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Urteil vom 12.01.2023 · IWW-Abrufnummer 235899

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg - Aktenzeichen 26 SaGa 1111/22

1. Fehlt es an einem ordnungsgemäßen Betriebsratswiderspruch, besteht kein Weiterbeschäftigungsanspruch, weil dieser einen ordnungsgemäßen Widerspruch des Betriebsrats voraussetzt. Nach dem Wortlaut des § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG scheidet damit eine »Entbindung« von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung an sich bereits aufgrund des eigenen Vortrags des Arbeitgebers aus, wenn dieser sich auf das Fehlen eines ordnungsgemäßen Widerspruchs beruft.

2. Dennoch fehlt es auch in diesem Fall nicht am Rechtsschutzbedürfnis für die Entscheidung über die Entbindung nach § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG . Die Frage des Bestehens des Weiterbeschäftigungsanspruchs nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG kann insoweit dahingestellt bleiben. Ein Rechtsschutzbedürfnis des Arbeitgebers für einen Entbindungsantrag ist bereits dann zu bejahen, wenn ein Weiterbeschäftigungsanspruch möglicherweise besteht.

3. Ausreichend ist, dass ein auf einen Widerspruch des Betriebsrats gestütztes Weiterbeschäftigungsverlangen des Arbeitnehmers vorliegt und der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erhoben hat (vgl. LAG Hamburg 9. April 2014 - 6 SaGa 2/14 , Rn. 47 mwN).

4. Dies führt zwar uU zu einer isolierten Entscheidung darüber, ob Entbindungsgründe vorliegen, ohne zu klären, ob die zugrundeliegende Weiterbeschäftigungspflicht überhaupt besteht. Doch ist das der besonderen gesetzlichen Regelungstechnik der gerichtlichen Entbindung geschuldet (vgl. LAG Düsseldorf 24. April 2013 - 4 SaGa 6/13 , Rn. 4).

5. Der Wortlaut des Entbindungsgrundes von § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BetrVG entspricht dem des § 114 Satz 1 ZPO . Es gelten dieselben Maßstäbe. Mutwillig ist die Klage, wenn ein verständiger Arbeitnehmer sein Recht nicht in vergleichbarer Weise verfolgen würde (Gallner/Mestwerdt/Nägele, 7. Aufl. 2021, KSchR/BetrVG § 102 Rn. 221, 222).

6. Im einstweiligen Verfügungsverfahren muss der Arbeitgeber die Entbindungsgründe glaubhaft machen ( § 294 ZPO ). Im Hauptsacheverfahren trägt er die Darlegungs- und Beweislast für diese Gründe.

7. Offensichtlich unbegründet ist ein Widerspruch, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Widerspruch offensichtlich nicht gegeben sind, es also keiner Beweiserhebung bedarf (Fitting, 31. Aufl. 2022, BetrVG § 102 Rn. 120). Tatsachen, zu deren Feststellung eine Beweiserhebung notwendig ist, sind nicht offensichtlich (Gallner/Mestwerdt/Nägele, 7. Aufl. 2021, KSchR/BetrVG § 102 Rn. 224).

8. Beruft sich der Arbeitgeber auf einen offensichtlich unbegründeten Widerspruch des Betriebsrats iSv § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG , muss er den Grund glaubhaft machen, der dafür maßgeblich sein soll. Dazu kann die Vorlage des Widerspruchsschreibens ausreichen, wenn sich etwa im Fall einer rechtsfehlerhaften Geltendmachung eines Widerspruchsgrundes dessen Unbegründetheit bereits aus der Stellungnahme selbst ergibt (Gallner/Mestwerdt/Nägele, 7. Aufl. 2021, KSchR/BetrVG § 102 Rn. 227).

9. Ausschlaggebend für die Frage, ob der Widerspruch des Betriebsrats den Anforderungen des § 102 Abs. 3 BetrVG genügt, ist nicht allein der Wortlaut. Maßgeblich ist, wie der Arbeitgeber den Inhalt des Widerspruchs verstehen musste. Es kommt darauf an, ob der Arbeitgeber die Gesichtspunkte hinreichend erkennen konnte, mit denen der Betriebsrat seine Willensbildung beeinflussen wollte.


Tenor:

Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 5. September 2022 - 7 Ga 5645/22 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Verfügungsklägerin von einer Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung wegen eines aus ihrer Sicht nicht ordnungsgemäßen und ungerechtfertigten Betriebsratswiderspruchs entbunden werden kann.

Die Parteien begründeten im Mai 1991 ein Arbeitsverhältnis, nachdem der Verfügungsbeklagte seine Ausbildung bei der Verfügungsklägerin abgeschlossen hatte. Die Verfügungsklägerin setzte den Verfügungsbeklagten als Gebietsverkäufer Transport ein.

Am 26. August 2021 und am 8. September 2021 fanden Gespräche zwischen dem Kläger und Personalmitarbeitern statt. Hintergrund waren angeblich unzureichende Arbeitsleistungen des Verfügungsbeklagten, die bereits zu Abmahnungen geführt hatten. An den Gesprächen nahm auch das Betriebsratsmitglied Fö teil. Im Rahmen der Gespräche erwähnten die Vertreterinnen der Verfügungsklägerin eventuelle Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in den Bereichen Disposition und Fuhrpark. Vorstellungsgespräche wurden in Aussicht genommen.

Die Verfügungsklägerin hörte den Betriebsrat mit Schreiben vom 21. September 2021 zu einer verhaltens- bzw. personenbedingten Kündigung wegen der angeblichen Minderleistungen des Verfügungsbeklagten an.

Am 22. September 2021 fand vor dem Hintergrund der Erörterung im Termin am 8. September 2021 und mit Unterstützung einer Mitarbeiterin eine Unterredung zwischen dem Kläger und dem Leiter der Disposition P statt.

