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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuer

    „Bauträgerfälle“: Neues zur Geschäftsveräußerung im Ganzen bei Immobilientransaktionen

    von StB Dr. Michaela Engel und Peter Scheuch, M.I.Tax, beide Noerr LLP München/Berlin

    Historisch niedrige Zinsen und eine steigende Nachfrage nach Immobilien begünstigen das Geschäft von Bauträgern und Projektentwicklern. Bislang war allerdings unklar, unter welchen Voraussetzungen bei Immobilientransaktionen, an denen Bauträger bzw. Projektentwickler beteiligt sind, eine Geschäftsveräußerung im Ganzen (GiG) anzunehmen ist. Umso erfreulicher ist, dass der BFH in diesem Bereich jetzt für deutlich mehr Rechtssicherheit gesorgt hat (BFH 12.8.15, XI R 16/14, Abruf-Nr. 182813).

     

    Sachverhalt

    Anfang 2006 erwarb die Klägerin, eine in Luxemburg ansässige S.à r.l., für ca. 25 Mio. EUR einen inländischen Bürogebäudekomplex von der zwischenzeitlich aufgelösten inländischen X-GbR, deren Gesellschafter zwei inländische Kapitalgesellschaften waren (A-GmbH und B-AG).

     

    Als reine Objektgesellschaft hatte die X-GbR den Bürokomplex im Frühjahr 2001 mit dem Ziel erworben, diesen zu sanieren, langfristig zu vermieten und zu verkaufen. Nach Abschluss der Bauphase erfolgte ab Februar 2003 die sukzessive Aufmietung der Immobilie, sodass bis zur Veräußerung im Januar 2006 eine Vermietungsquote von 90 % erreicht wurde (Ende 2003: 52 %, Ende 2004: 75 %, Oktober 2005: 80 %).

     

    Im notariellen Kaufvertrag vom 16.1.06 gingen die Klägerin und die X-GbR davon aus, dass es sich bei der Transaktion um eine steuerbare und - aufgrund des Verzichts der X-GbR auf die Option nach § 9 UStG - steuerpflichtige Grundstückslieferung handelte, für die die Steuerschuld nach § 13b UStG auf die Klägerin überging. Das Finanzamt setzte die Umsatzsteuer dementsprechend unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest.

     

    Im Jahr 2009 stellte die Klägerin einen Änderungsantrag dergestalt, dass die Transaktion als nicht steuerbare GiG zu behandeln sei. Weder der Antrag noch der folgende Einspruch der Klägerin hatten Erfolg.

     

    Im Klageverfahren hatte das FG Saarland (5.3.14, 1 K 1265/11, EFG 15, 1240) insbesondere zu klären, ob es sich bei der Geschäftstätigkeit der X-GbR aufgrund der seit fast drei Jahren gegebenen Vermietungstätigkeit - wie von der Klägerin vertreten - bereits um ein Vermietungsunternehmen oder nach wie vor um ein Bauträgerunternehmen handelte. Das FG urteilte zugunsten der Klägerin. Aufgrund der hinreichenden sachlichen und zeitlichen Verfestigung - über die Hälfte der Gesamtfläche des Bürokomplexes war seit mehr als zwei Jahren dauerhaft vermietet =- handele es sich um eine nachhaltige Vermietungstätigkeit. Die Veräußerung der Immobilie sei daher insgesamt als GiG zu behandeln (FG Saarland, Rz. 49, 52). Dem schloss sich der XI. Senat des BFH im Revisionsverfahren uneingeschränkt an.

     

    Anmerkungen

    Entgegen der vorliegenden Entscheidung des XI. Senats stand der V. Senat in solchen Fällen einer GiG bislang reserviert gegenüber. Denn der den Betrieb eines Vermietungsunternehmens beabsichtigende Erwerber einer (vermieteten) Immobilie übernimmt von einem Bauträger eben gerade keine ähnliche oder gar übereinstimmende Tätigkeit (BFH 24.2.05, V R 45/02, BStBl II 07, 61; BFH 18.9.08, V R 21/07, BStBl II 09, 254; BFH 28.10.10, V R 22/09, BFH/NV 11, 854).

     

    Allerdings hat auch der V. Senat keinen Grundsatz postuliert, wonach es für die Beurteilung der Geschäftstätigkeit des Veräußerers im Zeitpunkt der Immobilientransaktion uneingeschränkt nur auf die ursprünglich bei Erwerb (oder auch noch während der Bautätigkeit) bestehende Veräußerungsabsicht ankäme. Vielmehr müsse das (dominierende) Wesen der Geschäftstätigkeit objektiv anhand des verwirklichten Handelns im Besitzzeitraum bestimmt werden (BFH 18.9.08, Rz. 24; BFH 28.10.10, Rz. 24). Eine gefestigte Vermietungstätigkeit schied bei den Streitfällen vor dem V. Senat allerdings aus, da die Haltedauer dort zum Teil nur einen Monat ab Ende der Bauphase betrug.

