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Urteil vom 21.04.2023 · IWW-Abrufnummer 236016

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Aktenzeichen 12 Sa 56/22

1. Weder den Betriebspartnern noch den Arbeitsvertragsparteien steht eine Regelungsbefugnis zu, ein von den allgemeinen Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchseinwands ( § 242 BGB ) abweichendes - weitergehendes - Recht des Arbeitgebers, sich bei schädigendem Verhalten eines Arbeitnehmers von einer zugesagten Altersversorgung zu lösen, zu regeln (offengelassen, ob die Tarifvertragsparteien eine derartige Regelungsbefugnis haben).

2. Die inhaltsgleiche Überführung einer als deklaratorische Verweisung auf die allgemeinen Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchseinwands auszulegenden Klausel aus einer (Gesamt-)Betriebsvereinbarung in ein tarifliches Regelungswerk führt ohne besondere Anhaltspunkte nicht dazu, dass die Klausel nunmehr eine weitergehende, konstitutive Wirkung hat.

3. Stützt sich der Arbeitgeber auf die Verursachung eines Vermögensschadens durch den Arbeitnehmer, ist das Versorgungsverlangen des Arbeitnehmers nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn entweder der Arbeitnehmer die Unverfallbarkeit seiner Versorgungsanwartschaft durch Vertuschung seiner schweren Verfehlungen erschlichen hat oder er seine Pflichten in grober Weise verletzt und dem Arbeitgeber hierdurch einen existenzgefährdenden Schaden zugefügt hat.

4. Ein Erlassvertrag des Arbeitgebers mit einem Dritten zugunsten des Arbeitnehmers ist zwar nicht möglich, weil verfügende Verträge zugunsten Dritter unzulässig sind. Eine derartige Abrede ist indes regelmäßig als schuldrechtliches pactum de non petendo zugunsten des Arbeitnehmers auszulegen. Eine Aufrechnung des Arbeitgebers mit einer derart "erlassenen" Forderung scheitert dann an § 390 BGB .

5. Analog § 538 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 ZPO kann das Berufungsgericht die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverweisen, wenn das erstinstanzliche Gericht eine Stufenklage insgesamt abgewiesen hat, das Berufungsgericht hingegen dem Auskunftsanspruch stattgibt (offengelassen, ob es hierfür eines Antrags bedarf).


In der Rechtssache
...
gegen
...
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - 12. Kammer - durch den Richter am Arbeitsgericht Dr. Bader, den ehrenamtlichen Richter Degel und den ehrenamtlichen Richter Tschentscher auf die mündliche Verhandlung vom 21. April 2023
für Recht erkannt:

Tenor:I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim - Kammern Heidelberg - vom 24. Juni 2022 in der Sache 6 Ca 129/21 in Ziffer 1 hinsichtlich der Abweisung der ersten Stufe (Auskunft) der Stufenklage wie folgt abgeändert:Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft zu geben über die Höhe der betrieblichen Altersrente gemäß der neuen Versorgungsordnung 1995 (NVO 1995) iVm. dem H. Versorgungsplan 2015 (HVB) iVm. dem Tarifvertrag betriebliche Altersvorsorge vom 30. Juni 2020 (TV bAV), beginnend mit dem 1. Februar 2021.II. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim - Kammern Heidelberg - vom 24. Juni 2022 in der Sache 6 Ca 129/21 in Ziffer 1 hinsichtlich der Abweisung der zweiten Stufe (unbezifferter Zahlungsantrag) der Stufenklage sowie in Ziffer 2 (Kostenentscheidung) aufgehoben und der Rechtsstreit insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Arbeitsgericht Mannheim zurückverwiesen.III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wege einer Stufenklage um die Erteilung einer Auskunft sowie die Zahlung einer Betriebsrente.

Der am 0.0.1958 geborene Kläger war von September 1976 bis Ende März 2012 bei der Beklagten in W. beschäftigt. Die Beklagte ist ein Unternehmen aus dem Bereich des ... und weltweit führender Hersteller bestimmter... . Das Arbeitsverhältnis endete infolge einer fristlosen arbeitgeberseitigen Kündigung.

Dem Kläger wurde von der Beklagten auf Basis der im Betrieb in W. geltenden Betriebsvereinbarung "Neue Versorgungsordnung, Betriebsvereinbarung Nr. 10/95", abgeschlossen im Oktober 1995, (im Folgenden: NVO 1995, ABl. 72 ff) eine betriebliche Altersversorgung zugesagt.

Gemäß § 10 NVO 1995 behielt sich die Beklagte u.a. vor,

"die zugesagten Leistungen zu kürzen oder einzustellen, wenn...der Pensionsberechtigte Handlungen begeht, die in grober Weise gegen Treu und Glauben verstoßen oder zu einer fristlosen Entlassung berechtigen würden."

Die NVO 1995 wurde im Jahr 2015 durch eine Gesamtbetriebsvereinbarung, den H. Versorgungsplan 2015 (im Folgenden: HVP 2015, ABl. 87 ff), abgelöst. Für Mitarbeiter, die bis zum 31. März 2015 bereits mit unverfallbaren Anwartschaften ausgeschieden waren, verblieb es gemäß der getroffenen Überleitungsvorschrift bei den Regelungen der NVO 1995.

Der HVP 2015 wurde schließlich in den Tarifvertrag betriebliche Altersversorgung vom 30. Juni 2020 (im Folgenden: TV bAV 2020, ABl. 126 ff) aufgenommen.

