02.11.2010 · IWW-Abrufnummer 104295
Finanzgericht Köln: Urteil vom 18.03.2010 – 11 K 459/09
Lohnsteuerbeträge, die nach Aufhebung eines Nachforderungsbescheides i.S.v. § 42d Abs. 3 EStG erstattet werden, unterliegen als Vorauszahlungen i.S.v. § 233a Abs. 1 Satz 2 AO nicht der Verzinsung.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Verzinsung nachgeforderter Lohnsteuer streitig, die dem Kläger erstattet wurde.
Der Kläger war als leitender Angestellter einer inländischen Versicherungsgesellschaft tätig. Seit Mitte 2001 übte er diese Tätigkeit in … aus und hatte dort seinen Wohnsitz. Aus im Jahr 1997 zugesagten Aktienoptionen flossen ihm im Jahr 2002 geldwerte Vorteile zu. Der Arbeitgeber wandte hierfür im Rahmen des Lohnsteuerabzugs § 34 i. V. m. § 39b Abs. 3 Satz 9 EStG an. Diese Begünstigung wurde bei einer beim Arbeitgeber durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung versagt. Mit Nachforderungsbescheid vom … 2004 setzte der Beklagte unmittelbar gegenüber dem Kläger Lohnsteuer in Höhe von 37.804 EUR fest. Der Kläger zahlte diesen Betrag am … 2004. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom … 2006) erhob er Klage beim Finanzgericht Köln. Während dieses Klageverfahrens änderte der Gesetzgeber § 50 Abs. 1 Satz 3 EStG, so dass auch beschränkt Steuerpflichtige die Vergünstigungen des § 34 EStG erhalten. Daraufhin hob der Beklagte den Nachforderungsbescheid vom … 2004 mit Schreiben vom …2008 auf und erstattete den nachgeforderten Betrag.
Mit Schreiben vom … 2008 beantragte der Kläger u.a. die Festsetzung von Erstattungszinsen gemäß § 233a AO. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom … 2008 ab.
Den gegen diese Entscheidung gerichteten Einspruch des Klägers vom 2008 wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom … 2009 zurück. Die Lohnsteuer sei eine Abzugssteuer, § 38 Abs. 1 S. 1 EStG. Schuldner sei nach § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG der Arbeitnehmer, der gemäß § 42d EStG in Anspruch genommen werden könne (Nachforderung). Gemäß AEAO zu § 233a EStG, Tz. 2, fände bei der Nachforderung von Abzugssteuern keine Verzinsung nach § 233a AO statt. Die Aufzählung der zu verzinsenden Steuern in Absatz 1 sei abschließend, auf andere als dort genannte Steuern sei § 233a AO nicht anwendbar. Zu einer lückenlosen Verzinsung jeglicher Erstattungsansprüche sei der Gesetzgeber nicht verpflichtet (BFH vom 26.04.2006, I R 122/04). Es gebe keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der den Staat zur Verzinsung rückständiger Leistungen verpflichte (BFH vom 20.04.2006, III R 64/04). Ob die Nachforderung zu Recht oder Unrecht festgesetzt worden sei, sei unbeachtlich. Schließlich handele es sich bei der Lohnsteuer-Nachforderung nicht um eine Einkommensteuerveranlagung i.S.v. § 233a Abs. 1 Satz 1 AO und § 25 EStG. Eine Veranlagung werde gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG auf Antrag durchgeführt, worauf der Kläger mit dem Nachforderungsbescheid hingewiesen worden sei. Einen solchen Antrag habe der Kläger nicht gestellt.
