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Beschluss vom 01.02.2023 · IWW-Abrufnummer 234931

Landesarbeitsgericht Köln - Aktenzeichen 5 TaBVGa 1/23

1. Mit einer einstweiligen Verfügung kann der Abbruch der Wahl der Delegierten für die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer angeordnet werden.

2. Der hierfür erforderliche Verfügungsanspruch ist gegeben, wenn ein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren vorliegt und aus der jetzigen Perspektive die notwendige Kausalität zwischen dem Wahlverstoß und dem Wahlergebnis zu prognostizieren ist (§ 21 Abs. 1 MitbestG). Die vom BAG für Betriebsratswahlen entwickelten Grundsätze sind auf Aufsichtsratswahlen nicht übertragbar.

3. Voraussetzung für die Annahme eines Verfügungsgrundes ist zunächst, dass die Antragssteller ihre Rechte nicht in einem regulären Verfahren wahren könnten. Diese Voraussetzung ist bei einem auf Abbruch einer Wahl gerichteten Antrag regelmäßig gegeben.

Das Vorliegen dieses Umstands allein begründet noch keinen Verfügungsgrund. Für den Verfügungsgrund ist vielmehr zusätzlich zu verlangen, dass nach Einschätzung des Gerichts die Wahl ohne den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit hoher Wahrscheinlichkeit anfechtbar oder sogar nichtig wäre. Daher ist der Eingriff bereits im Vorfeld der Wahl durch eine einstweilige Verfügung nur dann gerechtfertigt, wenn das zur Entscheidung berufene Gericht keine Zweifel daran hat, dass ein anderes Gericht im Rahmen eines Anfechtungsverfahrens zu einer übereinstimmenden Einschätzung der Rechtslage kommen würde.

Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, weil der Wahlvorstand eine in einem späteren Anfechtungsverfahren aussichtsreiche Rechtsposition vertritt, wiegt das Interesse des Wahlvorstands an einer planmäßigen Durchführung der Wahl mehr als das Interesse der Antragsteller an dem Abbruch der Wahl.


Tenor:
I. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) bis 4) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 13.01.2023- 1 BVGa 25/22 - teilweise abgeändert:


1. Der Beteiligte zu 5) wird verpflichtet, die Wahl der Delegierten für die Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der D im Betrieb der L , abzubrechen.


2. Der Beteiligte zu 5) wird verpflichtet, die Bekanntmachung nach § 59 3. WOMitBestG vom 22.11.2022 für den Betrieb der L zurückzuziehen.


II. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.



Gründe



I.



Die Beteiligten zu 1) bis 4) wollen mit einer einstweiligen Verfügung den Abbruch der Wahl der Delegierten für die Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat der Beteiligten zu 6) im F Betrieb der Beteiligten zu 7) erreichen.



Bei der Beteiligten zu 6) finden derzeit konzernweit Wahlen der Delegierten für die Wahl der Vertreter der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat statt. Der Aufsichtsrat setzt sich aus 20 Mitgliedern zusammen. Zehn Mitglieder sind für die Arbeitnehmerseite vorgesehen. Konzernweit sind 63.710 Arbeitnehmer wahlberechtigt. In dem Betrieb der Beteiligten zu 7) in F werden 1.413 Arbeitnehmer beschäftigt. Dies entspricht einem Anteil von 2,2 % der Konzernbeschäftigten. Sie wählen insgesamt 17 Delegierte. Dabei entfällt ein Delegierter auf die leitenden Angestellten.



Die Antragsteller und Beteiligten zu 1) bis 4) sind Arbeitnehmer der Beteiligten zu 7) im Betrieb in F mit aktivem und passivem Wahlrecht bei der Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Beteiligten zu 6). Mit Wahlausschreiben vom 22.11.2022 machte der Beteiligte zu 5) die Wahl der Delegierten für die Wahl der Vertreter der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der Beteiligten zu 6) bekannt. In dem Wahlausschreiben heißt es unter der Ziffer 10 wie folgt:



In dem Wahlausschreiben wurde weiterhin darauf hingewiesen, dass letzter Tag der Frist zur Einreichung von Wahlvorschlägen der 06.12.2022, 20.00 Uhr, sei. Wegen des weiteren Inhalts des Wahlausschreibens wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.



