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  • 17.06.2009 | Mahnverfahren

    BGH klärt Streitfrage: Rechtshängigkeit bei nicht alsbaldiger Abgabe

    1. Unter „alsbaldiger“ Abgabe ist das gleiche zu verstehen wie unter einer „demnächst“ erfolgenden Zustellung. Die Sache ist alsbald abgegeben, wenn dem Antragsteller lediglich eine geringfügige Verzögerung der Abgabe bis zu 14 Tagen anzulasten ist.  
    2. Wird nach Erheben des Widerspruchs gegen einen Mahnbescheid die Sache nicht alsbald an das zur Durchführung des streitigen Verfahrens zuständige Gericht abgegeben (§ 696 Abs. 3 ZPO), tritt die Rechtshängigkeit mit Eingang der Akten beim Prozessgericht ein.  
    (BGH 5.2.09, III ZR 164/08, Abruf-Nr. 091850).

     

    Sachverhalt

    Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadenersatz. Er machte die Zahlungsansprüche zunächst mit Mahnbescheiden geltend, die den Beklagten zu 1 und 2 jeweils am 21.3.05 und der Beklagten zu 3 am 23.4.05 zugestellt wurden. Die Beklagten zu 1 und 2 legten Widerspruch gegen die Mahnbescheide ein. Ende März 05 benachrichtigte das Mahngericht den Kläger hiervon und forderte ihn zur Zahlung der Kosten des streitigen Verfahrens auf. Am 19.9.05 beantragte der Kläger bezüglich aller Beklagten die Durchführung des streitigen Verfahrens und zahlte die angeforderten Gerichtskosten ein. Das Mahngericht gab mit Verfügungen vom 26.9.05 die Verfahren betreffend die Beklagten zu 1 und 2 an das LG ab, wo die Akten am 30.9.05 eingingen und dort verbunden wurden. Das Verfahren betreffend die Beklagte zu 3 wurde nicht an das LG abgegeben, nachdem der erlassene Vollstreckungsbescheid nicht zugestellt worden war und das Mahngericht die Umfirmierung als nicht nachgewiesen angesehen hatte.  

     

    Am 15.12.05 übertrug der Kläger seine Primärrechte auf seine Ehefrau und trat ihr zugleich die streitgegenständlichen Schadenersatzansprüche ab. Am 1.8.06 hat der Kläger die Ansprüche begründet und ausdrücklich Leistung an seine Ehefrau als Zessionarin beantragt. Das LG hat die Klage mangels Prozessführungsbefugnis des Klägers abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Der Kläger könne die an seine Ehefrau abgetretenen Ansprüche nicht in gesetzlicher Prozessstandschaft gemäß § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO geltend machen, weil er die Abtretung vor Eintritt der Rechtshängigkeit erklärt habe. Da die Streitsache nicht alsbald nach Erhebung des Widerspruchs an das Prozessgericht abgegeben worden sei, sei die Rechtshängigkeit erst mit Zustellung der Anspruchsbegründung und damit nach der Abtretung eingetreten.  

     

    Entscheidungsgründe/Praxishinweis

    Der BGH ist dem LG und dem OLG nicht uneingeschränkt gefolgt. Die Entscheidung hat dabei eine erhebliche Bedeutung für die Frage des Eintrittes der Rechtshängigkeit und die Aktivlegitimation des ursprünglichen Antragstellers. Damit wirkt sie sich auch erheblich auf die Kosten der Titulierung aus. Müsste neu geklagt werden, könnte die Forderung inzwischen verjährt sein. Auch müssten die Gerichts- und Anwaltskosten erneut entrichtet werden.  

     

    Im vorliegenden Fall hat der BGH entschieden, dass der Kläger die an seine Ehefrau abgetretenen, bereits durch Mahnbescheid geltend gemachten Forderungen gegen die Beklagten zu 1 und 2 weiterverfolgen kann, ihm also eine gesetzliche Prozessführungsbefugnis gemäß § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO zustehe. Nach dieser Vorschrift hat die Abtretung des geltend gemachten Anspruchs auf den Prozess keinen Einfluss. Dies bedeutet, dass eine Abtretung nach Rechtshängigkeit die Rechtsstellung der bisherigen Partei nicht berührt. Der Abtretende wird kraft Gesetzes Prozessstandschafter des Rechtsnachfolgers und kann weiterhin alle Prozesshandlungen vor- und entgegennehmen (Zöller/Greger, ZPO, 27. Aufl., § 265 Rn. 6). Der Kläger hat die mit der Klage geltend gemachten Forderungen gegen die Beklagten zu 1 und 2 nach Rechtshängigkeit an seine Ehefrau abgetreten.  

