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  • · Fachbeitrag · COVID-19-Pandemie

    Mietzahlung trotz COVID-19-Pandemie? Was Mieter und Vermieter jetzt wissen und tun müssen

    | Seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie und den daraus folgenden Geschäftsschließungen wird diskutiert, ob betroffene Mieter und Pächter von Geschäftsräumen weiterhin Miete oder Pacht zahlen müssen. Der BGH hat nun die wesentlichen Entscheidungsparameter festgelegt. Sie müssen aber noch auf die Praxis übertragen werden. FMP geht diesen Schritt schon ‒ mit Checklisten für Mieter und Vermieter. |

    Sachverhalt

    Die Parteien schlossen im September 2013 einen Mietvertrag über Verkaufs- und Lagerräume für den Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts. Die monatliche Bruttomiete betrug 7.854 EUR. Aufgrund der COVID-19-Pandemie hat die zuständige Landesregierung im März 2020 durch Allgemeinverfügung die Schließung aller Geschäfte angeordnet. Das Einzelhandelsgeschäft der Beklagten war daraufhin vom 19.3.20 bis einschließlich 19.4.20 geschlossen. Die Beklagte hat die Zahlung der Miete für diesen Zeitraum ausgesetzt. Die daraufhin erhobene Zahlungsklage der Vermieterin war vor dem LG erfolgreich. In der Berufung hat das OLG das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Zahlungsverpflichtung der Beklagten auf 3.720,09 EUR reduziert. Die Klägerin verlangt im Rahmen der Revision die vollständige Mietzahlung. Der BGH hat die Entscheidung des OLG aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (12.1.22, XII ZR 8/21, Abruf-Nr. 226898).

    Entscheidungsgründe

    Der BGH stellt zunächst klar, dass es sich bei der pandemiebedingten Schließung von Geschäftsräumen weder um eine Unmöglichkeit der Leistung (§ 275 BGB) noch um einen Mangel an der Mietsache (§ 536 BGB) handelt und erteilt den z. T. in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur in dieser Richtung vertretenen Auffassungen (vgl. dazu FMP 21, 45) eine Absage. Zum einen schulde der Vermieter nur die Überlassung der dazu notwendigen Räume. Er müsse aber nicht die notwendigen Voraussetzungen schaffen, um den Betrieb tatsächlich zu führen. Daher sei es der Klägerin während der behördlichen Schließungsanordnung nicht unmöglich gewesen, der Beklagten den Gebrauch der Mietsache entsprechend dem vereinbarten Zweck zu gewähren.

     

    Ferner seien öffentlich-rechtliche Gebrauchsbeschränkungen, die dem vertragsgemäßen Gebrauch eines Mietobjekts entgegenstehen, nur geeignet, einen Sachmangel zu begründen, wenn sie auf dessen konkreter Beschaffenheit beruhen. Andere gesetzgeberische Maßnahmen, die den geschäftlichen Erfolg beeinträchtigen, seien dem Risikobereich des Mieters zuzuordnen. Dazu gehöre vor allem das Risiko, mit dem Mietobjekt Gewinne erzielen zu können.

     

    Störung der Geschäftsgrundlage

    Der Mieter könne aber u. U. eine Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB) verlangen. Hierfür ist entscheidend:

     

    Checkliste / Drei Prüfpunkte zur Störung der Geschäftsgrundlage

    • 1. Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert?
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    • 2. Hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten?
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    • 3. Kann einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden?
     

     

    Die beiden ersten Voraussetzungen hat der BGH bejaht. Zum einen hätte keine der Parteien bei Abschluss des Mietvertrags im Jahr 2013 voraussehen können, dass es während der vereinbarten Mietzeit zu einer Pandemie und damit verbundenen erheblichen hoheitlichen Eingriffen in den Geschäftsbetrieb der Beklagten kommen könne, durch die die beabsichtigte Nutzung der Mieträume eingeschränkt werde. Dafür spreche auch der zum 31.12.20 eingefügte Art. 240 § 7 EGBGB. Danach wird vermutet, dass sich ein Umstand, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat. Zudem sei anzunehmen, dass redliche Mietvertragsparteien für den Fall einer hoheitlich angeordneten Betriebsschließung das damit verbundene wirtschaftliche Risiko nicht einseitig zulasten des Mieters geregelt, sondern in den Vertrag für diesen Fall eine Möglichkeit zu Mietanpassung vorgesehen hätten.