Am 01.12.2022 um 14.04 Uhr wurde dem Beteiligten zu 5) eine Wahlvorschlagsliste mit dem Kennwort "v " durch L übergeben. In einem Schreiben des Beteiligten zu 5) an den Beteiligten zu 3) ist u.a. ausgeführt: "Der Wahlvorstand hat die von Herrn R am 01.12.2022 um 14.04 Uhr eingereichte Vorschlagsliste am 05.12.2022 in der 3. ordentlichen Sitzung geprüft. Der Wahlvorstand hat aus untenstehenden Gründen festgestellt, dass die Vorschlagsliste unheilbar ungültig ist: (...)"



Am 06.12.2022 um 19.10 Uhr wurde dem Beteiligten zu 5) von den Beteiligten zu 1) und 2) sowie von einem ver.di-Vertreter eine weitere Vorschlagsliste mit dem Kennwort "v " übergeben. Mit dem Beteiligten zu 3) am 10.12.2022 zugegangenem Schreiben des Beteiligten zu 5) teilte letzterer u.a. mit, dass die am 06.12.2022 um 19.10 Uhr eingereichte Vorschlagsliste am 05.12.2022 (gemeint war der 09.12.2022) in der vierten ordentlichen Sitzung geprüft und festgestellt worden sei, dass auch diese Vorschlagsliste unheilbar ungültig sei.



Die Antragsteller haben geltend gemacht, es lägen mehrere Verstöße gegen das Wahlrecht vor. So sei der Beteiligte zu 5) nicht ordnungsgemäß zusammengesetzt, weil ein Mitglied dem Betrieb in H angehöre. Die Beschlüsse des Beteiligten zu 5) seien damit unwirksam. Das Wahlausschreiben vom 22.11.2022 sei grob fehlerhaft, da es zahlreiche Ausführungen enthalte, die in § 59 3. WOMitbestG nicht vorgesehen seien. Zu beanstanden sei insbesondere Ziffer 10 des Wahlausschreibens. Dort werde der unzutreffende Eindruck erweckt, die Verwendung von Formularen sei obligatorisch. Darüber hinaus sei der Beteiligte zu 5) nicht seiner Pflicht zur unverzüglichen Prüfung und Unterrichtung nachgekommen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Antragschrift verwiesen.



Die Beteiligten zu 1) bis 4) haben beantragt,



Der Beteiligte zu 5) hat beantragt,



Die weiteren Beteiligten haben keine Anträge gestellt.



Der Beteiligte zu 5) hat die Auffassung vertreten, es sei weder ein Verfügungsanspruch noch ein Verfügungsgrund gegeben. Er habe die Wahlvorschlagslisten vom 01.12. und 06.12.2022 zutreffend für unwirksam erachtet, da sie aus den von ihm in der Antragserwiderung im Einzelnen genannten Gründen unheilbar mangelhaft gewesen seien. Er hat behauptet, die Wahlvorschlagsliste vom 01.12.2022 sei seinem Mitglied M Ö ohne Heftklammern in Loseblattform übergeben worden. Der Beteiligte zu 3) habe Stützunterschriften gesammelt, indem er Arbeitnehmern der Beteiligten zu 7) einzelne Blätter vorgelegt habe, ohne dass erkennbar gewesen sei, für welche Kandidaten Stützunterschriften hätten geleistet werden sollen. Hinsichtlich der Liste vom 06.12.2022 habe Herr R am 09.12.2022 bestätigt, dass Kandidaten nachgetragen worden seien, nachdem bereits Stützunterschriften geleistet worden seien. Die Formulierung in Ziffer 10 des Wahlausschreibens, dass Formulare anzufordern seien, stamme vom Hauptwahlvorstand. Tatsächlich seien keine Anfragen zu Formularen eingegangen.



Das Arbeitsgericht hat die am 16.12.2022 eingegangenen Anträge mit Beschluss vom 13.01.2023 abgewiesen. Hiergegen richtet sich die von den Beteiligten zu 1) bis 4) am 27.01.2023 eingelegte Beschwerde. Auf die am 31.01.2023 vorgelegte Begründung des Arbeitsgerichts wird Bezug genommen.



