts der Vertragsfreiheit möglich und aufgrund der unterschiedlichen Interessenlage ohne weiteres verständlich: Die Regelung des Sozialrechts soll im Interesse der Allgemeinheit und des Arbeitslosen ermöglichen, daß der Anschluß an das Arbeitsleben (und die damit verbundenen beruflichen Erfahrungen) erhalten wird, während im Versicherungsrecht eine klare Abgrenzung für die Kalkulationsgrundlagen der Versicherung wichtig ist. Um diesen unterschiedlichen Interessenlagen gerecht werden zu können, räumt das Gesetz den am Rechtsleben Beteiligten die Vertragsfreiheit ein. Davon ist in den AVB-AL Gebrauch gemacht worden.
Diese AVB-AL sind Vertragsbestandteil geworden. Gegen ihre Wirksamkeit bestehen keine Bedenken. Insbesondere verstoßen sie nicht gegen das Transparenzgebot; denn die AVB beschreiben mit hinreichender Deutlichkeit, in welchem Fall Versicherungsschutz gewährt wird, nämlich dann, wenn überhaupt kein Verdienst erzielt wird. Auch in anderen Fällen der Verdienstausfallversicherung ist es in der Rechtsprechung gebilligt worden, daß ein vollständiger Verdienstausfall eintreten muß, um Versicherungsansprüche auszulösen (BGH VersR 1993, 297 ff. für die Krankentagegeldversicherung; zur Transparenzkontrolle vgl. auch BGH NJW 1999, 2279).
Allerdings ist der vom Kläger erzielte Verdienst mit monatlich 160 Euro verhältnismäßig geringfügig. Jedoch ist dieses Einkommen nicht derart unbedeutend, daß es nach Treu und Glauben unbillig erscheint, es als Entgelt im Sinne des § 1 Nr. 3 Satz 1 AVB-AL anzusehen. Eine Bewertung von erzieltem Einkommen als bedeutungslos kommt nach Auffassung des erkennenden Senats allenfalls dann in Betracht, wenn es im Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers nicht mehr als Arbeitsverdienst angesehen wird, sondern nur noch als Trinkgeld. Dies ist hier ersichtlich nicht der Fall. Ein Betrag von monatlich 160 Euro ist bereits aufgrund seiner Höhe als Arbeitsverdienst anzusehen, und im übrigen haben der Kläger und die H. GmbH durch den Vertragsschluß klar zu erkennen gegeben, daß hier ein Arbeitsentgelt vereinbart werden sollte.
Sonstige Gründe, welche es rechtfertigen können, dem Kläger einen Anspruch auf Versicherungsleistungen zuzubilligen, sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Der Senat hat die Revision zugelassen, da noch keine Entscheidung des Bundesgerichtshofes zu der Frage ergangen ist, ab welcher Höhe ein Arbeitsentgelt als so bedeutungslos anzusehen ist, daß es einem nicht erzielten Einkommen gleichgesetzt werden muß.