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Urteil vom 09.08.2023 · IWW-Abrufnummer 237525

Landesarbeitsgericht Düsseldorf - Aktenzeichen 12 Sa 268/23

1. Die Anordnung eines behördlichen Tätigkeits- und Betretungsverbots gemäß § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG führt dazu, dass es einer Krankenschwester für die Zeitdauer des Verbots objektiv unmöglich ist, ihre Arbeitsleistung zu erbringen. Der Vergütungsanspruch entfällt nach § 326 Abs. 1 BGB .

2. Für die Zeitdauer des Beschäftigungsverbots besteht bei Arbeitsunfähigkeit aufgrund des Grundsatzes der Monokausalität kein Entgeltfortzahlungsanspruch.

3. War die Arbeitnehmerin bei Zustellung des Betretungs- und Tätigkeitverbots am 08.09.2022 um 13.40 Uhr bereits zuvor mit Beginn der Frühschicht um 06.00 Uhr arbeitsunfähig erkrankt, ändert der Umstand, dass die Arbeitsunfähigkeit zeitlich vor der Zustellung der Ordnungsverfügung begonnen hatte, nichts am Wegfall des Entgeltfortzahlungsanspruchs.

4. War es der Arbeitnehmerin aufgrund der Arbeitsunfähigkeit ab dem 08.09.2022 nicht möglich sich impfen zu lassen - was die Kammer unterstellt hat - führt dies ebenfalls nicht zu einem Entgeltfortzahlungsanspruch. Der Grundsatz der Monokausalität wird nicht durchbrochen. Das Tätigkeits- und Betretungsverbot hat seine Ursache auch in einem solchen Fall nicht in der Arbeitsunfähigkeit. Nicht die Erkrankung ab dem 08.09.2022 war die Ursache für das Tätigkeits- und Betretungsverbot, sondern der Umstand, dass die Arbeitnehmerin entgegen der verfassungsrechtlich wirksamen Regelung in § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a IfSG nicht bereits zuvor für die Erfüllung der Tätigkeitsvoraussetzungen in ihrer Person gesorgt hat.


Tenor: 1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 21.03.2023 - 1 Ca 286/23 - wird zurückgewiesen. 2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt. 3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung aufgrund von Arbeitsunfähigkeit.

Die Klägerin war bei der Beklagten, einem Krankenhaus, seit dem 01.05.2011 auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 01.03.2011 als Krankenschwester zunächst in Vollzeit beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis richtete sich nach den Vorschriften der Kirchlichen Arbeitsvertragsordnung für Angestellte (BAT-KF). Die Eingruppierung erfolgte in Entgeltgruppe 9a. Aufgrund eines Änderungsvertrags vom 13.07.2016 verblieb es bei der bereits zuvor vereinbarten reduzierten wöchentlichen Arbeitszeit von 80 %, d.h. von 30,8 Wochenstunden im Verhältnis zu 38,5 Wochenstunden der tariflichen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten. Die Klägerin war im Schichtdienst eingesetzt. Jedenfalls seit dem Monat Juni 2022 betrugen - jeweils auf der Basis des für die Klägerin anwendbaren Teilzeitquotienten von 30,800/38,500 - das Tabellenentgelt 3.179,02 Euro brutto, die VL Zulage 5,32 Euro brutto und die Pflegezulage 96,00 Euro brutto. Hinzu kamen weitere Zulagen aus verschiedenen Gründen wie z.B. Sonntagsarbeit, Nachtarbeit oder Überstunden.

Die Klägerin war zunächst nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV2 geimpft und hatte sich einmal mit dem Coronavirus SARS-CoV2 infiziert. Sie legte der Beklagten bis zum Ablauf des 15.03.2022 keinen Nachweis gemäß § 20a Absatz 2 Satz 1 IfSG vor. Ihre Arbeitsleistung als Krankenschwester erbrachte die Klägerin auch über den 15.03.2022 hinaus. Sie war nicht arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 30.05.2022 forderte das Gesundheitsamt der Stadt Essen die Klägerin auf, bis zum 07.06.2022 einen Nachweis im Sinne des § 20a Absatz 2 Satz 1 IfSG vorzulegen. Dem kam die Klägerin nicht nach. Mit Schreiben vom 02.06.2022 machte sie Pflichtangaben zu ihrer Person und berief sich im Übrigen auf ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Mit Schreiben vom 08.06.2022 teilte das Gesundheitsamt der Stadt Essen der Klägerin mit, auf welcher Grundlage aus seiner Sicht die personenbezogenen Daten erhoben und verarbeitet würden. Mit Anhörungsschreiben vom 20.06.2022 wurde der Klägerin seitens des Gesundheitsamts der Stadt Essen mitgeteilt, dass in einem nächsten Schritt von der Möglichkeit Gebrauch gemacht werde, ihr gegenüber ein Tätigkeitsverbot und / oder Betretungsverbot in der Einrichtung der Beklagten zu erlassen. Auf das Anhörungsschreiben teilte die Klägerin mit, dass sie jeden Tag erleben würde, dass Impfungen weder dem Eigenschutz noch dem Fremdschutz nutzen würden und dass sie zudem überaus bedenkliche Nebenwirkungen bei Kollegen, Familie und Freunden beobachtet hätte.