     

    Die Rechtshängigkeit kann nach Ansicht des BGH zwar nicht gemäß § 696 Abs. 3 ZPO auf den Zeitpunkt der Zustellung des Mahnbescheids zurück bezogen werden. Denn die Sache ist nicht im Sinne dieser Vorschrift „alsbald“ nach der Erhebung des Widerspruchs an das Prozessgericht abgegeben worden. „Alsbald“ ist wie „demnächst“ in § 167 ZPO (und früher in § 693 Abs. 2 ZPO) zu definieren (BGHZ 175, 360, m.w.N.). Die Sache ist daher „alsbald“ abgegeben, wenn dem Antragsteller nur eine geringfügige Verzögerung der Abgabe bis zu 14 Tagen anzulasten ist. Er ist gehalten, nach Mitteilung des Widerspruchs ohne schuldhaftes Zögern die Abgabe an das Streitgericht zu veranlassen. In der Regel ist von ihm zu erwarten, dass er binnen eines Zeitraums von zwei Wochen nach Zugang der Mitteilung des Widerspruchs die restlichen Gerichtsgebühren einzahlt und den Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens stellt.  

     

    Wann die Rechtshängigkeit eintritt, wenn die Sache - wie hier über fünf Monate - nicht „alsbald“ an das Prozessgericht abgegeben worden ist, ist im Gesetz nicht geregelt. In Rechtsprechung und Literatur sind dazu unterschiedliche Lösungen entwickelt worden.  

     

    • Die Auffassung, dass die Wirkungen der Rechtshängigkeit einträten, wenn die Abgabeverfügung des Rechtspflegers den Parteien zugestellt werde (OLG München MDR 80, 501; dagegen OLG Koblenz OLGZ 91, 373), kann deshalb nicht geteilt werden, weil für diese Mitteilung eine Zustellung nicht vorgesehen ist und daher der Zugang nicht verbindlich festgestellt werden kann. Mangels Bestimmbarkeit des maßgeblichen Zeitpunkts kann auch nicht darauf abgestellt werden, wann das Empfangsgericht beiden Parteien den Eingang der Akten mitgeteilt hat (so noch: OLG Köln MDR 85, 680; als spätester Zeitpunkt genannt von OLG Karlsruhe VersR 91, 125).

     

    • Nach einer heute verbreiteten Ansicht tritt die Rechtshängigkeit erst mit Zustellung der Anspruchsbegründung und bei ihrem Ausbleiben mit der Terminsbestimmung ein (OLG Koblenz OLGZ 91, 373; OLG Frankfurt NJW-RR 92, 447; OLG München MDR 07, 1154; OLG München OLGR 07, 777; MüKo/Schüler, ZPO, 3. Aufl., § 696 Rn. 21; Musielak/Voit, ZPO, 6. Aufl., § 696 Rn. 4; Schlosser, in: Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 696 Rn. 7; als spätester Zeitpunkt genannt im Urteil des BGH NJW 93, 1070). Begründet wird dies in erster Linie damit, dass nach der Neufassung des § 697 Abs. 2 S. 1 ZPO bei Eingang der Anspruchsbegründung wie nach Eingang einer Klage weiter zu verfahren sei, d.h. dass die Anspruchsbegründung wie eine neue Klage zuzustellen sei, wodurch die Rechtshängigkeit eintrete.

     

    • Die Gegenmeinung hält den Eingang der Verfahrensakten beim Prozessgericht für maßgeblich (BGH NJW-RR 04, 1210; DStRE 07, 1000; KG NJW-RR 99, 1011; OLG Dresden, NJW-RR 03, 194; Hüßtege in: Thomas/Putzo, ZPO, 29. Aufl., § 696 Rn. 13; Olzen, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl., § 696 Rn. 27; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 696 Rn. 5).

     

    Der BGH teilt die letztgenannte Auffassung. Dafür spricht, dass der Zeitpunkt des Eingangs der Akten beim Streitgericht zuverlässig aus den Akten festgestellt werden kann. Der Wortlaut des § 696 Abs. 1 S. 4 ZPO steht dem nicht entgegen. Dass der Rechtsstreit mit Eingang der Akten beim Prozessgericht als dort anhängig gilt, schließt nicht aus, dass gleichzeitig die Rechtshängigkeit eintritt. Der vom Gesetzgeber mit der Neufassung des § 696 Abs. 3 ZPO verfolgte Zweck, anstelle der Terminierung an die Abgabe anzuknüpfen (BT-Drucksache 7/2729, S. 100), lässt es sachgerecht erscheinen, auf den Akteneingang beim Prozessgericht abzustellen, wenn die Sache nicht alsbald abgegeben worden ist. Nur die Rückwirkung der Rechtshängigkeit kommt dem Kläger in diesem Fall nicht zugute.  

