Beschluss vom 14.03.2023 · IWW-Abrufnummer 234678
Landesarbeitsgericht Hamm - Aktenzeichen 8 Ta 6/23
Streiten die Parteien eines Arbeitsverhältnisses nach vorausgehender Titulierung des Anspruchs auf ein qualifiziertes Arbeitszeugnis nur noch über die Modalitäten der Leistung, etwa über den Leistungsort, dann ist der Gebührenstreitwert im Regelfall nicht nach dem Monatseinkommen, sondern nach dem insoweit begründeten wirtschaftlichen Interesse der klagenden Partei zu bemessen.
Tenor:
Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 2. Januar 2023 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 29. Dezember 2022 - 1 Ca 2138/22 - wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Festsetzung des Gebührenstreitwerts für ein durch Prozessvergleich erledigtes Verfahren erster Instanz.
I.
Die Beklagte war gemäß eines beim Arbeitsgericht Bielefeld zum dortigen Verfahren 1 Ca 1338/22 am 11. November 2022 geschlossenen Prozessvergleichs unter anderem verpflichtet, dem Kläger ein qualifiziertes Arbeitszeugnis zu erteilen. Mit Schreiben vom 21. November 2022 teilte sie dem Kläger mit, dass das Zeugnis nunmehr bei ihr zur Abholung bereitliege. Nach erfolgloser Aufforderung zur Übersendung des Zeugnisses erhob der durch den Beschwerdeführer im Prozess anwaltlich vertretene Kläger erneut Klage, wobei der angekündigte Antrag auf die Feststellung gerichtet war, dass die Beklagte ihm das Zeugnis in Erfüllung der im Vergleich titulierten Verpflichtung zu übersenden habe.
Nach einem umfassenden rechtlichen Hinweis des Arbeitsgerichts und einem darauf fußenden Vergleichsvorschlag, den die Parteien akzeptierten, stellte dieses mit Beschluss vom 23. Dezember 2022 gemäß § 278 Abs. 6 ZPO das Zustandekommen und den Inhalt eines (weiteren) verfahrensbeendenden Prozessvergleichs fest. Danach hat die Beklagte dem Kläger das Zeugnis auf ihre Kosten zu übersenden. Mit weiterem Beschluss vom 29. Dezember 2022 setzte das Arbeitsgericht den Verfahrens- und Vergleichswert dieses Rechtsstreits auf 2,00 € fest, welchen es nach dem überschlägig berechneten Briefporto für die Versendung des Dokuments bemaß.
Gegen diese Festsetzung wendet sich der Beschwerdeführer mit seinem am 2. Januar 2023 aus eigenem Recht aufgerufenem Behelf. Er vertritt die Auffassung, dass der Gebührenstreit - wie bei Zeugnisstreitigkeiten gängige gerichtliche Praxis - auch vorliegend nach dem Monatseinkommen des Klägers aus dem beendeten Arbeitsverhältnis zu bestimmen sei, weshalb er einen Ansatz in Höhe von 3.200,00 € erreichen wolle.
Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen sowie insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten des Beschwerdeverfahrens wird auf den Inhalt der Prozessakte verwiesen.
II.
Die nach § 32 Abs. 2 S. 1 RVG iVm. §§ 68 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Gegenstand des Rechtsstreits war nicht die Erteilung und/oder inhaltliche Gestaltung eines gem. § 109 Abs. 1 S. 3 GewO auf Verlangen zu erteilenden qualifizierten Arbeitszeugnisses. Denn der darauf gerichtete Anspruch des Klägers war nicht nur bereits im Rahmen des zur Beendigung des Vorprozesses geschlossenen Vergleichs tituliert. Vielmehr lässt auch die zur Akte vorliegende außergerichtliche Korrespondenz der Parteien erkennen, dass zwischen ihnen nach Abschluss des ersten Vergleichs allein noch die Frage nach einer Abhol- oder Übermittlungsverpflichtung im Streit stand. In materiell-rechtlicher Hinsicht ist insoweit im Grundsatz von einer Holschuld des Arbeitnehmers als Gläubiger des Anspruchs, also der Erfüllung am Wohn- oder Geschäftssitz des Schuldners (§ 269 Abs. 1 BGB) auszugehen. Jedenfalls soweit nicht besondere Umstände, etwa ein mit der Abholung verbundener unzumutbarer Aufwand, eine andere Betrachtung und damit ausnahmsweise die Annahme einer Schickschuld rechtfertigen (BAG, Urteil vom 8. März 1995 - 5 AZR 848/93 - AP Nr. 21 zu § 630 BGB).
2. Diesem materiell-rechtlichen Ansatz folgend bestimmt sich der gem. §§ 63 Abs. 2 S. 1, 39 ff GKG festzusetzende Gebührenstreitwert dann, wenn nicht über den Zeugnisanspruch selbst, sondern allein noch über den Leistungsort oder Leistungsmodalitäten gestritten wird, nicht nach dem aus § 42 Abs. 2 S. 1 GKG abgeleiteten Monatseinkommen. Vielmehr orientiert sich der Wertansatz in diesen Fällen regelmäßig gem. § 48 Abs. 1 GKG iVm. § 3 ZPO an den mit der Bestimmung des Leistungsortes oder der Leistungsmodalitäten verbundenen wirtschaftlichen Interessen der klagenden Partei, also insbesondere nach dem mit einer Abholung verbundenen Aufwand. Insoweit mag der Ansatz des Arbeitsgerichts, vorliegend allein an das Briefporto anzuknüpfen, insoweit fehlerhaft sein, als dieser an den für die Wertbestimmung nicht relevanten Mindestaufwand der Gegenpartei anknüpft. Jedoch kann von einem Gesamtaufwand des Klägers oberhalb 500,00 €, der gegenüber der Festsetzung des Arbeitsgerichts zu einem ersten Gebührensprung führen würde, in Ermangelung auch nach richterlichem Hinweis nicht erkennbarer Anhaltspunkte und angesichts der Ortsnähe (ca. 12 km) schon offensichtlich nicht ausgegangen werden. Ebenso bietet das Vorbringen des Beschwerdeführers keinen Anlass dazu, hier aus besonderen Gründen des Einzelfalls von einer nichtvermögensrechtlichen Streitigkeit iSd. § 48 Abs. 2 GKG auszugehen, womit offenbleiben kann, wie dann zu verfahren wäre. Zu einer Abänderung der angefochtenen Entscheidung besteht danach kein Anlass.
3. Die Gebührenfreiheit des Beschwerdeverfahrens und der Ausschluss der Kostenerstattung ergeben sich unmittelbar aus § 32 Abs. 2 S. 1 RVG iVm. § 68 Abs. 3 GKG.