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Urteil vom 12.01.2023 · IWW-Abrufnummer 237061

Landesarbeitsgericht München - Aktenzeichen 3 Sa 358/22

1. Vereinbaren die Parteien in einem Aufhebungsvertrag eine Abgeltungsklausel, so ist ohne Bezug zu einem Urlaubsverlangen der Arbeitnehmerin oder zu dem noch bestehenden Urlaub keine konkludente Kürzungserklärung des Arbeitgebers i.S.d. § 17 Abs. 1 BEEG verbunden.

2. Auch nach Aufgabe der Surrogatstheorie kann der Urlaubsabgeltungsanspruch nicht durch eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien während des bestehenden Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen oder beschränkt werden. Aus den Regelungen des § 17 BEEG kann eine gegenteilige Auffassung nicht begründet werden.


In dem Rechtsstreit
A.
A-Straße, A-Stadt
- Klägerin, Berufungsklägerin und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt B.
B-Straße, B-Stadt
gegen
Firma C.
C-Straße, C-Stadt
- Beklagte, Berufungsbeklagte und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte D.
D-Straße, D-Stadt
hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 12. Januar 2023 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Dr. Eulers und die ehrenamtlichen Richter Stürzer und Schnabl
für Recht erkannt:

Tenor: 1. Die Berufungen der Parteien gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rosenheim vom 25.05.2022 - 1 Ca 1284/21 - werden zurückgewiesen. 2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu 35/100 und die Beklagte zu 65/100 zu tragen. 3. Die Revision wird für die Beklagte, nicht aber für die Klägerin zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltungsansprüche der Klägerin.

Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 01.11.2016 beschäftigt, und zwar zuletzt als Head of Product Management zu einer monatlichen Bruttovergütung in Höhe von 4.166,00 €. Der Arbeitsvertrag vom 29.08.2016 enthielt folgende Urlaubsregelungen:

"§ 11 Urlaub

(1) Dem Arbeitnehmer steht der gesetzliche Mindesturlaub von 20 Tagen bei einer Beschäftigung an 5 Tagen pro Woche zu. Darüber hinaus gewährt der Arbeitgeber einen zusätzlichen vertraglichen Urlaub von 10 Tagen pro Kalenderjahr. Erhöht sich der allgemeine gesetzliche Mindesturlaub, so verringert sich der zusätzliche vertragliche Urlaubsanspruch in gleichem Umfang; Sonderurlaub besonders geschützter Personengruppen wird nicht angerechnet. Der gesetzliche Urlaubanspruch wird, wenn nicht schriftlich etwas Abweichendes vereinbart wird, jeweils zuerst in Anspruch genommen und gewährt.

(2) Der Urlaub ist im laufenden Kalenderjahr zu gewähren und zu nehmen. Er wird nur dann auf das nächste Kalenderjahr übertragen, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der zusätzliche vertragliche Urlaub in den ersten 3 Monaten des nächsten Kalenderjahrs gewährt und genommen werden. Ansonsten verfällt er jeweils mit Ablauf des 31.3. dieses nächsten Kalenderjahrs; dies gilt auch für Fälle, in denen der Arbeitnehmer den zusätzlichen vertraglichen Urlaub aufgrund von Krankheit nicht in Anspruch nehmen kann. Wird der zusätzliche vertragliche Urlaub nicht nach Maßgabe der vorstehenden Sätze auf das Folgejahr übertragen, dann verfällt er mit Ablauf des 31.12. des jeweiligen Kalenderjahres. Die Übertragung des gesetzlichen Urlaubs richtet sich nach den jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen.

(1) Kann der gesetzliche Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er nach Maßgabe der jeweils gültigen gesetzlichen Regelung abzugelten. Eine Abgeltung des zusätzlichen vertraglichen Urlaubsanspruchs ist ausgeschlossen.

(2) Im Ein- und Austrittsjahr wird der vertragliche Urlaub jeweils zeitanteilig gewährt. Für den gesetzlichen Urlaubsanspruch gelten insofern die gesetzlichen Bestimmungen. Soweit der gesetzliche Anspruch auch zeitanteilig zu gewähren ist, sind in Ansehung der Rundungsregel in § 5 Abs. 2 BUrlG der gesetzliche und der vertragliche Urlaubsanspruch zu addieren, sodann aus der Summe die zeitanteilige Quote zu ermitteln und erst im letzten Schritt die vorgenannte Rundungsregel anzuwenden.

...

(2) Im Übrigen gelten die gesetzlichen Bestimmungen."

Spätere Ergänzungen des Arbeitsvertrags ließen diese Urlaubsregelungen unberührt.