Mit der am … 2009 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Nach dem Sinn und Zweck des § 233a AO sei dieser auf die Erstattung der Lohnsteuernachforderung anzuwenden und Zinsen entsprechend festzusetzen. Sinn der Ausnahme der Steuerabzugsbeträge nach Absatz 1 Satz 2 von der Verzinsung sei, dass deren Einbeziehung die Berechnung der Zinsen erheblich erschweren würde und dass wegen der Karenzfrist von fünfzehn Monaten die Verzinsung in der Regel ins Leere laufen würde (vgl. hierzu bereits BT-Drucksache 11/2157, Begründung S. 195). Aufgrund der Abzugssituation stelle sich auch allgemein die Frage, ob dem Arbeitgeber oder dem Arbeitnehmer der Zinsanspruch endgültig zustehe. Der tragende Rechtsgrund für diese Ausnahme sei daher der tatsächliche Abzug beim Arbeitgeber. Für eine Anwendung auf Festsetzungen außerhalb des Lohnsteuerabzugsverfahrens, etwa durch Nachforderungsbescheid, bestünde kein Grund. Soweit in der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 11/2157) die Aussage enthalten sei, auch Nachforderungen gegenüber dem Steuerschuldner würden nicht verzinst, sei es zweifelhaft, ob im Rahmen der Gesetzesdiskussion ausreichend nachgedacht worden sei. Eine solche Nachforderung habe den Charakter jeder anderen Veranlagungssteuer, so dass der gesetzgeberische „Telos” nicht greife. Diese Ausführungen seien lediglich insoweit sinnvoll zu interpretieren, als keine verzinsliche Nacherhebung beim Steuerschuldner stattfinden solle, weil der abführungspflichtige Arbeitgeber die zu geringe Lohnsteuer zu vertreten habe. Der Wortlaut von § 233a Abs. 1 Satz 2 AO sei ebenfalls nicht einschlägig. Es handele sich bei einer Nachforderung nicht um einen Steuerabzugsbetrag, weil die Lohnsteuer nicht mehr von bereits ausgezahltem Lohn abgezogen werde. Auch der Beklagte spreche von der „Nachforderung von Lohnsteuer…”. Eine Vorauszahlung liege zweifelsfrei ebenfalls nicht vor.
Die Voraussetzungen von § 233a Abs. 1 Satz 1 AO lägen vor. Die Lohnsteuer sei der Einkommensteuer zuzurechnen. Dies ergebe sich zum Einen aus der konkreten Art der Erhebung. Durch die Lohnsteuer gelte die Einkommensteuer nach § 50 Abs. 5 EStG als abgegolten. Der Nachforderungsbescheid habe daher einkommensteuerlichen Charakter. Zum Anderen folge dies aus der Ausnahmeregelung des § 233a Abs. 1 Satz 2 AO. Die Steuer sei auch i.S.v. § 155 Abs. 1 AO festgesetzt worden. Auf die Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung komme es nicht an. Die Steuerfestsetzung sei nach § 155 AO ein Verfahren, das unmittelbar auf eine verbindliche Entscheidung der Finanzbehörde gerichtet sei (Cöster in Pahlke/König, AO, § 155 Rn. 13). Zweck einer Steuerfestsetzung sei, eine sichere Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis zu schaffen. Der Nachforderungsbescheid sei erkennbar auf Verbindlichkeit gerichtet gewesen, über die Höhe des Steueranspruchs habe verbindlich entschieden werden sollen. Die Entscheidung sei noch nicht einmal vorläufig gewesen, da eine Pflicht zur Abgabe der Einkommensteuererklärung nicht bestanden habe. Zwar werde teilweise für eine Festsetzung nach § 155 AO ein Veranlagungsverfahren in dem Sinne vorausgesetzt, dass der verbindlichen Festlegung der Steuerschuld durch das Finanzamt eine Steuererklärung durch den Steuerpflichtigen vorausgehen müsse. Bei § 233a AO könne dies jedoch auf Grund der Systematik von Absatz 1 nicht gelten. Sowohl der Haupttatbestand nach Satz 1 sowie der Ausnahmetatbestand nach Satz 2 sprächen von Festsetzungen. Steuerabzugsbeträge nach Satz 2, wie z.B. die Lohnsteuer im typischen Fall, würden jedoch nicht auf Grund von Steuererklärungen festgesetzt (vgl. Cöster in Pahlke/König, AO, § 155 Rn. 13). Habe man daher die Notwendigkeit einer Steuererklärung vorausgesetzt, sei die Ausnahme nach Satz 2 nicht erforderlich gewesen.
Mit dem dem Urteil des BFH vom 26.04.2006 (I R 122/04) zugrundeliegenden Sachverhalt sei der vorliegende Sachverhalt nicht vergleichbar, da es dort um die Frage gehe, ob es sich bei dem Erstattungsverfahren nach § 11 AStG a.F. um ein Festsetzungsverfahren oder um die Aufhebung einer Festsetzung handele. Auch das Urteil des BFH vom 23.02.2006 (III R 66/03) sei nicht übertragbar, da dort Investitionszulagen und damit Steuervergütungen streitgegenständlich gewesen seien.
Auch die Voraussetzung nach § 233a Abs. 5 AO (Aufhebung einer Festsetzung) sei erfüllt, da die Nachforderung mit Bescheid vom … 2008 zurückgenommen worden sei.
