07.07.2010 · IWW-Abrufnummer 102044
Finanzgericht Münster: Urteil vom 24.03.2010 – 12 K 2243/08 E
Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist mit einem Ertragsanteil von 50% steuerlich zu berücksichtigen.
FG Münster v. 24.03.2010
12 K 2243/08 E
Tatbestand
Streitig ist, ob und mit welchem Anteil eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung steuerlich zu erfassen ist. Die Kläger (Kl.) werden als Eheleute zur Einkommensteuer (ESt) zusammen veranlagt. Die Klägerin (Klin). erzielte im Streitjahr 2006 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die das Finanzamt (FA) zunächst auf der Grundlage der Erklärung berücksichtigte.
Der Kläger (Kl.) erzielte sonstige Einkünfte aus Leibrenten. Nach dem Rentenbescheid vom 16.02.2005 handelte es sich um eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Sie begann ab dem 01.04.2004 und war längstens bis zur Vollendung des 65. Lebensjahrs (Beginn der Regelaltersrente) zu zahlen. Sie beruhte darauf, dass der Kläger von der Universitätsklinik A ärztlich falsch behandelt worden war. Dadurch hatte er eine Einschränkung der Funktionsfähigkeit des linken Daumens erlitten. Vor dem Landgericht A hatte der Verdienstausfall und Schmerzensgeld erstritten. Außerdem hatte er unter dem Aktenzeichen S 10 RJ 171/03 ein Rentenantragsverfahren vor dem Sozialgericht O geführt. Nach Einholung von Gutachten war es zu einem Vergleich gekommen, der die Zahlung einer Erwerbsminderungsrente ab Juli 2004 vorsah. Im Streitjahr 2006 kamen nach den Angaben in der ESt-Erklärung 4.721 EUR zur Auszahlung.
Das FA veranlagte die Kläger auf der Grundlage ihrer Erklärung zur ESt. Die Einkünfte der Klin. berücksichtigte es – antragsgemäß – mit 32.873 EUR.
Die sonstigen Einkünfte des Klägers ermittelte es wie folgt:
Jahresbetrag der Rente 4.721 EUR
./. steuerfreier Teil der Rente ./. 2.361 EUR
steuerpflichtiger Teil der Rente 2.360 EUR
./. Werbungskosten – Pauschbetrag . /. 102 EUR
verbleibende sonstige Einkünfte aus Leibrenten 2.258 EUR
Mit Bescheid vom 06.11.2007 setzte das FA die ESt auf 3.198 EUR fest. Diese Festsetzung war gem. § 165 Abs. 2 Nr. 3 Abgabenordnung (AO) vorläufig u. a. hinsichtlich der Besteuerung der Einkünfte aus Leibrenten im Sinne § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a aa EStG.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren haben die Kl. Klage erhoben. Im Verlauf des Klageverfahrens hat das FA unter dem 16.10.2008 die ESt-Festsetzung zu Gunsten der Kl. geändert. Bei den Einkünften der Klin. hat es zusätzlich Werbungskosten in Höhe von 381 EUR berücksichtigt, die die Kl. erstmalig im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht und durch Vorlage von Belegen (vgl. Bl. 31 FG-A.) nachgewiesen hatten.
Im Übrigen machen die Kl. zur Begründung ihrer Klage geltend, dass die Besteuerung eines Ertragsanteils von 50 v. H. bei den sonstigen Einkünften aus Leibrenten rechtswidrig sei. Bei einer abgekürzten Leibrente sei der Ertrag gem. § 55 EStDV zu ermitteln. Bei der ESt-Festsetzung für das Vorjahr 2005 sei ein Ertragsanteil von nur 22 v. H. angesetzt worden.
Die Beiträge zur Alterssicherung seien aus bereits versteuertem Einkommen entrichtet worden. Wenn die Rente mit einem Ertragsanteil von 50 v. H. erfasst werde, komme es zu einer verfassungswidrigen Doppelbesteuerung. Im Übrigen seien Schadensersatzzahlungen nicht steuerpflichtig. Würden die Zahlungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II oder SGB XII bezogen, wären sie steuerfrei.