Am 06.09.2022 verfasste das Gesundheitsamt der Stadt Essen eine Ordnungsverfügung gegenüber der Klägerin, mit welcher ihr ab sofort die Tätigkeit in der Einrichtung/dem Unternehmen der Beklagten sowie das Betreten der Einrichtung/des Unternehmens der Beklagten zum Zwecke der Verrichtung der Tätigkeit gemäß § 20a Absatz 5 Satz 3 IfSG untersagt wurde. Die Verbote galten ausweislich der Vorlage der Ordnungsverfügung bis zur Vorlage eines Nachweises nach Maßgabe des § 20a Absatz 2 Satz 1 IfSG. Die Ordnungsverfügung wurde an die Klägerin per Postzustellungsurkunde versandt.

Am 08.09.2022 war die Klägerin zu der um 06.00 Uhr beginnenden Frühschicht eingeteilt. Sie erschien an diesem Tag nicht zur Arbeit, weil sie arbeitsunfähig erkrankt war. Ebenfalls am 08.09.2022 um 13.40 Uhr wurde der Klägerin die Ordnungsverfügung vom 06.09.2022 zugestellt. Die Zustellung der Ordnungsverfügung an die Beklagte erfolgte ebenfalls an diesem Tag. Am 09.09.2022, an dem die Klägerin ebenfalls zur Frühschicht eingeteilt gewesen wäre, suchte sie ihren Hausarzt auf, der ihr eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 08.09.2022 bis zum 23.09.2022 ausstellte. Die Klägerin war in der Zeit vom 08.09.2022 bis zum 02.11.2022 tatsächlich aufgrund der Diagnose einer gesicherten Anpassungsstörung durchgehend arbeitsunfähig erkrankt (Folgebescheinigung vom 23.09.2022 und Erstbescheinigung eines anderen Arztes vom 07.10.2022 und Folgebescheinigung vom 20.10.2022).

Die Beklagte zahlte an die Klägerin für die Zeit vom 08.09.2022 bis zum 02.11.2022 keine Vergütung. Gegen die Ordnungsverfügung vom 06.09.2022 legte die Klägerin kein Rechtsmittel ein. Ab dem 28.11.2022 erbrachte die Klägerin ihre Arbeitsleistung wieder. Mit Schreiben vom 18.01.2023 forderte die Klägerin die Beklagte zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in der Zeit vom 08.09.2022 bis zum 02.11.2022 auf. Die Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 25.01.2023 ab. Sie stellte die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nicht in Abrede. Sie ging davon aus, dass der Klägerin laut telefonischer Auskunft der Stadt Essen die Ordnungsverfügung unter dem 08.09.2022 zugestellt worden sei, also zeitlich vor der tatsächlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, sodass die Ordnungsverfügung vorrangig zu behandeln sei mit der Folge, dass Entgeltfortzahlungsansprüche nicht bestünden.

Mit der Abrechnung der Bezüge für den Monat Juli 2023 leistete die Beklagte ohne Anerkennung einer Rechtspflicht an die Klägerin Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den 08.09.2022 und für den 09.09.2022.

Die Klägerin hat gemeint, ihre stehe für den Zeitraum 08.09 bis 02.11.2022 ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Höhe von 4.883,64 Euro brutto zu. Sie hat gemeint, die Erkrankung sei aufgrund des Zeitablaufs chronologisch "vorrangig". Sie habe es nicht zu vertreten, dass ihr Hausarzt erst am 09.09.2022 einen Termin für sie hatte. Die Ordnungsverfügung vom 06.09.2022 ginge faktisch ins Leere. Mit der leidigen Diskussion, ob das IfSG seinerzeit nun verfassungswidrig war oder nicht, müsse man sich in diesem Fall nicht beschäftigen. Ihre Forderung hat die Klägerin ausgehend von einem monatlichen Bruttoverdienst von ca. 3.255,78 Euro berechnet.