Im Anschluss an die Geburt ihres Kindes am 00.00.0000 und den Mutterschutzfristen nahm die Klägerin ab Mitte Dezember 2019 eine zweijährige Elternzeit ohne Arbeitsleistung. Mit Schreiben vom 25.05.2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 31.01.2022. Durch gerichtlichen Vergleich vom 07.09.2021 im Verfahren vor dem Arbeitsgericht München - 13 Ca 5926/21 - vereinbarten die Parteien, dass die während der Elternzeit erklärte Kündigung gegenstandslos sei. In der Folge kam es zwischen der Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, und der Beklagten zu verschiedenen Telefonaten und Korrespondenzen über die Aufhebung ihres Arbeitsverhältnisses, für deren Inhalt auf die Anlagen KK1 bis KK9 (= Bl. 267 - 278 d. A.) Bezug genommen wird. Nachdem die Beklagte mit E-Mail vom 13.10.2021 (vgl. Anl.e KK7 = Bl. 275 d. A.) noch die Aufnahme einer Abgeltungsklausel gefordert hatte, schlossen die Parteien unter dem 13.10.2021 einen Aufhebungsvertrag (vgl. Anl. K1 = Bl. 6 f. d. A.; Anl. KK10 = Bl. 279 f. d. A.). Danach endete das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Elternzeit der Klägerin am 15.10.2021. Im Übrigen wurde dort u.a. bestimmt:

"...

4.) Der Arbeitgeber verpflichtet sich zur Erstellung und Übersendung eines wohlwollenden, qualifizierten, bei Leistung und Verhalten jeweils "sehr guten" Arbeitszeugnisses und mit der Tätigkeitsbezeichnung "Head of Project Management", im Übrigen auf der Basis des am 07.10.2021 übersandten Zwischenzeugnisses/Entwurf, mit einer "sehr guten" Schlussformulierung (Bedauern, Dank und gute Wünsche).

5.) Der Arbeitgeber verpflichtet sich zur Zahlung einer Abfindung an die Arbeitnehmerin in Höhe von € 6.000,00 brutto gemäß §§ 9, 10 KSchG als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes, fällig am 31.10.2021.

6.) Hiermit sind alle gegenseitigen Forderungen der Parteien, gleichwohl aus welchem Rechtsgrund, abgegolten.

..."

Die Beklagte leistete die Abfindung noch im Oktober 2021.

Mit Schreiben vom 08.12.2021 machte die Klägerin Urlaubsabgeltung für 92 Tage in Höhe von 17.689,48 € brutto, und zwar für 2 Tage aus 2018 und für je 30 Tage aus den Jahren 2019 bis 2021, geltend (vgl. Anl. K4 = Bl. 12 ff. d. A. und die Aufstellung im Einzelnen im Schriftsatz vom 23.02.2022, S. 3 = Bl. 93 d. A.). Dies wies die Beklagte unter Hinweis auf Ziff. 6 des Aufhebungsvertrags zurück (Anl. K5 = Bl. 17 d. A.).

Mit ihrer Klage vom 16.12.2021 verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter. Mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses stünden ihr Urlaubsabgeltungsansprüche im Umfang von 92 Urlaubstagen zu.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an sie 17.689,48 Euro brutto zu zahlen, zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 16.10.2021.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte habe den Urlaub der Klägerin konkludent i. S. d. § 17 Abs. 1 BEEG gekürzt. Etwaige Urlaubsabgeltungsansprüche seien aufgrund der Abgeltungsklausel in Ziff. 6 des Aufhebungsvertrags erloschen. Die Geltendmachung der Ansprüche sei rechtsmissbräuchlich, § 242 BGB.

Das Arbeitsgericht Rosenheim hat durch Urteil vom 25.05.2022 - 1 Ca 1284/21 - die Beklagte zur Zahlung von 11.536,80 € brutto nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Klägerin habe Anspruch auf Abgeltung ihres gesetzlichen Urlaubsanspruchs im Umfang von insgesamt 60 Urlaubstagen auf der Basis von 20 Urlaubstagen für die Jahre 2019, 2020 und 2021 in unstreitiger Höhe von 11.536,80 € brutto gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG. Die Beklagte habe den Urlaubs- oder den Urlaubsabgeltungsanspruch während der Elternzeit der Klägerin in 2020 und 2021 nicht bzw. nicht wirksam gemäß § 17 Abs. 1 BEEG gekürzt. Ein Vorabverzicht der Klägerin auf die gesetzlichen Urlaubsabgeltungsansprüche sei im laufenden Arbeitsverhältnis nicht möglich. Der Zinsanspruch ergebe sich aus § 247 BGB. Demgegenüber könne die Klägerin für die vertraglichen Urlaubsansprüche keine Abgeltung verlangen. Diese seien aufgrund Ziff. 6 des Aufhebungsvertrags verfallen.

Das Urteil wurde beiden Parteien am 30.06.2022 zugestellt. Die Klägerin hat hiergegen am 04.07.2022 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 30.09.2022 am 27.09.2022 begründet. Die Beklagte hat die Berufung am 28.07.2022 eingelegt und begründet.