Soweit der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom 26.11.2008 (X R 15/07) die Umstellung der Besteuerung der Alterseinkünfte auf die sog. nachgelagerte Besteuerung mit einem Besteuerungsanteil ab 2005 von 50 v. H. für verfassungsgemäß gehalten habe, sei diese Beurteilung auf den Streitfall nicht anzuwenden. Im Fall des BFH habe es sich um die Besteuerung eines Selbständigen mit Zahlungen an ein Versorgungswerk gehandelt. Im Streitfall sei er, der Kl., aber Arbeitnehmer gewesen. Auch die Urteile des Finanzgerichts Münster vom 14.10.2008 (14 K 2406/06 E und 14 K 3990/06 E (Juris)), mit denen die Klagen gegen die seit 2005 geltende Rentenbesteuerung als unbegründet abgewiesen worden seien, hätten andere Fälle betroffen. Dort sei es um die Besteuerung von freiwilligen Beiträgen zur Rentenversicherung gegangen.
Die Kl. beantragen sinngemäß,
den ESt-Bescheid 2006 in der Fassung vom 16.10.2008 zu ändern und die ESt unter Verminderung des Ansatzes der sonstigen Einkünfte aus Renten von 2.258 EUR auf 936 EUR (22 % von 4.721 EUR ./. 102 EUR) niedriger festzusetzen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es macht geltend, ab 2005 seien Erwerbsminderungsrenten mit einem Anteil von 50 v. H. zu versteuern. Grundlage der steuerlichen Erfassung sei nicht § 55 EStDV, sondern § 22 Nr. 1 Satz 1 a aa EStG. Solche Renten seien zeitlich befristet bis zur Umwandlung in eine Altersrente zu zahlen. Der zu versteuernde Anteil bleibe bis dahin bestehen.
Soweit für das Vorjahr 2005 der Ertragsanteil der Rente mit 22 v. H. berücksichtigt worden sei, sei dies fehlerhaft. Dieser Fehler sei für das Vorjahr 2005 auch nicht mehr korrigierbar. Bei der Festsetzung für das Streitjahr 2006 sei das FA nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung nicht an die fehlerhafte Beurteilung im Vorjahr gebunden. Bei jeder Veranlagung seien die Besteuerungsgrundlagen erneut zu prüfen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze der Beteiligten und die vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 90 Abs. 2 FGO.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Bekl. hat die Renteneinnahmen gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 a aa EStG zutreffend der Besteuerung unterworfen. Die Vorschrift des § 22 Nr. 1 Satz 3 a aa EStG erfasst alle Leistungen aus den gesetzlichen Rentenversicherungen. Dazu gehören auch Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, die bisher als abgekürzte Leibrenten nach der Ertragsanteilstabelle in § 55 Abs. 2 EStDV besteuert wurden (s. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 15/2150, S. 40; BMF vom 30.01.2008, BStBl I 2008, S. 390 unter Tz. 90; Schmidt/Weber-Grellet § 22 EStG, Tz. 102; FG Düsseldorf, Urteil vom 11.03.2009, 7 K 3215/08 E, EFG 2009, 1381, Rev. eingelegt; FG Münster, Urteil vom 29.10.2009, 8 K 1745/07 E, EFG 2010, 329, Rev. eingelegt). Dass das beklagte FA im vorliegenden Fall im Jahr 2005 den Rentenbezug mit dem Wert, der sich unter Geltung des § 55 Abs. 2 EStDV ergibt, steuerlich erfasst hat, ist für die Beurteilung des Streitjahrs unerheblich.
Nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung ist die Finanzverwaltung an ihre (fehlerhafte) Beurteilung im Vorjahr nicht gebunden.
Bei abgekürzten Leibrenten, das heißt bei Leibrenten, die auf eine bestimmte Zeit beschränkt sind, ist der Ertrag zwar grundsätzlich der in § 55 Abs. 2 EStDV enthaltenen Tabelle zu entnehmen.
