13.07.2004 · IWW-Abrufnummer 041790
Finanzgericht Brandenburg: Urteil vom 18.02.2003 – 6 K 430/00
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
FINANZGERICHT DES LANDES BRANDENBURG
6 K 430/00
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit XXX
wegen Familienleistungsausgleich (Kindergeld)
hat der 6. Senat des Finanzgerichts des Landes Brandenburg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. Februar 2003 durch
die Richterin am Finanzgericht Venus als Vorsitzende,
den Richter am Finanzgericht Krebs,
die Richterin am Finanzgericht Debus,
sowie die ehrenamtlichen Richter Frau Nölte und Frau Richter für Recht erkannt:
Der Bescheid vom 1. Dezember 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. Januar 2000 wird aufgehoben und Kindergeld für die Tochter A... für Januar bis Juni 1999 gewährt.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
G r ü n d e :
Die Klägerin ist Mutter ihrer im Februar 1980 geborenen Tochter A..., die sich in der Zeit vom 1. September 1996 bis zum 9. Juli 1999 in der Berufsausbildung zur Fachangestellten für Bürokommunikation in L.... befand.
Sie erhielt im Streitjahr 1999 eine Berufsausbildungsbeihilfe in Höhe von monatlich DM 138 und eine Ausbildungsvergütung für die Monate Januar bis März in Höhe von jeweils DM 1.236,10 sowie ab April in Höhe von DM 1.274,42 zuzüglich vermögenswirksamer Leistungen in Höhe von monatlich DM 26. Zudem erhielt sie im Juli Urlaubsgeld in Höhe von DM 500.
Die Klägerin erhielt f ür die Tochter A... sowie für zwei weitere Kinder Kindergeld, ab August 1999 hatte der Beklagte die Kindergeldzahlungen für A... auf Hinweis der Klägerin, ihre Tochter habe die Berufsausbildung beendet, eingestellt.
Der Beklagte hob mit Bescheid vom 1. Dezember 1999 die Festsetzung von Kindergeld für die Tochter A... ab Januar 1999 auf und forderte danach für die Monate Januar bis Juli 1999 zuviel gezahltes Kindergeld in Höhe von DM 2.100 zurück, da nach seiner Berechnung die Einkünfte und Bezüge der Tochter A... unter Berücksichtigung der Pauschbeträge die Einkunftsgrenze überschritten. Die Klägerin legte Einspruch ein, soweit der Beklagte Kindergeld für die Monate Januar bis Juni 1999 aufgehoben hatte. Im Einspruchsverfahren machte sie erhöhte Werbungskosten, unter anderem für eine doppelte Haushaltsführung und Fahrtkosten geltend. Der Einspruch blieb ohne Erfolg, da nach Auffassung des Beklagten die Einkünfte und Bezüge bis Juli 1999 über der Einkunftsgrenze lägen.
Die Klägerin hat fristgerecht Klage erhoben. Sie wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen, insbesondere legte sie den von ihrer Tochter im August 1996 abgeschlossenen Mietvertrag sowie den Bescheid über die Festsetzung der Zweitwohnungssteuer vom 18. Juni 1999 vor. Auf die Aufstellung der von ihr geltend gemachten Werbungskosten sowie die Erklärung zu den Werbungskosten eines über 18 Jahre alten Kindes wird Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 1. Dezember 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. Januar 2000 aufzuheben und ihr Kindergeld für ihre Tochter A... für Januar bis Juni 1999 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Beklagte hat die Festsetzung des Kindergeldes für A... zu Unrecht aufgehoben. Dadurch ist die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung ? FGO -). Der Klägerin stand Kindergeld zumindest für den Zeitraum Januar bis Juni 1999 gemäß §§ 62 Abs. 1 Nr. 1; 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a, Sätze 2, 5 und 6 Einkommensteuergesetz ? EStG ? zu.
