Beschluss vom 10.05.2023 · IWW-Abrufnummer 235910
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg - Aktenzeichen 10 Ta 415/23
Die unterlassene Terminierung durch das Gericht kann nicht mit der sofortigen Beschwerde angegriffen werden.
Tenor:1. Die sofortige Beschwerde des Betriebsrates vom 13. April 2023 gegen die einstweilige Nichtterminierung des am 9. Februar 2023 eingegangenen Verfahrens wird zurückgewiesen.2. Die Revisionsbeschwerde wird für die Beteiligten zugelassen.
[Gründe]
1. Mit einem am 9. Februar 2023 eingegangenem Antrag vom selben Tage hat der Betriebsrat im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren beantragt, der Arbeitgeberin aufzugeben es zu unterlassen, einem namentlich genannten Betriebsratsmitglied den Zugang zu den technischen Einrichtungen des Betriebes Microsoft 365, Outlook sowie Teams zu verweigern und für jeden Fall der Zuwiderhandlung der Arbeitgeberin ein konkret beziffertes Ordnungsgeld anzudrohen.
Das betreffende Betriebsratsmitglied übt aufgrund einer einzelvertraglichen Vereinbarung vom 31. Mai 2022 mit der Arbeitgeberin ihre Arbeit aus Schweden aus.
Der Betriebsrat trägt vor, dass das Betriebsratsmitglied für die ihr obliegenden Amtstätigkeiten den Zugang zu den im Antrag genannten technischen Einrichtungen benötige, der Arbeitgeber aber mit Wirkung ab dem 1. Februar 2023 den Zugang für das Betriebsratsmitglied gesperrt habe.
Mit richterlicher Verfügung vom 15. Februar 2023 hat der Vorsitzende der Kammer 20 des Arbeitsgerichts Berlin das betreffende Betriebsratsmitglied am Verfahren beteiligt, wobei der Verfügung eine Begründung für ihre Beteiligung nicht zu entnehmen ist. Zugleich hatte der Vorsitzende der Kammer 20 des Arbeitsgerichts Berlin für den 17. April 2023 einen Gütetermin anberaumt und das persönliche Erscheinen des betreffenden Betriebsratsmitglieds, des Betriebsratsvorsitzenden sowie des Geschäftsführers der Arbeitgeberin angeordnet.
Nachdem der Betriebsrat unter Hinweis auf § 26 Abs. 2 BetrVG beantragt hatte, das Betriebsratsmitglied vom persönlichen Erscheinen zum Gütetermin zu entbinden, da der Betriebsrat durch seinen Vorsitzenden vertreten werde teilte der Vorsitzende der Kammer 20 des Arbeitsgerichts Berlin mit, dass die Anordnung des persönlichen Erscheinens aufrechterhalten werde, da es gerade maßgeblich um die BR-Tätigkeit dieses BR-Mitglieds gehe. Sodann wurde der Gütetermin aus dienstlichen Gründen auf den 24. April 2023 verlegt.
Am 21. März 2023 beantragte der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrates für das persönlich geladene Betriebsratsmitglied den Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung im Wege der Videokonferenz. Das Betriebsratsmitglied sei zum Zeitpunkt des anberaumten Termins nicht in Deutschland, sondern zu ihrer Anschrift in Schweden aufhältlich.
Darauf verfügte der Vorsitzende der Kammer 20 des Arbeitsgerichts Berlin am 24. April 2023, dass der Gütetermin auf Antrag des Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates aufgehoben und ein neuer Gütetermin von Amts wegen anberaumt werde.
Zugleich wies der Vorsitzende der Kammer 20 des Arbeitsgerichts Berlin in einem Schreiben an die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates und der Arbeitgeberin darauf hin, dass eine Verhandlung nach § 128a ZPO "aus technischen Gründen nicht in Betracht" komme. Weiterhin fordere das Gericht dazu auf mitzuteilen, wann die Beteiligte zu 3) erscheinen könne. Dies sei für das Verfahren unabdingbar. Ohne ihr Erscheinen würde wieder ein neuer Termin bestimmt werden müssen.
Nachdem die Terminaufhebung und das Schreiben am 6. April 2023 zugestellt worden waren, erhob der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) sofortige Beschwerde hinsichtlich der Beschlüsse des Arbeitsgerichts Berlin vom 23.03.2023 und 04.04.2023 zur Terminlosstellung. Wobei sich zu den entsprechenden Daten weder Beschlüsse noch Verfügungen in der Akte befinden.