     

    Ein Abstellen auf die Anspruchsbegründung bzw. deren Zustellung ist nicht geboten, weil die Anspruchsbegründung inhaltlich einer Klageschrift gleichsteht und bei ihrem Eingang nach § 697 Abs. 2 S. 1 ZPO wie nach Eingang einer Klage weiter zu verfahren ist. Die Anspruchsbegründung soll den Mahnbescheid zu einer vollwertigen Klage ergänzen, stellt aber nicht selbst die Klage dar; sonst könnte nicht gemäß § 697 Abs. 3 S. 1 ZPO Termin zur mündlichen Verhandlung auf Antrag des Antragsgegners bestimmt werden, wenn die Anspruchsbegründung nicht rechtzeitig eingeht (Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 696 Rn. 5).  

     

    Zudem fordert es der Schutz des Beklagten nicht, die Zustellung der Anspruchsbegründung abzuwarten, denn die Streitsache hat bereits mit dem vorgeschalteten Mahnverfahren begonnen und ist dem Beklagten dadurch bekannt geworden. Die Funktion der Klageschrift, den Streitgegenstand festzulegen, hat der Mahnbescheid bereits erfüllt. Im Übrigen setzt auch die Rückwirkung der Rechtshängigkeit auf den Zeitpunkt der Zustellung des Mahnbescheids keine der Klage gleichzustellende Anspruchsbegründung voraus.  

     

    Schließlich kann nicht wegen der materiell-rechtlichen Folgen der Rechtshängigkeit die Zustellung der Anspruchsbegründung verlangt werden, um die Sache rechtshängig werden zu lassen. Für die Verjährungshemmung kommt es nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB allein auf die Zustellung des Mahnbescheids, nicht auf die Begründung der Rechtshängigkeit an. Auch der Verzug des Schuldners tritt gemäß § 286 Abs. 1 S. 2 BGB durch die Zustellung eines Mahnbescheids ebenso wie durch die Erhebung einer Leistungsklage ein.  

     

    Anders hat der BGH die Sache bezüglich der Beklagten zu 3) gesehen. Die gegen diese geltend gemachten Forderungen hat der Kläger in jedem Fall vor Rechtshängigkeit abgetreten, sodass er insoweit nicht gesetzlicher Prozessstandschafter i.S.d. § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO sein kann. Da das gegen die Beklagte zu 3 durchgeführte Mahnverfahren nicht an das Streitgericht abgegeben wurde, konnten diese Ansprüche erst mit Zustellung der Klagebegründung und damit nach der Abtretung rechtshängig werden.  

     

    Aus Sicht des Gläubigers muss im Falle der Abtretung im Inkassoprozess vor dem Hintergrund der hier vorgestellten Entscheidung des BGH und die sich stellenden zeitlichen Fragen immer erwogen werden, ob nicht die Situation der gewillkürten Prozessstandschaft hergestellt werden kann, d.h. der Abtretende sich trotz der Abtretung ermächtigen lässt die Forderung im eigenen Namen aber zur Zahlung entweder an sich selbst oder aber an den Abtretungsempfänger geltend zu machen. Hinzukommen muss aber ein eigenes rechtliches Interesse an der Prozessführung (BGH NJW 99, 1717).  

     

    Ob die Ehefrau des Klägers diesem die Ermächtigung zur Prozessführung durch konkludentes Handeln erteilt hat (BGH NJW-RR 02, 1377), konnte im konkreten Fall des BGH dahinstehen, da es an dem erforderlichen rechtlichen Interesse des Klägers an der Prozessführung fehlte. Ein solches ist gegeben, wenn die Entscheidung Einfluss auf die eigene Rechtslage des Prozessführungsbefugten hat. Interessen der Prozesswirtschaftlichkeit und der technischen Erleichterung der Prozessführung genügen dazu nicht (BGH NJW 80, 2461). Der Kläger beruft sich auf Gründe der Prozessökonomie, indem er darauf verweist, es sei sinnvoll, dass er das von ihm vor der Abtretung eingeleitete Verfahren weiterführe.  

     

    Ein rechtliches Interesse des Klägers an der Prozessführung ergibt sich auch nicht daraus, dass die geltend gemachten Ansprüche einem Lebenssachverhalt entstammen, an dem nur er, aber nicht seine Ehefrau beteiligt war. Die Sachnähe mag eine Prozessführung durch den Kläger sinnvoll erscheinen lassen, hat aber letztlich keine Auswirkungen auf seine Rechtsstellung.  

     

    Der Alt-Gläubiger ist also gehalten, das eigene wirtschaftliche Interesse an der Prozessführung darzulegen. Dies kann sich etwa daraus ergeben, dass er sich zur Annahme der Rückabtretung unter gleichzeitiger Rückgewähr der ursprünglichen Gegenleistung verpflichtet, wenn sich die Forderung rechtlich nicht durchsetzen lässt. Auch kann es sich daraus ergeben, dass er (partiell) an der Durchsetzung der Forderung partizipiert.  

     

    Quelle: Ausgabe 06 / 2009 | Seite 98 | ID 127763