Die Beteiligten zu 1) bis 4) sind weiterhin der Meinung, dass die beantragte einstweilige Verfügung zu erlassen sei. Das Arbeitsgericht sei hinsichtlich des Verfügungsanspruchs entgegen der Rechtsprechung des BAG von einem zu strengen Maßstab ausgegangen.



Die Beteiligten zu 1) bis 4) beantragen,



Der Beteiligte zu 5) beantragt,



Die weiteren Beteiligten stellen keine Anträge.



II.



1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) bis 4) ist zulässig. Sie ist gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG statthaft und wurde gemäß §§ 87 Abs. 2, 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 und 5 ArbGG, §§ 519 und 520 ZPO frist- und formgerecht eingelegt und begründet.



2. Das Beschwerdegericht hat den Hauptwahlvorstand am Verfahren beteiligt.



a) § 83 Abs. 3 ArbGG regelt nicht selbst, wer Beteiligter eines Beschlussverfahrens ist. Die Vorschrift ordnet lediglich an, dass die genannten Personen und Stellen zu hören sind. Maßgeblich ist, welche Personen oder Stellen durch die vom Antragsteller begehrte Entscheidung in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen, personalvertretungsrechtlichen oder mitbestimmungsrechtlichen Rechtsstellung unmittelbar betroffen werden. Die Beteiligtenbefugnis ist vom Gericht in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen und zu berücksichtigen. Die zu Unrecht unterbliebene Beteiligung eines Verfahrensbeteiligten kann auch noch in der zweiten Instanz dadurch behoben werden, dass die betreffende Person künftig am Verfahren beteiligt wird (BAG 24.02.2021 - 7 ABR 38/19 - Rn. 13).



b) Danach war der Hauptwahlvorstand zu beteiligen. Er wird durch den von den Beteiligten zu 1) bis 4) angestrebten Eingriff in die Wahl der Delegierten in seiner Rechtsstellung unmittelbar betroffen. Dies folgt daraus, dass er für die gesamte Aufsichtsratswahl verantwortlich ist. Ihm obliegt nach § 3 Abs. 1 3. WOMitbestG die rechtzeitige Einleitung und Durchführung der Wahl sowie die Feststellung des Wahlergebnisses. In den einzelnen Betrieben wird die Wahl gemäß § 3 Abs. 2 3. WOMitbestG im Auftrag und nach den Richtlinien des Hauptwahlvorstands durchgeführt. Der auf einen konzernangehörigen Betrieb beschränkte Eingriff in die Wahl kann sich auf die Durchführung der Wahl im gesamten Konzern auswirken.



3. Die Beschwerde ist überwiegend erfolgreich. Die auf Abbruch der Delegiertenwahl gerichteten Anträge zu 1) und 2) sind begründet, weil für sie sowohl ein Verfügungsanspruch als auch ein Verfügungsgrund gegeben sind. Dagegen unterlag der Antrag zu 3) der Abweisung.



a) Die Anträge zu 1) und 2) sind begründet.



aa) Der auch im Beschlussverfahren gemäß § 85 Abs. 2 Satz 1 ArbGG mögliche Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt das Vorliegen eines Verfügungsanspruches und eines Verfügungsgrundes voraus, welche glaubhaft zu machen sind. Wie im Urteilsverfahren sind auch im Beschlussverfahren einstweilige Verfügungen in der Form der Sicherungsverfügung nach § 935 ZPO, der Regelungsverfügung nach § 940 ZPO und der Leistungs- und Befriedungsverfügung zulässig. Danach ist eine einstweilige Verfügung, mit der der Abbruch von Wahlen, die die Grundlage für die Bestimmung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat schaffen sollen, angeordnet wird, möglich (Wißmann § 22 MitbestG Rn. 88; vgl. auch ArbG Stuttgart 29.05.2018 - 32 BVGa 8/18 - Rn. 32; ArbG Essen 11.02.2011 - 7 BVGa 1/11 - Rn. 48).



Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sind für den Verfügungsanspruch die für Eingriffe in eine Betriebsratswahl vom BAG entwickelten Grundsätze nicht auf Eingriffe in die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer zu übertragen. Anders als bei Betriebsratswahlen sind die anfechtungsberechtigten Arbeitnehmer nicht darauf verwiesen, die vom Hauptwahlvorstand eingeleitete Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer abzuwarten und diese ggf. anschließend anzufechten. Vielmehr ist zur Vermeidung einer Wahlanfechtung eine gerichtliche Kontrolle bereits während des Wahlverfahrens zulässig, um rechtzeitig fehlerhafte Maßnahmen des Hauptwahlvorstands korrigieren, unterlassene Handlungen durchsetzen und Störungen ausschließen zu können. Gegenstand einer vorgezogenen gerichtlichen Kontrolle können Handlungen und Unterlassungen des Wahlvorstands sein, die zu einer Wahlanfechtung führen können. Antragsberechtigt ist, wer nach § 21 Abs. 2 MitbestG zur Anfechtung der Wahl berechtigt ist (BAG 04.11.2015 - 7 ABR 42/13 - Rn. 17).



Der strengere Maßstab bei Betriebsratswahlen beruht darauf, dass eine erfolgreiche Wahlanfechtung nach § 19 Abs. 1 BetrVG keine rückwirkende Kraft hat, sondern nur für die Zukunft wirkt. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Wahlanfechtungsverfahrens bleibt auch ein nicht ordnungsgemäß gewählter Betriebsrat mit allen betriebsverfassungsrechtlichen Befugnissen im Amt. Würde schon im Fall der voraussichtlich sicheren Anfechtbarkeit der bevorstehenden Wahl ein Eingriff in die Wahl durch ein zeitaufwendiges vorgezogenes gerichtliches Kontrollverfahren zugelassen, würde verhindert, dass zumindest vorläufig ein Betriebsrat zustande kommt, wie es das Betriebsverfassungsgesetz vorsieht. Damit würde ein betriebsratsloser Zustand entstehen oder aufrechterhalten, der nach der Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes lediglich bei einer nichtigen Wahl eintreten darf (BAG 04.11.2015 - 7 ABR 42/13 - Rn. 18).



Diese Erwägungen gelten für die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nicht. Zwar regeln auch das Mitbestimmungsgesetz und die Wahlordnungen hierzu nicht, ob und unter welchen Voraussetzungen in eine eingeleitete Aufsichtsratswahl eingegriffen werden kann und wer hierfür antragsberechtigt ist. § 22 Abs. 1 und Abs. 2 MitbestG sieht wie § 19 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG ebenfalls nur die Anfechtung einer durchgeführten Wahl vor. Eine erfolgreiche Wahlanfechtung entfaltet danach keine Rückwirkung, sondern wirkt nur für die Zukunft. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Wahlanfechtungsverfahrens bleibt ein nicht ordnungsgemäß gewählter Aufsichtsrat mit allen Befugnissen im Amt (BAG 04.11.2015 - 7 ABR 42/13 - Rn. 18 und 19).



Allerdings hat eine Verzögerung der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer durch ein vorgezogenes gerichtliches Kontrollverfahren keine vergleichbaren Auswirkungen wie eine Verzögerung einer Betriebsratswahl. Dadurch kann - anders als bei einer Betriebsratswahl - kein mitbestimmungsfreier Zustand entstehen, sondern allenfalls eine zeitlich begrenzte Ersatzbestellung der Arbeitnehmervertreter nach § 104 Abs. 2 und Abs. 3 AktG erforderlich werden. Deshalb sind gerichtliche Eingriffe in das vom Wahlvorstand eingeleitete, noch nicht abgeschlossene Verfahren statthaft und nicht auf Nichtigkeitsfälle begrenzt (BAG 04.11.2015 - 7 ABR 42/13 - Rn. 20).



Das Vorliegen eines Wahlfehlers allein genügt für die Annahme, es sei ein Verfügungsanspruch gegeben, nicht. Hinzu kommen muss, dass ein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren vorliegt (§ 21 Abs. 1 MitbestG). Eine Wahlvorschrift ist regelmäßig wesentlich, wenn sie zwingend ist (BAG 13.10.2004 - 7 ABR 5/04; WKS/Wißmann, 5. Aufl. 2017, § 22 MitbestG Rn. 26).



Ausnahmsweise können auch zwingende Vorschriften unwesentlich sein. Dies wird für reine Ordnungsvorschriften angenommen, die lediglich der zügigen und rationellen Durchführung des Wahlverfahrens dienen. Für die Abgrenzung ist maßgeblich, ob die jeweilige Regelung für die ungehinderte Ausübung des Wahlrechts sowie die unverfälschte Kundgabe und Feststellung des Wählerwillens Bedeutung hat oder nicht (WKS/Wißmann, 5. Aufl. 2017, § 22 MitbestG Rn. 26).



Darüber hinaus muss aus jetziger Perspektive die notwendige Kausalität zwischen dem Wahlverstoß und Wahlergebnis zu prognostizieren sein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 21 Abs. 1 MitbestG für das Anfechtungsverfahren nur geringe Anforderungen an die Feststellung der Kausalität stellt. Nach § 21 Abs. 1 MitbestG berechtigen Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften nur dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn die Verstöße das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnten. Dabei ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Eine verfahrensfehlerhafte Wahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre (BAG 24.02.2021 - 7 ABR 38/19 - Rn. 34; LAG Köln 09.10.2019 - 5 TaBV 5/19 - Rn. 68).



Allerdings genügt es, wenn die Kausalität zwischen dem Wahlfehler und dem Ergebnis der Delegiertenwahl zu prognostizieren ist. Die Kammer teilt nicht die in der Literatur (WKS/Wißmann, 5. Aufl. 2017, § 22 MitbestG Rn. 90) vertretene Auffassung, dass ein Eingriff in die Wahl der Delegierten "wegen des relativ geringen Gewichts des betroffenen Betriebs" nicht gerechtfertigt sei, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit nur bezüglich der Anfechtbarkeit der Delegiertenwahl, nicht aber bezüglich derjenigen der Aufsichtsratswahl bestehe. Abgesehen davon, dass nicht klar ist, wie die Abgrenzung zwischen kleinen und ausreichend großen Betrieben vorzunehmen ist, spricht gegen diese Auffassung, dass der Gesetzgeber Arbeitnehmer, die in kleinen Betrieben beschäftigt werden, nicht von der Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen hat. Er ist nicht davon ausgegangen, dass die Teilnahme an der Wahl unterhalb einer bestimmten Schwelle der Betriebsgröße praktisch sinnlos ist, weil von vornherein ersichtlich ist, dass der wählende Arbeitnehmer mit seiner Stimme keinen Einfluss auf das Gesamtergebnis nehmen kann.



Zu beachten ist, dass die vorangestellten Ausführungen des BAG (selbstverständlich) in einem Hauptsacheverfahren ergangen sind und damit nur für den Verfügungsanspruch Relevanz entfalten. Keine Aussage hat das BAG zu der Frage getroffen, welche Anforderungen an den Verfügungsgrund zu stellen sind.



Voraussetzung für die Annahme eines Verfügungsgrundes ist zunächst, dass die Antragssteller ihre Rechte nicht in einem regulären Verfahren wahren könnten. Diese Voraussetzung ist bei einem auf Abbruch einer Wahl gerichteten Antrag regelmäßig gegeben.



Das Vorliegen dieses Umstands allein begründet noch keinen Verfügungsgrund. Für den Verfügungsgrund ist zu vielmehr zusätzlich zu verlangen, dass nach Einschätzung des Gerichts die Wahl ohne den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit hoher Wahrscheinlichkeit anfechtbar oder sogar nichtig wäre (vgl. WKS/Wißmann, 5. Aufl. 2017, § 22 MitbestG Rn. 89; ArbG Essen 11.02.2011 - 7 BVGa 1/11 - Rn. 68).



Dies folgt daraus, dass der Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung praktisch "vollendete Tatsachen" schafft, der nicht "nur" mit einer Vorwegnahme der Hauptsache einhergeht, sondern darüber hinaus gehende Wirkungen entfaltet, weil er verhindern soll, dass es nach der Wahl zu einem Anfechtungsverfahren nach § 21 Abs. 1 MitbestG kommt. Vor diesem Hintergrund ist der Eingriff bereits im Vorfeld der Wahl durch eine einstweilige Verfügung nur dann gerechtfertigt, wenn das zur Entscheidung berufene Gericht keine Zweifel daran hat, dass ein anderes Gericht im Rahmen eines Anfechtungsverfahrens zu einer übereinstimmenden Einschätzung der Rechtslage kommen würde. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, weil der Wahlvorstand eine in einem späteren Anfechtungsverfahren aussichtsreiche Rechtsposition vertritt, wiegt das Interesse des Wahlvorstands an einer planmäßigen Durchführung der Wahl mehr als das Interesse der Antragsteller an dem Abbruch der Wahl.



bb) Danach erweisen sich die Anträge zu 1) und 2) als begründet.