     

    Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag

    Der BGH: Ausschlaggebend sei die Frage, ob dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, vor allem der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, zugemutet werden könne, am unveränderten Vertrag festzuhalten. Dafür sei erforderlich, dass ein Festhalten an der vereinbarten Regelung für die betroffene Partei zu einem untragbaren Ergebnis führe. Im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter trage der Mieter das Verwendungsrisiko. Beruhe jedoch die enttäuschte Gewinnerwartung des Mieters auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, gehe dies über das gewöhnliche Verwendungsrisiko hinaus. Ob dem Mieter ein Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar sei, bedürfe einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen seien, wie aus den Leitsätzen des BGH deutlich wird:

     

    • Leitsätze: BGH 12.1.22, XII ZR 8/21
    • 1. Die aus einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie resultierende Schließung eines Einzelhandelsgeschäfts begründet weder eine Unmöglichkeit der Leistung, noch einen Mangel an der Mietsache.
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    • 2. Der Mieter von gewerblich genutzten Räumen kann jedoch u. U. eine Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB verlangen. In der Abwägung sind dabei sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, wobei auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen sind, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat.
     

     

    Abwägungsaspekte

    Bei der vom BGH geforderten Abwägungsentscheidung sind folgende Aspekte zu berücksichtigen:

     

    • Welche Nachteile sind dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden?

     

    • Dabei ist bei Umsatzrückgängen für die Zeit der Schließung nur auf das konkrete Mietobjekt und nicht auf einen möglichen Konzernumsatz abzustellen.

     

    • Welche Maßnahmen hat der Mieter ergriffen oder hätte ergreifen können, ohne Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern?

     

    • Hierbei sind insbesondere die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich dieser pandemiebedingten Nachteile erlangt hat. Auch Leistungen einer einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters sind zu berücksichtigen. Staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, bleiben außer Betracht. Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters ist nicht erforderlich.

     

    • MERKE | Vom BGH nicht angesprochen, aber als Aspekt sicher auch zu berücksichtigen, ist die Frage, ob und wie der Mieter die zumutbare Chance hätte nutzen können oder auch genutzt hat, Online-Angebote für seine Kunden bereitzustellen, um den Schaden zu mindern. Im Handel wird dies möglich sein, bei einem Friseur nur bedingt (Pflegemittel).

       

    Relevanz für die Praxis

    Grundsätzlich obliegt es der Vertragspartei, die sich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage beruft, auch den Nachweis zu führen, dass für sie ein Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar ist. Der Mieter muss daher darlegen und beweisen, welche Nachteile ihm aus der Betriebsschließung entstanden sind. Ferner muss er ebenso nachweisen, welche zumutbaren Anstrengungen er unternommen hat, um drohende Verluste auszugleichen. Behauptet der Mieter, keine staatlichen Unterstützungsleistungen erhalten zu haben, muss er darlegen und beweisen, dass er sich um mögliche Hilfeleistungen vergeblich bemüht hat.

     

    Beachten Sie | Wendet hingegen der Vermieter ein, dass die vom Vermieter behaupteten Verluste nicht pandemiebedingt sind, trifft ihn hierfür die Darlegungs- und Beweislast.