     

    Im Streitfall des XI. Senats betrug die Vermietungsfähigkeit hingegen zwei bis drei Jahre seit dem Ende der Bauphase. Darin sah der Senat eine derart hinreichend gefestigte Vermietungstätigkeit, dass die ursprüngliche Bauträgertätigkeit für Zwecke der Feststellung einer GiG überlagert wird. Allerdings sollte dies u. E. nicht im Sinne eines zeitlichen Numerus clausus missverstanden werden. Es bedarf auch weiterhin einer sachlichen und zeitlichen Würdigung im Einzelfall. Dazu können u. E. folgende Abgrenzungskriterien herangezogen werden:

     

    • In sachlicher Hinsicht hält der XI. Senat einen 10 %igen Leerstand für das Vorliegen einer GiG für unschädlich (BFH 12.8.15, s. o., Rz. 30). Dabei rekurriert er auf ein Urteil des V. Senats vom 30.4.09 (V R 4/07, BStBl II 09, 863): Danach reicht es für eine GiG aus, wenn nicht nur unwesentliche Teile eines Grundstücks im Zeitpunkt der Übertragung vermietet werden (im dortigen Streitfall betrug die Vermietungsquote 37 %). Die Unwesentlichkeitsgrenze wird in der Literatur bislang mit Werten zwischen 5 % und 25 % konkretisiert (vgl. Nieskoven, GStB 09, 379). Im Rahmen einer konservativen Gestaltungsberatung sollte man jedoch u. E. eher auf den letzten Wert abstellen. Zusätzlich sollte die grundsätzliche Vermietungsabsicht hinsichtlich der nicht vermieteten Flächen dokumentiert werden.

     

    • In zeitlicher Hinsicht könnte auf das Verhältnis einer in sachlicher Hinsicht relevanten Vermietungstätigkeit zur Gesamthaltedauer der Immobilie abgestellt werden. Übersteigt dieses Verhältnis - wie im Urteilssachverhalt - 50 %, spricht vieles für ein gefestigtes Vermietungsunternehmen. Auch hier kommt es jedoch auf den Einzelfall an. Bei einer langen Bauphase kann auch durchaus ein im Verhältnis kürzerer Vermietungszeitraum ausreichen, wenn die Vermietung nach Abschluss der Bauphase - trotz einer von Anfang an gegebenen und fortbestehenden Veräußerungsabsicht - der Tätigkeit das Gepräge gibt.

     

    • Abweichungen können sich allerdings dann ergeben, wenn die Immobilie durch den Bauträger in zeitlich gestaffelten Bauabschnitten fertigstellt wird. Hier müsste u. E. nicht auf den Beginn der erstmaligen Vermietungstätigkeit als solche abgestellt werden, sondern auf den Zeitpunkt, in dem die Vermietungstätigkeit die (noch nicht abgeschlossene) Bauträgertätigkeit ihrem Umfang nach überwiegt.

     

    PRAXISHINWEIS | Fraglich bleibt, wie sich das vorliegende Urteil des XI. Senats zu einem Urteil des FG Berlin-Brandenburg (12.11.14, 7 K 7283/12, EFG 15, 334) verhält. Das FG hatte ebenfalls einen Bauträger-Sachverhalt zu beurteilen. Es kam zu dem Ergebnis, dass eine auf die Bauphase (inkl. Haltedauer seit Kauf ca. 11 Monate) folgende 17-monatige Vermietungstätigkeit nicht für die Annahme einer GiG ausreicht (Rz. 58). Der XI. Senat ließ ausdrücklich offen, ob er der Auffassung des FG Berlin-Brandenburg folgen würde. Mittlerweile hat aber der V. Senat dem FG eine klare Absage erteilt und auch bei einer nur 17-monatigen Vermietungstätigkeit eine (Teil-)GiG bejaht (BFH 25.11.15, V R 66/14, Tz. 28). Allerdings blieb der V. Senat weitere Konkretisierungen hinsichtlich der sachlichen und zeitlichen Abgrenzung einer GiG schuldig.

     

    Dennoch lässt sich auch das Urteil des V. Senats gut mit den zuvor aufgezeigten Abgrenzungskriterien in Einklang bringen. So überwog die dortige Vermietungsdauer von 17 Monaten die vorangegangene Haltedauer (inkl. Bauphase) von ca. 11 Monaten deutlich, sodass ein zeitlich verfestigtes Vermietungsunternehmen auf Ebene des Veräußerers vorlag.