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Berufung gegen die Annahme des Erstgerichts, ihr stünde eine Abgeltung ihrer vertraglichen Urlaubsansprüche wegen Ziff. 6 des Aufhebungsvertrags vom 13.10.2021 nicht zu. Die Auslegung der Abgeltungsklausel auf der Grundlage der von den Parteien geführten Email-Korrespondenz zeige vielmehr, dass die Parteien damit keinen Verzicht auf Urlaubsabgeltung vereinbart hätten. Der Aufhebungsvertrag vom 13.10. / 14.10.2021 regele nicht ausdrücklich den Urlaub und die Urlaubsabgeltung, weder in den drei Entwurfsfassungen noch in der abschließenden vierten Version. Auch in der telefonischen und schriftlichen Korrespondenz habe das Thema "Urlaub und Urlaubsabgeltung" keine Rolle gespielt. Es gebe auch keinen Hinweis auf eine konkludente Regelung zu Urlaub und Urlaubsabgeltung. Es sei Sache des Arbeitgebers, auf eine rechtswirksame, nach vertraglichem und gesetzlichem Urlaub, nach Urlaub vor oder in der Elternzeit differenzierte Klärung der Ansprüche auf Urlaub oder Urlaubsabgeltung in einem Aufhebungsvertrag zu dringen. Auch hätten am 13.10. / 14.10.2021 Urlaubsabgeltungsansprüche nicht geregelt werden können, da sie bei Abschluss des Aufhebungsvertrags noch nicht bestanden hätten; sie seien erst nach dem 15.10.2021 entstanden. Im Übrigen sei im Zeitpunkt der Aufhebungsvereinbarung am 13.10.2021 noch offen gewesen, ob und in welchem Umfang Urlaubsabgeltungsansprüche mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehen würden. Die beklagte Arbeitgeberin hätte die Kürzungserklärung nach § 17 Abs. 1 BEEG in dem bis zum 15.10.2021 laufenden Arbeitsverhältnis noch gegenüber der Klägerin oder ihrem Bevollmächtigten abgeben können. Dies hätte sich auf den gesamten gesetzlichen und vertraglichen Urlaub beziehen können, nicht aber auf den noch offenen Urlaub aus der Zeit vor der Elternzeit (2 Tage).

Aus diesen Gründen sei auch die Berufung der Beklagten unbegründet. Es sei insbesondere zu bestreiten, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch rechtlich bereits vor Vertragsende entstehe und damit der Abgeltungsklausel unterfiele. Im laufenden Arbeitsverhältnis könne auch nicht auf Mindesturlaub verzichtet werden. Die Geltendmachung des Urlaubsabgeltungsanspruchs sei auch nicht treuwidrig, § 242 BGB. Mangels Bestehens hätte die Klägerin den Urlaubsabgeltungsanspruch nicht schon zum Zeitpunkt des Aufhebungsvertrags geltend machen können. Etwaige Erwartungen der Beklagten, die die Abgeltungsklausel selbst vorgeschlagen habe, seien rechtlich nicht geschützt. Es habe auch keine Vereinbarung gegeben, die finanziell ein Urlaubsvolumen von 92 Tagen bzw. vier Monate Gehalt adäquat kompensiert hätte. Soweit die Beklagte eine Kürzung des Urlaubs nach § 17 Abs.

1 BEEG behauptet, fehle es an einer entsprechenden konkludenten Erklärung des Geschäftsführers der Beklagten.

Die Klägerin beantragt:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Rosenheim vom 25.05.2022, Az: 1 Ca 1284/21, wird in Ziff. 2 abgeändert.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere € 6.152,68 brutto zu zahlen, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 16.10.2021.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen,

und im Rahmen ihrer Berufung,

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Rosenheim vom 25.05.2022 abzuändern und