Schließlich greife der Ausnahmetatbestand des § 233a Abs. 1 Satz 2 nicht ein. Dies ergebe sich, wie schon dargestellt, aus Sinn und Zweck sowie Wortlaut der Ausnahmevorschrift. Dass der Wortlaut die Grenze der möglichen Auslegung darstelle, und nicht z.B. generell eine Abzugssteuer erfasst werde, ergebe sich auch aus dem Beschluss des BFH vom 18.09.2007 (I R 15/05). Dort habe der BFH den Körperschaftsteuerbetrag präzise unter den Begriff des Steuerabzugsbetrags subsumiert. Der Hinweis, auch Nachforderungen von Abzugssteuern blieben unverzinst, bilde keine tragende Grundlage der Entscheidung, sondern solle sie lediglich verständlicher machen. Dieser Beschluss sei auf das vorliegende Verfahren nicht übertragbar, denn dort habe es sich um einen „lupenreinen Steuerabzugsbetrag” gehandelt. An der Anwendbarkeit von § 233a AO änderten ebenfalls die Ausführungen in der AEAO zu § 233a AO nichts. Dass Nachforderungen von Abzugssteuern nicht verzinst würden, treffe schon inhaltlich den vorliegenden Fall nicht, weil es hier um die Verzinsung einer erfolgten Nachforderung nach deren Zurücknahme gehe. Außerdem könne die Regelung in der AEAO mangels Gesetzesqualität keine Wirkung entfalten.
Das Urteil des BFH vom 17.04.2008 (V R 41/06) habe mit dem hiesigen Verfahren gemein, dass die Ausnahme des § 233a Abs. 1 Satz 2 AO nicht eingreife und der Steuervergütungsanspruch deshalb zu verzinsen gewesen sei.
Schließlich sei die Nachforderung europarechtswidrig gewesen. Durch die zur Erstattung führende Gesetzesänderung habe der Gesetzgeber der Aufhebung der auf den rechtswidrigen Normen basierenden Festsetzungen zuvorkommen wollen. Es könne nicht sein, dass der Beklagte sich der Verzinsung der rechtswidrigen Forderung entziehe, die er quasi als Darlehen erhalten habe. Im Übrigen habe der Beklagte bis zur Einspruchsentscheidung zwei Jahre und sechs Monate gebraucht. Erst mit der Durchführung des Klageverfahrens sei eine Verzinsung nach § 236 AO erfolgt.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid über die Ablehnung der Festsetzung von Erstattungszinsen gemäß § 233a AO in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom … 2009 aufzuheben,
das beklagte Finanzamt zu verurteilen, dem Kläger Zinsen gemäß § 233a AO für den Zeitraum vom … 2004 bis … 2006 in Höhe von EUR 5.670 zu zahlen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Zur Begründung trägt der Beklagte in Ergänzung zur Einspruchsentscheidung vor, dass es sich bei der nachgeforderten Lohnsteuer um einen Steuerabzugsbetrag im Sinne des § 233a Abs. 1 Satz 2 AO handle. Die Nachforderung sei Bestandteil des Lohnsteuerabzugsverfahrens. Denn der Kläger sei nach § 42d EStG in Anspruch genommen worden, weil die einbehaltene Lohnsteuer zuvor nicht ordnungsgemäß vom Arbeitslohn einbehalten oder nicht vorschriftsmäßig angemeldet worden sei, § 42d Abs. 3 Satz 4 EStG. Die Nachforderung führe nicht dazu, dass aus dieser eine Veranlagungssteuer werde. Dem Kläger habe im Übrigen freigestanden, eine Veranlagung zu beantragen, die zu einer Verzinsung geführt hätte.
Soweit sich der Kläger darauf berufe, die Nachforderung sei schon im Zeitpunkt der Festsetzung europarechtswidrig gewesen, sei dies unzutreffend. Nach § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG a.F. sei die Tarifbegünstigung nach § 34 EStG nicht anwendbar gewesen. Erst durch das Jahressteuergesetz 2008 sei dies geändert worden.
Entgegen der Auffassung des Klägers seien schließlich die Grundsätze der BFH-Entscheidungen vom 18.09.2007 (I R 15/05) sowie vom 26.04.2006 (I R 122/04) vorliegend anwendbar.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, den an den Kläger aufgrund der Aufhebung des Nachforderungsbescheids vom … 2004 erstatteten Lohnsteuerbetrag zu verzinsen.