Die Beteiligten zu 1) bis 4) sind antragsbefugt, weil sie bei einer durchgeführten Wahl gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 MitbestG zur Anfechtung berechtigt wären. Zur Klarstellung wird darauf verwiesen, dass es für die Anfechtungsberechtigung nicht darauf ankommt, ob die Anfechtenden selbst von dem gerügten Wahlfehler unmittelbar betroffen sind.



Ein Verfügungsanspruch ist gegeben. Dieser ergibt sich daraus, dass Ziff. 10 des Wahlausschreibens vom 22.11.2022 gegen § 60 3. WOMitbestG verstößt.



§ 60 3. WOMitbestG ist nach den oben dargestellten Grundsätzen eine wesentliche Wahlvorschrift. Es handelt sich um eine zwingende Norm, der nicht lediglich eine Ordnungsfunktion zukommt. Sie legt abschließend die Voraussetzungen für einen ordnungsgemäßen Wahlvorschlag fest. Damit kommt ihr bei der Durchführung der Wahl eine große Bedeutung zu. Ihr können Arbeitnehmer, die überlegen, einen Wahlvorschlag einzureichen, entnehmen, was sie im Vorfeld erledigen müssen, damit ihr Wahlvorschlag nicht beanstandet wird. Dem Wahlvorstand gibt sie vor, was er bei der Prüfung eines eingereichten Wahlvorschlags zu beachten hat.



Das Wahlausschreiben vom 22.11.2022 verstößt gegen § 60 3. WOMitbestG, weil in Ziffer 10 der unzutreffende Eindruck erweckt wird, als sei es verpflichtend, ein vom Betriebswahlvorstand erarbeitetes Formular zu verwenden. § 60 3. WOMitbestG sieht demgegenüber nicht vor, dass bestimmte Formulare zwingend zu verwenden seien.



Aus der Formulierung des Wahlvorstands ergibt sich nicht, dass die Verwendung des Formulars in das Belieben der Wahlberechtigten, die einen Wahlvorschlag einreichen wollen, gestellt werden sollen. Der Formulierung "sind" ist dahingehend zu verstehen, dass die Verwendung des Formulars obligatorisch sein sollte. Damit sahen sich die Wahlberechtigten mit einer weiteren Hürde für die Einreichung eines Wahlvorschlags konfrontiert, die geeignet war, potentielle Interessenten von der Einreichung eines Wahlvorschlags abzuhalten. Zu beachten ist, dass von vornherein nur zwei Wochen für die Einreichung eines Wahlvorschlags zur Verfügung standen. Innerhalb dieser Zeit mussten potentielle Interessenten zunächst abwägen, ob sie einen Wahlvorschlag einreichen wollen. Wenn sie sich dazu entschieden hätten, einen Wahlvorschlag einzureichen, hätten sie in der verbleibenden Zeit die nicht geringen Hürden des § 60 3. WOMitbestG überwinden müssen. Das Wahlausschreiben erweckte den Eindruck, als ob sie zudem zunächst Formulare beim Betriebswahlvorstand anfordern müssten. Insbesondere in den Fällen, in denen der oben beschriebene Abwägungsprozess mehrere Tage in Anspruch genommen hätte, wäre nicht auszuschließen, dass die Wahlberechtigten resigniert hätten, weil sie sich nicht in der Lage gesehen hätten, die zahlreichen Voraussetzungen für die Einreichung eines Wahlvorschlags zu erfüllen.



