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  • 31.03.2015 · IWW-Abrufnummer 144126

    Amtsgericht Göttingen: Beschluss vom 10.10.2014 – 74 IN 223/14

    1. Eine Ablehnung der Stundung bzw. Versagung der Restschuldbefreiung gem. § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO kommt nicht in Betracht, wenn der Schuldner die Verstöße in einem beendeten Erstverfahren begangen hat.

    2. Eine Ablehnung der Stundung bzw. Versagung der Restschuldbefreiung kommt nur in den in § 287a Abs. 2 InsO geregelten Fällen in Betracht, nicht aber z. B. bei unterlassen Antragstellung in einem vorherigen Verfahren (so noch BGH, ZInsO 2010, 344), da die Sperrfristrechtsprechung jedenfalls in den ab dem 01.07.2014 beantragten Verfahren nicht mehr anwendbar ist (AG Göttingen ZInsO 2014, 1173 mit zust. Anm. Laroche NZI 2014, 574; ZInsO 2014,1677).


    Amtsgericht Göttingen
    Insolvenzgericht

    Geschäfts-Nr.: 74 IN 223/14

    Verfahrens ID: 25586

    B e s c h l u s s

    In dem Insolvenzantragsverfahren über das Vermögen der
    - Antragstellerin -

    wird heute um 12.00 Uhr das Insolvenzverfahren gemäß §§ 2,3,11,16 ff InsO wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet.

    Der Antragstellerin wird Stundung für das Eröffnungsverfahren und das eröffnete Verfahren bewilligt.

    Aus der Insolvenzmasse sind vorweg zu begleichen die Gerichtskosten einschließlich der Vergütung

    Die Antragstellerin erlangt Restschuldbefreiung, wenn sie den Obliegenheiten des § 295 InsO nachkommt und Voraussetzungen für eine Versagung nach den §§ 290, 297 bis 298 InsO nicht vorliegen.

    Zum Insolvenzverwalter wird bestellt:

    Gründe

    I. Mit Antrag vom 20./25.03.2014 hat eine Gläubigerin rückständige Sozialversicherungsbeiträge i.H.v. 568,83 € geltend gemacht. Im Anhörungstermin vom 01.04.2014 hat die Schuldnerin die Überweisung des Betrages am selben Tage zugesagt. Dies erfolgte jedoch nicht, vielmehr erhöhten sich die Rückstände auf 796,37 €. Mit dem im Beschluss vom 16.05.2014 eingesetzten Sachverständigen (vereinbarte) Termine nahm die Schuldnerin mehrfach nicht wahr. Erst aufgrund des am 31.07.2014 erlassenen Haftbefehles kam es am 26.08.2014 zu einer Besprechung. Im Gutachten vom 28.08.2014 schlug der Sachverständige Abweisung des Antrages mangels Masse vor. Innerhalb der mit Schreiben vom 02.09.2014 gesetzten Zweiwochenfrist stellte die Schuldnerin trotz Belehrung und Übersendung eines Merkblattes sowie Antragsformulars keinen eigenen Antrag. Darauf wurde der Antrag mit Beschluss vom 24.09.2014 mangels Masse gemäß § 26 InsO abgewiesen (74 IN 69/14).

    Mit Antrag vom 21.09.2014, bei Gericht eingegangen am 26.09.14, stellt die Schuldnerin Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, Stundung und Restschuldbefreiung.

    II. Aufgrund des Eigenantrages ist unter Bewilligung von Stundung das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin zu eröffnen.

    1) Die Schuldnerin hat im Erstverfahren zwar vorsätzlich gegen die ihr gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO obliegenden Auskunfts – und Mitwirkungspflichten verstoßen. Dies steht jedoch einer Bewilligung von Stundung und Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht entgegen.

    a) Das Erstverfahren ist mit Erlass des Abweisungsbeschlusses gem. § 26 InsO abgeschlossen. Ein Verstoß gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO ist in einem nachfolgenden Verfahren unbeachtlich (A/G/R-Fischer § 290 InsO Rn. 58).

    b) Wäre der Antrag allerdings innerhalb der gesetzten Frist eingegangen, hätte der Stundungsantrag gem. § 4a InsO, § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO zurückgewiesen werden können.

    Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Stundungsantrag gem. § 4 a Abs. 1 InsO nicht nur in den dort genannten Fällen eines Versagungsgrundes gem. § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO (bzw. in den bis zum 30.6.2014 beantragten Verfahren auch in den Fällen des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO) zurückzuweisen ist, sondern auch bei zweifelsfreien Vorliegen eines sonstigen Versagungsgrundes gem. § 290 InsO, insbesondere in den Fällen der Abs. 1 Nr. 5 und Nr. 6 InsO (BGH, Beschl. v. 16.12.2004 - AZ: IX ZB 72/03, ZInsO 2005, 207; Busch in: PräsenzKommentar Haarmeyer/Wutzke/Förster, § 4a InsO Rn. 7; Ahrens in: Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 7. Aufl. 2013, § 290 Rn. 10). Diese Rechtsprechung zur Vorwirkung der Versagungsgründe gilt fort auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte zum 01.07.2014 fort (a. A. Ahrens NJW 2014, 1841, 1843).