2. die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte habe den Urlaub während der Elternzeit in 2019, 2020 und 2021 wirksam und rechtzeitig i.S.d. § 17 Abs. 1 BEEG gekürzt. Ausreichend für die Kürzungserklärung als einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung sei bereits, dass dem Klägervertreter gemäß § 164 Abs. 1 und 3 BGB zugegangene Angebot des Geschäftsführers der Beklagten, in dem Aufhebungsvertrag vom 13.10.2021 eine Abgeltungsklausel aufzunehmen. Hierdurch habe der Geschäftsführer der Beklagten, auch für die Klägerin erkennbar, zum Ausdruck gebracht, dass er der Klägerin keine weiteren Ansprüche gewähren wolle, worin die konkludente Erklärung enthalten sei, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub, der während der Elternzeit erworben werde, soweit wie möglich gekürzt werde. Am 13.10.2021 sei das Arbeitsverhältnis der Parteien noch nicht beendet gewesen. Darüber hinaus habe die Klägerin durch Ziff. 6 des Aufhebungsvertrags auf ihre Urlaubsabgeltungsansprüche - nicht Urlaubsansprüche - wirksam verzichtet. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der Urlaubsanspruch zu einem Urlaubsabgeltungsanspruch werde, wenn die Gewährung von Urlaub wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unmöglich werde. Im vorliegenden Fall hätte bereits am 13.10.2021 festgestanden, dass der vollständige Urlaub von 92 Tagen nach den Berechnungen der Klägerin nicht bis zum eigentlichen Vertragsende am 15.10.2021 in Natura hätte gewährt werden können. Dies sei tatsächlich unmöglich i.S.d. § 275 Abs. 1 BGB gewesen. Auch nach Wortlaut und Sinn und Zweck des § 17 Abs. 3 BEEG seien am 13.10.2021 die Urlaubsansprüche in Urlaubsabgeltungsansprüche aufgrund der Unmöglichkeit der Freistellung als Gewährung des Urlaubs in Natura umgewandelt worden. Wenn zudem § 17 Abs. 1 BEEG eine einseitige Kürzungsmöglichkeit des Urlaubsanspruchs während der Elternzeit durch den Arbeitgeber zulasse, müsse erst recht dieser Urlaubsanspruch bzw. Urlaubsabgeltungsanspruch in beiderseitigem Einvernehmen durch eine Abgeltungsklausel in einem Aufhebungsvertrag beseitigt werden können. Der Verzicht auf Urlaubsabgeltung sei auch zulässig, weil der Urlaubsabgeltungsanspruch nach neuerer Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein reiner Geldanspruch und kein Surrogat des Urlaubsanspruchs sei. Jedenfalls sei die Geltendmachung des Anspruchs auf Abgeltung des gesetzlichen Urlaubs rechtsmissbräuchlich i.S.d. § 242 BGB. Es wäre redlich gewesen, die im Ausmaß bekannten Urlaubsabgeltungsanspruch im Rahmen der Verhandlung über den Aufhebungsvertrag offen anzusprechen. Stattdessen habe die anwaltlich vertretene Klägerin einen Aufhebungsvertrag mit Abgeltungsklausel abgeschlossen. Die Beklagte habe aufgrund des eindeutigen Wortlauts und der Zustimmung durch die Klägerin darauf vertrauen dürfen, dass keine weiteren Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend gemacht würden. Durch die Erklärung zum Abschluss des Aufhebungsvertrags habe die Beklagte davon ausgehen dürfen, dass die Klägerin auf ihren Anspruch auf Urlaubsabgeltung verzichte in Folge der Auszahlung einer Abfindung und der Ausstellung eines "sehr guten" qualifizierten Arbeitszeugnisses.

Die Berufung der Klägerin sei unbegründet. Sämtliche Urlaubsabgeltungsansprüche seien durch einseitige Willenserklärung des Geschäftsführers der Beklagten vollständig gekürzt bzw. durch die Abgeltungsklausel in zulässigerweise erfasst und damit erloschen.

Wegen des Weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 27.09.2022 (Bl. 251-258 u. 259-281 d. A.) und 09.01.2023 (Bl. 296 - 300 d. A.), die Schriftsätze der Beklagten vom 28.07.2022 (Bl. 205 - 244 d. A.) und 20.10.2022 (Bl. 288 - 294 d. A.) sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.01.2023 (Bl. 301 - 304 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufungen der Parteien sind zulässig, jedoch unbegründet.

I.

Die nach § 64 Abs. 1, Abs. 2 lit. b) ArbGG statthaften Berufung beider Parteien sind form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, und damit zulässig.

II.

Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Sie hat keinen Anspruch auf Abgeltung des in § 11 Abs. 1 des Arbeitsvertrags vereinbarten zusätzlichen vertraglichen Urlaubsanspruch, § 11 Abs. 2 (1) des Arbeitsvertrags.

1. Nach § 11 Abs. 2 (1) S. 1 des Arbeitsvertrags ist der gesetzliche Urlaub nach Maßgabe der jeweils gültigen gesetzlichen Regelung abzugelten, wenn er wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Nach S. 2 dieser vertraglichen Regelung ist die Abgeltung des zusätzlichen vertraglichen Urlaubsanspruchs ausgeschlossen.

2. Eine solche Vereinbarung für den über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehenden einzelvertraglichen Urlaubsanspruch ist grundsätzlich zulässig (vgl. BAG, Urteil vom 22.10.2009 - 8 AZR 865/08 - Rn. 24; Neumann in Neumann/Fenski/Kühn, BUrlG, 12. Aufl. 2021, § 7 BUrlG, Rn. 111; Hohmeister in Hohmeister/Oppermann BUrlG, 3. Aufl. 2013, § 13 Rn. 130). Während der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub arbeitsvertraglichen Dispositionen entzogen ist, die sich zu Ungunsten des Arbeitnehmers auswirken (§ 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG), können die Arbeitsvertragsparteien Urlaubsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG gewährleisteten und aufgrund der §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Für einen Regelungswillen der Arbeitsvertragsparteien, dem zufolge der vertragliche Mehrurlaub abweichend von den für den gesetzlichen Mindesturlaub geltenden gesetzlichen Vorgaben geregelt werden soll, müssen allerdings deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf den vertraglichen Mehrurlaub auszugehen (vgl. BAG, Urteil vom 30.11.2021 - 9 AZR 225/21 - Rn. 38 m.w.Nachw.).