Auch Renten wegen Erwerbsminderung gehören zu den abgekürzten Leibrenten. Sie enden spätestens mit dem Beginn der Zahlung des Altersruhegeldes. Jedoch enthält § 22 Nr. 1 Satz 3 a aa EStG keinen Verweis mehr auf § 55 Abs. 2 EStDV. Die Anwendung des § 55 Abs. 2 EStDV und damit der dort aufgeführten Ertragsanteilstabelle, hat der Gesetzgeber lediglich in den Fällen des § 22 Nr. 1 Satz 3 a bb Satz 5 EStG vorgesehen. Es gibt also keine gesetzliche Grundlage dafür, bei abgekürzten Leibrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung über das Jahr 2004 hinaus den der Besteuerung unterfallenden Anteil der Tabelle in § 55 Abs. 2 EStDV zu entnehmen.
Dass der Gesetzgeber den Verweis auf § 55 Abs. 2 EStDV in § 22 Nr. 1 Satz 3 a aa EStG nicht aufgenommen hat, ist konsequent. Er wollte mit dem Alterseinkünftegesetz eine „steuerrechtssystematisch schlüssige und folgerichtige Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen” erreichen. Dabei hat er dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 06.03.2002 (2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73) Rechnung getragen. Seit Beginn des Jahres 2005 gilt das Prinzip der nachgelagerten Besteuerung. Dem Abzug der Rentenversicherungsbeiträge als Sonderausgaben steht die grundsätzlich volle steuerliche Erfassung der später vereinnahmten Rentenbezüge gegenüber. Dieses Prinzip gilt für reguläre Altersrenten und für sog. abgekürzte Leibrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, also auch für Erwerbsminderungsrenten. Auch die Anwartschaft auf Erwerbsminderungsrenten erwirbt der Rentenberechtigte aus Beiträgen in die gesetzliche Rentenversicherung. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die abgekürzten Leibrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung unter Anwendung der Tabelle in § 55 Abs. 2 EStDV ermäßigt besteuert werden sollten.
Der Senat sieht die Neuregelung der Rentenbesteuerung durch das Alterseinkünftegesetz auch in Bezug auf die Erwerbsminderungsrente nicht als verfassungswidrig an. Er schließt sich der Beurteilung des Bundesfinanzhofes in seiner Entscheidung vom 26.11.2008 (X R 15/07, BFH/NV 2009, 278) an, auf die er wegen der Einzelheiten unter II.2. Bezug nimmt. Der Gesetzgeber hat seiner Zielsetzung entsprechend eine folgerichtige und den Gleichheitssatz wahrende Regelung für die Besteuerung von Renteneinkünften ehemaliger Arbeitnehmer und Selbständiger geschaffen.
Im Streitfall ist auch nicht erkennbar, dass die Übergangsregelung gleichheitswidrig ist. Aufgabe der Übergangsregelung ist es, die bestehenden unterschiedlichen Altersvorsorge- und Alterseinkünftesysteme in das System der nachgelagerten Besteuerung zu überführen. Die Übergangsregelung bewirkt, dass die Renteneinkünfte des Kl. nicht mehr nur – wie vor der Neuregelung – mit dem sich aus der Anwendung des § 55 Abs. 2 EStDV ergebenden Ertragsanteil der Besteuerung unterworfen werden. Die Rente wird mit dem Jahresbetrag abzüglich des steuerfrei bleibenden Teils der Rente besteuert (§ 22 Nr. 1 Satz 3 a aa EStG n.F.).
Die unterschiedliche Behandlung der Renten wegen Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung und aus privaten Leibrentenversicherung, für die § 22 Nr. 1 Satz 3 a bb Satz 5 EStG weiter auf § 55 Abs. 2 EStG verweist, so dass eine ermäßigte Ertragsanteilsbesteuerung erfolgen kann, ist sachlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber hat im Rahmen der Neuregelung der Besteuerung der Alterseink ünfte Beitragszahlungen zu privaten Leibrentenversicherungen in deutlich geringerem Umfang zum Sonderausgabenabzug zugelassen (§ 10 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 bzw. § 10 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 EStG). Beitragszahlungen erfolgen aus versteuertem Einkommen. Dann ist es aber im Gegenzug gerechtfertigt, nur den Ertragsanteil der Rente der Besteuerung zu unterwerfen, also den Teil, der zusätzlich zum angesparten Rentenkapital als Zinsanteil zur Auszahlungen gelangt (BFH, Urteil vom 26.11.2008 X R 15/07, BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710).