Die Klägerin hat mit der am 07.02.2023 beim Arbeitsgericht Essen eingegangenen und der Beklagten am 10.03.2023 zugestellten Klage beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.883,64 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht gewesen, der Klägerin keine Entgeltfortzahlung zu schulden. Es fehle an der Monokausalität der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin.

Das Arbeitsgericht hat auf Antrag beider Parteien im Wege der Alleinentscheidung durch die Vorsitzende entschieden und die Klage mit Urteil vom 21.03.2023 abgewiesen. Gegen das ihr am 27.03.2023 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 27.04.2023 Berufung eingelegt und diese am 26.05.2023 begründet.

Die Klägerin ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe ihre Klage zu Unrecht abgewiesen. Der vom Arbeitsgericht herangezogene Grundsatz der Monokausalität trage die Klageabweisung nicht. Dieser von der Rechtsprechung angewandte Grundsatz komme nicht uneingeschränkt zur Anwendung. Völlig losgelöst davon, dass Corona-Impfungen lediglich dem eigenen Schutz und nicht etwa dem Schutz Dritter vor Ansteckung dienten und bis dato nicht ein einziger Beleg dafür vorliege, dass sämtliche, seinerzeit auf dem Markt gehandelten Corona-Impfstoffe Dritte vor Ansteckung hätten schützen können, liege hier ein Sonderfall vor. Es bleibe dabei, dass ihre Arbeitsunfähigkeit faktisch die einzige Ursache des Arbeitsausfalls gewesen sei. Wegen ihrer Erkrankung ab dem 08.09.2022 sei für sie jede Möglichkeit der abverlangten Impfung bereits ausgeschlossen gewesen. Sie behauptet dazu, dass sie aufgrund ihrer Erkrankung nicht habe geimpft werden können. Die Impfung setze einen stabilen physischen und psychischen Zustand des "Impflings" voraus. Daran habe es ab dem 08.09.2022 gefehlt. Wäre sie gesund gewesen, hätte sie sich ohne weiteres impfen lassen können.

Die Klägerin behauptet, in der Zeit vom 08.09.2022 bis zum 20.10.2022 weder Krankengeld noch sonstige Lohnersatzleistungen erhalten zu haben.

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 26.05.2023 angekündigt zu beantragen,

unter Abänderung des am 21.03.2023 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Essen - 1 Ca 286/23 - die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.883,64 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Nach Erörterung im Termin am 09.08.2023 sind nur noch Entgeltfortzahlungskosten für die Zeit vom 10.09.2022 bis 30.09.2022 berechnet mit 21/30 von 3.275,02 Euro brutto, d.h. mit 2.292,51 Euro brutto und für die Zeit vom 01.10.2022 bis 19.10.2022 mit 19/30 von 3.275,02 Euro brutto, d.h. mit 2.074,18 Euro brutto, streitig gewesen. Der Betrag von 3.275,02 Euro brutto setzt sich zusammen aus dem Tabellenentgelt von 3.179,02 Euro brutto und der Pflegezulage von 96,00 Euro brutto. Insgesamt ergibt sich noch ein streitiger Betrag in Höhe von 4.366,69 Euro brutto insgesamt für die Zeit vom 10.09.2022 bis zum 19.10.2022.

Die Klägerin beantragt daraufhin,

unter Abänderung des am 21.03.2023 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Essen - 1 Ca 286/23 - die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Zeitraum vom 10.09.2022 bis zum 19.10.2022 Entgeltfortzahlung in Höhe von 4.366,69 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Im Übrigen erklärt sie den Rechtsstreit für erledigt.

