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Beschluss vom 04.07.2022 · IWW-Abrufnummer 234408

Landesarbeitsgericht Sachsen - Aktenzeichen 1 Ta 91/22

Im Verfahren einer sofortigen Beschwerde gegen die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist neuer Sachvortrag des Beschwerdeführers uneingeschränkt zu berücksichtigen.


In Sachen
... ./. ...
hat die 1. Kammer des Sächsischen Landesarbeitsgerichts durch Präsident des Landesarbeitsgerichts ... ohne mündliche Anhörung beschlossen:

Tenor:
1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 27.4.2022 über die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgeändert.


2. Dem Arbeitsgericht Chemnitz wird aufgegeben, über die Aufhebung von Prozesskostenhilfe erneut zu entscheiden und dabei die im Beschwerdeverfahren erstmals vorgelegten Verdienstnachweise des Beschwerdeführers zu berücksichtigen.



Gründe



I.



Das Arbeitsgericht Chemnitz bewilligte dem Beschwerdeführer durch Beschluss vom 24.1.2019 ratenfreie Prozesskostenhilfe und ordnete ihm zur Wahrnehmung der Rechte einen Rechtsanwalt bei.



Im Zuge des kraft Gesetztes einzuleitenden Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahrens forderte das Arbeitsgericht Chemnitz den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 8.12.2021 auf, bis 5.1.2022 seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unter Verwendung eines beigelegten Vordrucks darzulegen und entsprechende Unterlagen zur Glaubhaftmachung in Kopie beizufügen. Mit Schreiben vom 12.1.2022 erinnerte das Arbeitsgericht Chemnitz an seine Verfügung und verlängerte die dem Beschwerdeführer nachgelassenen Frist bis 2.2.2022. Mit Schreiben vom 9.2.2022 erinnerte das Arbeitsgericht den Beschwerdeführer abermals an die Vorlage der Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und verlängerte die Vorlagefrist bis 2.3.2022.



Mit E-Mail vom 3.3.2022 legte eine am Verfahren nicht beteiligte Dritte eine vom Beschwerdeführer erstellte Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vor, die (offenbar aufgrund eines Versehens bei Angabe der Jahreszahl des Datums) auf 4.1.2021 datiert ist. Das Original dieser Erklärung ging auf dem Postweg am 8.3.2022 beim Arbeitsgericht ein. Anlagen zur Glaubhaftmachung der Angaben waren der auf 4.1.2021 datierten Erklärung nicht beigefügt. Deshalb forderte das Arbeitsgericht den Beschwerdeführer durch Verfügung vom 9.3.2022 auf, folgende Unterlagen in Kopie vorzulegen:



- Lohnzettel der letzten drei Monate



- Mitteilung der einfachen Fahrstrecke zur Arbeit



- Kontoauszug der letzten vier Wochen



- Versicherungspolicen



- Mietvertrag mit Zahlungsnachweisen der Miete



- Ratenzahlungsvereinbarung samt Mitteilung, weshalb die Eingehung einer Ratenzahlungsverpflichtung notwendig war.



Mit Verfügung vom 6.4.2022 erinnerte das Arbeitsgericht den Beschwerdeführer an die Erledigung und Beantwortung des Schreibens vom 9.3.2022 und setzte eine Nachfrist für die Vorlage der angeforderten Unterlagen bis zum 20.4.2022.



Durch den angefochtenen Beschluss vom 27.4.2022 hob das Arbeitsgericht Chemnitz den Beschluss zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom 24.1.2019 auf. Zur Begründung führte es aus, der Beschwerdeführer habe die mit Schreiben vom 6.4.2022 letztmals angeforderten Belege nicht vorgelegt, weshalb die Prozesskostenhilfebewilligung nach § 124 Abs. 1 ZPO aufzuheben sei.



Gegen den am 27.4.2022 zugestellten Beschluss wandte sich der Beschwerdeführer mit einem "Einspruch" vom 23.5.2022, den er an das Amtsgericht Chemnitz adressierte. Dieses leitete den "Einspruch" an das Arbeitsgericht Chemnitz weiter, wo er am 27.5.2022 einging. Mit dem Einspruch legte der Beschwerdeführer Verdienstnachweise für die Monate September 2021 bis Februar 2022 vor und teilte mit, die Warmmiete für seine Wohnung betrage ab August 2022 651,00 €, wobei er den Mietvertrag aber nur nachreichen könne, wenn er ihm vorliege.



Durch Beschluss vom 7.6.2022 half das Arbeitsgericht dem als sofortige Beschwerde ausgelegten Einspruch des Beschwerdeführers nicht ab und legte die Sache dem Sächsischen Landesarbeitsgericht als zuständigem Beschwerdegericht vor.



Zur Begründung führte das Arbeitsgericht aus, dem Beschwerdeführer sei ausreichend Zeit zur Einreichung der am 6.4.2022 angeforderten Unterlagen gewährt worden. Da kein Posteingang zu verzeichnen gewesen sei, hätte die die Prozesskostenhilfe nach § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO aufgehoben werden müssen. Einer Berücksichtigung der zusammen mit der Beschwerde am 27.5.2022 eingereichten Lohnbescheinigungen stehe § 118 Abs. 2 S. 4 ZPO entgegen. Diese Vorschrift solle die PKH-Partei zu einer zügigen Mitwirkung im PKH-Überprüfungsverfahren anhalten. Eine Änderung der Aufhebungsentscheidung aufgrund verspäteter Einreichung von Unterlagen würde dem Sinn und Zweck des § 118 Abs. 2 S. 4 ZPO zuwiderlaufen.



II.



Die nach § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthafte und innerhalb der gesetzlichen Form und Frist eingelegte sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 27.4.2022 hat vorläufig Erfolg. Sie führt zur Abänderung des Beschlusses über die Aufhebung von Prozesskostenhilfe vom 27.4.2022 und zur Verpflichtung des Erstgerichts, über die Aufhebung der Prozesskostenhilfe unter Berücksichtigung der im Beschwerdeverfahren erstmals vorgelegten Unterlagen neu zu entscheiden.



1. Das Arbeitsgericht hätte die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Lohnnachweise bei seiner Abhilfeentscheidung nicht unberücksichtigt lassen dürfen. Die Auffassung des Arbeitsgerichts, erstmals zusammen mit einer sofortigen Beschwerde gegen die Aufhebung von Prozesskostenhilfe eingereichte Unterlagen könnten wegen § 118 Abs. 2 S. 4 ZPO nicht mehr berücksichtigt werden, ist mit Blick auf die Entwicklung der Rechtsprechung (BAG, Beschluss vom 8.12.2020, 9 AZB 59/20, juris, zu II.2.b) der Gründe) überholt.



Die frühere Rechtsprechung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts (Beschluss vom 20.5.2019, 9 Ta 68/18), wonach im Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren vorgelegte Unterlagen, die erst im Beschwerdeverfahren nachgereicht werden, wegen der Sanktionswirkung des § 118 Abs. 2 S.4 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen sind, wird ausdrücklich aufgegeben. Die in der genannten Entscheidung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vertretene Auffassung, § 118 Abs. 2 S. 4 ZPO, der gemäß § 120a Abs.4 S.2 ZPO auch im Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren Anwendung finde, liefe vollständig ins Leere, wenn erstmals im Beschwerdeverfahren eingereichte Unterlagen berücksichtigt würden, ist nicht mehr haltbar.



Die Abgabe von Erklärungen und die Vorlage von Unterlagen im Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren ist nicht auf das arbeitsgerichtliche Überprüfungsverfahren im Stadium vor der Beschwerde beschränkt. Nach § 571 Abs. 2 S. 1 ZPO kann eine Beschwerde vielmehr auf neue Angriffs und Verteidigungsmittel gestützt werden. Die Prozesskostenhilfepartei kann neuerliche Erklärungen deshalb auch noch im Beschwerdeverfahren abgeben und angeforderte Nachweise noch im Beschwerdeverfahren vorlegen. § 118 Abs.2 S.4 ZPO schließt dies für das Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren nicht aus, weil nach die nach § 120a Abs.1 S.3 ZPO gesetzten Fristen keine Ausschlussfristen sind.



Ein endgültiger Rechtsverlust ist mit der Versäumung dieser Fristen nicht verbunden. Durch § 124 Abs.1 Nr.2 Alt.2 ZPO wird sanktioniert, dass die Partei eine Erklärung nach § 120a Abs.1 S.3 ZPO "nicht oder ungenügend" abgegeben hat. Die nicht fristgerechte Abgabe einer ansonsten ordnungsgemäßen Erklärung wird dagegen nicht sanktioniert. Die Sanktionswirkung des § 124 Abs.1 Nr.2 Alt.2 ZPO tritt deshalb nur ein, wenn die Partei ihr Versäumnis auch im Beschwerdeverfahren nicht behebt (BAG, a.a.O.).



2. Anderes gilt im Verfahren zur erstmaligen Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Wird dort eine Erklärung nicht fristgerecht abgegeben oder unter Fristsetzung angeforderte Unterlagen nicht vorgelegt, hat das Gericht den Prozesskostenhilfeantrag nach § 118 Abs. 2 S. 4 ZPO abzulehnen. Dabei besteht kein Ermessensspielraum des Gerichts, denn § 118 Abs.2 Satz 4 ZPO eröffnet kein Ermessen. Wird nicht fristgerechter Sachvortrag im Beschwerdeverfahren nachgeholt oder Unterlagen nachgereicht, ist dies im Verfahren zur erstmaligen Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht mehr zu berücksichtigen. Insoweit verdrängt § 118 Abs.2 Satz 4 ZPO als speziellere Regelung § 571 Abs.2 Satz 1 ZPO (SächsLAG, Beschluss vom 8.4.2019, 9 Ta186/18, juris; vgl. auch BAG, Beschluss vom 3.12.2003, 2 AZB 19/03, juris).



Im Abänderungsverfahren müssen im Beschwerdeverfahren beigebrachter Sachvortrag und Unterlagen dagegen berücksichtigt werden, schon weil § 124 Abs.1 ZPO die Entscheidung über die Aufhebung von Prozesskostenhilfe in das (gebundene) Ermessen des Gerichts stellt (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 20.2.2020, Az. 1 BvR 427/19, juris, zu III.4.b) ee) der Gründe).



3. Das Beschwerdegericht hat von der in § 572 Abs. 3 ZPO eröffneten Befugnis Gebrauch gemacht, die Entscheidung über die Aufhebung der Prozesskostenhilfe dem Arbeitsgericht zu übertragen.



Das Arbeitsgericht wird zu prüfen haben, ob die vom Beschwerdeführer mit seiner sofortigen Beschwerde vom 23.5.2022 vorgelegten Lohnbescheinigungen ausreichen, die Angaben seiner auf 4.1.2021 datierten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse glaubhaft zu machen. Reichen dem Arbeitsgericht die vorgelegten Lohnbescheinigungen zur Glaubhaftmachung der in der Erklärung enthaltenen Angaben aus, kann es nach dem Ergebnis der neu durchzuführenden Prüfung von der Aufhebung der Prozesskostenhilfe absehen. Ist das Arbeitsgericht dagegen der Auffassung, dass es der Vorlage weiterer Unterlagen bedarf, die bereits mit Schreiben vom 9.3.2022 angefordert worden sind, kann es die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erneut aufheben. Sollte gegen eine erneute aufhebende Entscheidung abermals sofortige Beschwerde eingelegt werden, wird das Arbeitsgericht bei der zu treffenden Abhilfeentscheidung im Beschwerdeverfahren erstmals vorgelegte Unterlagen zu berücksichtigen haben.



III.



Die Rechtsbeschwerde war nach §§ 78, 72 Abs. 2 ArbGG nicht zuzulassen. Die Entscheidung hat keine grundsätzliche Bedeutung i. S. von § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Eine Divergenz i. S. von § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG liegt nicht vor.



Einer Kostenentscheidung bedarf es im vorliegenden Beschwerdeverfahren nach § 127 Abs. 4 ZPO nicht.

Vorschriften§ 124 Abs. 1 ZPO, § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, § 118 Abs. 2 S. 4 ZPO, § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO, § 118 Abs. 2 S.4 ZPO, § 120a Abs.4 S.2 ZPO, § 571 Abs. 2 S. 1 ZPO, § 118 Abs.2 S.4 ZPO, § 120a Abs.1 S.3 ZPO, § 124 Abs.1 Nr.2 Alt.2 ZPO, § 118 Abs.2 Satz 4 ZPO, § 571 Abs.2 Satz 1 ZPO, § 124 Abs.1 ZPO, § 572 Abs. 3 ZPO, §§ 78, 72 Abs. 2 ArbGG, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG, § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG, § 127 Abs. 4 ZPO