Nummer IV. 1. letzter Absatz TV bAV 2020 lautet:

"Alle diese früheren Versorgungsordnungen [u.a. die NVO 1995] ... sind in Ziffer 3 dieses Tarifvertrages in eigenen Abschnitten aufgeführt. Jede dieser Versorgungsordnungen ist damit fortan Teil dieses Tarifvertrages. Alle individuellen Versorgungsansprüche richten sich auch künftig jeweils nach der einschlägigen Versorgungsordnung, die sich grundsätzlich aus der vorstehenden, stichtagsbezogenen Zuordnung je nach Zeitpunkt des individuellen Diensteintritts ergibt, soweit nicht im Einzelfall etwas anderes geregelt wurde".

In Nummer IV. 2. TV bAV 2020 ist folgende Regelung enthalten:

"... Die Ablösung erfolgt somit dergestalt, dass durch sie weder eine Erhöhung noch eine Minderung der individuellen Anwartschaften bzw. der Ansprüche jedes Versorgungsberechtigten noch eine Veränderung des Kreises der Begünstigten eintritt. Eine materielle inhaltliche Abweichung ergibt sich lediglich im Hinblick auf die künftige Anpassung der laufenden Versorgungsleistungen aus Ziffer 11. dieses Tarifvertrages."

In Nummer IV. 17.1 TV bAV 2020 heißt es zudem:

"Die Tarifparteien sind sich darüber einig, dass mit Ausnahme der Regelungen in Ziffer 11. zur künftigen Anpassung der laufenden Versorgungsleistungen durch die Ablösung der bisherigen Altersversorgungsregelungen durch diesen Tarifvertrag die individuellen Versorgungsansprüche bzw. -anwartschaften weder erhöht noch vermindert werden sollen. Die Ermittlung der individuellen Ansprüche richtet sich deshalb weiterhin nach den insoweit inhaltlich unverändert in Abschnitt 3. dieses Tarifvertrages übernommenen Regelungen der jeweiligen Versorgungsordnung bzw. der in ihnen enthaltenen Besitzstandswahrungsregelungen. Bei Auslegungsfragen soll im Zweifel auf die Praxis in der bisherigen Handhabung der Versorgungsregelungen zurückgegriffen werden, um gegenüber den Versorgungsberechtigten wie auch für die Arbeitgeber eine größtmögliche Beständigkeit zu gewährleisten."

Spätestens seit September 2008 war der Kläger Kopf einer Bande, die Bau- und Ersatzteile der Beklagten mit LKWs unbemerkt vom Betriebsgelände in W. entwendete, in die T. schaffte und dort veräußerte. Der Kläger wurde deswegen mit Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 25. November 2014 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 8 Monaten verurteilt. Der bei der Beklagten entstandene Gesamtschaden belief sich auf 318.787,58 EUR. In Höhe dieses Betrags erwirkte die Beklagte vor dem Arbeitsgericht Mannheim unter dem Datum des 22. Februar 2016 einen Zahlungstitel gegen den Kläger. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung wurde u.a. die Eintragung einer Zwangshypothek in den Miteigentumsanteil des Klägers an einem Grundstück in ..., erwirkt. Dort wohnte die Tochter des Klägers, Frau X.

Die Beklagte schloss mit der Tochter des Klägers im Jahre 2019 zur Abwendung der Zwangsvollstreckung eine Vereinbarung, die auszugsweise wie folgt lautete:

"§ 1: Frau X. zahlt an die Y. [die Beklagte] einen Betrag i.H.v. 38.000,00 € (in der Folge: der Vergleichsbetrag) bis spätestens zum 31.07.2019....§ 3: Mit Eingang des Vergleichsbetrags bei der Y. sind sämtliche Ersatzansprüche der Y. aus den zu deren Lasten begangenen strafbaren Handlungen des Herrn X. [des Klägers] - insbesondere aus dem Zahlungstitel des Arbeitsgerichts Mannheim vom 22.02.2016 - vollumfänglich abgegolten, gleichwohl ob diese zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Vereinbarung bekannt oder unbekannt waren."

Der Vergleichsbetrag wurde von der Tochter des Klägers an die Beklagte fristgerecht bezahlt.

Seit dem 1. Februar 2021 bezieht der Kläger eine gesetzliche Altersrente. Auf seine Aufforderung, ihm die betriebliche Altersversorgung auszuzahlen, teilte die Beklagte dem Kläger unter Verweis auf § 10 NVO 1995 mit, dass kein Anspruch bestehe.

Mit seiner der Beklagten am 29. September 2021 zugestellten Klage machte der Kläger im Wege der Stufenklage zunächst die Erteilung einer Auskunft über die Höhe der Betriebsrente und sodann deren Zahlung geltend.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, seiner bei Vertragsbeendigung bereits erworbenen unverfallbaren Anwartschaft stehe § 10 NVO 1995 nicht entgegen. Ein Lösen von Altersversorgungsansprüchen durch den Arbeitgeber wegen Treuepflichtverletzungen des Arbeitnehmers komme nur sehr eingeschränkt - namentlich bei Rechtsmissbrauch - in Betracht. Die Voraussetzungen hierfür seien nicht gegeben. Im Übrigen sei es zwischen den Parteien zu einem Täter-Opfer-Ausgleich gekommen, wobei sämtliche gestohlenen Gegenstände, die von ihm in die T. geschafft wurden, von den t. Behörden der Beklagten herausgegeben worden seien. Zudem seien durch die Vereinbarung zwischen seiner Tochter und der Beklagten sämtliche Ersatzansprüche vollumfänglich erledigt. Auch deshalb könne sich die Beklagte auf die Schadensereignisse nun nicht mehr berufen.