Der Betriebsrat hat der beabsichtigten Kündigung des Klägers mit Schreiben vom 27. September 2021 widersprochen. Er hat zunächst bemängelt, dass die Verfügungsklägerin ihm nicht genügend Unterlagen zur Verfügung gestellt habe. Schon die Abmahnungen seien nicht gerechtfertigt gewesen, da eine nicht nachvollziehbare Vergleichsgruppe gebildet worden sei. Jedenfalls habe der Verfügungsbeklagte im Jahr 2021 eine erhebliche Anzahl an Aufträgen allein deshalb nicht erfolgreich abschließen können, weil er die von den Kunden erwarteten Konditionen nicht habe anbieten können. Weiter heißt es in dem Schreiben des Betriebsrats vom 27. September 2021:

"Desweiteren ist ein Widerspruch gegen die Kündigung des Herrn J aus Sicht des Betriebsrats gerechtfertigt, da bei der Auswahl von Herrn J nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG mehrere soziale Gesichtspunkte nicht berücksichtigt wurden.

Der Kollege J hat sich nicht gegen eine Beschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz, wie unter Punkt 5 beschrieben, ausgesprochen. Wäre die unter Satz 4 beschriebene Weiterbeschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz ausreichend und unterstützend geprüft worden, hätte eine Kündigung vermieden werden können. Auch wurde dem Kollegen J nicht die Möglichkeit gegeben, vor Ausspruch der Kündigung, in anderen Bereichen unserer Niederlassung Vorstellungsgespräche zu führen. Diese Ergebnisse hätten vielleicht zu einer Weiterbeschäftigung führen können.

Zu den sozialen Gesichtspunkten gehört weiterhin, dass die Niederlassung Berlin ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden muss und einen fast 60-jährigen Mitarbeiter nach über 30 Jahren Betriebszugehörigkeit - der in dieser Zeit seine Arbeitsleistungen ohne Beanstandungen absolviert hat - nicht in die Arbeitslosigkeit schickt."

Die Verfügungsklägerin kündigte dem Verfügungsbeklagten mit Schreiben vom 29. September 2021 zum 30. April 2022. Seit dem 1. Mai 2022 beschäftigt sie den Verfügungsbeklagten nicht mehr. Sie zahlt seither keine Vergütung mehr. Den auch zur privaten Nutzung überlassenen Dienstwagen hat sie eingezogen. Der Kläger hat seine Arbeitskraft tatsächlich und durch seine Prozessbevollmächtigten angeboten.

Mit Schriftsatz vom 14. Juni 2022 hat die Verfügungsklägerin das vorliegende Verfahren eingeleitet. Sie hat die Ansicht vertreten, sie sei von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung zu entbinden. Die Kündigungsschutzklage biete aufgrund der erheblichen Minderleistung des Verfügungsbeklagten, an der sich auch nach mehreren Abmahnungen nichts geändert habe, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Zudem sei der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet. Soweit der Betriebsrat eine fehlerhafte Sozialauswahl rüge, sei dies nur bei betriebsbedingten Kündigungen relevant. Zudem habe der Betriebsrat keine Gesichtspunkte vorgetragen, nach denen es zumindest möglich erscheine, dass einer der abschließend aufgeführten Widerspruchsgründe vorliege. Ein Widerspruchsgrund im Sinne des § 102 Abs. 3 Nr. 4 und 5 BetrVG sei schon deshalb nicht ausreichend dargestellt, weil der Betriebsrat nicht einmal konkrete Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten unter Nennung der konkreten Stellen vorgetragen habe. Im Übrigen habe es auch keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Bereich des Fuhrparks und in der Disposition gegeben, sodass der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet sei. Ein pauschaler Hinweis auf Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten sei unzureichend. Der Betriebsrat hätte die konkreten freien Stellen benennen müssen, in welchen Bereichen es diese Stellen gegeben habe und weshalb der Verfügungsbeklagte das dortige Anforderungsprofil erfülle. Soweit der Betriebsrat auf eine erst noch zu schaffende Stelle in der Disposition und in dem Fuhrpark verweise, stehe dem bereits entgegen, dass der Verfügungsbeklagte im Falle einer Eignung lediglich Anspruch auf Weiterbeschäftigung auf freien Stellen, nicht auf erst noch zu schaffenden Stellen habe. Außerdem sei der Kläger auch für die überwiegend administrativen Tätigkeiten im Bereich der Disposition und im Fuhrpark nicht geeignet. Ein Verfügungsgrund müsse nicht dargelegt werden. Ihr sei zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung keine freie Stelle im Bereich der Disposition bekannt gewesen. Sie müsse daher jedenfalls mit dem Hilfsantrag durchdringen.

Die Verfügungsklägerin hat beantragt,

sie im Wege der einstweiligen Verfügung von der Verpflichtung, den Verfügungsbeklagten gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG aufgrund des Widerspruchs des Betriebsrats vom 27. September 2021 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen, zu entbinden,

hilfsweise festzustellen, dass der Betriebsrat mit Schreiben vom 27. September 2021 gegen die im Schreiben vom 21. September 2021 angekündigte ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Antragsgegner mit Wirkung zum Ablauf des 30. April 2022, hilfsweise mit Wirkung zum Ablauf des nächstzulässigen Termins, keinen Widerspruch im Sinne des § 102 Abs. 3 BetrVG erhoben habe.

Der Verfügungsbeklagte hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen. Es fehle bereits an einem Verfügungsgrund, da die Verfügungsklägerin bis zur Einreichung des Antrags zulange zugewartet habe. Sie habe seit Eingang des Widerspruchs die Möglichkeit gehabt, sich darüber Gedanken zu machen, ob sie eine Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht geltend machen wolle. Zudem habe er bereits mit der Klageschrift vom 10. Oktober 2021 eine auf den Widerspruch des Betriebsrats gestützte Weiterbeschäftigung geltend gemacht, was nicht streitig ist. Außerdem verhalte sich die Verfügungsklägerin auch treuwidrig, da sie im Kammertermin am 25. Mai 2022 eine Entscheidung unter Hinweis auf Vergleichsmöglichkeiten verhindert und sodann keine Bereitschaft zu solchen Gesprächen gezeigt habe.

Jedenfalls sei der Betriebsratswiderspruch ausreichend gewesen. Allerdings sei der Betriebsrat zuvor nicht ordnungsgemäß angehört worden. Er sei schon nicht hinreichend über die zutreffende Vergleichsgruppe informiert worden.

