Beschluss vom 18.08.2022 · IWW-Abrufnummer 238276
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Aktenzeichen 5 Ta 38/22
Mehrere in einem Verfahren angegriffene Abmahnungen werden maximal mit einem Vierteljahresentgelt bewertet.
Im Beschwerdeverfahren mit den Beteiligten
1.
- Beschwerdeführer -
Proz.-Bev.:
2.
- Beteiligte -
3.
- Beteiligte -
4.
- Beteiligte -
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 5. Kammer - durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Dr. Krets ohne mündliche Verhandlung am 18.08.2022
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Ulm vom 25.04.2022 -2 Ca 5/22 - dahingehend abgeändert, dass der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert von EUR 51.252,20 auf EUR 28.501,20 abgesenkt wird.
Gründe
I.
Die Beschwerde betrifft die Wertfestsetzung des Arbeitsgerichts gemäß § 63 Abs. 2 GKG.
Im Ausgangsverfahren verfolgte der als Betriebsschlosser bei der Beklagten beschäftigte Kläger neben einem Kündigungsschutzantrag (Antrag Ziffer 1), einem allgemeinen Fortbestandsfeststellungsantrag (Ziffer 2) und Zahlungsanträgen (Anträge Ziffer 3 und 4) mit Antrag Ziffer 5 die Entfernung von insgesamt 8 Abmahnungen aus der Personalakte. Vier der Abmahnungen wurden dem Kläger am 03.02.2022 wegen nicht ausgestempelter Pausen, nicht erfolgter Aufgabenabholung, nicht erledigter Tagesrapporte und nicht eingehaltener Wochenarbeitszeiten, eine der Abmahnungen am 07.02.2022 wegen Nichteinhaltung der Kernarbeitszeit, zwei der Abmahnungen am 08.02.2022 wegen nicht ausgestempelter Pausen und nicht erledigter Reparaturarbeiten an einer Maschine und eine der Abmahnungen am 10.02.2022 wegen nicht ausgefüllten Wartungsprotokolls erteilt.
Die Parteien schlossen einen Vergleich gem. § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO, in dem sie sich u.a. auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund ordentlicher Kündigung und die Entfernung der Abmahnungen aus der Personalakte einigten.
Das Arbeitsgericht hat den für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert auf EUR 51.252,20 festgesetzt. Antrag Ziffer 1 hat es gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG mit einem dreifachen Bruttomonatsverdienst in Höhe von EUR 4.550,20 bewertet (= EUR 13.650,60). Den allgemeinen Fortbestandsfeststellungsantrag (Ziffer 2) hat es wegen wirtschaftlicher Teilidentität nicht werterhöhend berücksichtigt. Die Zahlungsanträge Ziffer 3 und 4 hat das Arbeitsgericht in ihrer bezifferten Höhe bemessen. Den Antrag auf Entfernung der 8 Abmahnungen hat es je Abmahnung mit einem Bruttomonatsgehalt bewertet.
Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Klägers, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat und mit der dieser eine Deckelung des Antrags auf Entfernung der 8 Abmahnungen (Ziffer 5) auf eine dreifache Bruttomonatsvergütung begehrt.
II.
Die Beschwerde des Klägers ist statthaft (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG); sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 68 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet. Der Gebührenstreitwert für Antrag Ziffer 5 (Entfernung von 8 Abmahnungen) ist entsprechend Ziffer I.2.2 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit in der überarbeiteten Fassung vom 09.02.2018 (im Folgenden: "SWK 2018", NZA 2018, 497 ff.) auf ein Quartalsverdienst zu begrenzen. Hieraus ergibt sich ein - im Übrigen unstreitiger - Gesamtstreitwert in Höhe von EUR 28.501,20 (Antrag Ziffer 1: EUR 13.650,60, Antrag Ziffer 3 und 4: EUR 1.200,00, Antrag Ziffer 5: EUR 13.650,60). Hinsichtlich der Bewertung der Anträge 1 bis 4 wird auf die zutreffenden Ausführungen im Beschluss vom 25.04.2022 verwiesen.
1. Der Wertfestsetzungsbeschluss vom 25.04.2022 in Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses vom 12.07.2022 ist vom Beschwerdegericht nicht nur auf Ermessenfehler, sondern vollumfänglich überprüfbar. Dem Beschwerdegericht kommt im Beschwerdeverfahren gemäß § 68 GKG nicht nur eine eingeschränkte Überprüfungsbefugnis zu. Nach § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO ("Die Beschwerde kann auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel gestützt werden") wird das Beschwerdegericht als volle zweite Tatsacheninstanz tätig, ohne an die für das Berufungsverfahren geltenden Einschränkungen gebunden zu sein. Deshalb kommt ihm eine uneingeschränkte eigene Prüfungs- und Entscheidungskompetenz zu (LAG Baden-Württemberg 18.01.2016 - 5 Ta 161/15, juris).