Der Kläger hatte zuletzt beantragt:

1.Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft zu geben über die Höhe der betrieblichen Altersrente gemäß der neuen Versorgungsordnung 1995 (NVO 1995) iVm. dem H. Versorgungsplan 2015 (HVB 2015) iVm. dem Tarifvertrag betriebliche Altersversorgung zum 30.06.2020 (TV bAV), beginnend mit dem 01.02.2021.2.Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ab 01.02.2021 eine monatliche betriebliche Altersrente zu bezahlen, deren Höhe sich aus der Auskunft gemäß Ziff. 1 Stufenantrags ergibt.

Die Beklagte hatte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, den Ansprüchen auf Auskunft und Zahlung stehe sowohl § 10 NVO 1995 als auch der allgemeine Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen. Es sei offenkundig, dass der Kläger in grober Weise gegen Treu und Glauben verstoßen und Handlungen begangen habe, die zu der ausgesprochenen fristlosen Entlassung berechtigten. Es sei ein Unterschied, ob eine Versorgungsordnung den Widerruf einer Versorgungszusage vorsehe oder diese unter einen Leistungsvorbehalt stelle. Letzteres sei unter geringeren Voraussetzungen möglich. Die Vereinbarung mit der Tochter des Klägers sei irrelevant, weil Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung nicht Teil der im Vergleich ausschließlich geregelten Schadenersatzansprüchen seien.

Das Arbeitsgericht hat die Klage im Hinblick auf beide Stufen als unbegründet abgewiesen. Zwar habe der Kläger eine unverfallbare Anwartschaft im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits erworben gehabt. Seinem Betriebsrentenanspruch stehe jedoch § 10 NVO 1995 entgegen. Die Voraussetzungen der Vorschrift seien erfüllt. Zudem sei die Berufung auf die Versorgungszusage dem Rechtsmissbrauchseinwand ausgesetzt, weil der Kläger vorsätzlich unter Aufwendung erheblicher krimineller Energie einen sehr hohen Schaden zulasten der Beklagten verursacht habe. Durch die Vereinbarung zwischen der Tochter des Klägers und der Beklagten seien Einwendungen gegen den Betriebsrentenanspruch nicht erledigt. Bereits grundsätzlich erfassten Erledigungsklauseln keine Anwartschaften aus betrieblicher Altersversorgung. Zudem enthalte der konkrete Vergleich keine allgemeine Erledigungsklausel, sondern nur eine solche im Hinblick auf Ersatzansprüche. Der Rechtsmissbrauchseinwand sei kein Ersatzanspruch. Letztlich sei in der Zahlung des Vergleichsbetrages auch eine Leistung der Tochter aus eigenem Interesse und keine solche des Klägers zu sehen.

Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Klägerseite am 1. August 2022 zugestellt. Der Kläger hat, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, am 30. August 2022 Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsfrist wurde aufgrund bei Gericht am 30. September 2022 eingegangenem Antrag bis 2. November 2022 verlängert. Die Berufung wurde mit am 2. November 2022 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags vertritt der Kläger die Auffassung, das Arbeitsgericht habe die Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchseinwands verkannt. Rechtsmissbrauch läge nur vor, wenn der Beklagten ein existenzbedrohender Schaden entstanden wäre. Dies sei nicht der Fall. § 10 NVO 1995 sei im Übrigen unanwendbar. Auch die Vereinbarung aus dem Jahr 2019 stehe dem Rechtsmissbrauchseinwand entgegen. Seine Tochter habe auf seine Anordnung hin die Vereinbarung abgeschlossen, weil er sich zu diesem Zeitpunkt in Haft befunden habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim, Kammern Heidelberg, vom 24.06.2021, Az.: 6 Ca 129/21, wie folgt abzuändern:1.Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft zu geben über die Höhe der betrieblichen Altersrente gemäß der neuen Versorgungsordnung 1995 (NVO 1995) iVm. dem H. Versorgungsplan 2015 (HVB) iVm. dem Tarifvertrag betriebliche Altersvorsorge zum 30.06.2020 (TV bAV), beginnend mit dem 01.02.2021.Für den Fall des Erfolgs mit dem Auskunftsantrag die Zurückverweisung an das Arbeitsgericht zur Entscheidung über den nachfolgenden Zahlungsantrag:2.Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ab 01.02.2021 eine monatliche betriebliche Altersrente zu bezahlen, deren Höhe sich aus der Auskunft gem. Ziff. 1 des Stufenantrags ergibt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, das Arbeitsgericht habe zutreffend entschieden. Es mache einen Unterschied, ob ein Leistungsvorbehalt sich "nur" in einer Gesamtzusage auf arbeitsvertraglicher Ebene befinde oder in einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag enthalten sei. Die Betriebs- bzw. Tarifvertragsparteien könnten weitergehende Regelungen zum Lösen von einem Versorgungsversprechen statuieren. Die Tochter des Klägers habe die Vereinbarung aus dem Jahr 2019 zudem im eigenen Namen und nicht in Vertretung des Klägers geschlossen. Zu Gunsten des Klägers entfalte die Vereinbarung keine Wirkung.

Zu den weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die Schriftsätze der Parteien verwiesen, die diese in beiden Instanzen gewechselt haben.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig (I.) und auch in der Sache erfolgreich (II.).

I.

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG statthaft und gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO in der gesetzlichen Form sowie gemäß § 66 ArbGG in der gesetzlichen Frist eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung des Klägers hat auch in der Sache Erfolg. Die Klage ist als Stufenklage zulässig (1.) und auf erster Stufe auch begründet (2.). Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Auskunft. Im Hinblick auf den derzeit noch unbezifferten Zahlungsantrag war der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten beider Instanzen - an das Arbeitsgericht Mannheim zurückzuverweisen (3.).

Im Einzelnen:

1. Die Klage ist zulässig. Der Auskunfts- und der (noch unbezifferte) Leistungsantrag konnten als Stufenklage nach § 254 ZPO erhoben werden.

Nach § 254 ZPO kann mit der Klage auf Rechnungslegung oder auf Vorlegung eines Vermögensverzeichnisses oder auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung eine Klage auf Herausgabe desjenigen verbunden werden, was der Beklagte aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis schuldet. Bei der Stufenklage wird ein der Höhe oder dem Gegenstand nach noch unbekannter und daher entgegen § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO noch nicht zu beziffernder Leistungsanspruch zugleich mit den zu seiner Konkretisierung erforderlichen Hilfsansprüchen auf Auskunft und ggf. Richtigkeitsversicherung erhoben. Die in der ersten Stufe verlangte Auskunft muss für die Erhebung eines bestimmten Antrags erforderlich sein. Wenn die Auskunft dazu dient, den Leistungsantrag nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bestimmen zu können, werden entgegen dem Gesetzeswortlaut von § 254 ZPO Informationsansprüche jeglicher Art erfasst (vgl. BAG 9. November 2021 - 1 AZR 206/20 - Rn. 13; 28. August 2019 - 5 AZR 425/18 - Rn. 20, BAGE 167, 349).

So liegt es hier. Der Kläger begehrt mit seinem Auskunftsantrag in Ziffer 1 Informationen, mit denen er die Ansprüche auf Zahlung einer Betriebsrente beziffern möchte, welche er mit dem Antrag Ziffer 2 geltend macht.

2. Die Klage ist im Hinblick auf den Auskunftsantrag begründet. Der Kläger hat Anspruch auf die begehrte Auskunft aus einer vertraglichen Nebenpflicht.

a) § 4a Abs. 3 BetrAVG kommt - jedenfalls nach enger Wortlautauslegung - als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht, weil der dort geregelte Anspruch des Arbeitnehmers gegen seinen vormaligen Arbeitgeber auf Mitteilung der Höhe der Anwartschaft und deren künftiger Entwicklung gerichtet ist. Den Fall, dass die Anwartschaft - wie hier - nach Eintritt des Versorgungsfalls bereits zum klagbaren Vollrecht erstarkt ist, regelt § 4a Abs. 3 BetrAVG jedenfalls nicht ausdrücklich.

Es kann dahinstehen, ob die Norm analoge Anwendung findet, da der Auskunftsanspruch jedenfalls entweder als Nebenpflicht aus dem beendeten Arbeitsverhältnis (so LAG Baden-Württemberg 21. Juli 2020 - 15 Sa 20/19 - Rn. 97) oder als Nebenpflicht aus dem Versorgungsverhältnis folgt. § 4a Abs. 3 BetrAVG statuiert in der Sache nichts anderes als eine solche Nebenpflicht aus dem Versorgungsverhältnis, damit der Arbeitnehmer die Höhe des späteren Anspruchs, den er nicht selbst ohne weiteres berechnen kann, abzuschätzen vermag (Blomeyer/Rolfs/Otto/Rolfs, 8. Aufl. 2022, BetrAVG § 4a Rn. 60). Auch nach der Erstarkung der Anwartschaft zum Vollrecht ist die eigenständige sofortige Bezifferung des Anspruchs nicht ohne weiteres möglich (LAG Baden-Württemberg a.a.O.). Hieraus rechtfertigt sich der Auskunftsanspruch.

b) Dem Auskunftsanspruch steht nicht entgegen, dass der Kläger - wie die Beklagte meint - keinen Anspruch auf Zahlung einer Betriebsrente hat. Der Kläger hatte im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits eine unverfallbare Anwartschaft erworben (aa). Der Anspruch auf Zahlung der Betriebsrente nach Eintritt des Versorgungsfalls ist weder nach § 10 NVO 1995 ausgeschlossen (bb) noch steht ihm der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen (cc). Die Vereinbarung zwischen der Tochter des Klägers und der Beklagten tangiert den Anspruch auf Zahlung der Betriebsrente (und den vorgelagerten Auskunftsanspruch) nicht (dd).

aa) Der Kläger hatte im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits eine unverfallbare Anwartschaft erworben, die nach Eintritt des Versorgungsfalls zum Vollrecht erstarkt ist.

Die Existenz einer Versorgungszusage an den Kläger gemäß der NVO 1995 im Jahr 1995 steht außer Streit.

Der Kläger hatte bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Jahr 2012 eine unverfallbare Anwartschaft erworben. Nach §§ 1b Abs. 1, 30f Abs. 1 Satz 1 Nummer 2 BetrAVG bleibt einem Arbeitnehmer, dem Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung vor dem 1. Januar 2001 zugesagt worden sind, die Anwartschaft erhalten, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalles, jedoch nach Vollendung des 35. Lebensjahres endet, die Versorgungszusage zu diesem Zeitpunkt mindestens drei Jahre bestanden hat und eine Betriebszugehörigkeit von mindestens zwölf Jahren bestand.

Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger vor. Der Kläger ist am 0.0.1958 geboren, trat im September 1976 in die Dienste der Beklagten und erhielt im Jahr 1995 eine Versorgungszusage. Jedenfalls seit dem Jahr 1999 war die Anwartschaft des Klägers mithin unverfallbar.

bb) § 10 NVO 1995 steht dem Anspruch nicht entgegen. Den Betriebspartnern stand keine Regelungsbefugnis zu, ein von den allgemeinen Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchseinwands (§ 242 BGB) abweichendes - weitergehendes - Recht der Beklagten, sich bei schädigendem Verhalten eines Arbeitnehmers von der zugesagten Altersversorgung zu lösen, zu regeln (1). Die Überführung von § 10 NVO 1995 in den HVP 2015 und schließlich den TV bAV 2020 bewirkte nicht, dass die bis dato lediglich deklaratorische Verweisung in § 10 NVO 1995 auf die allgemeinen Regeln des Rechtsmissbrauchs fortan konstitutiv einen weitergehenden Inhalt bekam (2).

(1) Aufgrund des Entgeltcharakters der betrieblichen Altersversorgung und des besonderen Schutzbedürfnisses der Versprechensempfänger, das eine starke Verfestigung bereits der Anwartschaften auf Pensionsleistungen zur Folge hat, kommt eine Versagung von Versorgungsleistungen wegen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers nach ständiger Rechtsprechung des Dritten Senats des Bundesarbeitsgerichts nur in Betracht, wenn die Berufung des Versorgungsberechtigten auf die Versorgungszusage dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt ist (BAG 26. April 2018 - 3 AZR 738/16 -, BAGE 162, 361 ff, Rn. 40; 17. Juni 2014 - 3 AZR 412/13 - Rn. 38 mwN).

Deshalb kann sich der Arbeitgeber trotz eines Widerrufs- oder Leistungsvorbehalts von der erteilten Versorgungszusage wegen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers nur dann "lösen" und die Leistung verweigern, wenn das Versorgungsverlangen des Arbeitnehmers nach den allgemeinen Grundsätzen rechtsmissbräuchlich ist (BAG 20. September 2016 - 3 AZR 77/15 - Rn. 57 mwN; 17. Juni 2014 - 3 AZR 412/13 - aaO). Auch die Betriebsparteien sind nicht befugt, ein von den allgemeinen Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchseinwands (§ 242 BGB) abweichendes - weitergehendes - Recht des Versorgungsschuldners, sich bei schädigendem Verhalten des Arbeitnehmers von der zugesagten Altersversorgung zu lösen, zu regeln. Eine solche Regelung entspräche nicht den rechtlichen Vorgaben und damit nicht den Grundsätzen von Recht und Billigkeit iSv. § 75 Abs. 1 BetrVG (BAG 26. April 2018 - 3 AZR 738/16 -, BAGE 162, 361 ff, Rn. 40).

Ist dennoch in einer Versorgungsordnung eine entsprechende Klausel enthalten, ist sie regelmäßig als nur deklaratorischer Hinweis auf den Rechtsmissbrauchseinwand zu verstehen (BAG 17. Juni 2014 - 3 AZR 412/13 - Rn. 38). Dies gilt bei einer Klausel in einer Betriebsvereinbarung bereits aufgrund des Grundsatzes der gesetzeskonformen Auslegung (dazu etwa BAG 22. Oktober 2015 - 8 AZR 168/14 - Rn. 20).

Demnach konnte § 10 NVO 1995 in gesetzeskonformer Auslegung zum Zeitpunkt seiner Vereinbarung allenfalls als deklaratorischer Hinweis auf die allgemeinen Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchseinwands interpretiert werden. Bei einem weitergehenden Verständnis wäre die Vorschrift gemäß § 75 Abs. 1 BetrVG (iVm. § 134 BGB) unwirksam.

Dafür macht es - anders als die Beklagte meint - auch keinen Unterschied, ob die Regelung als Widerrufs- oder Leistungsvorbehalt ausgestaltet ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verbietet sich aus den genannten Gründen nicht nur ein über die Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchseinwands hinausgehender Widerrufsvorbehalt (dazu BAG 26. April 2018 - 3 AZR 738/16 -, BAGE 162, 361 ff, Rn. 40), sondern auch ein entsprechender Leistungsvorbehalt (siehe BAG 17. Juni 2014 - 3 AZR 412/13 - Rn. 38 zu einer nahezu wortidentischen Klausel).

(2) Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass § 10 NVO 1995 zunächst in den HVP 2015 und schließlich in den TV bAV 2020 überführt wurde.

(a) Bezüglich des HVP 2015 gilt das oben Gesagte entsprechend. Auch der Gesamtbetriebsrat und die Beklagte konnten bei Abschluss des HVP 2015 wegen § 75 Abs. 1 BetrVG keine die allgemeinen Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchseinwands verschärfende Regelung treffen.

(b) Hinsichtlich der Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien ist höchstrichterlich - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden, ob diesen die Vereinbarung eines weitergehenden Lösungsrechts erlaubt ist.

Hiergegen könnte man einerseits einwenden, dass der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts in den oben genannten Entscheidungen maßgeblich auf den Entgeltcharakter der betrieblichen Altersversorgung und das besondere Schutzbedürfnis des Versprechensempfängers abgestellt hat und diese grundsätzlichen, aus dem gesetzlichen Leitbild des BetrAVG abgeleiteten Erwägungen auch gegen eine entsprechende Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien sprechen.