1. Nach § 233a Abs. 1 Satz 1 AO ist der Unterschiedsbetrag, der sich nach § 233a Abs. 3 AO u. a. bei der Festsetzung der Einkommensteuer ergibt, zu verzinsen. Dies gilt nach Satz 2 jedoch nicht bei der Festsetzung von Vorauszahlungen und Steuerabzugsbeträgen.
Der Gesetzgeber hat Vorauszahlungen und Steuerabzugsbeträge aus dem sachlichen Anwendungsbereich des § 233a AO ausgenommen, weil eine Verzinsung dort „in aller Regel ins Leere gehen (würde), da die Steuerfestsetzungen bzw. Steueranmeldungen insoweit zeitnah, d.h. innerhalb der vorgesehenen Karenzzeit von 15 Monaten, erfolgen und nach der Steuerfestsetzung oder Steueranmeldung das geltende Zins- und Säumnisrecht eingreift” (BTDrucks 11/2157, S. 195). Darüber hinaus würde eine eigenständige Verzinsung dieser Beträge eine erhebliche Verkomplizierung der Vollverzinsung mit sich bringen (Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 233a AO Rz. 20). Der Ausschluss der Verzinsung bezieht sich dabei generell auf Vorauszahlungen und Steuerabzugsbetr äge und betrifft (im Bereich der Lohnsteuer und der Kapitalertragsteuer) auch Steuerinländer (BFH-Beschluss vom 18.09.2007 I R 15/05, BStBl. II 2008, 332). Im Übrigen sollen nach der Gesetzesbegründung sowie nach der Rechtsprechung, der Literatur und der Finanzverwaltung –umgekehrt– auch Nachforderungen von Abzugssteuern unverzinst bleiben (BTDrucks 11/2157, S. 195; BFH-Beschluss vom 18.09.2007 I R 15/05, BStBl. II 2008, 332; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 233a AO Rz. 20; Loose in Tipke/Kruse, § 233a AO Rz. 9; AEAO zu § 233a AO, Nr. 2).
§ 233a AO will einen Ausgleich für Liquiditätsvorteile herstellen, die dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung widersprechen (z.B. BFH-Urteile vom 08.09.1993 I R 30/93, BStBl. II 1994, 81; vom 26.04.2006 I R 122/04, BStBl. II 2006, 737; BFH-Beschluss vom 18.09.2007 I R 15/05, BStBl. II 2008, 332; siehe auch Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 233a AO Rz. 17). Dies rechtfertigt es, den sachlichen Anwendungsbereich des § 233a Abs. 1 Satz 1 AO auf „Veranlagungssteuern” (Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 223a AO Rz. 17; Kögel in Beermann/Gosch, § 233a AO Rz 5.13) bzw. „laufend veranlagte Steuern” (Rüsken in Klein, 10. Aufl., § 233a AO Rz. 6) zu beschränken. Soweit sich dabei Verzinsungslücken ergeben, ist dies de lege lata hinzunehmen. Der Gesetzgeber ist nicht zu einer lückenlosen Verzinsung jeglicher Erstattungsansprüche verpflichtet (BFH-Urteil vom 23.02.2006 III R 66/03, BStBl. II 2006, 741; BFH-Urteil vom 20.04.2006 III R 64/04; BStBl. II 2007, 240; BFH-Urteil vom 26.04.2006 I R 122/04, BStBl. II 2006, 737; BFH-Beschluss vom 18.09.2007 I R 15/05, BStBl. II 2008, 332). Die Herausnahme der Vorauszahlungen und der Steuerabzugsbeträge von der Verzinsung durch den Gesetzgeber hält sich auch im Rahmen des ihm im Steuerrecht eröffneten Gestaltungs- und Pauschalierungsspielraums (so zuletzt BVerfG vom 03.09.2009 1 BvR 1098/08, BFH/NV 2009, 2115).