Die Kündigungsschutzklage sei begründet. Ursächlich für die niedrigeren Verkäufe sei eine Änderung des Verkaufsgebiets im Jahr 2019 gewesen. Auch habe es in diesem Jahr einen Vorgesetztenwechsel gegeben. Neuzulassungen seien zurückgegangen, Großkunden habe er nicht bedienen dürfen. Die vorausgegangene Marktanalyse weise erhebliche Mängel auf. Außerdem hat er sich auf umfangreiche zeitintensive Vertretungsaufgaben berufen.

Es hätten auch Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten vorgelegen. Hierauf habe die Verfügungsklägerin im Vorfeld ja selbst hingewiesen. Im Gespräch am 26. August 2021 sei seitens der Verkaufsleitung ein noch nicht konkret benannter Alternativarbeitsplatz in einem anderen Bereich angeboten worden. Im Rahmen des Gesprächs am 8. September 2022 sei er dann gefragt worden, ob er sich vorstellen könne, in einem anderen Bereich (Disposition/Fuhrpark) tätig zu werden. Das habe er bejaht, was zur Vereinbarung des Vorstellungsgesprächs bei dem Leiter der Disposition geführt habe. Im Bereich der Disposition habe es freie Arbeitsplätze gegeben. Es seien Stellen im maßgeblichen Zeitraum im Bereich Disposition frei geworden, die konkret benannt werden. Auch im Bereich des Fuhrparks habe es Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten gegeben. Er wäre aufgrund seiner Kenntnisse auch in der Lage gewesen, diese Aufgaben auszuüben. Am 29. September 2021 habe die Verkaufsleiterin F bei Übergabe der Kündigung sogar noch gefragt, warum er sich denn nicht im Fuhrpark vorgestellt habe, was die Verfügungsklägerin nicht bestreitet. Er habe geantwortet, dass er sich - wie zuvor besprochen - zunächst bei der Disposition habe vorstellen wollen und immer noch auf eine Rückmeldung warte. Freie Arbeitsplätze habe es zudem auch im Bereich der Autovermietung gegeben.

Die Verfügungsklägerin habe in den Gesprächen am 26. August und am 8. September 2021 nicht davon gesprochen, dass die Stellen in der Disposition und im Fuhrpark erst noch geschaffen werden müssten.

Da der Betriebsrat und die Verfügungsklägerin über denselben Informationsstand hinsichtlich der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten verfügt hätten, sei eine Konkretisierung in dem Widerspruchsschreiben nicht erforderlich gewesen. Wegen der freien Arbeitsplätze hat der Verfügungsbeklagte Bezug genommen auf eine eidesstattliche Versicherung des Betriebsratsmitglieds Fö vom 16. August 2022. Insoweit wird Bezug genommen auf die Anlage AG 4 zum Schriftsatz des Verfügungsbeklagten vom 17. August 2022. Der Feststellungsantrag sei mangels Feststellungsinteresses unzulässig.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge der Verfügungsklägerin zurückgewiesen. Es hat dahinstehen lassen, ob überhaupt ein betriebsverfassungsrechtlicher Weiterbeschäftigungsanspruch des Verfügungsbeklagten aufgrund des Widerspruchs des Betriebsrats gegen die arbeitgeberseitige Kündigungsabsicht besteht. Die Kündigungsschutzklage sei jedenfalls nicht mutwillig erhoben. Sie sei auch nicht von vornherein ohne Aussicht auf Erfolg gewesen. Jedenfalls habe sie nicht offensichtlich oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg. Es sei auch nicht festzustellen, dass der Widerspruch des Betriebsrats vom 27. September 2021 offensichtlich unbegründet gewesen sei. Zwar scheide ein Widerspruch nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG aus. Die Vorschrift betreffe nur betriebsbedingte Kündigungen. Soweit der Betriebsrat sich aber darauf berufen habe, eine an anderer Stelle beschriebene Weiterbeschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz sei nicht ausreichend geprüft worden und der Betriebsrat dies auch noch näher ausgeführt habe, handele es sich um einen ordnungsgemäßen Widerspruch. An die Begründung des Widerspruchs seien keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Außerdem verlange das Gesetz einen "offensichtlich" unbegründeten Widerspruch. Die Begründung müsse es bloß als möglich erscheinen lassen, dass mit ihr ein gesetzlicher Widerspruchstatbestand geltend gemacht werde. Die Tatsachen müssten nicht schlüssig einen Widerspruchsgrund ergeben, sondern nur ergeben können. Dem Widerspruch müsse auf "die Stirn geschrieben sein", dass er nicht durchgreife. Hier sei die Formulierung "wäre die unter S. 4 beschriebene Weiterbeschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz ausreichend und unterstützend geprüft worden, hätte die Kündigung vermieden werden können" ausreichend. Zwar sei dem Schreiben nicht eindeutig zu entnehmen, auf welche konkrete Stelle sich das beziehe. Möglicherweise habe der Betriebsrat mit der Formulierung auf eine an anderer Stelle beschriebene konkrete Weiterbeschäftigungsmöglichkeit Bezug genommen, welche auch der Adressatin des Widerspruchs bekannt gewesen sei. Die verbliebene Ungewissheit gehe zulasten der Verfügungsklägerin. Für den Hilfsantrag fehle es bereits am Verfügungsgrund. Eine Eilentscheidung über einen Antrag auf Feststellung, dass der Betriebsrat keinen Widerspruch im Sinne des § 102 Abs. 3 BetrVG erhoben habe, sei nicht veranlasst. Dadurch werde nicht ein einstweiliger Zustand in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis näher geregelt.

Die Verfügungsklägerin hat gegen das ihr am 20. September 2022 zugestellte Urteil mit einem am 20. Oktober 2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese zugleich begründet. Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen unter Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung ihren erstinstanzlichen Vortrag. Es fehle an einem ordnungsgemäßen Widerspruch, weil der Betriebsrat nur pauschal auf Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten auf anderen Arbeitsplätzen verwiesen, es aber im Rahmen des Widerspruchs versäumt habe, detailliert unter Nennung der freien Stellen darzulegen, in welchen Bereich es wann diese Stelle gegeben haben solle und weshalb der Antragsgegner das dortige Anforderungsprofil erfüllt hätte. Der Verfügungsbeklagte wäre verpflichtet, angeblich offene Stellen darzulegen - einschließlich der wesentlichen Konditionen - und zu beweisen, welche Stellen es konkret in welchem Betrieb wann gegeben haben soll und weshalb er das dortige Anforderungsprofil meine erfüllen zu können. Die Betriebsratsanhörung sei nicht unvollständig gewesen. Es habe keine freien Stellen, jedenfalls keine verfügbaren gegeben. Bei den mit dem Verfügungsbeklagten besprochenen Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in den Bereichen Disposition und Fuhrpark habe es sich nicht um freie, sondern um gegebenenfalls erst noch zu schaffende Stellen gehandelt. Sie habe sich letztendlich gegen die Schaffung einer solchen Stelle entschieden. Deshalb seien solche Stellen, wie sie in den Gesprächen angesprochen worden seien, nicht gesondert in der Betriebsratsanhörung darzustellen gewesen. Soweit der Verfügungsbeklagte sich darauf berufe, im Zeitraum von September 2021 bis Mai 2022 habe es fünf Austritte im Bereich Disposition gegeben und drei Nachbesetzungen inklusive der Übernahme eines Auszubildenden sowie zwei interne Versetzungen mit Wirkung zum 1. April und zum 1. Mai 2022, sei dieser Vortrag nur teilweise richtig. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung - und nur auf diesen Zeitpunkt komme es an - sei ihr kein einziger Austritt im Bereich Disposition bekannt gewesen. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf Seite 57 des Schriftsatzes der Verfügungsklägerin vom 20. Oktober 2022. Die freigewordenen Stellen seien je nach Kenntniserlangung erst im Zeitraum vom 9. bis 23. November 2021 und vom 16. Dezember 2021 bis zum 31. Januar 2022 ausgeschrieben gewesen.

Bei dem Schreiben des Betriebsrats vom 27. September 2021 handele es sich nicht um einen Widerspruch im Sinne des § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG. Deshalb sei er zumindest in analoger Anwendung des § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG offensichtlich unbegründet. Der Betriebsrat habe seinen Widerspruchsgrund zudem auf angebliche Textstellen bezogen, die es gar nicht gebe. Die nach Auffassung des Arbeitsgerichts bestehende Ungewissheit über den Inhalt des Satzes 4 gehe nicht zulasten der Verfügungsklägerin. Auf eine Konkretisierung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit habe nicht deshalb verzichtet werden können, weil ein Betriebsratsmitglied zuvor bei den Personalgesprächen mit dem Antragsgegner anwesend gewesen ist, zumal es in den Gesprächen lediglich um eine gegebenenfalls noch zu schaffende Stelle im Bereich Disposition oder Fuhrpark und somit gerade nicht um eine freie Stelle gegangen sei.

Eine Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes sei nicht erforderlich. Sie habe auch aus prozessökonomischen Gründen den Ausgang des Hauptsacheverfahrens in der ersten Instanz abwarten dürfen. Dass eine Entscheidung am Schluss der mündlichen Verhandlung am 25. Mai 2022 nicht ergangen sei, könne ihr nicht zum Nachteil gereichen.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 5. September 2022 - 7 Ga 5645/22 - abzuändern und sie von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung des Verfügungsbeklagten zu entbinden,

hilfsweise

festzustellen, dass der Betriebsrat mit Schreiben vom 27. September 2021 gegen die im Schreiben vom 21. September 2021 angekündigte ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Verfügungsbeklagten mit Wirkung zum Ablauf des 30. April 2022, hilfsweise mit Wirkung zum Ablauf des nächstzulässigen Termins, keinen Widerspruch im Sinne des § 102 Abs. 3 BetrVG erhoben hat.

Der Verfügungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Auch er wiederholt im Wesentlichen seinen erstinstanzlichen Vortrag.

Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien vom 20. Oktober 2022 sowie vom 4. und 9. Januar 2023.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat den Antrag der Verfügungsklägerin mit zutreffender Begründung zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Entbindung der Verfügungsklägerin von ihrer Weiterbeschäftigungspflicht liegen nicht vor.

1) Der Hauptantrag ist zulässig. Insbesondere hat die Verfügungsklägerin auch ein Rechtsschutzinteresse an der Entscheidung über den Entbindungsantrag nach § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG.

a) Bei der Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG handelt es sich um eine rechtsgestaltende Entscheidung. Eine Gestaltungsklage, über die durch Gestaltungsurteil zu entscheiden ist, liegt immer dann vor, wenn die begehrte Rechtsfolge eine Veränderung der Rechtslage erfordert, die vom Gericht vorgenommen werden muss. § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG begründet einen gesetzlichen Weiterbeschäftigungsanspruch, den der Arbeitgeber nicht durch einseitige Willenserklärung beseitigen kann; vielmehr bedarf er gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG der Hilfe des Gerichts, wenn er gegen den Willen des Arbeitnehmers von der Weiterbeschäftigungspflicht loskommen möchte. Erst der Erlass der entsprechenden einstweiligen Verfügung ändert die materielle Rechtslage (vgl. BAG 7. März 1996 - 2 AZR 432/95, Rn. 15).

Erfolgt bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG tatsächlich keine Beschäftigung, so gerät der Arbeitgeber als Gläubiger der Arbeitsleistung regelmäßig in Annahmeverzug, §§ 615, 293 ff. BGB (vgl. BAG Urteil vom 12. September 1985 2 AZR 324/84, zu B II 3 b und C der Gründe). Bei einem Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG bleibt der Arbeitgeber zur entsprechenden Vergütungszahlung auch für die Zeit verpflichtet, während derer er den Arbeitnehmer tatsächlich nicht weiterbeschäftigt hat und für die sich später aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung im Kündigungsschutzprozess herausstellt, dass tatsächlich kein Arbeitsverhältnis mehr bestand (vgl. BAG 7. Dezember 2000 - 2 AZR 585/99, Rn. 24). Vergütungsansprüche entfallen in diesem Fall mit einer Entbindung für die Zukunft, nicht aber rückwirkend, sodass sie bis zu einer Entscheidung über die Entbindung nicht bestehen bleiben und gegebenenfalls auch nicht ohne Rechtsgrund geleistet worden sind (vgl. BAG 7. März 1996 - 2 AZR 432/95, Rn. 14).

b) Die Verfügungsklägerin beruft sich darauf, dass es mangels eines ordnungsgemäßen Betriebsratswiderspruchs bereits an einem Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG fehle. Das hätte allerdings zur Folge, dass es mangels eines Weiterbeschäftigungsanspruchs nach dem unter a) Ausgeführten keinen Gestaltungsgegenstand gäbe. Die Kammer konnte davon unabhängig über den Entbindungsantrag befinden. Es fehlt dadurch insbesondere nicht am Rechtschutzinteresse für den Entbindungsantrag.

aa) Fehlt es an einem ordnungsgemäßen Betriebsratswiderspruch, besteht kein Weiterbeschäftigungsanspruch, weil dieser einen ordnungsgemäßen Widerspruch des Betriebsrats voraussetzt. Nach dem Wortlaut des § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG scheidet damit eine »Entbindung« von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung an sich bereits aufgrund des eigenen Vortrags des Arbeitgebers aus, wenn dieser sich auf das Fehlen eines ordnungsgemäßen Widerspruchs beruft.

bb) Dennoch fehlt es auch in diesem Fall nicht am Rechtsschutzbedürfnis für die Entscheidung über die Entbindung nach § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG. Die Frage des Bestehens des Weiterbeschäftigungsanspruchs nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG kann insoweit dahingestellt bleiben. Ein Rechtsschutzbedürfnis des Arbeitgebers für einen Entbindungsantrag ist bereits dann zu bejahen, wenn ein Weiterbeschäftigungsanspruch möglicherweise besteht. Ausreichend ist, dass ein auf einen Widerspruch des Betriebsrats gestütztes Weiterbeschäftigungsverlangen des Arbeitnehmers vorliegt und der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erhoben hat (vgl. LAG Hamburg 9. April 2014 - 6 SaGa 2/14, Rn. 47 mwN). Dies führt zwar uU zu einer isolierten Entscheidung darüber, ob Entbindungsgründe vorliegen, ohne zu klären, ob die zugrundeliegende Weiterbeschäftigungspflicht überhaupt besteht. Doch ist das der besonderen gesetzlichen Regelungstechnik der gerichtlichen Entbindung geschuldet (vgl. LAG Düsseldorf 24. April 2013 - 4 SaGa 6/13, Rn. 4). Liegen nicht bereits Entbindungsgründe nach § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 und 2 BetrVG vor, ist jedenfalls im Rahmen der Prüfung, ob der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unwirksam ist (§ 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG), auch zu prüfen, ob die Unwirksamkeit auf Formfehlern beruht, soweit der Arbeitgeber sich auf solche beruft. Danach besteht mangels Regelungslücke entgegen der hierzu weitgehend vertretenen Auffassung auch kein Bedarf für eine analoge Anwendung der Vorschrift.

cc) Dementsprechend ist der Entbindungsantrag hier unabhängig von der Frage, ob ein wirksamer Widerspruch vorliegt, zulässig. Die Parteien streiten darüber, ob eine Weiterbeschäftigungspflicht besteht. Es liegt auch ein Widerspruch des Betriebsrats vor. Ob ein Entbindungsgrund nach § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG existiert, ist eine Frage der Begründetheit.

2) Der Antrag ist unbegründet. Die Voraussetzungen für eine Entbindung der Verfügungsklägerin von der Weiterbeschäftigungspflicht nach der fristgemäßen Kündigung sind nicht gegeben. Es mangelt der Kündigungsschutzklage nicht an hinreichender Erfolgsaussicht. Erst recht ist sie nicht mutwillig. Auf eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung im Falle einer Beschäftigung beruft sich die Verfügungsklägerin nicht. Der Widerspruch des Betriebsrats war auch nicht offensichtlich unbegründet.

a) Soweit die Verfügungsklägerin sich zur Begründung des Entbindungsantrags darauf beruft, die Kündigungsschutzklage habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, hat sie daran in der Berufungsverhandlung selbst nicht ernsthaft festgehalten. Jedenfalls sind die Voraussetzungen für eine Entbindung nach § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BetrVG nicht erfüllt.

aa) Der Wortlaut des Entbindungsgrundes von § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BetrVG entspricht dem des § 114 Satz 1 ZPO. Es gelten dieselben Maßstäbe. Der Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers fehlt eine hinreichende Erfolgsaussicht, wenn sie bei summarischer Prüfung offensichtlich oder zumindest mit hinreichender Sicherheit erfolglos bleiben wird. Dazu genügt es nicht, wenn das Ergebnis des Prozesses ungewiss erscheint oder wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ein Unterliegen des Arbeitnehmers besteht. Eine hinreichende Erfolgsaussicht kann ebenso wenig verneint werden, wenn die Entscheidung im Kündigungsschutzprozess von einer im Verfahren nach § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG nicht zu klärenden Tatsachenfeststellung oder von einer schwierigen, bisher höchstrichterlich nicht geklärten Rechtsfrage abhängt, selbst wenn das Gericht diese Rechtsfrage zu Lasten des Arbeitnehmers beantworten würde. Wegen des abgesenkten Prüfungsmaßstabes genügt auch ein Hinweis des Arbeitgebers auf ein erstinstanzliches Unterliegen des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess nicht ohne weiteres. Mutwillig ist die Klage, wenn ein verständiger Arbeitnehmer sein Recht nicht in vergleichbarer Weise verfolgen würde (Gallner/Mestwerdt/Nägele, 7. Aufl. 2021, KSchR/BetrVG § 102 Rn. 221, 222).

bb) Im einstweiligen Verfügungsverfahren muss der Arbeitgeber die Entbindungsgründe glaubhaft machen (§ 294 ZPO). Im Hauptsacheverfahren trägt er die Darlegungs- und Beweislast für diese Gründe. Beim Widerspruchsgrund von § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BetrVG reicht es nicht aus, die vom Betriebsrat angeführten Widerspruchsgründe zu widerlegen. Der Arbeitgeber muss vielmehr umfassend belegen, aus welchen Gründen die Kündigung wirksam und die Kündigungsschutzklage daher nicht erfolgsversprechend sein soll. Dabei muss er auf die Kündigungsgründe iSv § 1 Abs. 2 KSchG, die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats gem. § 102 Abs. 1 Satz 1, 2 BetrVG und gegebenenfalls bestehenden Sonderkündigungsschutz eingehen. Auch soweit das materielle Kündigungsrecht dem Arbeitnehmer die Darlegungslast zuweist, etwa bei der Sozialauswahl oder für die Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung, gilt nichts anderes. Verfahrensgegenstand ist nicht die Wirksamkeit der Kündigung, sondern die fehlende Erfolgsaussicht der Kündigungsschutzklage (Gallner/Mestwerdt/Nägele, 7. Aufl. 2021, KSchR/BetrVG § 102 Rn. 227). Die Geltendmachung einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung iSv § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG setzt eine umfassende Darlegung der aktuellen und der zukünftigen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens voraus.

cc) Gegenstand der Kündigung ist hier eine angeblich zu geringe Arbeitsleistung des Klägers. Diese sucht die Verfügungsklägerin auf über einhundert Seiten in ihren erst- und zweitinstanzlichen Schriftsätzen zu begründen. Dem hält der Verfügungsbeklagte Argumente in ähnlichem Umfang entgegen. Hinreichende Erfolgsaussichten sind der Klage bei Anlegung der im Kündigungsschutzprozess insoweit maßgeblichen Gesichtspunkte nicht abzusprechen. Maßstab sind insoweit gerade nicht die tatsächlichen, sondern hinreichende Erfolgsaussichten, im Rahmen des Verfahrens zu obsiegen, also die Kriterien, die auch bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe anzulegen sind.

b) Der Widerspruch war auch nicht offensichtlich unbegründet. Es ist von einem ordnungsgemäß begründeten Widerspruch des Betriebsrats gegen die Kündigung auszugehen, da die Widerspruchsbegründung es jedenfalls als möglich erscheinen lässt, dass die Voraussetzungen für den Widerspruchsgrund nach § 102 Abs. 3 Nr. 5 BetrVG erfüllt sind.

aa) Ein Widerspruch ist offensichtlich unbegründet, wenn entweder die vom Betriebsrat angeführten Tatsachen nicht vorliegen oder der Widerspruch aus formellen Gründen nicht den Anforderungen des § 102 Abs. 3 BetrVG entspricht (APS/Koch, 6. Aufl. 2021, BetrVG § 102 Rn. 223; KR/Rinck, 13. Auflage 2022, § 102 BetrVG, Rn. 310).

(1) Offensichtliche Unbegründetheit des Betriebsratswiderspruchs setzt voraus, dass sich seine Grundlosigkeit bei unbefangener Beurteilung geradezu aufdrängt (KR/Rinck, 13. Auflage 2022, § 102 BetrVG, Rn. 309 mwN; Düwell/Braasch, 6. Aufl.2022, BetrVG § 102 Rn. 125). Dies ist insbesondere der Fall, wenn die vom Betriebsrat zur Begründung angeführten Tatsachen unzutreffend sind, etwa wenn ein vom Betriebsrat als frei bezeichneter Arbeitsplatz tatsächlich nicht verfügbar ist, wenn der Widerspruch auf nicht nachprüfbaren Gerüchten beruht, wenn der Betriebsrat geltend macht, der zu kündigende Arbeitnehmer könne nach Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen auf einem Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden, der mit einem anderen Arbeitnehmer besetzt ist, oder wenn er sich auf die Nichteinhaltung von Auswahlrichtlinien iSv § 95 BetrVG beruft, die überhaupt nicht aufgestellt sind. Eine Entbindung kommt auch in Betracht, wenn der Betriebsrat zwar auf einen der Widerspruchsgründe von § 102 Abs. 3 BetrVG Bezug genommen hat, seine rechtliche Subsumtion aber ohne Zweifel unzutreffend ist (Gallner/Mestwerdt/Nägele, 7. Aufl. 2021, KSchR/BetrVG § 102 Rn. 224).

(2) Maßgeblich ist die Sachlage zur Zeit des Widerspruches. Es genügt nicht, dass der Widerspruch erst zu einem späteren Zeitpunkt offensichtlich unbegründet wird. Erweist sich der Widerspruch des Betriebsrats erst zu einem späteren Zeitpunkt als offensichtlich unbegründet, kann dies aber zur Entbindung des Arbeitgebers von der Weiterbeschäftigungspflicht wegen fehlender Erfolgsaussicht der Kündigungsschutzklage führen (KR/Rinck, 13. Auflage 2022, § 102 BetrVG, Rn. 309).

bb) Offensichtlich unbegründet ist ein Widerspruch danach, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Widerspruch offensichtlich nicht gegeben sind, es also keiner Beweiserhebung bedarf (Fitting, 31. Aufl. 2022, BetrVG § 102 Rn. 120). Tatsachen, zu deren Feststellung eine Beweiserhebung notwendig ist, sind nicht offensichtlich (Gallner/Mestwerdt/Nägele, 7. Aufl. 2021, KSchR/BetrVG § 102 Rn. 224). Beruft sich der Arbeitgeber auf einen offensichtlich unbegründeten Widerspruch des Betriebsrats iSv § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG, muss er den Grund glaubhaft machen, der dafür maßgeblich sein soll. Dazu kann die Vorlage des Widerspruchsschreibens ausreichen, wenn sich etwa im Fall einer rechtsfehlerhaften Geltendmachung eines Widerspruchsgrundes dessen Unbegründetheit bereits aus der Stellungnahme selbst ergibt (Gallner/Mestwerdt/Nägele, 7. Aufl. 2021, KSchR/BetrVG § 102 Rn. 227).

cc) Der Weiterbeschäftigungsantrag ist bei Berücksichtigung dieser Maßstäbe nicht wegen eines formell nicht ordnungsgemäßen Betriebsratswiderspruchs offensichtlich unbegründet.

(1) Ein formell ordnungsgemäßer Betriebsratswiderspruch setzt voraus, dass der Betriebsrat durch Angabe konkreter Tatsachen deutlich gemacht hat, warum der genannte Widerspruchsgrund gerade in diesem Einzelfall gegeben ist. Eine Wiederholung des Gesetzeswortlauts allein genügt nicht. Der Betriebsrat muss das Vorhandensein von widerspruchsbegründenden Tatsachen positiv behaupten. Eine bloße Äußerung von Zweifeln reicht nicht. Die konkrete Begründung braucht andererseits nicht ohne weiteres einleuchtend zu sein, wie sich mittelbar aus § 102 Abs. 5 Nr. 3 BetrVG ergibt. Die Widerspruchsgründe müssen auch nicht stichhaltig bzw. schlüssig sein. Erforderlich ist lediglich ihre Plausibilität in dem Sinne, dass die vom Betriebsrat aufgeführten Tatsachen es als möglich erscheinen lassen, dass einer der in Absatz 3 angeführten Widerspruchsgründe vorliegt. Erst wenn die genannten Tatsachen unter keinem Gesichtspunkt unter einen der Widerspruchsgründe passen, kann von einem nicht ordnungsgemäßen Widerspruch gesprochen werden. Ob der Widerspruch begründet ist oder nicht, spielt keine Rolle. Dies ist die Frage des materiellen Kündigungsschutzes bzw. im Falle eines offensichtlich unbegründeten Widerspruchs Grundlage für die Entbindung des Arbeitgebers von der Weiterbeschäftigungspflicht (vgl. LAG Hamburg 14. Januar 2004 - 4 Sa 93/03, Rn. 42).

(2) Nach § 102 Abs. 3 Nr. 5 BetrVG kann der Betriebsrat der Kündigung widersprechen, wenn der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens unter geänderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigt werden kann und der Arbeitnehmer damit einverstanden ist. Hierbei ist es zwar nicht erforderlich, dass der Betriebsrat im Widerspruchsschreiben Tatsachen angibt, die schlüssig einen Widerspruchsgrund iS. von § 102 Abs. 3 BetrVG ergeben. Dem Betriebsrat ist jedoch ein Mindestmaß an konkreter Argumentation abzuverlangen; ein rein spekulativer Widerspruch etwa in dem Sinne, es sei im Betrieb irgendeine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit vorhanden, reicht nicht. Der Betriebsrat muss konkret darlegen, auf welchem (freien) Arbeitsplatz eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in Betracht kommt; hierbei muss der Arbeitsplatz zumindest in bestimmbarer Weise angegeben und der Bereich bezeichnet werden, in dem der Arbeitnehmer anderweitig beschäftigt werden kann (vgl. BAG 11. Mai 2000 - 2 AZR 54/99, Rn. 27).

Aus Wortlaut, Systematik und dem Sinn und Zweck des § 102 BetrVG folgt, dass ein ordnungsgemäßer Widerspruch iSd. § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG nicht bereits dann vorliegt, wenn der Betriebsrat in seinem Widerspruchsschreiben lediglich den Gesetzes-wortlaut wiederholt oder nur eine entsprechende Norm angibt. Ebenso ist es nicht ausreichend, wenn im Widerspruchsschreiben nur Leerformeln angegeben werden ohne konkreten Inhalt.

Sinn und Zweck der Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 BetrVG sind allerdings nicht die selbständige - objektive - Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung, sondern die Anhörung soll ggf. eine Einflussnahme auf die Willensbildung des Arbeitgebers ermöglichen (vgl. BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15, Rn. 14).

(3) Dem genügt der Widerspruch des Betriebsrats vom 27. September 2021 in der hier vorliegenden Konstellation bei Anlegung des im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG maßgeblichen Prüfungsmaßstabs.

(a) Ausschlaggebend für die Frage, ob der Widerspruch des Betriebsrats den Anforderungen des § 102 Abs. 3 BetrVG genügt, ist nach diesem Maßstab nicht allein der Wortlaut. Maßgeblich ist, wie der Arbeitgeber den Inhalt des Widerspruchs verstehen musste. Ausschlaggebend ist vor dem Hintergrund der unter (2) dargelegten Gesichtspunkte, ob der Arbeitgeber, hier also die Verfügungsklägerin, die Gesichtspunkte hinreichend erkennen konnte, mit denen der Betriebsrat ihre Willensbildung beeinflussen wollte.

Der Widerspruch des Betriebsrats ist vor dem Hintergrund der ihn auslösenden Umstände auszulegen. Daher sind auch die Vorgespräche, die mit dem Verfügungsbeklagten in Gegenwart eines Betriebsratsmitglieds über mögliche Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten geführt worden sind, zu berücksichtigen, hier insbesondere die Gespräche am 26. August und am 8. September 2021. Im Rahmen des Gesprächs am 8. September 2021 sind nach Darstellung des Verfügungsbeklagten, welche er durch eine eidesstattliche Versicherung des Betriebsratsmitglieds Föhre glaubhaft macht, anderweitige konkrete Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten ausdrücklich erörtert worden. Angesprochen worden sein sollen eine Weiterbeschäftigung in der Disposition und im Fuhrpark. Er habe sich dort auch vorstellen sollen, was unter den Parteien nicht streitig ist. Es ist dann tatsächlich erst nach Eingang des Anhörungsschreibens bei dem Betriebsrat und vor dem Betriebsratswiderspruch zu einem Gespräch des Klägers in der Disposition gekommen. Die Verfügungsklägerin beruft sich darauf, Hintergrund der Gespräche seien nicht freie Arbeitsplätze in diesen Bereichen gewesen, sondern die Überlegung, solche eventuell zu schaffen. Dazu sei es dann aber nicht gekommen. Die durch den Verfügungsbeklagten insoweit aufgeführten ausgeschriebenen und in der Folge frei gewordenen Arbeitsplätze seien entweder bereits vergeben gewesen oder nicht neu besetzt worden. Einige seien zwar später tatsächlich frei geworden. Das sei zum Zeitpunkt des Widerspruchs aber noch nicht bekannt gewesen. Es habe sich vielmehr erst zu späteren Zeitpunkten herausgestellt. Dieser Vortrag ist streitig geblieben.