    Eine Zurückweisung scheitert jedoch aus den soeben unter a) ausgeführten Gründen. Die weitere Frage, ob ein erneuter Insolvenzantrag gemäß § 287a Abs. 2 Nr. 2 InsO auch bei bloßer Zurückweisung eines Stundungsantrages gem. § 4a Abs. 1 InsO unzulässig wäre(dafür Frind Praxishandbuch Privatinsolvenz Rz. 261), bedarf keiner näheren Erörterung.

    2) Ein anderes Ergebnis ergibt sich nur, wenn man die so genannte „Sperrfristrechtsprechung“ des BGH weiter anwendet. Danach bestand zumindest für die Stellung eines eigenen Restschuldbefreiungs – und Stundungsantrages u. a. eine Sperrfrist von 3 Jahren, wenn der Schuldner im Erstverfahren trotz Belehrung vor Abweisung des Eröffnungsantrages mangels Masse gemäß § 26 InsO keinen eigenen Antrag stellte (BGH, Beschl. v. 21.01.2010 - AZ: IX ZB 174/09, ZInsO 2010, 344 = InsbürO 2010, 155).

    Diese Rechtsprechung ist jedoch spätestens seit dem 01.07.2014 nicht mehr anwendbar. § 287a Abs. 2 InsO enthält eine abschließende Aufzählung, wann ein Restschuldbefreiungsantrag unzulässig ist (AG Göttingen, Beschl. v. 30.04.2014 – AZ: 71 IK 48/14, ZInsO 2014, 1173 mit zust. Anm. Laroche NZI 2014, 574; AG Göttingen, Beschl. v. 26.07.2014 – 74 IN 84/14, ZInsO 2014, 1677. Ebenso Pape ZVI 2014, 234, 237; Graf-Schlicker ZVI 2014, 202, 203; Streck ZVI 2014, 205, 207; Schmidt ZVI 2014, 211; Laroche/Siebert NZI 2014, 541, 542; Schmerbach/Semmelbeck NZI 2014, 547, 549; Ahrens NJW 2014, 1841, 1845; zweifelnd HK-InsO/Waltenberger § 287 InsO aF Rz. 12; offen gelassen von BGH; Beschl. v. 20.03.2014 – IX ZB 177/13, ZInsO 2014, 795 = NZI 2014, 416; abl. Frind Verbraucherinsolvenzrecht Rz. 156 aE).

    3) im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass ein Schuldner durch eine verzögerte Antragstellung die eigentlich gebotene Abweisung eines eigenen Antrages „aushebeln“ kann, sei es bewusst oder unbewusst durch Saumseligkeit. Dieses Ergebnis ist jedoch vom Rechtsanwender hinzunehmen. Es ist das Ergebnis einer verfehlten Gesetzgebung, die die Problematik der Praxis und deren Hinweise ignoriert (z. B. AG Göttingen Beschl. v. 1. 3. 2010 - 74 IK 47/10, ZInsO 2010, 686, 687; Schmerbach ZInsO 2010, 647, 653). Die Stundungsvorschriften in §§ 4a ff. InsO sind die Vorschriften über die Prozesskostenhilfe nachgebildet. Dort besteht die Möglichkeit, einen Antrag wegen Mutwilligkeit gemäß § 114 S. 1 ZPO zurückzuweisen. Mutwilligkeit wird dann bejaht, wenn eine Rechtsverfolgung von einer verständigen bemittelten Partei unterlassen würde. Eine verständige Partei würde bei einem Hinweis einen Restschuldbefreiungsantrag in einem laufenden Fremdantragverfahren stellen.

    Der Gesetzgeber hatte die Problematik bereits einmal erkannt. Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der InsO, des KWG und anderer Gesetzes sah eine Ergänzung des § 4a InsO vor (Beil. 3 zu ZVI 2004, 2). Danach sollte unter Beachtung des Grundsatzes der Sparsamkeit der Verwendung öffentlicher Mittel Schuldnern, die die Möglichkeit zur Erlangung einer Restschuldbefreiung in vorwerfbarer Weise (z.B. unter Verstoß gegen § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO) nicht wahrgenommen hatten, eine Wartefrist von 3 Jahren für die Bewilligung der Stundung auferlegt werden (Beil. 3 zu ZVI 2004, 15 f.; ebenso AG Hamburg InsVZ 2010, 64).

    4) Im vorliegenden Fall verzichtet das Insolvenzgericht im Hinblick auf die Feststellungen im Erstverfahren auf die Vorlage von Unterlagen gem. § 13 InsO und die ansonsten übliche Einholung eines Sachverständigengutachtens. Ebenso unterbleiben die ansonsten nach Rechtskraft des Abweisungsbeschlusses gem. § 26 InsO erfolgenden Maßnahmen gem. § 26 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 InsO.

    Schmerbach
    Richter am Amtsgericht

    RechtsgebietRestschuldbefreiungVorschriften§ 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO