Beschluss vom 13.03.2023 · IWW-Abrufnummer 234676
Landesarbeitsgericht Hamm - Aktenzeichen 8 Ta 275/22
Wendet sich ein Arbeitnehmer, der als Lehrer an einer privaten Ersatzschule in einem beamtenähnlich ausgestalteten Planstelleninhaberverhältnis zu deren Träger steht, gegen seine auf Dienstunfähigkeit gestützte vorzeitige Versetzung in den Ruhestand, so bemisst sich der Gebührenstreitwert mangels der von § 42 Abs. 2 S. 1 GKG vorausgesetzten besonderen Schutzbedürftigkeit nicht nach dem Vierteljahresverdienst, sondern in Anlehnung an die für beamtenrechtliche Streitigkeiten geltenden Maßstäben des § 52 Abs. 6 GKG .
Tenor:
Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 12. Mai 2022 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bochum vom 6. Mai 2022 - 3 Ca 1158/21 - abgeändert. Der Verfahrens- und Vergleichswert wird auf 99.628,05 EURO festgesetzt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Wertfestsetzung für ein durch Prozessvergleich beendetes, ein beamtenähnlich ausgestaltetes Rechtsverhältnis des Lehrers einer privaten Ersatzschule betreffendes Statusverfahren.
I.
Der Kläger war seit dem 1. August 1990 für den Beklagten, der Träger einer staatlich anerkannten Ersatzschule ist, als Lehrer tätig. Nachdem zwischen den Parteien zunächst ein Arbeitsverhältnis unter Bezugnahme auf die Regelungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) bestanden hatte, wurde der Kläger im Jahr 1993 nach Prüfung und Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde in ein Planstelleninhaberverhältnis auf Lebenszeit übernommen und in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 13 LBesG NRW eingewiesen. Kurze Zeit später erfolgte seine Beförderung zum stellvertretenden Schulleiter, die mit der Einweisung in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 15Z LBesG NRW einherging. Auf dieser Grundlage bezog der Kläger zuletzt eine Besoldung in Höhe von 7.230,61 € brutto monatlich. Gemäß § 102 Abs. 3 Schulgesetz NRW ist das Rechtsverhältnis eines Lehrers an einer Ersatzschule, der Planstelleninhaber ist, dem eines Beamten angeglichen, weshalb darauf allgemeine beamtenrechtliche Vorschriften weitgehend anwendbar sind.
Mit seiner am 17. September 2021 anhängig gemachten Klage begehrte der Kläger die Feststellung, weiterhin in einem aktiven Planstelleninhaberverhältnis zu stehen und von dem Beklagten insbesondere nicht durch Schreiben aus August und September 2021 wegen vermeintlicher Dienstunfähigkeit mit Rückwirkung zum 1. Juni 2021 in den Ruhestand versetzt worden zu sein (§ 33 LBG NRW). Termin seines regulären Ruhestandsbeginns war der 1. Februar 2023.
Mit Klageerweiterung vom 28. Oktober 2021 machte der Kläger - soweit vorliegend noch von Bedeutung - im Wege des negativen Feststellungsantrags zudem geltend, gegenüber dem Beklagten nicht zur Rückzahlung eines Betrages in Höhe von 11.776,13 € verpflichtet zu sein (Differenzbezüge für die Monate Juni bis August 2021). Außerdem habe der Beklagte ihm für die drei darauffolgenden Monate jeweils eine Besoldungsmitteilung zu erteilen.
Mit Beschluss vom 2. März 2022 stellte das Arbeitsgericht gem. § 278 Abs. 6 ZPO das Zustandekommen und den Inhalt eines verfahrensbeendenden Prozessvergleichs fest. Danach ist der Kläger mit Wirkung zum 31. Mai 2021 wirksam zur Ruhe gesetzt worden, wobei er jedoch nicht zur Rückzahlung ggf. überzahlter Besoldung verpflichtet ist und ergänzend abhängige Detailfragen, etwa zu den Urlaubs- und Sonderzahlungsansprüchen, geregelt sind.
Mit Beschluss vom 6. Mai 2022 setzte das Arbeitsgericht auf Antrag der Beschwerdeführer, aber entgegen deren Anregungen zur Bemessung, den Verfahrens- und Vergleichswert auf 32.197,32 € fest. Dieser setze sich aus dem Vierteljahreseinkommen wegen der Statusfrage (21.691,83 €), dem zur Rückzahlung angeforderten Betrag (abzgl. 20 % wegen bloßer Feststellung, mithin 9.420,90 €) und 1.084,60 € wegen der Besoldungsmitteilung, insoweit je 5% der Monatsbezüge, zusammen.