2. Für einen Lohnsteuer-Nachforderungsbetrag gem. § 42d Abs. 3 EStG greift § 233a Abs. 1 Satz 2 AO ein. Gleiches gilt für die im Streitfall zu beurteilende Erstattung eines solchen Betrags. Da eine andere Anspruchsgrundlage, die für das Klagebegehren erforderlich wäre, nicht ersichtlich ist, scheidet eine Verzinsung des Rückzahlungsbetrages aus.
a) Denkbar ist, dass bei Lohnsteuer-Nachforderungsbeträgen § 233a Abs. 1 Satz 2 AO schon deshalb einschlägig ist, weil das Merkmal der „Vorauszahlung” erfüllt ist. Der Beklagte hat den Kläger mit Nachforderungsbescheid vom … 2004 gemäß § 42d Abs. 3 Sätze 2, 4 EStG als Steuerschuldner in Anspruch genommen, da der Arbeitgeber des Klägers die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig vom Arbeitslohn einbehalten habe. Ein solcher Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid kann nach Ablauf des Kalenderjahres bis zum Ende der Festsetzungsfrist gegenüber dem Arbeitnehmer nach § 42d EStG ergehen. Dieser Bescheid ist seinem Charakter nach ein Vorauszahlungsbescheid, wenn das zuständige Betriebstättenfinanzamt nur die Steuer des fehlerhaften Abführungszeitraums festsetzt (Drenseck in Schmidt, 28. Auflage, § 42d EStG Rz. 22). Ob im vorliegenden Fall die Lohnsteuernachforderung tatsächlich eine Vorauszahlung darstellt, kann indes dahinstehen. Denn es handelt sich jedenfalls um einen Steuerabzugsbetrag.
b) Durch einen Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid gemäß § 42d EStG gegenüber einem beschränkt Steuerpflichtigen (hier Bescheid vom …2004) werden Steuerabzugsbeträge i.S.v. § 233a Abs. 1 Satz 2 AO festgesetzt.
Bei beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern erfolgt eine Besteuerung durch Steuerabzug an der Quelle nach § 39d i. V. m. § 38 EStG. Diese Steuer hat gemäß § 50 Abs. 5 Satz 1 EStG a.F. Abgeltungswirkung, es sei denn, der Steuerpflichtige beantragt die Veranlagung, § 50 Abs. 5 Satz 2 EStG a.F. Ist der Steuerabzug an der Quelle durch den Arbeitgeber nicht ordnungsgemäß vorgenommen worden, kann das Finanzamt den Arbeitnehmer durch Nachforderungsbescheid gemäß § 42d Abs. 2 Sätze 2, 4 EStG in Anspruch nehmen.
Auch wenn es bei der Nachforderung gegenüber dem Steuerschuldner nicht mehr zu einem tatsächlichen Steuerabzug vom Lohn durch den Arbeitgeber kommt, liegt gleichwohl ein Steuerabzugsbetrag vor. Denn es wechselt lediglich die Person, von der der Betrag eingefordert wird. Die Bemessungsgrundlage für den fälligen Betrag bleibt gleich. Das Finanzamt fordert vom Schuldner den Betrag ein, den der Arbeitgeber nicht vorschriftsmäßig vom Arbeitslohn einbehalten hat. Außerdem hat auch dieser Nachforderungsbetrag Abgeltungswirkung. Entgegen der Auffassung des Klägers wird die Steuererhebung durch die geänderte Vorgehensweise daher nicht in ein Veranlagungsverfahren umgewandelt. Ein solches Verfahren liegt auch deshalb nicht vor, weil sich die Nachforderung gegenüber dem Steuerschuldner ebenso wenig wie der Steuerabzug durch den Arbeitgeber auf die persönliche Steuerpflicht in einem Veranlagungszeitraum mit sämtlichen (inländischen) Einkünften bezieht. Das Nachforderungsverfahren ist ebenso wenig als Veranlagungsverfahren zu werten wie das Erstattungsverfahren nach § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 3 EStG 1997 (zum Erstattungsverfahren vgl. BFH-Beschluss vom 18.09.2007 I R 15/05, BStBl. II 2008, 332).
Durch den Nachforderungsbescheid vom …2004 wurden mithin Steuerabzugsbeträge nach § 233a Abs. 1 Satz 2 AO festgesetzt, so dass eine Verzinsung nach § 233a AO ausscheidet.
An der Nichtverzinslichkeit der Nachforderungsbeträge ändert auch der Einwand des Klägers nichts, dass die gesetzgeberischen Motive für die Ausnahme von Steuerabzugsbeträgen (s. o. unter Punkt 1) im Fall von Nachforderungsbeträgen nicht eingreifen würden. Denn zum Einen war die Nichtverzinslichkeit eines Lohnsteuer-Nachforderungsbetrags ausdrücklich vom Gesetzgeber beabsichtigt (BTDrucks 11/2157, S. 195) und wird sowohl von der Rechtsprechung als auch der Verwaltung und Vertretern in der Literatur als zutreffend anerkannt (BFH-Beschluss vom 18.09.2007 I R 15/05, BStBl. II 2008, 332; AEAO zu § 233a AO, Nr. 2; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 233a AO Rz. 20; Loose in Tipke/Kruse, § 233a AO Rz. 9). Zum anderen liegt mangels einer Steuerveranlagung auch bei der Nachforderung gegenüber dem Kläger als Steuerschuldner die Festsetzung eines Steuerabzugsbetrags vor (s.o.).
