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Urteil vom 07.07.2022 · IWW-Abrufnummer 234928

Landesarbeitsgericht Köln - Aktenzeichen 6 Sa 816/21

Fristlose Kündigung nach Erledigung von privaten Reparaturarbeiten in dienstlicher Werkstatt. Einzelfall zur Interessenabwägung


Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 16.11.2021 - 2 Ca 1056/21- wird zurückgewiesen.


2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.


3. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung, die die Beklagte ausgesprochen hatte, nachdem der Kläger - ein seit mehr als 15 Jahren in den Diensten der Beklagten stehender Kfz-Mechaniker - während seiner Arbeitszeit am Freitagnachmittag das Auto seines Schwagers in der Werkstatt der Beklagten repariert hatte.



Wegen des erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 16.11.2021 Bezug genommen. Mit diesem Urteil hat das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage und dem Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers in vollem Umfang stattgegeben mit der Begründung, die Anhörung des Personalrats sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Dem Personalrat sei nämlich der für den Kläger tarifvertraglich geltende Ausschluss der ordentlichen Kündigung nicht mitgeteilt worden. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des vorgenannten Urteils (Bl. 187 ff. d. A.) Bezug genommen. Seit der Entscheidung des Arbeitsgerichts wird der Kläger von der Beklagten zur Vermeidung einer Zwangsvollstreckung weiter beschäftigt.



Gegen das ihr am 07.12.2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 23.12.2022 Berufung eingelegt und diese Berufung rechtzeitig begründet.



Der Personalrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Selbst wenn unterstellt werde, dass dem Personalrat nichts von dem Sonderkündigungsschutz gesagt worden sei und selbst wenn angenommen werde, dass der Personalrat nicht aus eigener Kenntnis über die Unkündbarkeit des Klägers Bescheid gewusst habe, gehe es ihr schließlich um eine außerordentliche Kündigung. Zu dieser außerordentlichen Kündigung habe sie den Personalrat angehört. Hinsichtlich der weiteren Rechtmäßigkeitserfordernisse beziehe sie sich auf den erstinstanzlichen Vortrag. Danach sei die Kündigung insbesondere verhältnismäßig, weil es ihr nicht zuzumuten sei, den Kläger nach einem Arbeitszeitbetrug weiter zu beschäftigen. Gegen den Kläger spreche nämlich das mit dem Arbeitszeitbetrug begangene Vermögensdelikt, die Tatsache, dass er als stellvertretender Werkstattleiter "vorübergehende Leitungsfunktion" und damit eine Vorbildfunktion inne gehabt habe, dass er Ressourcen seiner Arbeitgeberin benutzt (wenn auch nicht verbraucht) habe, dass er einen jüngeren Kollegen angestiftet habe, ihm bei der Pflichtverletzung zu helfen, dass er zunächst versucht habe, sich mit den Stichworten "Spontanaktion" und "Mechanikergewissen" herauszureden und schließlich, dass er im Jahre 2012 mit einer Verurteilung wegen eines BTM-Delikts schon einmal strafrechtlich in Erscheinung getreten sei.



Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 16.11.2021 - 2 Ca 1056/21 - abzuändern und die Klage abzuweisen.



Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.



Er sei nach wie vor der Auffassung, dass sich die Kündigung als ein unverhältnismäßiges Mittel darstelle. Für ihn spreche eine Betriebszugehörigkeit von mehr als 15 Jahren, die Tatsache, dass seine Tätigkeit nicht besonders hoch qualifiziert sei, dass er keine besondere Vertrauensposition inne habe, dass er sich entschuldigt habe und versprochen habe, es nicht wieder zu tun, dass er bisher immer gute Leistungsbeurteilungen erhalten habe und dass der Personalrat auf die von dort wahrgenommene Tatsache hingewiesen habe, es werde offensichtlich mit "zweierlei Maß" gemessen.



Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.



Entscheidungsgründe



Die zulässige Berufung ist unbegründet.



I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).



II. Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Zwar ist die Kündigung nicht schon wegen einer fehlerhaften Personalratsanhörung unwirksam; sie ist es aber, weil sie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt.



1. Die Kündigung ist nicht schon wegen einer fehlerhaften Personalratsanhörung unwirksam Ein Arbeitgeber, der außerordentlich fristlos kündigen möchte, muss dem Personalrat jedenfalls nicht mitteilen, dass dem Arbeitnehmer ein Sonderkündigungsschutz zukommt, der zwar eine ordentliche Kündigung weitgehend ausschließt, die Möglichkeit einer "fristlosen" Kündigung aber ausdrücklich "unberührt" lässt (zur Betriebsratswahl BAG v. 07.05.2020 - 2 AZR 678/19 -).



2. Die Kündigung ist aber unwirksam, weil sie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt und ihr daher ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB fehlt. Das Verhalten des Klägers stellt zwar ohne weiteres im Verständnis der hierzu ergangenen Rechtsprechung (z.B. BAG v. 09.06.2011 - 2 AZR 381/10 -) einen wichtigen Grund "an sich" im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar. Der Beklagten war aber dennoch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar.