Gegen diese Festsetzung wenden sich die Beschwerdeführer mit ihrem am 12. Mai 2022 aus eigenem Recht aufgerufenen Behelf. Der für den Statusantrag angesetzte Vierteljahresverdienst trage der beamtenrechtlichen Prägung des Rechtsstreits nicht Rechnung, denn das Rechtsverhältnis der Parteien werde durch eine Zurruhesetzung des Klägers nicht beendet, sondern unter Fortzahlung danach angepasster Bezüge lediglich umgestaltet. Unter Heranziehung des Streitwertkatalogs für Verwaltungsgerichtsbarkeit sei insoweit der Wert eines Jahresbezugs anzusetzen. Ob bei einer negativen Feststellungsklage zur Abwehr eines bezifferten Zahlungsanspruchs ein Abzug vorzunehmen sei, werde ebenfalls zur Überprüfung gestellt.
Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen sowie insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten des Beschwerdeverfahrens wird auf den Inhalt der Prozessakte verwiesen.
II.
Die nach § 32 Abs. 2 S. 1 RVG iVm. §§ 68 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG statthafte, aus eigenem Recht zulässige sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Sie führt zu einer Abänderung der angefochtenen Entscheidung in dem zuletzt noch begehrten Umfang.
1. Gegenstand der vorliegend verfolgten Statusklärung war nicht das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses im Sinne des § 42 Abs. 2 S. 1 GKG, sondern die Wirksamkeit einer jedenfalls bestandserhaltenden Umwandlung eines beamtenrechtlich geprägten, als solches auf Lebenszeit fortbestehenden Planstelleninhaberverhältnisses der Parteien gem. § 102 Abs. 3 SchulG NRW. Fraglich war insoweit nicht allein der Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, sondern die Frage nach der Rechtmäßigkeit einer insoweit vorzeitigen, zumal rückwirkenden Maßnahme unter Verkürzung der aktiven Dienstzeit um einen Zeitraum oberhalb eines Jahres. Anders als bei der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses standen hingegen der zeitlich unbestimmte Fortbestand des Rechtsverhältnisses und daraus abgeleiteter Rechte und Pflichten, etwa die Plicht des Beklagten zur weiteren Besoldung über entsprechend gekürzte Ruhebezüge, nicht im Streit.
2. Zu einer Anwendung der Begrenzungsvorschrift gem. § 42 Abs. 2 S. 1 GKG, wonach sich der Streitwert einer Bestandsstreitigkeit aus sozialpolitischen Erwägungen auf das Vierteljahreseinkommen beschränkt, besteht danach vorliegend kein Anlass. Denn die streitige Maßnahme führt schon nicht zu einer Beendigung des zwischen den Parteien begründeten Rechtsverhältnisses, sondern lediglich zu dessen Umwandlung. Sie beendet auch die fortlaufende und zeitlich unbestimmte Zahlung eines Entgelts nicht, sondern bedingt allein dessen Kürzung auf ein jedenfalls im konkreten Fall immer noch auskömmliches Maß unter gleichzeitigem Wegfall tätigkeitsbezogener Aufwendungen. Damit fehlt es an der von § 42 Abs. 2 S. 1 GKG vorausgesetzten Schutzbedürftigkeit der klagenden Partei.
3. Mit der angestrebten vorzeitigen Zurruhesetzung war und ist auch nicht allein eine Verkürzung des Entgelts verbunden, was eine Anwendung des § 42 Abs. 1 S. 1 GKG und einen Wertansatz bemessen nach dem bis zu dreijährigen Differenzbetrag bedingen könnte. Denn die streitige Maßnahme führt primär und zielgerichtet zu einer Beendigung des aktiven Dienstes und damit der Möglichkeit einer täglichen Arbeitsleistung im Berufsbild des Lehrers bzw. stellvertretenden Schulleiters, womit das Persönlichkeitsrecht und die Berufsausübungsfreiheit des Klägers aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG berührt, nicht aber allein finanzielle Einbußen begründet sind.