     

    Die Frage, ob eine pandemiebedingte Anpassung der Miete beansprucht werden kann, wird also im Einzelfall von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängen. Daher müssen Mieter und Vermieter eine geeignete Strategie entwickeln, um die Unzumutbarkeit bzw. Zumutbarkeit zu begründen:

     

    Checkliste / Strategie des Mieters

    Der Mieter muss darlegen und beweisen, dass ein Festhalten am Vertrag für ihn unzumutbar ist. Dabei muss er folgende Fragen beantworten und dazu vortragen:

     

    • 1. Welche staatlichen Maßnahmen wurden angeordnet und wie wirken sich diese für welchen Zeitraum auf den Geschäftsbetrieb aus?
    • 2. Wie haben sich mildere Maßnahmen nach der Aufhebung des Gebots zur Betriebsstilllegung auf den Geschäftsbetrieb ausgewirkt?
    • 3. Welche konkreten Umsatzrückgänge sind zu verzeichnen? Darlegungs- und Beweislast liegen beim Mieter.
    • 4. Welche staatlichen Hilfen sind beantragt worden und inwieweit sind diese auf die Aufwendungen für den Mietzins bezogen?
    • 5. Warum wurden keine Leistungen gewährt bzw. reichen diese nicht zur Kompensation der wirtschaftlichen Beeinträchtigungen aus?
    • 6. Warum war eine Umstellung des Geschäftsmodells zur Reduzierung der wirtschaftlichen Beeinträchtigungen (z. B. „click & collect“, Auslieferungsservice etc.) nicht möglich oder ausreichend?
    • 7. Wie stellt sich die wirtschaftliche Lage des Unternehmens des Mieters dar?
    • 8. Das Vermögen muss ‒ nach dem BGH ‒ unberücksichtigt bleiben.
     

     

    Checkliste / Strategie des Vermieters

    Der Vermieter kann sich andererseits wie folgt vorbereiten, um eine negative Anpassung des Mietzinses zu erreichen:

     

    • 1. Welche Verpflichtungen hat der Vermieter im Hinblick auf die Unterhaltungs- und Finanzierungslasten des Mietobjekts?
    • 2. Die Umsatzrückgänge waren nicht ausreichend, um eine Unzumutbarkeit der fortgesetzten Mietzinszahlung zu begründen.
    • 3. Die Umsatzrückgänge waren nicht pandemiebedingt. Die Darlegungs- und Beweislast trägt der Vermieter.
    • 4. Ersparte Aufwendungen (Strom, Heizung, Personalkosten) sind zu berücksichtigen.
    • 5. Staatliche Hilfen waren ausreichend, um die wirtschaftlichen Beeinträchtigungen zu kompensieren, sie wurden gezielt für die Bestreitung des Mietzinses gewährt oder staatliche Hilfen wurden vorwerfbar nicht beantragt.
    • 6. Welche positiven Steuereffekte werden sich noch einstellen?
    • 7. Mögliche Anpassungen des Geschäftsmodells (z. B. „click & collect“, Auslieferungsservice etc.) zur Reduzierung der wirtschaftlichen Beeinträchtigungen wurden nicht umgesetzt.
    • 8. Die wirtschaftliche Lage des Unternehmens ist nicht existenzbedrohend.
    • 9. Es wird „Nachholeffekte“ geben, die die vorherigen Verluste ausgleichen.
    • 10. Wenn auf der Mieterseite das Vermögen unberücksichtigt bleibt, muss dies auch für den Aspekt der (mangelnden) Bedürftigkeit des Vermieters gelten.
     

    Die BGH-Entscheidung zeigt, dass sich Mieter und Vermieter nicht sicher sein können, wie die Instanzgerichte zukünftig entscheiden, und welche Miete im jeweils konkreten Einzelfall als angemessen angesehen werden kann. Sicher ist allerdings, dass die Rechtsverfolgungskosten anfallen und in der Auseinandersetzung um diese Fragen erheblich sind. Vor diesem Hintergrund gilt, dass reden hilft, wenn beide Parteien wissen, dass sie etwas geben müssen und insoweit lösungsorientiert auf den anderen schauen.

    Quelle: Ausgabe 03 / 2022 | Seite 46 | ID 47977921