3. Ausgehend von diesen Grundsätzen, denen sich die erkennende Kammer anschließt, ist der Anspruch der Klägerin auf Abgeltung ihres zusätzlichen, einzelvertraglichen Urlaubsanspruchs aus § 11 Abs. 1 des Arbeitsvertrags im Umfang von jährlich zehn Urlaubstagen nach § 11 Abs. 2 (1) des Arbeitsvertrags ausgeschlossen. Die Parteien haben in § 11 des Arbeitsvertrags den vertraglichen Mehrurlaub grundsätzlich abweichend von den gesetzlichen Regelungen vereinbart, so dass gegen die Zulässigkeit des vertraglichen Ausschlusses des Abgeltungsanspruchs keine Bedenken bestehen. Solche hat die Klägerin nach Hinweis der Kammer in der mündlichen Verhandlung auch nicht geltend gemacht.

III.

Die Berufung der Beklagten ist ebenfalls unbegründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Abgeltung von 60 Urlaubstagen Mindesturlaub aus 2019, 2020 und 2021 in unstreitiger Höhe von 11.536,80 € brutto gemäß § 17 Abs. 3 BEEG, § 7 Abs. 4 BurlG. Dieser Anspruch ist weder durch die Abgeltungsklausel in Ziff. 6 des Aufhebungsvertrags erloschen noch nach § 242 BGB wegen Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen.

1. Wird das Arbeitsverhältnis im Anschluss an die Elternzeit nicht fortgesetzt, sondern zum Ende der letzten Elternzeit beendet, oder endet das Arbeitsverhältnis während der Elternzeit, hat der Arbeitgeber den noch nicht gewährten Urlaub abzugelten, § 17 Abs. 3 BEEG. Kann Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er nach § 7 Abs. 4 BurlG abzugelten. Die Voraussetzungen der § 17 Abs. 3 BEEG, 7 Abs. 4 BUrlG sind vorliegend erfüllt.

a) Der der Klägerin gemäß §§ 1, 3 BUrlG unstreitig zustehende gesetzliche Urlaubsanspruch von 60 Urlaubstagen aus den Jahren 2019 bis 2021 ist nicht aufgrund einer Kürzungserklärung der Beklagten gemäß § 17 Abs. 1 BEEG teilweise untergegangen.

aa) Nach § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG kann der Arbeitgeber den Erholungsurlaub, der dem Arbeitnehmer für das Urlaubsjahr zusteht, für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um 1/12 kürzen. Die in der Vorschrift vorgesehene Kürzungsmöglichkeit setzt neben einem bestehenden Arbeitsverhältnis voraus, dass der Arbeitgeber sein Kürzungsrecht ausübt. Dazu ist eine hierauf gerichtete rechtsgeschäftliche Erklärung erforderlich, die dem Arbeitnehmer zugehen muss. Die Kürzungserklärung kann ausdrücklich oder stillschweigend abgegeben werden. Für eine konkludente Erklärung ist es ausreichend, dass dem Arbeitnehmer - abweichend von seinem Urlaubsverlangen - nur der gekürzte Urlaub gewährt wird oder für ihn aufgrund sonstiger Umstände erkennbar ist, dass der Arbeitgeber sein Kürzungsrecht ausüben will. Sowohl für die Abgabe als auch für den Zugang der Kürzungserklärung beim Arbeitnehmer trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast (vgl. BAG, Urteil vom 05.07.2022 - 9 AZR 341/21 - Rn. 37 - 39 m.w.N.).

bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Beklagte nicht in ausreichendem Maße dargelegt, anlässlich oder mittels des Aufhebungsvertrags eine Kürzungserklärung i.S.d. § 17 Abs. 1 BEEG abgegeben zu haben.

Eine ausdrückliche Kürzungserklärung der Beklagten liegt unstreitig nicht vor. Entgegen ihrer Auffassung ist aber auch nicht die Annahme gerechtfertigt, sie habe den Urlaubsanspruch der Klägerin stillschweigend gekürzt. Nach dem unbestrittenen Sachverhalt wurde während der Verhandlungen über den Aufhebungsvertrag weder seitens der Klägerin noch seitens der Beklagten die Urlaubsansprüche der Klägerin thematisiert. Insbesondere hat der Geschäftsführer der Beklagten in seiner Email vom 13.10.2021 (Anl. KK 7), mit der er die Aufnahme der Abgeltungsklausel in den Aufhebungsvertrag vorschlug, den Urlaub nicht für die Klägerin erkennbar stillschweigend gekürzt. Denn in dieser Email fehlt es an einer Bezugnahme auf ein vorheriges Urlaubsverlangen der Klägerin oder auf ihre Urlaubsansprüche überhaupt. Darüber hinaus kommt die Aufforderung, den Aufhebungsvertrag um die Abgeltungsklausel "bitte zu ergänzen", in der Rechtsqualität nicht einer einseitigen, empfangsbedürftigen Willenserklärung gegenüber dem Arbeitnehmer gleich, die als Gestaltungsrecht dessen Urlaub nach näherer Maßgabe des § 17 Abs. 1 BEEG kürzt. Eine solche Bitte stellt ein Angebot i. S. d. § 145 BGB dar, das seitens des Adressaten - hier der Klägerin - nicht angenommen bzw. abgelehnt werden kann. In diesem Fall wäre es nicht zum Abschluss des Aufhebungsvertrags gekommen. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt aber auch mit der Vereinbarung der Abgeltungsklausel in Ziff. 6 des Vergleichs keine konkludente Kürzungserklärung i. S. d. § 17 Abs. 1 BEEG vor. Die Klägerin konnte hieraus nicht erkennen, dass die Beklagte von ihrer Befugnis aus § 17 Abs. 1 BEEG Gebrauch machen wollte. Wie die Beklagte selbst angibt, geht daraus lediglich der Wille hervor, "keinerlei Zahlungen mehr vorzunehmen." (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 20.10.2022, S. 4 = Bl. 291 d. A.). Etwaige Zahlungsansprüche sollten danach erlöschen. Demgegenüber erlischt nach § 17 Abs. 1 BEEG mit dem Zugang der Kürzungserklärung bei der Arbeitnehmerin lediglich der hiervon erfasste Erholungsurlaub im Umfang von 1/12 des Jahresurlaubs je vollem Monat der Elternzeit. Ein Zahlungsanspruch erwächst hieraus erst bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Maßgabe der § 17 Abs. 3 BEEG, § 7 Abs. 4 BUrlG.

2. Der danach grundsätzlich wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 15.10.2021 bestehende Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 17 Abs. 3 BEEG, § 7 Abs. 4 BUrlG ist nicht durch die Abgeltungsklausel in Ziff. 6 des Aufhebungsvertrags zum Erlöschen gebracht worden. Durch die Abgeltungsklausel konnte nicht von dem Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 17 Abs. 3 BEEG, § 7 Abs. 4 BurlG abgewichen werden, § 13 Abs.1 S. 3 BurlG.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Anspruch auf Urlaub oder Urlaubsabgeltung während des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien ausgeschlossen oder beschränkt (vgl. BAG, Urteil vom 19.02.2019 - 9 AZR 278/16 - Rn. 17 m.w.N.). Demgegenüber meinen das LAG Köln (Urteil vom 08.11.2012 - 7 Sa 767/22 - unter II.5.b) cc) d. G.) und ihm folgend das LAG Berlin Brandenburg (Urteil vom 19.02.2016 - 8 Sa 1923/15 - Rn. 23), dass nach Aufgabe der Surrogationstheorie jedenfalls dann, wenn die Urlaubsansprüche, um deren Abgeltung es gehe, im Zeitpunkt des Verzichts bzw. Erlasses bereits entstanden seien und das Arbeitsverhältnis bereits beendet sei oder sein bevorstehendes Ende verbindlich feststehe, es der Vertragsautonomie des Arbeitnehmers überlassen bleiben müsse, über einen solchen Zahlungsanspruch verfügen zu können wie über jeden anderen Zahlungsanspruch aus dem Arbeitsverhältnis. Der Arbeitnehmer könne ohnehin nicht gezwungen werden, seine Urlaubsabgeltungsansprüche geltend zu machen, bevor sie verjährt seien. Auch eröffne die Zulässigkeit eines Verzichts auf Urlaubsabgeltung legitime rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten, die sich tendenziell zugunsten des Arbeitnehmers auswirken könnten.