Dem Gesetzgeber ist ein weiter Gestaltungsspielraum sowohl bei den weichenstellenden Grundentscheidungen als auch im Hinblick auf Art und Maß vertrauensschützender Übergangsregelungen eingeräumt. Er findet seine Grenze in der Anforderung, dass die steuerliche Behandlung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen so aufeinander abzustimmen sind, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird (BVerfG, Urteil vom 06.03.2002, 2 BvL 17/99, BStBl II 2002, 618).
Anhaltspunkte für eine in diesem Sinne doppelte Besteuerung sind im Streitfall nicht ersichtlich. Das Bundesverfassungsgericht hat den Begriff „doppelte Besteuerung” nicht konkretisiert. Es besteht aber Einigkeit darüber, dass bei der rechnerischen Überprüfung, ob eine doppelte Besteuerung vorliegt, entsprechend der steuerlichen Grundsystematik vom Nominalwertprinzip auszugehen ist (BFH, Urteil vom 26.11.2008 X R 15/07, BFH/NV 2009, 278 m.w.N.). Eine Barwertbetrachtung ist nicht vorzunehmen. Das Verbot der doppelten Besteuerung beruht auf der Überlegung, dass Einnahmen nur dann steuerlich erfasst werden dürfen, wenn die entsprechenden Aufwendungen für die Erzielung dieser Einnahmen zuvor abgezogen werden konnten (objektives Nettoprinzip).
Nach der Begründung des Gesetzentwurfs wird bei der Berechnung der steuerlichen Belastung der Rentenzahlung die doppelte Besteuerung vermieden, wenn Rentenzahlungen in einem Umfang steuerunbelastet zufließen, der mindestens dem Umfang der aus versteuertem Einkommen geleisteten Beiträge entspricht. Für den Gesetzgeber ist die Höhe des steuerunbelasteten Zuflusses entscheidend (Bundestags-Drucksache 15/2150, S. 23).
Im Unterschied dazu vertritt ein großer Teil der Literatur in Übereinstimmung mit der Sachverständigenkommission die Meinung, eine Zweifachbesteuerung sei nur dann vermieden, wenn der nicht in die Bemessungsgrundlage eingehende Rentenzufluss mindestens so hoch sei wie der aus versteuertem Einkommen geleistete Rentenbeitrag (Nachweise s. BFH, Urteil vom 26.11.2008 X R 15/07, BFH/NV 2009, 278, unter II.2.c).
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen eine Doppelbesteuerung vermieden wird. Der am 27.02.1960 geborene Kl. bezieht die Erwerbsminderungsrente seit dem 01.04.2004 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres. Unter Berücksichtigung der statistischen Lebenserwartung wird er die Erwerbsminderungsrente 21 Jahre beziehen (s. dazu BFH, Urteil vom 26.11.2008 X R 15/07, BFH/NV 2009, 278, unter II.2.c.ee). Ohne Ansatz etwaiger Rentensteigerungen werden ihm wegen Erwerbsminderung steuerunbelastete Rentenbeträge von etwa 45.000,00 EUR (358,11 EUR × 12 Monate × 21 Jahre × 50 %) zufließen. Dass er nach seiner Erwerbsbiographie das Erwerbsminderungsrisiko betreffende Rentenbeiträge in größerer Höhe geleistet hat, ist weder ersichtlich noch vorgetragen. Auch in dem Fall, dass der gesamte Rentenbezug, also Erwerbsminderungs- und anschließende Altersrente für die Zeit der statistischen Lebenserwartung in die Betrachtung einbezogen wird, sind mit Blick auf die Erwerbsbiographie des Kl. weder Anhaltspunkte ersichtlich noch vorgetragen, die es realistisch erscheinen lassen, dass die bisher aus versteuertem Einkommen geleisteten Rentenbeiträge höher sind als die steuerunbelastet zufließenden Rentenbezüge.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1, 137 FGO. Die Kosten des Verfahrens waren den Kl. auch insoweit aufzuerlegen, wie die Klage hinsichtlich der im ESt-Bescheid vom 16.10.2008 zusätzlich berücksichtigten Werbungskosten Erfolg hatte. Die weiteren Werbungskosten waren erst im Klageverfahren geltend gemacht worden, obwohl dies bereits im Verwaltungsverfahren hätte geschehen können und sollen.
Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.