4. Hat danach eine Wertfestsetzung gem. § 48 Abs. 1 GKG iVm. §§ 3 ff ZPO zu erfolgen, greift auch § 9 ZPO aus den voranstehenden Erwägungen nicht ein, was eine Streitwertbestimmung nach richterlichem Ermessen gem. § 3 ZPO bedingt. Bei dessen Ausübung bietet sich ein Rückgriff auf die Wertung des § 52 Abs. 6 S. 1 Nr. 1 GKG an. Denn danach bemisst sich der Streitwert einer die Umwandlung eines öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffenden Rechtsstreitigkeit nach dem (ruhegehaltsfähigen) Jahresbezug des Betroffenen, was wegen der beamtenrechtlichen Prägung des Planstelleninhaberverhältnisses bei durchweg vergleichbaren wirtschaftlichen und tatsächlichen Auswirkungen auf die hier vorliegende Konstellation übertragbar ist. Einen Wertansatz dieser Höhe sieht auch der Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Stand 18. Juli 2013), dort Ziffer 10.1, bei beamtenrechtlichen Streitigkeiten über die Versetzung in den Ruhestand vor, womit der Kläger über eine Wertfestsetzung unter Anlehnung an § 52 Abs. 6 GKG auch kosten- und gebührenrechtlich wie ein Beamter behandelt werden kann, was mit seinem rechtlichen Sonderstatus im Einklang steht. Der Streitwert der Statusklage beträgt danach - wie mit der Beschwerde geltend gemacht - 86.767,32 € (ein Jahresbezug).
5. Soweit das Arbeitsgericht den Streitwert der zur Abwehr des bezifferten Zahlungsanspruchs des Beklagten aufgerufenen negativen Feststellungsantrags gem. § 256 Abs. 1 ZPO hier unter Abzug von 20% auf den geltend gemachten Betrag bestimmt hat, vermag die Beschwerdekammer dem nicht beizutreten. Denn die negative Feststellungsklage war zur Abwehr einer Forderung bestimmt, welcher sich der Beklagte vorliegend ernsthaft und in einer nachvollziehbar und konkret berechneten Größenordnung berühmt hat.
Hat sich jedoch die Gegenpartei einer insoweit festen Rechtsposition berühmt, entspricht der Streitwert der negativen Feststellungsklage regelmäßig dem vollen Wert der darüber abzuwehrenden Leistungsklage, weil die Rechtskraft des Feststellungsurteils der ansonsten ggfls. drohenden Leistungsklage in vollem Umfang entgegensteht (TZA-Ziemann, Streitwert und Kosten im Arbeitsrecht, Teil 1 Kapitel A Rn 379 m. w. N; Zöller/Herget, 34. Auflage 2022, § 3 ZPO Rn 16.76 m. w. N.).
6. Von einer Identität des wirtschaftlichen Interesses von Statusklage und negativer Feststellungsklage, vgl. §§ 39 Abs. 1, 45 Abs. 1 GKG, kann hier nicht ausgegangen werden. Denn gem. § 34 Abs. 2 S. 2 LBG NRW tritt die Wirkung einer Zurruhesetzung frühestens mit dem Ablauf des Monats ein, in dem der entsprechende Bescheid wirksam zugestellt worden ist, hier also nicht vor Ablauf des Monats August 2021, weshalb zeitlich davor begründete Ansprüche davon unberührt bleiben und ein weitergehendes Interesse abbilden.
7. Soweit das Arbeitsgericht den Wert des auf die Erteilung von drei Bezügemitteilungen gerichteten Antrags nach § 48 Abs. 1 GKG iVm. §§ 3 ff ZPO auf 5% der abzurechnenden Beträge festgesetzt hat, steht dies im Einklang mit den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für Arbeitsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 9. Februar 2018 (u. a.: NZA 2018, S. 495 ff) und wird von der Beschwerde auch nicht in Frage gestellt.
8. Die gem. § 39 Abs. 1 GKG veranlasste Addition der Einzelwerte führt danach zu einem Gesamtwert in Höhe von 99.628,05 €, was im Ergebnis des Beschwerdeverfahrens auszusprechen ist.
9. Zur Begründung wird ergänzend auf den umfassenden gebührenrechtlichen Hinweis der Beschwerdekammer vom 27. September 2022 Bezug genommen.
10. Die Gebührenfreiheit des Beschwerdeverfahrens und der Ausschluss der Kostenerstattung ergeben sich unmittelbar aus § 32 Abs. 2 S. 1 RVG iVm. § 68 Abs. 3 GKG.