Mit einem gerichtlichen Schreiben vom 17.4.2023 wies das LAG darauf hin, dass das Arbeitsgericht das Verfahren eher nicht (vollständig) terminlos gestellt haben dürfte, da die richterliche Verfügung vom 24.3.2023 laute, dass ein neuer Gütetermin von Amts wegen anberaumt werde. Dazu habe das Arbeitsgericht - allerdings ohne genauen Adressaten - aufgefordert mitzuteilen, wann die Beteiligte zu 3) persönlich zu einem Gütetermin erscheinen könne und eine Wiedervorlage der Akte nach 6 Wochen angeordnet. Inhaltlich dürfe es nach § 80 Abs. 2 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 51 Abs. 1 ArbGG wohl zulässig sein, das persönliche Erscheinen einer Beteiligten anzuordnen, allerdings unter Beachtung des Rechtsgedankens des § 141 Abs. 1 Satz 2 ZPO (vgl. etwa Düwell/Lipke, ArbGG § 51 ArbGG, RN 4). Die Sanktion für eine ausbleibende Beteiligte dürfe sich allein aus § 51 Abs. 1 Satz 2 ArbGG in Verbindung mit § 141 Abs. 3 ZPO ergeben. Aufgrund der Regelung in § 83 Abs. 4 Satz 2 ArbGG dürfe aber das Nichterscheinen ansonsten eher sanktionslos sein.
Die Sache werde zunächst dem Arbeitsgericht gem. §§ 80 Abs. 2 Satz 1, 78 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 572 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung über die Abhilfe/Nichtabhilfe der sofortigen Beschwerde vorgelegt. Das Arbeitsgericht traf eine solche Entscheidung nicht.
Es befindet sich lediglich ein mit einer Paraphe versehener Vermerk vom 24.4.2023 in der Akte "Es gibt kein Rechtsmittel, daher hier auch nichts zu veranlassen".
In einem weiteren Schreiben des LAG vom 28.4.2023 teilte dieses mit, dass der Ablauf der vom Arbeitsgericht am 24.3.2023 verfügten 6-Wochen-Frist unmittelbar bevorstehe und deshalb beabsichtigt sei abzuwarten, ob nun von Amts wegen eine Terminierung durch das Arbeitsgericht erfolgen werde. Sollte eine Terminierung erfolgen, solle die sofortige Beschwerde vom 13.4.2023 zurückgenommen werden. Sollte keine Terminierung erfolgen, sei beabsichtigt, der sofortigen Beschwerde stattzugegeben und den Vorsitzenden der Kammer 20 des Arbeitsgerichts Berlin entsprechend § 572 Abs. 3 ZPO anzuweisen, die Terminierung vorzunehmen. Denn anders als in dem Vermerk des Vorsitzenden der Kammer 20 vom 24. April 2023 angegeben, sei bei abgelehnter oder unterbliebener Terminbestimmung eine sofortige Beschwerde gemäß den §§ 252, 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO analog zulässig, wobei für die Begründung auf die Rechtsprechung des BVerfG und des EGMR zur überlangen Verfahrensdauer abgestellt werden könne. Denn eine unterbliebene Terminierung greife in das Recht der Prozessparteien bzw. Beteiligten auf effektiven Rechtsschutz ein (Tiedemann in: Schwab/Weth, ArbGG, 6. Aufl. 2022, § 47 RN 20 m.w.N.).
Das Arbeitsgericht sandte die Akte mit einer Verfügung vom 2.5.2023 wieder an das LAG (Ka. 10). In der Verfügung ist einerseits eine Wiedervorlage der Akte in 6 Wochen und andererseits nachstehendes angegeben:
a) Welche überlange Verfahrensdauer bei einem Eingang im Feb. 23?
b) Hat das Gericht bereits mitgeteilt, dass es sofort nach Mitteilung der Verfügbarkeit der Bet. zu 3) - um die es hier maßgeblich geht - terminieren wird. Das sollte ggf. ggü Verf.-Bev. d. Bet. zu 1) klargestellt werden, der sich bisher insoweit anders positioniert.
c) Sollte nochmal angekündigt werden, eine Terminsbestimmung anzuweisen, ziehe ich meine Rechte wegen Verletzung richterlicher Unabhängigkeit in Erwägung.