Die Beklagte schließt sich der teilweisen Erledigungserklärung an und beantragt im Übrigen,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass ein Beschäftigungsverbot gegenüber der Klägerin gelte, an welches sie sich strikt zu halten gehabt habe und welches die Vergütungspflicht entfallen lasse. Die Voraussetzungen der Monokausalität der Erkrankung sei vorliegend nicht gegeben, so dass ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen der Arbeitsunfähigkeit ausscheide. Etwaige von der Rechtsprechung bislang entschiedene Ausnahmen zur Monokausalität in Bezug auf die Corona-Pandemie beträfen andere Fallkonstellationen. Es gehe um Fälle, in denen der Arbeitnehmer an SARS-COV 2 erkrankt sei und zugleich eine Quarantäne angeordnet sei. Hier könnte zwischen Krankheit und Quarantäne ein ursächlicher Zusammenhang gesehen werden. Dies sei hier anders. Zum einen war die Klägerin nicht an Corona erkrankt. Zum anderen sei eine Quarantäne nicht mit einem Beschäftigungs- und Betretungsverbot i.S.d. § 20a IfSG gleichzustellen. Letzteres sei durch die Betroffene steuerbar, denn sie hätte es durch Impfung vermeiden können. Unabhängig davon stellt die Beklagte zwar nicht die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ab dem 08.09.2022 in Abrede. Sie bestreitet aber, dass bei der Klägerin ab dem 08.09.2022 eine Erkrankung vorgelegen habe, aufgrund derer sie sich nicht hätte impfen lassen können. Außerdem sei es ihr zum Vorwurf zu machen, dass sie sich bis zu dem Beginn ihrer Erkrankung ab dem 08.09.2022 nicht habe impfen lassen und dies auch nicht nach dem Schreiben der Stadt Essen vom 30.05.2022. Die Beklagte hat bestritten, dass die Klägerin in der Zeit vom 08.09.2023 bis zum 02.11.2022 keinerlei Ersatzleistungen, in Form von Krankengeld oder Arbeitslosengeld, erhalten habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften in beiden Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A. Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet, weil die zulässige Klage, soweit sie nach der übereinstimmenden Erledigungserklärung der Parteien noch Streitgegenstand ist, unbegründet ist. Die Klägerin kann von der Beklagten für die Zeit vom 10.09.2022 bis zum 19.10.2022 keine Entgeltfortzahlung in Höhe von insgesamt 4.366,69 Euro brutto gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG, § 4 Abs. 1 EFZG i.V.m. § 21 Abs. 1 BAT-KF i.V.m. § 20 Abs. 6 BAT-KF verlangen. Diesem Anspruch steht der Grundsatz der Monokausalität entgegen.

I.Die Beklagte stellt nicht in Abrede, dass die Klägerin ab dem 08.09.2022 arbeitsunfähig erkrankt war, so dass ihr im Grundsatz ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung für sechs Wochen zustehen würde. Dieser Anspruch scheitert jedenfalls für den hier allein noch streitigen Zeitraum ab dem 10.09.2022 bis zum 19.10.2022 am Grundsatz der Monokausalität. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG besteht ebenso wie gemäß § 21 Abs. 1 BAT-KF ein Entgeltfortzahlungsanspruch, wenn der Arbeitnehmer infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, d.h. die Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung ist. Der Anspruch auf Arbeitsentgelt darf nicht bereits aufgrund anderer Ursachen entfallen. Der Entgeltfortzahlungsanspruch setzt demnach voraus, dass der erkrankte Arbeitnehmer ohne die Arbeitsunfähigkeit einen Vergütungsanspruch gehabt hätte. Dadurch werden arbeitsunfähige und arbeitsfähige Arbeitnehmer gleichgestellt (BAG 28.01.2004 - 5 AZR 58/03, juris Rn. 90; BAG 23.02.2021 - 5 AZR 304/20, juris Rn. 20; BAG 19.05.2021 - 5 AZR 420/20, juris Rn. 26)

II. Der Klägerin stand aufgrund der Ordnungsverfügung des Gesundheitsamtes der Stadt Essen vom 06.09.2022 jedenfalls ab dem 10.09.2022 unabhängig von ihrer Arbeitsunfähigkeit kein Anspruch auf Arbeitsvergütung zu.