b) Der Auffassung des LAG Köln und des LAG Berlin Brandenburg ist nicht zu folgen. (ebenso LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09.06.2021 - 2 Sa 116/20 - Rn. 30). Nach dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG "kann, abgesehen von § 7 Abs. 2 S. 2, von den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden." Damit ist bestimmt, dass eine Abweichung von der Urlaubsabgeltungsregelung in § 7 Abs. 4 BurlG nicht zulässig ist. Denn von dieser Norm ist in § 13 Abs. 1 S. 3 BurlG nicht "abgesehen" worden. Aber auch der Sinn und Zweck des § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG sprechen dafür, dass auch nach Aufgabe der Surrogatstheorie ein Verzicht auf den Urlaubsabgeltungsanspruch nur zulässig ist, wenn die Vereinbarung nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zustande kommt. Denn die Vorschrift will nicht nur sicherstellen, dass der Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub hat, sondern sichert auch den Anspruch des Arbeitnehmers auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs, den der Arbeitgeber wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewähren kann. Dieser gesetzliche Schutzzweck würde verfehlt, wenn der Anspruch auf Urlaub oder Urlaubsabgeltung während des Arbeitsverhältnisses durch eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien ausgeschlossen oder beschränkt werden könnte (vgl. BAG, Urteil vom 14.05.2013 - 9 AZR 844/11 - Rn. 13; vom 19.02.2019 - 9 AZR 278/16 - Rn. 17). Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber in Kenntnis der geänderten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts mit Urteil vom 19.06.2012 - 9 AZR 652/10, der zufolge die Surrogatstheorie insgesamt aufgegeben wurde, von einer Änderung des § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG bisher abgesehen hat. Trotzdem der Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs nunmehr als reiner Geldanspruch betrachtet wird, wurde über § 13 Abs.1 S. 3 BurlG die zwingende Geltung des § 7 Abs. 4 BurlG beibehalten. Des Weiteren ist der Beklagten nicht darin zu folgen, dass bereits bei Abschluss des Aufhebungsvertrags am 13.10.2021 wegen der Unmöglichkeit, 92 Urlaubstage bis zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 15.10.2021 zu gewähren, der Urlaubsabgeltungsanspruch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden sei. § 7 Abs. 4 BUrlG knüpft allein an die durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses verursachte Unmöglichkeit an, den noch bestehenden Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers durch bezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht zu realisieren. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung setzt somit nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts voraus, dass die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses eingetreten ist und bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch ein offener Urlaubsanspruch bestand (vgl. BAG, Urteil vom 19.02.2019 - 9 AZR 278/16 - Rn. 11 m. w. Nachw.). Hieran ist auch aus Gründen der Rechtsicherheit festzuhalten. Gerade der vorliegende Fall zeigt, dass im Zeitpunkt der Aufhebungsvereinbarung nicht notwendig feststehen muss, ob und in welchem Umfang ein Urlaubsabgeltungsanspruch besteht. Hätte die Beklagte von der Kürzungsmöglichkeit nach § 17 Abs. 1 BEEG Gebrauch gemacht, wären die Urlaubsansprüche der Klägerin in erheblichen Umfange gemindert. Es hätte kein oder ein geringerer Urlaubsabgeltungsanspruch bestanden.

Schließlich folgt eine andere rechtliche Beurteilung nicht durch die Regelungen in § 17 BEEG. § 17 Abs. 3 BEEG erweitert die Fälle, in denen eine Abgeltung des Urlaubs in Geld stattfindet. Er schränkt insbesondere nicht die Abgeltungsmöglichkeit nach § 7 Abs. 4 BurlG ein. Dies folgt aus einer Zusammenschau des § 17 Abs. 3 BEEG mit § 17 Abs. 2 BEEG. § 17 Absatz 2 BEEG stellt eine Sonderregelung gegenüber § 7 Absatz 3 BUrlG dar. Die Regelung sichert dem Arbeitnehmer, der Elternzeit in Anspruch nimmt, den Urlaubsanspruch über den in § 7 Absatz 3 BUrlG genannten Zeitpunkt hinaus. Ohne die Regelung würde der Urlaubsanspruch nach dem Wortlaut des § 7 Absatz 3 BUrlG zum 31.03. des Folgejahres verfallen, weil der Urlaub aus Gründen, die in der Person des Arbeitnehmers liegen (und die nicht auf einer Arbeitsunfähigkeit beruhen), nicht eingebracht werden konnte. § 17 Absatz 2 BEEG begründet daher einen über § 7 Absatz 3 BUrlG hinausgehenden Übertragungstatbestand. Da § 17 Absatz 2 BEEG auf den Fall abstellt, in dem das Arbeitsverhältnis nach der Elternzeit fortgesetzt wird, hat der Gesetzgeber in § 17 Absatz 3 BEEG auch den Fall geregelt, dass das Arbeitsverhältnis über das Ende der Elternzeit hinaus nicht fortgesetzt wird und der Urlaub daher nicht mehr gemäß § 17 Absatz 2 BEEG gewährt werden kann. Ohne eine spezielle Regelung würde es bei der allgemeinen Bestimmung des § 7 Absatz 4 BUrlG verbleiben, was dazu führen würde, dass Urlaubsansprüche, die bei einer entsprechenden Dauer der Elternzeit nach § 7 Absatz 3 BUrlG verfallen wären, auch nicht mehr abzugelten wären (vgl. LAG Nürnberg, Urteil vom 04.10.2011 - 7 Sa 169/11 - Rn. 27; LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 16.06.2017 - 4 Sa 7/17 - Rn. 29¸NK-ArbR/Stephan Osnabrügge, 1. Aufl. 2016, BEEG § 17 Rn. 23; BeckOK ArbR/Schrader, 66. Ed. 1.12.2022, BEEG § 17 Rn. 14). Ebenso lässt § 17 Abs. 1 BEEG nicht den Schluss zu, die Abgeltung des noch bestehenden gesetzlichen Urlaubs sei im bestehenden Arbeitsverhältnis abdingbar. § 17 Abs. 1 BEEG gibt dem Arbeitgeber das Recht zur Kürzung des Urlaubs um ein Zwölftel für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit. Eine Aussage zur Zulässigkeit der Abdingbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs während des bestehenden Arbeitsverhältnisses ist damit nicht getroffen. Für den Urlaubsabgeltungsanspruch nach Elternzeit gelten die Rechtsgrundsätze des § 7 Abs. 4 BurlG (vgl. Neumann/Fenski/Kühn/Fenski, 12. Aufl. 2021, BEEG § 17 Rn. 9; Rancke in Rancke/Pepping, Mutterschutz | Elterngeld | Elternzeit | Betreuungsgeld, 6. Auflage 2022, § 17 BEEG Rn. 18 unter der Annahme, dass sich der Urlaubsanspruch wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 17 Abs. 3 BEEG in einen Abgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG verwandelt).