Die bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB zu berücksichtigenden Umstände lassen sich nicht abschließend für alle Fälle festlegen. Zunächst kommt der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen beanstandungsfreiem Bestand ein besonderes Gewicht zu. Ferner können das Bestehen einer Wiederholungsgefahr, das Maß der dem Arbeitgeber entstandenen Schädigung und auch die Frage in Betracht zu ziehen sein, ob dem Verhalten des Arbeitnehmers eine besondere Verwerflichkeit innewohnt. Auch Unterhaltspflichten und der Familienstand können Bedeutung gewinnen (BAG v. 27.04.2006 - 2 AZR 415/05 -). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Einer entsprechenden Abmahnung bedarf es nur dann nicht, wenn erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG v. 19.04.2012 - 2 AZR 186/11 -). Die vorstehenden Erwägungen ergeben sich schon aus § 314 Abs. 2 BGB, der für alle Dauerschuldverhältnisse regelt, dass eine fristlose Kündigung grundsätzlich einer vorab ausgesprochenen Abmahnung bedarf und dass auf diese Abmahnung nur in Ausnahmefällen verzichtet werden kann.



Es ist nachvollziehbar, dass die Beklagte Interesse an einem korrekten Verhalten ihres Kfz-Mechanikers hat. Hierzu gehört, dass die Werkstatt der Beklagten, das Werkzeug der Beklagten und die der Beklagten arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitszeit des Klägers nicht einem Dritten gewidmet werden, sondern ihr, der Beklagten. Vergütete Arbeitszeit muss im Sinne einer Erbringung von der Beklagten dienlichen Leistungen verbracht werden und grundsätzlich nicht mit Angelegenheiten, die im Privatbereich der Mitarbeiter stehen. Dass der Kläger am Freitagnachmittag - unter weiterer Berücksichtigung aller anderen Tatsachen - in der Werkstatt der Beklagten an einem Auto geschraubt hat, das keines der Beklagten war, bedeutet keinen derart schweren Pflichtenverstoß, dass dieser eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen würde.



Verglichen mit anderen Fällen des arbeitszeitbezogenen Fehlverhaltens zeichnet sich der vorliegende Fall vor allem dadurch aus, dass ihm erschwerende Tatsachen fehlen, die in den besagten anderen Fällen die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung für die Beklagte annehmen lassen. Der Kläger hat nicht zusätzlich zu dem arbeitszeitbezogenen Fehlverhalten der Beklagten Konkurrenz gemacht, denn die Beklagte behauptet nicht, mit Werkstattleistungen auf dem Markt werbend aufzutreten; der Kläger hat kein Material der Beklagten verbraucht; aus den Darlegungen der Beklagten ergibt sich nicht, dass der Kläger wegen der Erledigung seiner privaten Angelegenheit am Freitagnachmittag einen noch dringend zu erledigenden Auftrag unerledigt gelassen hätte; der Kläger hat sein Fehlverhalten zwar zu erklären versucht, die Tatsache der Pflichtwidrigkeit aber nicht geleugnet; der Kläger hat keine dauerhaft zugewiesene hierarchisch herausgehobene Position, die ihm eine besondere Vorbildfunktion zuwiese; abgesehen von dem Entgelt, das die Beklagte dem Kläger für die pflichtwidrig verstrichene Arbeitszeit gezahlt hat (ca. 35,00 EUR brutto), ist bei der Beklagten kein Schaden eingetreten.



Hinzukommt, dass einige weitere Punkte ganz deutlich zu Gunsten des Klägers wirken: die Betriebszugehörigkeit von mehr als 15 Jahren; die bisher durchgehend guten Leistungsbeurteilungen; seine Einsicht in die Pflichtwidrigkeit; die Bitte um Entschuldigung (wenn auch spät).



Die Straffälligkeit vor 10 Jahren kann aus Gründen des Zeitablaufs keine Rolle spielen. Ebenso wenig relevant ist "Anstiftung eines jüngeren Kollegen". Es handelte sich nicht um einen Minderjährigen oder einen Lehrling; der Kläger hatte ihm gegenüber keinen Erziehungsauftrag, der Kollege ist ein erwachsener, selbständiger und eigenverantwortlich handelnder Arbeitnehmer; der Kollege wurde vom Kläger um Hilfe gebeten, mehr ergibt sich nicht aus den Darlegungen der Beklagten.



Nach alledem stellt sich die - fraglos vorliegende - Pflichtwidrigkeit des Klägers nicht als ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar. Eine vorab ausgesprochene Abmahnung aus dem gleichen Regelkreis (Nichterfüllung der Hauptleistungspflicht, Verspätung etc.) wäre eine notwendige Voraussetzung gewesen, um eine Beharrlichkeit des Pflichtverstoßes behaupten zu können und um damit die fristlose Kündigung als ultima ratio im Arbeitsverhältnis zu rechtfertigen. Der Ausspruch einer Abmahnung war nach den Maßstäben des § 314 Abs. 2 BGB auch nicht überflüssig. Weder hat der Kläger angekündigt auch in Zukunft während der Arbeitszeit private Dinge erledigen zu wollen (§ 314 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB), noch ist das pflichtwidrige Verhalten (Arbeitszeit mit einem Wert von unter 50,00 EUR, Benutzung von Infrastruktur der Arbeitgeberin für eigene Interessen) derart Vertrauensverletzend, dass jedermann weiß, mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses als Reaktion rechnen zu müssen.



III. Nach allem bleibt es im Ergebnis bei der klagestattgebenden erstinstanzlichen Entscheidung. Als unterliegende Partei hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.

Vorschriften