1. Mit der Ordnungsverfügung vom 06.09.2022 hat das Gesundheitsamt der Stadt Essen gegenüber der Klägerin gemäß § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG ein Verbot erlassen, mit welchem dieser ab sofort die Tätigkeit in der Einrichtung/dem Unternehmen der Beklagten sowie das Betreten der Einrichtung/des Unternehmens der Beklagten zum Zwecke der Verrichtung der Tätigkeit untersagt wurde. Aufgrund dieses behördlichen Tätigkeits- und Betretungsverbots war es der Klägerin für die Zeitdauer des Verbots objektiv unmöglich ihre Arbeitsleistung als Krankenschwester bei der Beklagten zu erbringen. Nach § 275 Abs. 1 BGB führt die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung zum Ausschluss des Leistungsanspruchs. Der Anspruch auf die Gegenleistung entfällt zugleich nach § 326 Abs. 1 BGB, bleibt aber gemäß § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB erhalten, wenn der Gläubiger für den Umstand allein oder weit überwiegend verantwortlich ist, aufgrund dessen der Schuldner nicht zu leisten braucht. Der Anwendungsbereich von § 326 Abs. 2 BGB umfasst sämtliche gegenseitigen Verträge und findet damit auch auf Arbeitsverträge Anwendung. Der Arbeitnehmer behält den Lohnanspruch, wenn der Arbeitgeber die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung zu verantworten hat (BAG 19.08.2015 - 5 AZR 975/13, juris Rn. 25 f.). Von der Anwendung des § 326 Abs. 1, 2 BGB bei der Anordnung eines Tätigkeits- und Betretungsverbots i.S.v. § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG und einem grundsätzlichen Entfall der Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers geht auch der Gesetzgeber aus (BT-Drs. 20/188 S. 42; s.a. BVerfG 27.04.2022 - 1 BvR 2649/21, juris Rn. 259). Für die Kammer besteht kein Grund, die Rechtslage insoweit anders zu bewerten. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte das gegenüber der Klägerin ausgesprochene Tätigkeits- und Betretungsverbot zu verantworten hätte, sind nicht ersichtlich.

2. Das der Klägerin gegenüber seitens des Gesundheitsamtes der Stadt Essen mit der Ordnungsverfügung vom 06.09.2022 ausgesprochene Tätigkeits- und Betretungsverbot hatte die erkennende Kammer zu Grunde zu legen, weil es auf einem bestandskräftigen und von der Klägerin nicht angegriffenen Verwaltungsakt beruht. An einen bestandskräftigen Verwaltungsakt sind die Arbeitsgerichte gebunden. Seine Wirksamkeit hätte - ausgenommen den Fall der Nichtigkeit (§ 43 Abs. 3 VwVfG NRW i.V.m. § 44 VwVfG NRW) - nur in Verfahren vor den Verwaltungsgerichten nachgeprüft werden können (BAG 20.01.2005 - 2 AZR 500/03, juris Rn. 12). Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit der Ordnungsverfügung vom 06.09.2022 Bestehen nicht. Insbesondere ist die der Ordnungsverfügung letztlich zu Grunde liegende Tätigkeitsvoraussetzung in § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a IfSG in den hier maßgeblichen Fassungen bis zum 16.09.2022 und vom 17.09.2022 bis zum 31.12.2022 nicht offenkundig verfassungswidrig, so dass ein ausgesprochenes Tätigkeits- und Betretungsverbot letztlich offenkundig ohne wirksame Grundlage ergangen wäre. Vielmehr ist die vom Gesetzgeber in § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a IfSG normierte Tätigkeitsvoraussetzung für die Einrichtung eines Krankenhauses und die Tätigkeit einer Krankenschwester verfassungsgemäß. Die erkennende Kammer hat dies in anderem Zusammenhang (Urteil vom 19.04.2023 - 12 Sa 621/22, juris Rn. 96 ff.) wie folgt begründet:

Daran hält die erkennende Kammer auch in diesem Fall fest, macht sich diese Begründung zu eigen und überträgt die Ausführungen auf den hier maßgeblichen Zeitraum. Es ergeben sich auch sonst keine Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit der Ordnungsverfügung vom 06.09.2022.

3. Die Ordnungsverfügung vom 06.09.2022 und damit das mit dieser Verfügung ab sofort ausgesprochene Tätigkeits- und Betretungsverbot entfaltete gegenüber der Klägerin jedenfalls ab dem 10.09.2022 Wirkung. Gemäß § 43 Abs. 1 VwVfG NRW wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem er ihm bekanntgegeben wird. Da die Zustellung hier durch Postzustellungsurkunde gemäß § 3 VwZG NRW erfolgte, finden die Zugangsfiktionen aus § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG für die Zustellung mittels Einschreiben sowie die allgemeine Fiktion aus § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW keine Anwendung. Die Zustellung mittels Zustellungsurkunde ist in dem Zeitpunkt wirksam, in dem die Zustellung faktisch durch Aushändigung des zuzustellenden Dokuments erfolgt ist (L. Ronellenfitsch in BeckOK VwVfG, 59. Ed. Stand 01.10.2019, § 3 VwZG Rn. 7; Schlatmann in Engelhard/App/Schlatmann, VwVG und VwZG, 12. Aufl. 2021, § 3 VwZG Rn. 51). Dies ist hier der 08.09.2022 um 13.40 Uhr.