2. Eine uneingeschränkte Überprüfung der Entscheidung des Erstgerichts ergibt, dass der Wert des Antrags auf Entfernung der 8 Abmahnungen nicht mit 8, sondern insgesamt mit nur drei Bruttomonatsgehältern zu bewerten ist. Die Streitwertbeschwerdekammer folgt insoweit Ziffer I.2.2 SWK 2018.
a) Es kann zunächst offenbleiben, ob eine Einzelbewertung jeder Abmahnung mit einem Bruttomonatsgehalt angesichts des engen zeitlichen Zusammenhangs (03.02. bis 10.02.2022) und der teilweise ähnlich gelagerten Vorwürfe nicht überhöht ist, da nach Einschätzung der Beschwerdekammer insgesamt jedenfalls drei Bruttomonatsvergütungen überschritten wären. Die Frage der Deckelung des Streitwerts ist mithin entscheidungserheblich.
b) Das Arbeitsgericht hat in seinem Nichtabhilfebeschluss vom 12.07.2022 in vertretbarer Weise begründet, weshalb es die im SWK 2018 und von einigen Landesarbeitsgerichten vertretene Auffassung, der Gebührenstreitwert sei in diesen Fällen zu deckeln, nicht teilt. Es zieht den Umstand als Argument heran, dass aus mehreren Abmahnungen nicht nur zwingend eine Kündigung, sondern auch mehrere Kündigungen mit unterschiedlichen Beendigungszeitpunkten resultieren können (deren Streitwert wiederum aufgrund des Verschiebens der Beendigungszeitpunkte einen Bruttovierteljahresverdienst übersteigen kann). Der Wertungswiderspruch zu § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG sei in diesen Fällen nicht gegeben. Das Arbeitsgericht argumentiert weiter stringent, dass auch der Streitwertkatalog bei mehreren Kündigungen (die den Beendigungszeitpunkt verändern) keine Beschränkung nach § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG auf den Bruttovierteljahresverdienst vorsieht. Auch die Argumentation, eine Vielzahl von Abmahnungen könne negativere Auswirkungen für den Arbeitnehmer haben als die durch sie vorbereitete Beendigung des Vertragsverhältnisses, beruht auf dem Umstand, dass durch diese vielzähligen Abmahnungen auch eine Vielzahl potentieller Kündigungen in den Raum gestellt werden.
c) Die besseren Gründe sprechen trotz der vertretbaren Argumentation des Arbeitsgerichts für eine Deckelung des Streitwerts auf drei Bruttomonatsgehälter. Es ist zwar zutreffend, dass mehrere Abmahnungen nicht nur zwingend zu einer Kündigung, sondern auch zu mehreren Kündigungen führen können. Logisch richtig ist aber auch der umgekehrte Schluss: aus mehreren Abmahnungen müssen nicht zwingend mehrere Kündigungen resultieren, sondern dies kann auch eine einzige Kündigung sein. Dies wird sogar der Regelfall sein. Für den Gegenstandswert ist entscheidend das wirtschaftliche Interesse des Klägers, die streitgegenständlichen Abmahnungen aus seiner Personalakte entfernt zu erhalten. Hierbei sind aus Gründen der Rechtsklarheit Pauschalierungen in einem gewissen Umfang zu akzeptieren. Eine dogmatische Bewertung in ihrer Reinform müsste in jedem Einzelfall prüfen, welche Nachteile dem Arbeitnehmer konkret erwachsen, wenn die fragliche Abmahnung noch für einen längeren Zeitraum in der Personalakte verbleibt. Dementsprechend hatte das Landesarbeitsgericht-Baden-Württemberg bis 2009 konkret und einzelfallbezogen ohne Anknüpfung an das Bruttomonatsgehalt geprüft, inwieweit ein unrichtiges Bild in der Personalakte das berufliches Prestige des Arbeitnehmers in Frage stellt und den Arbeitnehmer mit einem persönlichen Makel versieht (so z.B. LAG Baden-Württemberg 07.09.2006 - 3 Ta 159/06, juris). Sowohl die Orientierung an einem Bruttomonatsgehalt als auch die Deckelung auf drei Bruttomonatsgehälter bei mehreren Abmahnungen sind Ausfluss des Gedankens, dass im Sinne der Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Praktikabilität gewisse Pauschalierungen im Streitwertrecht ihre Berechtigung besitzen. So hat das LAG Baden-Württemberg bereits am 27.11.2014 (- 5 Ta 168/14, juris) darauf hingewiesen, dass dem Gesichtspunkt, eine bundesweit einheitliche Streitwertpraxis zu ermöglichen, ein überwiegendes Gewicht zukommt. (LAG Baden-Württemberg a.a.O.).
Die Streitwertbeschwerdekammer des LAG Baden-Württemberg orientiert sich daher an der Empfehlung der Ziffer I.2.2 SWK 2018. Dieser Empfehlung liegt der Gedanke zu Grunde, dass Streitigkeiten über Abmahnungen, die Ausübung des Direktionsrechts sowie grundsätzlich über den Inhalt des Arbeitsverhältnisses "Unterfälle" des Bestandsschutzes und deshalb nach dem Maßstab des § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG zu bemessen sind. Hierfür spricht, dass es bei jedem Abmahnungsschreiben letzten Endes darum geht, die Bestandsgefährdung des Arbeitsverhältnisses abzuwenden.
III.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei (§ 68 Abs. 3 Satz 1 GKG); Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 Satz 2 GKG).
Der Vorsitzende: Dr. Krets