(b) Diese seitens der Verfügungsklägerin vorgetragenen Gesichtspunkte stehen der formellen Ordnungsgemäßheit des Widerspruchs des Betriebsrats bei Berücksichtigung des nach § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG anzulegenden Prüfungsmaßstabs nicht entgegen. Zutreffend ist allerdings zunächst, dass der schriftliche Widerspruch des Betriebsrats als solcher den Anforderungen nicht genügt hätte. Berücksichtigt man jedoch das in Gegenwart eines Betriebsratsmitglieds mit dem Verfügungsbeklagten geführte Gespräch, konnte die Verfügungsklägerin den Widerspruch des Betriebsrats nur so verstehen, dass eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in den im Rahmen des Gesprächs angesprochenen Bereichen der Disposition und des Fuhrparks gemeint war. Gerade hierum war es in diesem Gespräch gegangen. Die Verfügungsklägerin musste auch davon ausgehen, dass das an dem Gespräch teilnehmende Betriebsratsmitglied den Betriebsrat entsprechend informiert hatte. Der Verfügungsbeklagte hat sich dann auch mit Unterstützung der zuständigen Mitarbeiterinnen der Verfügungsklägerin in der Disposition vorgestellt. In dieser Situation musste der Betriebsrat die aus seiner Sicht in Betracht kommenden Arbeitsplätze in dem Schreiben nicht weiter konkretisieren. Der Betriebsrat konnte davon ausgehen, dass der Verfügungsklägerin aufgrund ihrer eigenen Initiative bekannt war, um welche Arbeitsplätze bzw. Arbeitsaufgaben es in dem Betriebsratswiderspruch konkret ging, in dem er sich auf Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten berufen hat. Hiervon ist auch deshalb auszugehen, weil es wenig wahrscheinlich ist, dass ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer in Kenntnis des Betriebsrats zwecks Vorstellung in einen Bereich entsendet, in dem es nach seiner Auffassung keine zu besetzenden Arbeitsplätze gibt. Nicht entscheidend ist, dass die Arbeitsplätze später eventuell dann doch nicht zur Verfügung gestellt worden sind. Der Betriebsrat konnte zum Zeitpunkt des Widerspruchs davon ausgehen, dass freie Arbeitsplätze zur Verfügung stehen würden. Wenn er sich in dieser Situation auf Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten berief, war für die Verfügungsklägerin ausreichend deutlich erkennbar, um welche Arbeitsplätze es ihm ging. In dieser konkreten Situation bedurfte es auch nicht eines weiteren Eingehens des Betriebsrats auf die Frage, ob der Kläger für eine entsprechende Tätigkeit in diesem Bereich überhaupt geeignet gewesen ist. Davon waren die Verfügungsklägerin bzw. die sie vertretenden Mitarbeiterinnen offenbar selbst ausgegangen, da es ansonsten wenig Sinn gemacht hätte, den Verfügungsbeklagten zu einem Vorstellungsgespräch dorthin zu schicken. Jedenfalls erschien es den Mitarbeiterinnen der Verfügungsklägerin selbst nicht aussichtslos, dass der Verfügungsbeklagte die dort maßgeblichen Anforderungen erfüllen werde bzw. erfüllen könne. Keinesfalls kann bei dieser Konstellation aber von offensichtlicher Unwirksamkeit des Widerspruchs aus formellen Gründen ausgegangen werden.

dd) Der Betriebsratswiderspruch ist auch nicht materiell offensichtlich unbegründet.

(1) Eine Grundlosigkeit des Widerspruchs drängt sich bei unbefangener Beurteilung nicht wegen der angeblich nicht vorhandenen Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten geradezu auf. Angesichts der zahlreichen tatsächlich in den maßgeblichen Bereichen auch nach dem Vortrag der Verfügungsklägerin jedenfalls später frei gewordenen Stellen und einer daraus deutlich werdenden nicht unerheblichen Fluktuation, war die Möglichkeit einer Beschäftigung in den Bereichen Disposition und Fuhrpark jedenfalls nicht unwahrscheinlich, sodass der Betriebsrat angesichts des Agierens der Verfügungsklägerin durchaus annehmen konnte, dass in den relevanten Bereichen jedenfalls zum Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist auch Stellen zur Verfügung stehen würden. Es konnte zum damaligen Zeitpunkt nicht notwendig davon ausgegangen werden, dass die Arbeitsplätze nicht erneut besetzt werden würden. Zudem sind die Ausführungen der Verfügungsklägerin nicht unbestritten geblieben.

(2) Es drängt sich hier insbesondere auch nicht auf, dass eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht bestanden hat oder der Kläger zur Erfüllung der Aufgaben in der Disposition oder im Fuhrpark ungeeignet gewesen wäre. Der Vortrag der Verfügungsklägerin, der Verfügungsbeklagte sei zu den dort erforderlichen administrativen Aufgaben nicht in der Lage, hat sie nicht genügend untersetzt. Angesichts der eigenen Vorschläge der auf Seiten der Arbeitgeberin agierenden Mitarbeiterinnen spricht auch viel dafür, dass sie den Verfügungsbeklagten grundsätzlich für fähig hielten, die Tätigkeit auszuüben. Jedenfalls kann sich die Verfügungsklägerin nicht mit Erfolg auf mangelnde fachliche Fähigkeiten im Rahmen des vorliegenden Verfahrens berufen, da sie durch ihr eigenes Vorgehen entgegen der Abmachungen in den Vorgesprächen und der Anhörung des Betriebsrats bereits vor den Vorstellungsterminen weitere Erkenntnisse in den betroffenen Bereichen abgeschnitten hat. Der Betriebsrat war vor dem Hintergrund der Vorgespräche auch nicht gehalten, von sich aus die Fähigkeiten des Verfügungsbeklagten zur Wahrnehmung der geänderten Arbeitsaufgaben zu belegen, nachdem die Verfügungsklägerin auch ihm zuvor die im Rahmen eines Vorstellungsgesprächs sich ergebenden Erkenntnismöglichkeiten genommen hatte.

2) Der Hilfsantrag ist nicht zur Entscheidung angefallen. Die damit verbundene auflösende Bedingung ist eingetreten. Die Kammer hat über die Frage, ob der Betriebsratswiderspruch bereits aus formellen Gründen offensichtlich unwirksam gewesen ist, bereits im Rahmen des Hauptantrags befunden.

III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Vorschriften§ 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG, § 102 Abs. 3 Nr. 4 und 5 BetrVG, § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG, § 102 Abs. 3 BetrVG, § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG, §§ 615, 293 ff. BGB, § 102 Abs. 5 BetrVG, § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 und 2 BetrVG, § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG, § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BetrVG, § 114 Satz 1 ZPO, § 294 ZPO, § 1 Abs. 2 KSchG, § 102 Abs. 1 Satz 1, 2 BetrVG, § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG, § 102 Abs. 3 Nr. 5 BetrVG, § 95 BetrVG, § 102 Abs. 5 Nr. 3 BetrVG, § 102 BetrVG, § 97 Abs. 1 ZPO