Nicht maßgeblich ist, ob der Hauptwahlvorstand die Formulierung der Ziff. 10 des Wahlausschreibens vorgegeben hat oder nicht. Dies folgt daraus, dass es nur darauf ankommt, dass die Vorgaben des § 60 3. WOMitbestG objektiv nicht beachtet worden sind, nicht aber darauf, ob der Betriebswahlvorstand schuldhaft gehandelt hat.



Die notwendige Kausalität ist gegeben, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass Wahlberechtigte einen weiteren Wahlvorschlag eingereicht hätten, wenn nicht das vermeintliche Erfordernis, ein Formular beim Betriebswahlvorstand anzufordern, bestanden hätte. Vor diesem Hintergrund steht der Kausalität nicht entgegen, dass es keine Anfragen zum Formular gab. Wie dargestellt, ist für die Kausalität entscheidend auf das mögliche Verhalten wahlberechtigter Arbeitnehmer, die keinen Wahlvorschlag eingereicht haben, abzustellen.



Es besteht auch ein Verfügungsgrund. Die Sache ist eilbedürftig, weil die Wahl bereits am 01.02.2023 begonnen hat. Der Eingriff in die Durchführung der Wahl ist gerechtfertigt, weil die Kammer keine Zweifel daran hat, dass ein anderes Gericht im Rahmen eines Anfechtungsverfahrens zu einer übereinstimmenden Einschätzung der Rechtslage kommen würde. Es besteht kein Zweifel, dass § 60 3. WOMitbestG die Voraussetzungen für einen ordnungsgemäßen Wahlvorschlag abschließend aufführt. Ebenso eindeutig ist, dass das Wahlausschreiben gegen diese Vorschrift verstößt, weil es eine weitere Voraussetzung nennt. Die Adressaten konnten nicht annehmen, dass sie selbst entscheiden könnten, ob sie das Formular nutzen oder nicht. In Ziff. 10 ist nicht etwa ausgeführt, dass die Möglichkeit zur Verwendung der Formulare bestünde. Hiervon wäre auszugehen gewesen, wenn die Formulierungen "kann" oder "Es besteht die Möglichkeit" verwandt worden wären.



Eine andere Betrachtung ist nicht etwa deswegen geboten, weil das Arbeitsgericht die Anträge abgewiesen hat. Wie bereits ausgeführt, ist das Arbeitsgericht von unzutreffenden rechtlichen Voraussetzungen für einen gerichtlichen Eingriff in das Wahlgeschehen ausgegangen, ohne sich mit der mit seiner Auffassung nicht übereinstimmenden Rechtsprechung des BAG (04.11.2015 - 7 ABR 42/13), auf welche die Beteiligten zu 1) bis 4) in der Antragschrift ausdrücklich hingewiesen hatten, auseinanderzusetzen.



Der Annahme, dass ein Verfügungsgrund besteht, steht ebenfalls nicht entgegen, dass die erneute Einleitung der Wahl mit einem erheblichen Aufwand verbunden ist. Der Eingriff im jetzigen Stadium des Verfahrens führt gleichwohl zu einem erheblich geringeren Aufwand als er nach einem erfolgreichen Anfechtungsverfahren zu erwarten wäre. Insbesondere fällt ins Gewicht, dass die Wahl der Delegierten des Frankfurter Betriebs der Beteiligten zu 5) jetzt noch durchgeführt werden kann, ohne dass es zu einer Verzögerung der Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat kommen würde.



b) Da schon der Verstoß gegen § 60 3. WOMitbestG zur Begründetheit der Anträge zu 1) und 2) geführt hat, kam es nicht darauf an, ob die weiteren Rügen der Beteiligten zu 1) bis 4) berechtigt waren oder nicht.



c) Der Antrag zu 3) ist unbegründet. Es ist weder ein Verfügungsanspruch noch ein Verfügungsgrund gegeben. Die Eilbedürftigkeit besteht nur insoweit, als es um den Abbruch der Wahl geht. Es ergibt sich aus den gesetzlichen Vorschriften zur Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, wie nach dem Abbruch weiter zu verfahren ist. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die künftige Ausschreibung wiederum gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren (§ 21 Abs. 1 MitbestG) verstoßen wird.



4. Eine Kostenentscheidung ist nach § 2 Abs. 2 GKG nicht ergangen.



Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist nicht gegeben, § 92 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 85 Abs. 2 ArbGG.

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