3. Die Geltendmachung des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung ist nicht wegen Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen, § 242 BGB.

a) Treu und Glauben bilden eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung. Welche Anforderungen sich im konkreten Fall aus Treu und Glauben ergeben, lässt sich nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls entscheiden. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist allerdings anerkannt, dass eine unzulässige Rechtsausübung u. a. dann vorliegen kann, wenn sich ein Berechtigter auf eine formale Rechtsposition beruft, die er durch ein gesetz-, sitten- oder vertragswidriges Verhalten erlangt hat (vgl. BGH, Urteil vom 27.02.2018 - VI ZR 109/17 - Rn. 20 m.w.Nachw.; BAG, Urt. v. 21.09.2017 - 2 AZR 865/16 - 36).

b) Von einem solchen Fall ist vorliegend nicht auszugehen.

Die Klägerin war aufgrund des in § 241 Abs. 2 BGB formulierten Gebots, auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Beklagten Rücksicht zu nehmen, nicht gehalten, von sich aus deren Geschäftsführer auf noch bestehende Urlaubsansprüche hinzuweisen und Urlaubsabgeltungsansprüche zum Gegenstand der Aufhebungsvertragsverhandlungen zu machen. Grundsätzlich hat jede Partei selbst für die Wahrnehmung ihrer Interessen zu sorgen. Der jeder Partei zuzubilligende Eigennutz findet seine Grenze jedoch in dem schutzwürdigen Lebensbereich des Vertragspartners. Wo diese Grenze liegt, ist anhand der Umstände des Einzelfalls und mittels einer umfassenden Interessenabwägung zu ermitteln. Dabei sind insbesondere das erkennbare Informationsbedürfnis der einen Partei und die Beratungsmöglichkeiten der anderen Partei zu beachten und gegeneinander abzuwägen (vgl. BAG, Urteil vom 22. 1. 2009 - 8 AZR 161/08 - Rn. 28). Aufgrund der vorgebrachten Umstände bestand zugunsten der Beklagten keine Pflicht zu besonderen Hinweisen auf den noch bestehenden Urlaub bzw. entstehender Urlaubsabgeltungsansprüche. Der Beklagten waren die Urlaubsansprüche der Klägerin bekannt. Sie ergaben sich aus dem Arbeitsvertrag, den Personalunterlagen sowie dem Umstand, dass die Klägerin seit 2019 ununterbrochen in Mutterschutz und Elternzeit gewesen war. Darüber hinaus war es der Geschäftsführer der Beklagten, der um die Aufnahme der Abgeltungsklausel in den Aufhebungsvertrag bat. Ihm war mithin bewusst, dass es noch etwaige Zahlungsansprüche der Klägerin geben könnte. Aufgrund dessen wäre es seine Obliegenheit gewesen, solche abschließend und sicher zu klären. Die Beklagte konnte auch nicht davon ausgehen, dass die Klägerin durch die Erklärung zum Abschluss des Aufhebungsvertrags auf ihren Anspruch auf Urlaubsabgeltung verzichten würde in Folge der Auszahlung einer Abfindung und der Ausstellung eines "sehr guten" qualifizierten Arbeitszeugnisses. Dazu bestand kein Anlass. Der Klägerin stand vertraglich eine dreimonatige Kündigungsfrist zu, innerhalb derer sie Anspruch auf Zahlung ihrer monatlichen Vergütung von 4.166,00 € hatte. Mit der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 15.10.2021 und der Vereinbarung der Abfindungszahlung in Höhe von 6.000,00 € ersparte sich die Beklagte bereits diese Gehaltszahlungen bis frühestens 31.01.2022 zzgl. eines Arbeitgeberanteils. Schließlich begründet der Umstand, dass die Klägerin bei den Aufhebungsvertragsvereinbarungen anwaltlich war, keine andere Beurteilung. Auf Seiten der Beklagten wurden die Verhandlungen vom Geschäftsführer geführt, dem es zuzumuten gewesen wäre, sich ggf. Rechtsrat einzuholen.

4. Der Urlaubsabgeltungsanspruch der Klägerin ist der Höhe nach zwischen den Parteien unstreitig. Auch hat die Beklagte den Zinsanspruch nicht angegriffen.

IV.

Die Kosten des Berufungsverfahrens waren verhältnismäßig zu teilen, §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

V.

Die Revision war für die Beklagte gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen. Im Übrigen liegen die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vor.

Dr. EulersStürzerSchnabl

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