2.
Entgegen der Ankündigung in dem Schreiben des LAG vom 28. April 2023 war hier die Kammer 20 nicht anzuweisen, eine Terminierung vorzunehmen. Zwar würde es sich nicht um einen Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit handeln, da es nicht um eine konkrete Terminierung, sondern allein darum geht, dem Verfahren unter Beachtung der Garantie des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG oder den aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Grundrechten, insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG, abzuleitenden allgemeinen Justizgewährungsanspruch Fortgang zu geben. Denn die grundgesetzliche Garantie des Rechtsschutzes umfasst den Zugang zu den Gerichten, die Prüfung des Streitbegehrens in einem förmlichen Verfahren sowie die verbindliche gerichtliche Entscheidung (BAG vom 18. Dezember 2019 - 10 AZR 325/17 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG).
2.1
Das Grundgesetz hat die rechtsprechende Gewalt in erster Linie den Fachgerichten anvertraut. Bei entscheidungserheblichen Verstößen gegen Art. 103 Abs. 1 GG muss die gebotene Abhilfemöglichkeit daher grundsätzlich bei den Fachgerichten eingerichtet werden, auch wenn zusätzlich eine Rechtsverfolgung mit Hilfe der Verfassungsbeschwerde möglich ist (vgl. etwa BVerfG vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02).
2.2
Um Lücken im bisherigen Rechtsschutzsystem zu schließen, sind von der Rechtsprechung teilweise außerhalb des geschriebenen Rechts außerordentliche Rechtsbehelfe geschaffen worden. Diese genügen aber den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit nicht. Die Rechtsbehelfe müssen in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt und in ihren Voraussetzungen für die Bürger erkennbar sein (so BVerfG vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02).
2.3
Die Nichtterminierung eines gerichtlichen Verfahrens kann nach verbreiteter Ansicht (vgl. Eyermann, VwGO § 102 RN 4 m.w.N.) nicht durch Rechtsbehelfe angegriffen werden. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung lehnt eine außerordentliche Beschwerde ebenso ab (BVerwG vom 6. Juli 2005 - 3 B 77.05) wie der Bundesgerichtshof zumindest zum Teil (BGH vom 7. März 2002 - IX ZB 11/02). Auch wird die Auffassung vertreten, dass jedenfalls seit Einführung der Verzögerungsrüge und der Möglichkeit im GVG, Entschädigung wegen nicht zeitgerechter Entscheidungen verlangen zu können den Anforderungen der EMRK Genüge getan sei, so dass es keine Veranlassung mehr gebe, ein in der Prozessordnung nicht vorgesehenes Rechtsmittel durch Richterrecht zu schaffen. Es komme allein eine Verfassungsbeschwerde in Betracht (vgl. BGH vom 7. März 2002 - IX ZB 11/02).
3.
Es ist zwar sachlich falsch, dass eine Verhandlung nach § 128a ZPO im Arbeitsgericht Berlin technisch nicht möglich sei. Von dieser Möglichkeit wird vielmehr rege Gebrauch gemacht, so dass eine "Videoverhandlung" technisch möglich wäre. Aber auch gegen die Ablehnung eines solchen Antrags sieht die Rechtsordnung kein Rechtsmittel vor.
Da die Beteiligte zu 3), unabhängig von der Frage, ob sie im Rahmen der Antragstellung des Betriebsrates zurecht am Verfahren beteiligt wurde, eine ladungsfähige Anschrift in Berlin angegeben hat und mittlerweile anwaltlich vertreten ist, steht einer Terminierung des Verfahrens aus Sicht des LAG nichts mehr im Wege. Soweit das Arbeitsgericht weiter meinen sollte, nur auf einen Terminvorschlag der Beteiligten zu 3) einen Gütetermin anzuberaumen, mag die Beteiligte zu 3) dem Arbeitsgericht einen Terminvorschlag unterbreiten.
4.
Die Revisionsbeschwerde war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, um die Eingriffsbefugnisse des Beschwerdegerichts bei einer (aus Sicht eines Beteiligten) Rechtsschutzverweigerung durch Unterlassen einer Terminierung höchstrichterlich zu klären.