Danach wird ein Kind für das Kindergeld berücksichtigt, wenn es das 18. aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat ? wie die Tochter A... der Klägerin - und für einen Beruf ausgebildet wird und Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als DM 13.020 im Kalenderjahr hat. Der Betrag ermäßigt sich für jeden Monat, in dem die Voraussetzungen für die Berücksichtigung des Kindes nicht vorliegen, um ein Zwölftel. Einkünfte und Bezüge des Kindes, die in diese Kalendermonate fallen, bleiben bei der Berechnung entsprechend außer Betracht.
Für die Monate Januar bis Juni ist das Kind A... als Kind in der Berufsausbildung zu berücksichtigen. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Die anteilige Einkunftsgrenze für die Monate Januar bis Juni in Höhe von DM 6.510 wird von der Tochter A... nicht überschritten.
Der Monat Juli gehört zu den Kürzungsmonaten im Sinne des § 32 Abs. 4 Sätze 5 und 6 EStG. In diesem Monat wechselte die Tochter der Klägerin von der Ausbildung in die Arbeitnehmertätigkeit. Da die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld mithin nicht während des gesamtern Monats Juli 1999 vorlagen, sind die in diesem Monat erzielten Einkünfte und Bezüge unberücksichtigt zu lassen. Dementsprechend gehen nach § 32 Abs. 4 Satz 7 EStG nur die auf den Jahresabschnitt Januar bis Juni 1999 entfallenden Einnahmen in die Berechnung ein (BFH Urteil vom 12. April 2000 VI R 34/99, BStBl. II 2000, 464).
Dazu gehören neben den Ausbildungsvergütungen auch die vermögenswirksamen Leistungen (BFH Urteil vom 11. Dezember 2001 VI R 113/99, BFH/NV 2002, 636) sowie die Berufsausbildungsbeihilfe, nicht jedoch das Urlaubsgeld, da dieses im Juli und damit während eines Kürzungsmonats zugeflossen ist. Es handelt sich demzufolge nicht um eine Sonderzuwendung aus dem Berufsausbildungsverhältnis. (BFH Urteil vom 12. April 2000 VI R 34/99, BStBl. II 2000, 464)
Die sich danach ergebenden Einnahmen von DM 7.687 sind um Werbungskosten in Höhe von DM 3.915 zu kürzen. Die Einkünfte und Bezüge der Tochter A... berechnen sich daher wie folgt (Berechnung in DM):
Ausbildungsvergütung
Januar bis März 1.236,10 * 3 3.708,30
April bis Juni 1.274,42 * 3 3.823,26
Vermögenswirksame Leistungen
26 * 6 156
Einnahmen, gerundet 7.687 7.687
abzüglich Werbungskosten
- Miete 399,34 * 6 2.396
Zweitwohnungsteuer 132
Strom 30 * 6 180
Monatskarte
öffentliche Verkehrsmittel 62,50 * 6 375
Heimreise 124 * 6 744
Bahncard 130
Werbungskosten gesamt 3.957 3.957
Einkünfte 3.730
Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) 138 * 6 828
Unkostenpauschale
(BAB gezahlt bis August,
anteilig 6/8 von 360) 270
Bezüge insgesamt 558 558
Einkünfte und Bezüge 4.288
Die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen für eine zeitlich beschränkte doppelte Haushaltsführung sind entgegen der Auffassung des Beklagten bei den Werbungskosten zu berücksichtigen.
Werbungskosten sind gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen.
Dies gilt auch für das von der Rechtsprechung in Anlehnung an die Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung geschaffene Rechtsinstitut der sogenannten zeitlich beschränkten doppelten Haushaltsführung für junge Arbeitnehmer in der Berufsausbildung.