III. Die von der Klägerin gegen die Anwendung des Grundsatzes der Monokausalität in diesem Fall vorgebrachten Argumente führen zu keinem anderen Ergebnis.

1. Der Umstand, dass die Klägerin bereits den ganzen Tag des 08.09.2022 arbeitsunfähig erkrankt war und die Zustellung der Ordnungsverfügung vom 06.09.2022 am 08.09.2022 um 13.40 Uhr nach Beginn der Frühschicht erfolgte, ändert an dem Ergebnis nichts. Es bleibt dabei, dass die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nicht die alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung ab dem 10.09.2022 war. Der Anspruch auf das Arbeitsentgelt ist für diesen Zeitraum bereits aufgrund einer anderer Ursache, nämlich dem gegenüber der Klägerin ausgesprochenen Tätigkeits- und Betretungsverbot entfallen. Für den den Anspruch auf Entgeltfortzahlung ausschließenden Grundsatz der Monokausalität ist es unerheblich, dass die Arbeitsunfähigkeit zeitlich vor Wirksamwerden der genannten Verbote gegenüber der Klägerin begonnen hatte. Entscheidend ist nur das zeitliche Zusammentreffen beider Ursachen (vgl. z.B. BAG 23.02.2021 - 5 AZR 304/20, juris Rn. 21 und auch Rn. 5: Erkrankung aufgrund eines Arbeitsunfalls ab dem 07.02.2018 und anschließende Arbeitsunfähigkeit bis zum 18.09.2018 im Verhältnis zu einem witterungsbedingten Arbeitsausfall vom 19.02.2018 bis 02.03.2018).

2. Es kann unterstellt werden, dass die Klägerin aufgrund ihrer Erkrankung ab dem 08.09.2022 aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden konnte. Einer Sachaufklärung, ob dies bei der Diagnose "gesicherte Anpassungsstörung" im konkreten Fall so war, bedurfte es nicht. Selbst wenn die Klägerin aufgrund dieser Erkrankung ab dem 08.09.2022 nicht geimpft werden konnte, änderte dies an dem Ergebnis nichts.

a) Es liegt kein Fall vor, in dem ein Beschäftigungsverbot den Entgeltfortzahlungsanspruch nicht ausschließt. Dies ist dann der Fall, wenn das gesetzliche Beschäftigungsverbot seinerseits nur die Folge der Erkrankung ist, die ihrerseits auch Ursache der Arbeitsunfähigkeit ist. Dies hat das Bundesarbeitsgericht z.B. für die offene Tuberkolose anerkannt. Diese Erkrankung war der Grund für das Beschäftigungsverbot und die Arbeitsunfähigkeit. Das Beschäftigungsverbot ist dann kein weiterer Umstand, der - für sich allein gesehen - Grund für eine Arbeitsverhinderung sein könnte. Nur wenn ein Beschäftigungsverbot unabhängig von einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit besteht oder angeordnet wird, kommt diesem Beschäftigungsverbot selbständige Bedeutung zu (BAG 26.04.1978 - 5 AZR 7/77, juris Rn. 11).