Andererseits ist anerkannt, dass Regelungen, die eine bereits erworbene betriebliche Altersversorgung beeinträchtigen, aufgrund der Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) von den Tarifvertragsparteien weitergehend vorgenommen werden können als von den Betriebsparteien. Tarifverträge unterliegen insbesondere keiner Billigkeitskontrolle (BAG 18. Februar 2020 - 3 AZR 258/18 - Rn. 32). Der Gesetzgeber des Betriebsrentengesetzes hat den Tarifvertragsparteien mit § 19 Abs. 1 BetrAVG (§ 17 Abs. 3 BetrAVG aF) grundsätzlich sogar die Möglichkeit eingeräumt, etwa den Wert erdienter Anwartschaften abweichend von §§ 2, 2a Abs. 1, §§ 3 und 4 BetrAVG festzusetzen und in Abweichung von § 5 BetrAVG und von § 16 BetrAVG Regelungen über die Auszehrung laufender Betriebsrenten zu treffen (BAG a.a.O. Rn. 33).

Letztlich kann indes dahinstehen, ob die vom Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Rechtssätze allgemein auch die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien begrenzen oder diesen vielmehr die Vereinbarung eines weitergehendes Lösungsrecht vorbehalten bleibt. Denn die Tarifvertragsparteien des TV bAV 2020 haben von einer solchen Regelungsbefugnis jedenfalls keinen Gebrauch gemacht.

Wie die Beklagte selbst zutreffend vorträgt, ist § 10 NVO 1995 von den "Nachfolgeregelungen unberührt geblieben" (ABl. 20 der erstinstanzlichen Akte). Im TV bAV 2020 ist von den Tarifvertragsparteien an mehreren Stellen klargestellt, dass lediglich eine eng begrenzte Neuregelung für die Zukunft erfolgen und keinesfalls in bereits in der Vergangenheit entstandene Anwartschaften eingegriffen werden sollte. Nach Nummer IV. 2. TV bAV 2020 erfolgte "die Ablösung dergestalt, dass durch sie weder eine Erhöhung noch eine Minderung der individuellen Anwartschaften bzw. der Ansprüche jedes Versorgungsberechtigten noch eine Veränderung des Kreises der Begünstigten" eintreten sollte. Weiter sollte sich eine "materielle inhaltliche Abweichung lediglich im Hinblick auf die künftige Anpassung der laufenden Versorgungsleistungen" ergeben (Nummer IV. 2. TV bAV 2020). Durch "die Ablösung der bisherigen Altersversorgungsregelungen durch diesen Tarifvertrag [sollten] die individuellen Versorgungsansprüche bzw. -anwartschaften weder erhöht noch vermindert werden" (Nummer IV. 17.1 TV bAV). Es ging den Tarifvertragsparteien gerade darum, "eine größtmögliche Beständigkeit zu gewährleisten" (Nummer IV. 17.1 TV bAV).

Die Tarifvertragsparteien intendierten mithin keinen materiellen Eingriff in bereits erdiente Anwartschaften oder entstandene Betriebsrenten dergestalt, dass eine vormals als lediglich deklaratorische Verweisung auf den allgemeinen Rechtsmissbrauchseinwand auszulegende Klausel aus einer Betriebsvereinbarung nunmehr als konstitutive und inhaltlich weitergehende Regelung gelten sollte. § 10 NVO 1995 hat seinen Charakter als (lediglich) klarstellende Verweisung auf die Voraussetzungen des allgemeinen Rechtsmissbrauchseinwands mithin durch die Tarifierung nicht verloren.

cc) Die Berufung des Klägers auf das Versorgungsversprechen ist nach allgemeinen Grundsätzen nicht rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB).

(1) Der Rechtsmissbrauchseinwand kann gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer die Unverfallbarkeit seiner Versorgungsanwartschaft nur durch Vertuschung schwerer Verfehlungen erschlichen hat. Das ist anzunehmen, wenn eine rechtzeitige Entdeckung derartiger Verfehlungen zur fristlosen Kündigung geführt hätte, bevor die Versorgungsanwartschaft unverfallbar wurde und der Arbeitnehmer den Arbeitgeber durch die Vertuschung des Fehlverhaltens daran gehindert hat, noch vor Eintritt der Unverfallbarkeit zu kündigen (BAG 17. Juni 2014 - 3 AZR 412/13 - Rn. 41; 13. November 2012 - 3 AZR 444/10 - Rn. 47, BAGE 143, 273).

Zudem kann der Rechtsmissbrauchseinwand auch dann gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber durch grobes Fehlverhalten einen nicht behebbaren, insbesondere durch Ersatzleistungen nicht wiedergutzumachenden schweren Schaden zugefügt hat (BAG 20. September 2016 - 3 AZR 77/15 - Rn. 57 mwN; 17. Juni 2014 - 3 AZR 412/13 - Rn. 42). Stützt sich der Arbeitgeber auf die Verursachung eines Vermögensschadens durch den Arbeitnehmer, ist das Versorgungsverlangen des Arbeitnehmers allerdings nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn dieser seine Pflichten in grober Weise verletzt und dem Arbeitgeber hierdurch einen existenzgefährdenden Schaden zugefügt hat. Soweit die Möglichkeit, erfolgreich einen Rechtsmissbrauchseinwand gegenüber dem Versorgungsversprechen des Arbeitnehmers zu erheben, damit auch von der wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers abhängt, ist dies deshalb gerechtfertigt, weil nur in den Fällen, in denen der vom Arbeitnehmer verschuldete finanzielle Schaden des Arbeitgebers zu einer existenzbedrohenden Situation führt, dessen wirtschaftliche Grundlage gefährdet und dadurch die Gefahr heraufbeschworen wird, dass die Betriebsrente nicht gezahlt werden kann. Erst in einem solchen Fall ist die Grenze überschritten, bis zu der auch ein pflichtwidrig Handelnder, ohne sich dem Einwand des Rechtsmissbrauchs auszusetzen, das ihm gegebene Versprechen einfordern kann (BAG 26. April 2018 - 3 AZR 738/16 - Rn. 43; 13. November 2012 - 3 AZR 444/10 - Rn. 35).