     

    Einen derart pragmatischen Ansatz lässt die Finanzverwaltung indes noch vermissen, da die zeitliche Komponente einer auf die Bauphase folgenden Vermietungstätigkeit in sämtlichen Verlautbarungen konsequent ausgeblendet wird (vgl. jüngst OFD Niedersachsen 6.11.15, S 7100 b-1-St 171, Beispiel 1). Es wäre aus Sicht der Praxis wünschenswert, dass die Finanzverwaltung zur jüngsten Rechtsprechung dezidiert Stellung beziehen würde.

     

    Weitere Praxishinweise

    Die Praxisrelevanz der Thematik ist angesichts eines derzeitigen Bauträger-Investitionsvolumens von ca. 50 Mrd. EUR in Deutschland (Quelle: Roland Berger, 2015) kaum zu überschätzen. Ebenso signifikant sind aber auch die unterschiedlichen Rechtsfolgen mit und ohne GiG i. S. des § 1 Abs. 1a UStG:

     

    • So handelt es sich bei Immobilienübertragungen, wenn die Voraussetzungen einer GiG nicht vorliegen, um steuerbare und steuerfreie Grundstückslieferungen (§ 4 Nr. 9 lit. a) UStG), für die der Veräußerer allerdings nach § 9 Abs. 1 und 3 UStG zur Umsatzsteuer optieren kann. Die Steuerschuld geht dann nach dem sog. Reverse-Charge-Verfahren auf den Erwerber über. Eine potenzielle Vorsteuerberichtigung erfolgt wegen Vorliegens eines Verwendungsumsatzes i. S. von § 15a Abs. 2 UStG auf Ebene des Veräußerers.

     

    • Liegt hingegen eine GiG vor, ist die Transaktion nicht steuerbar. Der Erwerber muss dann - mangels Verwendungsumsatzes beim Veräußerer - gemäß § 15 Abs. 1 UStG in die Vorsteuerberichtigungspflichten des Veräußerers eintreten.

     

    Wird eine Immobilienübertragung fälschlicherweise als GiG deklariert, obwohl eine steuerbare Grundstückslieferung vorliegt oder umgekehrt, können sich über potenzielle Vorsteuerberichtigungen hinaus insbesondere für den Veräußerer Zinsrisiken ergeben. In diesem Zusammenhang sollten im Rahmen des Grundstückskaufvertrags entsprechende Regelungen berücksichtigt werden:

     

    • Wurde irrtümlich eine GiG angenommen und werden dementsprechend erst nachträglich die Rechtsfolgen einer steuerbaren Grundstückslieferung gezogen, kommt es maßgeblich darauf an, ob eine wirksame und auf die bisherige Verwendung zugeschnittene Option nach § 9 Abs. 1 und 3 UStG im Kaufvertrag vereinbart worden ist (jüngst zur Unwirksamkeit bei nachträglichem Verzicht BFH 21.10.15, XI R 40/13, BB 16, 85 ). Ist dies nicht der Fall, kann es durch einen (teilweise) schädlichen Verwendungsumsatz zur Vorsteuerberichtigung und entsprechenden Nachzahlungszinsen auf Ebene des Veräußerers kommen. Im Hinblick auf die im ursprünglichen Grundstückskaufvertrag zu erklärende Option zur Umsatzsteuerpflicht ist darauf zu achten, dass diese unbedingt formuliert ist.

     

    • Wurde irrtümlich eine steuerbare Grundstückslieferung angenommen, für die nicht zur Umsatzsteuer optiert wurde und werden dementsprechend erst nachträglich die Rechtsfolgen einer GiG gezogen, würden etwaige Vorsteuerkorrekturbeträge zuzüglich der darauf entfallenden (ertragsteuerpflichtigen) Zinsen dem Veräußerer erstattet. Wurde hinsichtlich der irrtümlich steuerbaren Grundstückslieferung zur Umsatzsteuer optiert und werden dann die Rechtsfolgen einer GiG gezogen, ist beim Erwerber sowohl die Umsatzsteuer nach § 13b UStG zu korrigieren als auch die hieraus geltend gemachte Vorsteuer. Dies dürfte beides für das Jahr der Grundstückslieferung erfolgen, sodass hieraus zumindest unmittelbar keine Zinseffekte resultieren dürften. Soweit in den Folgejahren Vorsteuerkorrekturen stattgefunden haben, sind diese als Folgewirkungen der Annahme einer GiG ebenfalls zu berichtigen.

     

    FAZIT | Im Rahmen von Immobilienkaufverträgen sind daher Regelungen zu treffen, um die Risikoverteilung zwischen Veräußerer und Erwerber auszubalancieren. Erfreulich ist, dass in Bauträgerfällen das Vorliegen einer GiG nunmehr besser abschätzbar ist und damit eine gezielte Vertragsgestaltung ermöglicht wird.

     
    Quelle: Seite 122 | ID 43865848

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