11.06.2004 · IWW-Abrufnummer 041503
Bundesfinanzhof: Urteil vom 25.03.2004 – IV R 2/02
Die Frage, ob die Einschränkung der Befugnis zur Änderung einer vor dem In-Kraft-Treten des StEntlG 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 eingereichten Bilanz gegen das Rückwirkungsverbot verstößt oder wegen Verletzung des Gleichheitssatzes verfassungswidrig sein könnte, weil § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG nur bilanzierende Steuerpflichtige trifft, bedarf keiner Entscheidung, wenn dem Steuerpflichtigen ein Rechtsanspruch auf Zustimmung zur Bilanzänderung nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG a.F. nicht zustehen würde.
Gründe:
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr (1992) als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielt als Landwirt Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, die durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelt wurden.
Gemäß der für das Streitjahr eingereichten Einkommensteuererklärung setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Einkommensteuer mit Bescheid vom 10. März 1994 zunächst auf 0 DM fest. Aufgrund einer Mitteilung der Steuerfahndungsstelle (Steufa) über nicht erklärte Einnahmen aus Kapitalvermögen wurde die Einkommensteuer für das Streitjahr durch Einkommensteueränderungsbescheid vom 17. September 1999 auf 1 400 DM erhöht.
Mit dem dagegen gerichteten Einspruch machte der Kläger am 11. Oktober 1999 erstmals eine den Gewinn des Wirtschaftsjahrs 1992/93 um 15 000 DM mindernde Sonderabschreibung nach § 76 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) auf einen im Juli 1990 erworbenen Mähdrescher geltend. Damit wollte der Kläger für das Streitjahr erneut eine Festsetzung der Einkommensteuer auf 0 DM erreichen. Mit Einspruchsentscheidung vom 18. November 1999 lehnte das FA die Bilanzänderung unter Hinweis auf das inzwischen in Kraft getretene Bilanzänderungsverbot in § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (StEntlG 1999/2000/2002) vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) ab.
Auch die dagegen gerichtete Klage, mit der die Verfassungswidrigkeit des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz und das Rückwirkungsverbot geltend gemacht wurde, hatte keinen Erfolg. In seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 700 veröffentlichten Urteil vertrat das Finanzgericht (FG) die Auffassung, die Bilanzänderung sei zu Recht versagt worden. Zwar handele es sich bei der durch § 52 Abs. 9 EStG auch für Veranlagungszeiträume vor 1999 angeordneten Anwendung des durch das StEntlG 1999/2000/2002 eingeführten Bilanzänderungsverbots und der durch das Steuerbereinigungsgesetz 1999 (StBereinG 1999) vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 1999, 2601, BStBl I 2000, 13) geregelten Einschränkung der Bilanzänderung um eine echte Rückwirkung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- (Beschlüsse vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 241 f., und vom 15. Oktober 1996 1 BvL 44/92, 1 BvL 48/92, BVerfGE 95, 64, 86 f.). Dies führe aber gleichwohl nicht zur Anwendung des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG a.F., denn es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dem Kläger die nachträgliche Inanspruchnahme der Sonderabschreibung zu versagen, die er bereits bei Einreichung der Bilanz hätte geltend machen können. In dieser Einschränkung, von der nicht bilanzierende Steuerpflichtige ausgenommen seien, liege kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Da die unterschiedlichen Gewinnermittlungsarten zu unterschiedlichen Realisationszeitpunkten führten, seien periodenwirksame Gewinnverlagerungen, wie die Vornahme der Sonderabschreibung im Streitfall, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Mit ihrer dagegen gerichteten, vom FG zugelassenen Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts und tragen unter Berufung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Dezember 2000 VIII R 10/99 (BFHE 194, 135, BStBl II 2001, 282) vor: Die durch § 52 Abs. 9 EStG angeordnete Rückwirkung sei nur dann unbedenklich, wenn das Änderungsbegehren eine nach dem 31. Dezember 1998 bzw. nach dem 24. März 1999, dem Tag der Verabschiedung des StEntlG 1999/2000/2002, eingereichte Bilanz für ältere Veranlagungszeiträume betreffe. Im Streitfall sei die Bilanz zum 30. Juni 1993 jedoch bereits lange vor dem 1. Januar 1999 eingereicht worden. Nur diese auf den Zeitpunkt der Einreichung der Bilanz abstellende Auslegung der Übergangsregelung gewährleiste die Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen. Denn wären die Einkünfte aus Kapitalvermögen bereits im Laufe des Jahres 1998 bekannt geworden, hätte sich die Änderungsmöglichkeit "völlig unstrittig" ergeben.
Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 1992 vom 17. September 1999 und des Einspruchsbescheids vom 18. November 1999 die Einkommensteuer 1992 auf 0 DM herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). FA und FG haben im Ergebnis zu Recht die begehrte Bilanzänderung abgelehnt.
1. Nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG (i.d.F. des StBereinG 1999) ist eine Änderung der Bilanz nur zulässig, wenn sie in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG steht und soweit die Auswirkung der Änderung durch die Bilanzberichtigung auf den Gewinn reicht. Diese die zustimmungsbedürftige Bilanzänderung nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG a.F. einerseits und das durch das StEntlG 1999/2000/2002 eingeführte totale Bilanzänderungsverbot andererseits ablösende Regelung ist auch für Veranlagungszeiträume vor 1999 anzuwenden (§ 52 Abs. 9 EStG). Die im Wortlaut unklare Übergangsregelung erfasst ihrem Sinn entsprechend alle nach dem 31. Dezember 1998 gestellten Anträge auf Bilanzänderung (BFH-Urteil in BFHE 194, 135, BStBl II 2001, 282 zu II.B.4. der Entscheidungsgründe, m.w.N.). Hätte der Gesetzgeber hingegen nur die Bilanzen der eingeschränkten Änderung unterwerfen wollen, die --wie die Kläger meinen-- erst nach dem 31. Dezember 1998 für Bilanzstichtage vor 1999 eingereicht würden, so hätte es keiner Übergangsregelung wie der des § 52 Abs. 9 EStG bedurft.
2. Im Streitfall hat der Kläger die Sonderabschreibung nach § 76 EStDV im Wege einer Änderung der Bilanz zum 30. Juni 1993 mit seinem Einspruchsschreiben am 11. Oktober 1999 geltend gemacht, so dass § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG anzuwenden ist. Da die Bilanzänderung aber in keinem Zusammenhang mit einer Bilanzberichtigung steht, war die Bilanzänderung zu versagen. Ob auch in diesem Fall eine sog. echte Rückwirkung anzunehmen wäre, die nur in Ausnahmefällen dem Rechtsstaatsprinzip entspricht (BFH-Urteil in BFHE 194, 135, BStBl II 2001, 282 zu II.B.4.a der Entscheidungsgründe, m.w.N.) kann im Streitfall ebenso dahinstehen wie die vom FG verneinte Frage nach einer Verletzung des Gleichheitssatzes durch eine nur den bilanzierenden Steuerpflichtigen treffende Beschränkung der Ausübung von Wahlrechten (s. auch Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 4 EStG Anm. 358, m.w.N.). Diese Verfassungsfragen wären nur entscheidungserheblich, wenn dem Kläger ein Rechtsanspruch auf Zustimmung zur Bilanzänderung nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG a.F. zustehen würde (s. auch BFH-Urteil in BFHE 194, 135, BStBl II 2001, 282). Hiervon geht der Kläger ohne weiteres aus. Ein solcher Anspruch besteht indessen nicht.
3. Die Finanzbehörde musste einem Antrag des Steuerpflichtigen auf Zustimmung zur Bilanzänderung zwar grundsätzlich stattgeben, wenn sich die tatsächlichen Grundlagen, von denen der Steuerpflichtige bei der Ausübung eines (Bewertungs-)Wahlrechts ausgegangen war, nach Einreichung der Bilanz erheblich verändert hatten (BFH-Urteile vom 29. Januar 1952 I 103/51 U, BFHE 56, 137, BStBl III 1952, 57; vom 30. März 1983 I R 178/79, BFHE 138, 236, 239, BStBl II 1983, 512; einschränkend Senatsurteil vom 30. März 1989 IV R 81/87, BFHE 156, 208, BStBl II 1989, 558). Das FA konnte einen solchen Antrag daher nur ablehnen, wenn er zu einer Verzögerung der Erledigung des Besteuerungsverfahrens führte oder wenn der durch die Bearbeitung des Antrags beim FA anfallende Arbeitsaufwand in keinem sachgerechten Verhältnis zum Interesse des Steuerpflichtigen an der Bilanzänderung stand. Das folgt zum einen aus der Entstehungsgeschichte des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG a.F. (vgl. dazu die Begründung zum EStG 1934 in RStBl 1935, 33, 37 f.) und zum anderen aus dem die Eingriffsverwaltung beherrschenden Übermaßverbot.
Im Streitfall konnte bei einer Steuerfestsetzung von 1 400 DM nicht von einer so erheblichen Änderung der Besteuerungsgrundlagen ausgegangen werden, dass davon die Entscheidung über die Inanspruchnahme der Sonderabschreibung hätte abhängig gemacht werden müssen (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 56, 137, BStBl III 1952, 57). Unter den besonderen Umständen des Streitfalls konnte aber die Zustimmung schon deshalb nicht beansprucht werden, weil es sich um eine willkürliche Bilanzänderung handelte, die zu dem einzigen Zweck vorgenommen wurde, das Ergebnis von Feststellungen der Steuerfahndungsstelle auszugleichen. Einem solchen Begehren hat bereits die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) die Zustimmung versagt, weil es an zwingenden betrieblichen Gründen fehlte (RFH-Urteil vom 1. Juli 1936 VI A 491/36, RStBl 1936, 779, s. auch RFH-Urteil vom 4. April 1933 VI A 629/32, RStBl 1933, 735).
Nach alledem konnten die Kläger auch unter Geltung des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG a.F. nicht mit einer Zustimmung zu der von ihnen begehrten Bilanzänderung rechnen.