(2) Gemessen daran ist das Versorgungsverlangen des Klägers nicht rechtsmissbräuchlich.

(a) Die Beklagte hat nicht behauptet, dass der Kläger die Unverfallbarkeit seiner Versorgungsanwartschaft nur durch Vertuschung der schweren Verfehlungen erschlichen hat. Die Straftaten, die Gegenstand seiner Verurteilung waren, hat der Kläger ab dem Jahr 2008 begangen. Einen früheren Beginn hat die darlegungsbelastete Beklagte nicht behauptet. Zu diesem Zeitpunkt war - wie oben bereits gezeigt - die Anwartschaft des Klägers auf Leistungen nach der NVO 1995 bereits gemäß § 1b Abs. 1 iVm. § 30f Abs. 1 Nr. 1 BetrAVG gesetzlich unverfallbar.

(b) Die Beklagte hat sich zudem lediglich auf schwere Pflichtverletzungen des Klägers berufen und geltend gemacht, ihr sei infolge eines Fehlverhaltens des Klägers ein erheblicher materieller Schaden entstanden. Sie hat aber nicht vorgetragen, dass der ihr durch das pflichtwidrige Verhalten des Klägers zugefügte Schaden für sie existenzgefährdend gewesen sei. Auf dieses Kriterium kann - anders als das Arbeitsgericht der Sache nach entschieden hat - gemäß der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht verzichtet werden.

Die Voraussetzung der wirtschaftlichen Existenzgefährdung führt auch nicht dazu, dass große Unternehmen - wie die Beklagte - gegenüber Treupflichtverletzungen ihrer Mitarbeiter schutzlos gestellt sind. Der Entzug von Anwartschaften, die durch Arbeitsleistung erworben wurden, ist keine Sanktion für - selbst grobe - Verletzungen vertraglicher Pflichten. Führen die vom Arbeitnehmer verursachten Vermögensschäden nicht zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlage des Arbeitgebers, sind seine Interessen durch die Möglichkeit, den Arbeitnehmer auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen oder ab Eintritt des Versorgungsfalls ggf. gegenüber dem Betriebsrentenanspruch des Arbeitnehmers aufzurechnen, hinreichend gewahrt (BAG 26. April 2018 - 3 AZR 738/16 - BAGE 162, 361, Rn. 44; in diesem Fall war sogar ein Schaden in Höhe von 740.000,00 Euro geltend gemacht, was - in Ermangelung einer Existenzgefährdung - indes für den Rechtsmissbrauchseinwand nicht ausreichend war).

Vorliegend hat die Beklagte von der Möglichkeit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen bereits Gebrauch gemacht und ihre Ansprüche titulieren lassen. Sofern eine Aufrechnung dieser Schadensersatzansprüche mit den Betriebsrentenansprüchen aufgrund § 3 des Vertrags aus dem Jahr 2019 nunmehr ausscheiden sollte, so wäre dies einzig Folge einer von der Beklagten privatautonom geschlossen Vereinbarung und könnte schon deshalb nicht zu einer Veränderung der Voraussetzungen des allgemeinen Rechtsmissbrauchseinwands zu Gunsten der Beklagten führen.

dd) Der zwischen der Tochter des Klägers und der Beklagten im Jahr 2019 geschlossene Vertrag tangiert den Anspruch auf Zahlung der Betriebsrente (und den vorgelagerten Auskunftsanspruch) nicht.

Die Beklagte trägt selbst zutreffend vor, dass Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung nicht Teil der im Vergleich ausschließlich geregelten Schadenersatzansprüche sind. Zudem enthält die Vereinbarung nur eine einseitige Erledigung von Ersatzansprüchen der Beklagten zugunsten des Klägers und keine Erledigung auch der klägerischen Ansprüche. Geht man - wie dies die Beklagte tut - davon aus, dass die Tochter des Klägers die Vereinbarung im eigenen Namen und nicht in Vertretung ihres Vaters abgeschlossen hat, wäre aufgrund des Verbots des Vertrags zu Lasten Dritter (dazu LAG Baden-Württemberg 10. Februar 2023 - 12 Sa 50/22 - Rn. 96) auch gar keine Erledigung der klägerischen Ansprüche möglich gewesen. Selbst im Falle der Stellvertretung (§§ 164 ff BGB) und bei Vereinbarung einer beidseitigen allgemeinen Gesamterledigungsklausel wäre diese im Regelfall dahin auszulegen, dass sie Betriebsrentenansprüche gar nicht erfasst (BAG 20. April 2010 - 3 AZR 225/08 - BAGE 134, 111 ff).