Der Gleichbehandlungsgrundsatz führt schließlich ebenso zu keinem anderen Ergebnis, da der Kläger die Möglichkeit gehabt hätte, die Einkommensteuerveranlagung nach §§ 25 ff. EStG zu wählen (§ 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 EStG a.F. i. V. m. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG). In diesem Fall hätte er bei einer späteren Änderung der Steuerfestsetzung zu seinen Gunsten einen Anspruch auf Zahlung von Erstattungszinsen nach § 233a Abs. 1 Satz 1 AO gehabt. Der Beklagte hat den Kläger im Nachforderungsbescheid vom …2004 auf diese Möglichkeit ausdrücklich hingewiesen.
c) Da die Nachforderung von Abzugssteuern nicht verzinst wird, gilt Gleiches auch für die Erstattung eines nachgeforderten Abzugsbetrages. Der an den Kläger zurückgezahlte Lohnsteuerbetrag ist nicht zu verzinsen.
Gegenstand des Erstattungsanspruchs ist noch immer der Lohnsteuer-Nachforderungsbetrag, für den allerdings der Rechtsgrund durch die Aufhebung des Nachforderungsbescheids vom …2004 weggefallen ist (§ 37 Abs. 2 AO). Die Entscheidung, dass im Ergebnis kein Nachforderungsbetrag festzusetzen und daher der Nachforderungsbescheid aufzuheben ist, betrifft ebenso einen Steuerabzugsbetrag wie diejenige über die vorherige Festsetzung. Auch bei der Entscheidung über die Aufhebung werden keine weiteren Umstände mit einbezogen, die zu einem Veranlagungsverfahren führen könnten. Dass auch der Erstattungsbetrag nicht zu verzinsen ist, ergibt sich zudem aus der Systematik und dem Wortlaut von § 233a AO. Denn § 233a Abs. 5 AO, der u.a. den Fall der Aufhebung regelt, spricht ausdrücklich von der Aufhebung der Steuerfestsetzung. Damit kann nur die Steuerfestsetzung nach Absatz 1 gemeint sein, wozu aber gerade die Festsetzung von Steuerabzugsbeträgen gemäß Satz 2 nicht gehört.
d) Nach der Rechtsprechung des BFH, bestätigt durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfG vom 03.09.2009 1 BvR 1098/08, BFH/NV 2009, 2115), besteht kein Vollverzinsungsanspruch sämtlicher Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. Verzinsungslücken sind hinzunehmen (vgl. BFH-Urteil vom 23.02.2006 III R 66/03, BStBl. II 2006, 741; BFH-Urteil vom 20.04.2006 III R 64/04; BStBl. II 2007, 240; BFH-Urteil vom 26.04.2006 I R 122/04; BStBl. II 2006, 737; BFH-Beschluss vom 18.09.2007 I R 15/05, BStBl. II 2008, 332).
Im vorliegenden Fall bestand die „Verzinsungslücke” nur während des Einspruchsverfahrens. Für die Zeit des Klageverfahrens standen dem Kläger Prozesszinsen nach § 236 AO zu, die er erhalten hat. Zwar wendet der Kläger ein, das Einspruchsverfahren habe lange gedauert, nämlich 2 Jahre und 6 Monate. Er hätte allerdings die Möglichkeit der Untätigkeitsklage gemäß § 46 FGO gehabt. Hiermit hätte er unter Berücksichtigung der Zulässigkeitsvoraussetzungen auf eine schnellere Einspruchsentscheidung hinwirken bzw. zu einem früheren Zeitpunkt den Anspruch auf Prozesszinsen nach § 236 AO erhalten können.
e) Der Beklagte hat den an den Kläger nach Aufhebung des Lohnsteuer-Nachforderungsbescheids erstatteten Betrag zu Recht nicht nach § 233a AO verzinst.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.
4. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, da die Rechtssache hinsichtlich der Auslegung des § 233a Abs. 1 Satz 2 AO grundsätzliche Bedeutung hat.