28.12.2004 · IWW-Abrufnummer 043301
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 19.10.2004 – 1 StR 427/04
Der Entzug der Fahrerlaubnis wegen fehlender Eignung aufgrund einer Vergewaltigung, bei der das Opfer mit dem Fahrzeug an einen entlegenen Ort verbracht wurde und an die Karosserie gefesselt werden sollte, solle auch ohne einen Gefährdungszusammenhang f ür die Straßenverkehrssicherheit möglich sein. Die Frage wurde dem Großen Senat vorgelegt. Für eine Rückstellung der Entscheidung über die Maßregel sieht der erkennende Senat aber keine Veranlassung.
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 427/04
vom 19. Oktober 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Oktober 2004 beschlossen:
Tenor:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Schweinfurt vom 15. April 2004 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.
Damit ist der Beschluß des Landgerichts Schweinfurt vom 9. Juli 2004, durch den die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen wurde, gegenstandslos.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Schweinfurt vom 15. April 2004 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
(zu 2)
1. Der Angeklagte ist Fernfahrer. Er spiegelte einer 16jährigen Anhalterin vor, sie mit dem Lkw zu ihrem Ziel zu bringen, tatsächlich fuhr er auf einen einsamen Parkplatz. Dort versuchte er sie gewaltsam an Handschellen zu fesseln, die schon an der Karosserie des Führerhauses angebracht waren. Dies scheiterte zwar an ihrem heftigen Widerstand, sie konnte jedoch nicht verhindern, daß ihre Hose bei seinen Angriffen zerriß, er ihr den Slip herunterzog und einen Finger in ihre Scheide steckte. Erst als sie eine Geschlechtskrankheit behauptete, ließ er von ihr ab und sie konnte fliehen. Der Angeklagte fuhr davon.
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde der Angeklagte wegen Vergewaltigung zu Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf einer bestimmten Frist keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Die fehlende charakterliche Eignung des Angeklagten zum Fahren eines Kraftfahrzeugs wird in der im einzelnen dargelegten bewußten intensiven Förderung der Tat durch die Benutzung eines Fahrzeugs (Aufnahme der Geschädigten in den - mit Handschellen präparierten - Lkw, ihre Verbringung zu dem einsamen Tatort, Ausnutzung ihrer verminderten Verteidigungsmöglichkeiten) gesehen.
3. Die Revision des Angeklagten ist aus den vom Generalbundesanwalt in seinem Antrag vom 22. September 2004 im einzelnen dargelegten Gründen unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der näheren Ausführung bedarf nur folgendes:
Die Entziehung der Fahrerlaubnis entspricht uneingeschränkt der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Danach bedarf es bei schwerwiegenden Straftaten, die unter (hier besonders intensiver) Nutzung des Kraftfahrzeugs begangen werden, keines verkehrsspezifischen Gefahrzusammenhangs zwischen Tat und Verkehrssicherheit, der hier nicht vorliegt (vgl. zusammenfassend zur bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Senatsbeschluß vom 14. Mai 2003 - 1 StR 113/03 = NStZ 2003, 658 ff. m.w.N.). Die Revision weist allerdings mit Recht darauf hin, daß der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 26. September 2003 (2 StR 161/03 = NStZ 2004, 144 ff.) - in dort allerdings nicht tragenden Erwägungen (aaO, 147) - den Standpunkt vertreten hat, eine Entziehung der Fahrerlaubnis käme (damit auch in Fällen wie dem vorliegenden) nicht in Betracht, wenn der Angeklagte im Zusammenhang mit der Tatbegehung die Sicherheit des Straßenverkehrs nicht gefährdet habe, und auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, daß dies künftig der Fall sein werde. Diese Auffassung vertritt auch der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs; er hat die Frage dem Großen Senat für Strafsachen vorgelegt (Beschluß vom 26. August 2004 - 4 StR 85/03, 155/03, 175/03), nachdem der erkennende Senat auf Anfrage des 4. Strafsenats in dieser Sache vom 16. September 2003 (NStZ 2004, 86) mitgeteilt hat, daß er an der bisherigen Rechtsprechung festhält, die nach seiner Auffassung dem Willen des Gesetzgebers entspricht (Senatsbeschluß vom 13. Mai 2004 - 1 ARs 31/03 m.w.N.). Eine Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen ist bisher nicht ergangen.
4. Unter diesen Umständen ist der Senat nicht gehalten, mit der Entscheidung zuzuwarten. Der Anfragebeschluß hindert den Senat, der an der bisherigen Rechtsprechung festhalten will, nicht, auf dieser Grundlage weiter zu entscheiden (st. Rspr., vgl. BGHR GVG § 132 Anfrageverfahren 1; Urteil vom 21. April 2004 - 1 StR 522/03; Beschluß vom 22. Januar 2004 - 1 StR 561/03). Für eine Zurückstellung (nur) der Entscheidung über die Maßregel, wie sie bei einer beabsichtigten, vor der Entscheidung des Großen Senats aber nicht möglichen Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung in Betracht kommen kann (vgl. hierzu grundlegend das Teilurteil in der Sache 4 StR 85/03 vom 6. Juli 2004 = NJW 2004, 2686 ff.), sieht der Senat keine Veranlassung.