3. Im Hinblick auf den derzeit noch unbezifferten Zahlungsantrag war der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten beider Instanzen - an das Arbeitsgericht Mannheim analog § 538 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 ZPO zurückzuverweisen.

a) Im direkten Anwendungsbereich von § 538 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 ZPO darf das Berufungsgericht die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverweisen, wenn im Falle eines nach Grund und Betrag streitigen Anspruchs durch das angefochtene Urteil über den Grund des Anspruchs vorab entschieden oder die Klage abgewiesen ist und eine Partei die Zurückverweisung beantragt, es sei denn, dass der Streit über den Betrag des Anspruchs zur Entscheidung reif ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Vorschrift entsprechend anzuwenden, wenn der dem Ausnahmetatbestand vergleichbare Fall gegeben ist, dass das erstinstanzliche Gericht - wie im vorliegenden Fall - eine Stufenklage insgesamt abgewiesen hat, das Berufungsgericht hingegen dem Auskunftsanspruch stattgibt (BGH 22. Mai 1981 - I ZR 34/79 - Rn. 50; 3. Mai 2006 - VIII ZR 168/05 - Rn. 14; 21. Januar 2011 - V ZR 243/09 - Rn. 19). Dem haben sich das Bundesarbeitsgericht (BAG 21. November 2000 - 9 AZR 665/99 - BAGE 96, 274 ff, Rn. 57) sowie die Landesarbeitsgerichte (etwa LAG Berlin-Brandenburg 24. März 2017 - 6 Sa 1848/16 - Rn. 147) zu Recht angeschlossen.

b) Da der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich die Zurückverweisung beantragt hat,bedarf es keiner Entscheidung, ob ein solcher Antrag im Falle der Stufenklage überhaupt notwendig ist (verneinend: BGH 21. Januar 2011 - V ZR 243/09 - Rn. 19; Nissen/Elzer, MDR 2019, 1099, 1103; bejahend: BGH 22. September 2008 - II ZR 257/07 - NJW 2009, 431, 433; Musielak/Voit/Foerste, 19. Aufl. 2022, ZPO § 254 Rn. 8).

c) Rechtsfolge des § 538 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 ZPO analog ist eine Ermessensentscheidung des Gerichts über die Zurückverweisung (Nissen/Elzer, MDR 2019, 1099, 1103; Thür. LAG 28. März 2018 - 6 Sa 344/17 - Rn. 28; vgl. auch BAG 21. November 2000 - 9 AZR 665/99 - BAGE 96, 274 ff, Rn. 57: "...kann das LAG...").

Vorliegend spricht sowohl der mögliche Instanzverlust (dazu LAG Berlin-Brandenburg 24. März 2017 - 6 Sa 1848/16 - Rn. 147) als auch die fehlende Vorbefassung des erstinstanzlichen Gerichts mit dem Zahlungsanspruch (dazu Nissen/Elzer, MDR 2019, 1099, 1103) für eine Zurückverweisung. Den Parteien ist Gelegenheit zum weiteren Sachvortrag im erstinstanzlichen Verfahren betreffend den Zahlungsantrag zu geben (vgl. BAG 21. November 2000 - 9 AZR 665/99 - BAGE 96, 274 ff, Rn. 57). Gegen eine Zurückverweisung sprechende Gründe sind weder vorgetragen noch ansonsten erkennbar.

d) Im Hinblick auf die Wirkungen von § 3 des zwischen der Tochter des Klägers und der Beklagten geschlossenen Vertrags aus dem Jahr 2019 weist die Kammer für den Fortgang des Rechtsstreits darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar ein Erlassvertrag zugunsten des Klägers nicht möglich ist, weil verfügende Verträge zugunsten Dritter hiernach unzulässig sein sollen (BGH 26. Oktober 2009 - II ZR 222/08 - Rn. 16; kritisch MüKoBGB/Gottwald, 9. Aufl. 2022, BGB § 328 Rn. 276; BeckOGK/Mäsch, 1.4.2023, BGB § 328 Rn. 66). Wirksam wäre indes auch nach dieser Rechtsprechung eine Absprache, durch die für den Dritten - hier den Kläger - ein Anspruch gegen den Gläubiger - hier die Beklagte - begründet wird, dass diese ihre Ansprüche nicht mehr geltend macht (BGH a.a.O.).

Es spricht aus Sicht der Kammer vieles dafür, dass die Tochter des Klägers und die Beklagte in § 3 der genannten Vereinbarung jedenfalls ein solches schuldrechtliches pactum de non petendo zugunsten des Klägers vereinbart haben. Der von der Beklagten in der Berufungsverhandlung angekündigten Aufrechnung stünde dann § 390 BGB entgegen.

III.

Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.

Im Falle einer Zurückverweisung bleibt die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens dem erstinstanzlichen Gericht vorbehalten (BeckOK ZPO/Wulf, 47. Ed. 1.12.2022, ZPO § 538 Rn. 33). Eine Kostenentscheidung war mithin nicht veranlasst.

Dr. BaderDegelTschentscher

Verkündet am 21. April 2023

Vorschriften§ 10 NVO, § 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG, § 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 66 ArbGG, § 254 ZPO, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, § 4a Abs. 3 BetrAVG, §§ 1b Abs. 1, 30f Abs. 1 Satz 1 Nummer 2 BetrAVG, § 242 BGB, § 75 Abs. 1 BetrVG, § 134 BGB, Art. 9 Abs. 3 GG, § 19 Abs. 1 BetrAVG, § 17 Abs. 3 BetrAVG, §§ 2, 2a Abs. 1, §§ 3, 4 BetrAVG, § 5 BetrAVG, § 16 BetrAVG, § 30f Abs. 1 Nr. 1 BetrAVG, §§ 164 ff BGB, § 538 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 ZPO, § 390 BGB, § 72 Abs. 2 ArbGG