Die Grundsätze der Rechtsprechung zur zeitlich beschränkten doppelten Haushaltsführung (gelegentlich als unechte oder quasi doppelte Haushaltsführung bezeichnet), sind anzuwenden bei nicht verheirateten Arbeitnehmern, die im Haushalt ihrer Eltern eingegliedert und vorübergehend an einem auswärtigen Ort beschäftigt sind (BFH-Urteil vom 06. Oktober 1994 VI R 39/93, BStBl. II 1995, 186; Lohnsteuerrichtlinien 1999 Abschnitt 43 Abs. 5) sowie den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen am bisherigen Wohnort beibehalten (vgl. BFH Urteil vom 10. Oktober 1991 VI R 44/90, BStBl II 1992, 237; Lang, in: Littmann / Bitz / Hellwig, § 9 EStG Rz 372). Von einer vorübergehenden auswärtigen Beschäftigung kann nur ausgegangen werden, wenn die Beschäftigung an demselben auswärtigen Ort von vornherein auf höchstens drei Jahre befristet ist, wie dies z.B. bei Lehrverhältnissen angenommen werden kann (BFH, Urteil vom 6. Oktober 1994, VI R 39/93 BStBl II 1995, 186; vom 13. März 1996 VI R 103/95, BStBl. II 1996, 375). Dies gilt auch, wenn das Ausbildungsverhältnis den Zeitraum von drei Jahren übersteigt, sofern die doppelte Haushaltsführung auf die Dauer des Ausbildungsverhältnisses beschränkt ist (so Dienstanweisung BStBl. I 2002, 365 (404), DA 63.4.2.2. Satz 11, Buchstabe d, Satz 8)
Die dargestellten Grundsätze der Rechtsprechung zur zeitlich beschränkten doppelten Haushaltsführung sind geschaffen worden, als es die gesetzlich eingegrenzte Abzugsfähigkeit der aus Anlass einer doppelten Haushaltsführung entstandenen Mehraufwendungen auf zwei Jahre (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG) noch nicht gab. Daher konnte bislang nicht zur Dauer der Abzugsfähigkeit Stellung genommen werden.
Die gesetzlich geregelte Einschränkung der Abzugsfähigkeit auf zwei Jahre ist nach Auffassung des erkennenden Senats nicht auf junge Arbeitnehmer in der Berufsausübung und damit auf die zeitlich beschränkte doppelte Haushaltsführung anzuwenden. Denn anders als bei der gesetzlich normierten doppelten Haushaltsführung - hier handelt es sich um Arbeitnehmer, die dauerhaft an einem anderen Ort als ihrem Wohnort arbeiten - ist der Aufenthalt der zeitlich beschränkten doppelten Haushaltsführung ja ohnehin befristet, nämlich auf die Dauer der Ausbildung. Insofern scheint die Abzugsfähigkeit während der gesamten Dauer der Ausbildung gerechtfertigt.
Dies folgt daraus, dass es sich hier um ein von der Rechtsprechung geschaffenes Regularium handelt, um Ungleichbehandlungen von Steuerpflichtigen zu vermeiden. Damit wurde die Möglichkeit geschaffen, junge Arbeitnehmer ohne eigenen Hausstand mit Arbeitnehmern gleichzustellen, die sowohl am bisherigen Wohnort als auch am Arbeitsplatz jeweils einen eigenen Hausstand unterhalten. Zwar führt eine Abzugsfähigkeit der erforderlichen Mehraufwendungen bei Auszubildenden während der gesamten Dauer der Ausbildung zu einer Besserstellung. Diese scheint aber insoweit gerechtfertigt, als es sich nur um ein Ausbildungsverhältnis handelt, dieses befristet ist, der Auszubildende (in der Regel) einen geringeren Lohn erwirtschaftet als ein Arbeitnehmer und gerade aufgrund der Besonderheiten des Ausbildungsverhältnisses keine vollständige Gleichstellung mit Arbeitnehmern besteht.
Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Tochter der Klägerin befindet sich in einer dreijährigen Ausbildung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war zuzulassen, weil über diese Frage bisher nicht höchstrichterlich entschieden wurde.