b) So liegt der Fall hier nicht. Das Tätigkeits- und Betretungsverbot aus der Ordnungsverfügung vom 09.09.2022 hat entgegen der Ansicht der Klägerin und selbst wenn man unterstellt, dass sie sich krankheitsbedingt ab dem 08.09.2022 nicht impfen lassen konnte, nicht ihrerseits seine Ursache in der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin. Tätigkeits- und Betretungsverbot sind nicht ausgesprochen worden, weil die Klägerin an einer Erkrankung litt, die zugleich die Arbeitsunfähigkeit bedingte. Das Tätigkeits- und Betretungsverbot ist ausgesprochen worden, weil die Klägerin als Krankenschwester in einer Einrichtung gemäß § 20a Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG tätig war und sie die Nachweise gemäß § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG weder der Beklagten noch dem Gesundheitsamt vorgelegt hatte. Es handelte sich dabei um den Nachweis über eine abgeschlossene Impfung (Nr. 1), einen Genesenennachweis (Nr. 2), einen Nachweis, dass sie sich im ersten Schwangerschaftsdrittel befindet (Nr. 3) oder ein ärztliches Attest darüber, dass sie auf Grund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden kann (Nr. 4). Der Umstand einer gesundheitsbedingt nicht möglichen Impfung ist mithin ein Ausnahmetatbestand für die ab dem 15.03.2022 bis zum 31.12.2022 geltende Tätigkeitsvoraussetzung aus § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a IfSG. Sie kann deshalb schon von der Gesetzessystematik her kein Grund für die Anordnung des Beschäftigungsverbots sein. Das Gegenteil ist der Fall. Und selbst wenn die Klägerin sich tatsächlich aufgrund des ausgesprochenen Beschäftigungs- und Tätigkeitsverbots hätte impfen lassen wollen und dies zunächst ab dem 08.09.2022 aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit nicht möglich gewesen wäre, änderte dies nichts. Dies liegt im konkreten Fall in ihrer eigenen Risikosphäre und führt nicht dazu, dass die Erkrankung zugleich die Arbeitsunfähigkeit und das Tätigkeits- und Betretungsverbot begründet. Die Anforderungen an die dem 15.03.2022 geltende Tätigkeitsvoraussetzung gemäß § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a IfSG waren spätestens seit dem In-Kraft-Treten des Gesetzes am 12.12.2021 bekannt. Der Gesetzgeber hat den betroffenen Berufsgruppen eine Übergangsfrist von rund drei Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes bis zum 15.03.2022 gewährt, um sich auch bei fehlender Bereitschaft zur Impfung auf die beruflichen Folgen einzustellen (BVerfG 27.04.2022 - 1 BvR 2649/21, juris Rn. 262). Diese Möglichkeit hat die Klägerin nicht genutzt. Sie war jedenfalls seit dem 15.03.2022 nicht aufgrund von Arbeitsunfähigkeit gehindert, sich impfen zu lassen. Sie hat von der Möglichkeit der Impfung auch nach der Aufforderung seitens des Gesundheitsamtes vom 30.05.2022, einen Nachweis gemäß § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG vorzulegen, keinen Gebrauch gemacht. Sie hat weder einen Impfnachweise noch einen Nachweis darüber, dass sie aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden kann, vorgelegt. Wenn sie dann ab dem 08.09.2022 arbeitsunfähig erkrankte und ab diesem Zeitpunkt in einer geänderten Willenseinstellung nunmehr eine Impfung wollte, aber zunächst krankheitsbedingt nicht erhalten konnte, führt dies nicht zu einer Ausnahme vom Grundsatz der Monokausalität. Nicht die Erkrankung ab dem 08.09.2022 war die Ursache für das Tätigkeits- und Betretungsverbot, sondern der Umstand, dass die Klägerin entgegen der - wie ausgeführt - verfassungsrechtlich wirksamen Regelung in § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a IfSG nicht für die Erfüllung der Tätigkeitsvoraussetzungen in ihrer Person gesorgt hat. Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Termin ausgeführt hat, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht von Beginn an Kritik ausgesetzt war und auch durch Äußerungen von Seiten der Politik unklar gewesen sei, wie lange diese überhaupt gilt bzw. jedenfalls im Herbst 2022 schon davon auszugehen gewesen sei, dass diese nicht verlängert wird, ändert dies nichts. Maßgeblich sind die gesetzlichen und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden Vorschriften.

B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 91a Abs. 1 ZPO.

C. Das Gericht hat die Revision gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

Dr. GotthardtWinterhoffInden

Vorschriften§ 20a Absatz 2 Satz 1 IfSG, § 20a Absatz 5 Satz 3 IfSG, § 20a IfSG, § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG, § 4 Abs. 1 EFZG, § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG, § 275 Abs. 1 BGB, § 326 Abs. 1 BGB, § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB, § 326 Abs. 2 BGB, § 326 Abs. 1, 2 BGB, § 43 Abs. 3 VwVfG NRW, § 44 VwVfG NRW, § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a IfSG, § 20a Abs. 1 IfSG, § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 IfSG, § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG, § 43 Abs. 1 VwVfG NRW, § 3 VwZG, § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG, § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW, § 20a Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG, § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, § 91a Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG