Beschluss vom 29.12.2022 · IWW-Abrufnummer 233991
Landesarbeitsgericht Nürnberg - Aktenzeichen 5 Ta 24/22
Wird Prozesskostenhilfe auch für einen Vergleich gewährt und der Anwalt beigeordnet, so fällt jedenfalls seit der Neufassung der Anmerkung 1 zu Nr. 1003 VV-RVG mit Geltung vom 01.01.2021 eine 1,5 Einigungsgebühr für den Vergleichsmehrwert an (im Anschluss an LAG Nürnberg vom 26.07.2021 - 3 Ta 68/21).
Tenor:
1. Die sofortige Beschwerde des Bezirksrevisors beim Landesarbeitsgericht Nürnberg vom 01.06.2022 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg - Kammer Schweinfurt - vom 23.05.2022, Aktenzeichen: 9 Ca 888/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
3. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben für den Kläger am 28.12.2021 Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Würzburg - Kammer Schweinfurt - erhoben. Mit Schreiben vom 28.12.2021 beantragte der Klägervertreter Prozesskostenhilfe. Im Gütetermin vom 25.01.2022 schlossen die Parteien nach Erörterung der Sach- und Rechtslage einen widerruflichen Vergleich u.a. mit dem Inhalt der Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses. Vor Abschluss des widerruflichen Vergleichs beantragte der Klägervertreter die Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den beabsichtigten Vergleichsabschluss. Mit Beschluss vom 22.02.2022 wurde dem Kläger unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten Prozesskostenhilfe für das Verfahren und den Vergleich bewilligt. Der Gegenstandswert für das Verfahren wurde auf 8.698,10 € und für den Vergleich auf 11.597,48 € festgesetzt.
Mit Vergütungsfestsetzungsantrag vom 10.02.2022 begehrte der beigeordnete Prozessbevollmächtigte des Klägers Vergütung aus der Staatskasse in Höhe von 1.708,84 €, hierin enthalten war eine 1,5 Einigungsgebühr aus dem Vergleichsmehrwert.
Mit Beschluss vom 01.03.2022 setzte das Arbeitsgericht den Erstattungsantrag antragsgemäß fest. Auf Erinnerung des Bezirksrevisors beim Landesarbeitsgericht Nürnberg vom 15.03.2022 wurde die dem Rechtsanwalt zu gewährende Vergütung neu festgesetzt auf 1.498,21 €. Hierauf legte der beigeordnete Rechtsanwalt des Klägers mit Schriftsatz vom 06.04.2022 sofortige Beschwerde ein und beantragte für den Mehrwert des Vergleiches über nicht anhängige Gegenstände eine Einigungsgebühr von 1,5 festzusetzen. Mit Beschluss vom 07.04.2022 wurde der als Erinnerung auszulegenden Beschwerde durch die Urkundsbeamtin mit Beschluss vom 07.04.2022 nicht abgeholfen und sie dem zuständigen Kammervorsitzenden zur Entscheidung vorgelegt. Mit Beschluss vom 23.05.2022 hat das Arbeitsgericht Würzburg - Kammer Schweinfurt - auf die Erinnerung des Klägervertreters vom 06.04.2022 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg vom 05.04.2022 eine dem beigeordneten Rechtsanwalt aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung in Höhe von 1.708,84 € festgesetzt und seiner Entscheidung eine 1,5 Einigungsgebühr für den Vergleichsmehrwert zugrunde gelegt. Hieraufhin hat der Bezirksrevisor beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am 01.06.2022 sofortige Beschwerde eingelegt und beantragt, die Einigungsgebühr auf 1,0 zu reduzieren. Das Arbeitsgericht Würzburg - Kammer Schweinfurt - hat der sofortigen Beschwerde des Bezirksrevisors beim Landesarbeitsgericht Nürnberg vom 01.06.2022 nicht abgeholfen und die sofortige Beschwerde dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vorgelegt. Der Bezirksrevisor hat zur weiteren Begründung seiner Beschwerde auf die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts München unter dem Aktenzeichen 6 Ta 257/21 Bezug genommen.
II.
1. Die Beschwerde der Staatskasse ist zulässig. Sie ist nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 2 RVG statthaft. Die Beschwerde der Staatskasse ist fristgerecht gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG eingelegt.
2. Die Beschwerde ist aber nicht begründet, weshalb entsprechend dem Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg vom 23.05.2022 und der Nichtabhilfeentscheidung vom 06.07.2022 dem Klägervertreter eine 1,5 Einigungsgebühr für den Vergleichsmehrwert zu erstatten ist.
Wird beim Mehrwertvergleich die Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe auf den Mehrwert des Vergleichs erstreckt und der Anwalt beigeordnet, so ist umstritten, ob aus dem Mehrwert die volle 1,5 Einigungsgebühr anfällt oder nur die ermäßigte 1,0 Verfahrensgebühr (Nr. 1003 VV-RVG) entsteht (umfassend zum Streitgegenstand Meyer/Kroiß, 8. Auflage 2021, RVG VV 1000, Rn. 21). Die erkennende Kammer folgt in der zu entscheidenden Rechtsfrage der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 26.07.2021, 3 Ta 68/21, demnach mit der Neufassung der Anmerkung I. zu Nr. 1003 VV-RVG mit Geltung ab dem 01.01.2021 die Erstreckung der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe auf den Mehrwert eines Vergleichs nicht zu einer Ermäßigung führt. Die erkennende Kammer macht sich die Ausführungen der Kammer 3 beim Landesarbeitsgericht Nürnberg in dem Beschluss 3 Ta 68/21 zu eigen, so dass weitere Ausführungen nicht veranlasst sind. Soweit dem so gefundenen Ergebnis teilweise entgegengehalten wird, dass sich aus der Neufassung von § 48 Abs. 1 RVG durch das KostRÄG 2021 nichts für die konkrete Höhe der Einigungsgebühr ergebe und es diesbezüglich weiterhin bei der Bestimmung der Nr. 1003 VV-RVG verbleibe, ist dies zwar im Grunde nach zutreffend, führt jedoch nach dem eindeutigen Wortlaut der Anmerkung Abs. 1 Satz 1, Halbsatz 2 zu Nr. 1003 VV-RVG zu keinem anderen Ergebnis (entgegen LAG München, Beschluss vom 14.03.2022, Aktenzeichen: 6 Ta 8/22). Bereits die nach § 48 Abs. 1 Satz 2 RVG erfolgende gerichtliche Erstreckung der Beiordnung auf den Abschluss eines Mehrvergleichs als Vertrag im Sinne von Nr. 1000 VV-RVG führt zur Nichtanwendbarkeit der Ermäßigung nach Nr. 1003 VV-RVG, sodass es bei der 1,5 Gebühr nach Nr. 1000 VV-RVG verbleibt. Da die Erstreckung der Beiordnung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 RVG die 1,5 Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV-RVG verwirklicht, kann dahingestellt bleiben, ob auch ein Fall der Rückausnahme in Anmerkung Abs. 1, S. 1, Halbsatz 2 zu Nr. 1003 VV-RVG "soweit nicht lediglich Prozesskostenhilfe für (...) die gerichtliche Protokollierung des Vergleichs beantragt wird" einschlägig ist (hierzu auch OLG Bamberg, Senat für Familiensachen vom 23.09.2022, Aktenzeichen: 2 WF 111/22).
Damit ergibt sich eine für den Vergleich zu gewährende Vergütung aus einer 1,0 Gebühr aus 8.698,10 € sowie eine 1,5 Gebühr aus 2.899,38 € unter Berücksichtigung des § 15 Abs. 3 RVG, sodass der Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg - Kammer Schweinfurt - vom 23.05.2022 zutreffend ist und die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen ist.
III.
1. Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen (§ 78 Satz 3 ArbGG).
2. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da das Beschwerdeverfahren gebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden (§§ 56 Abs. 2, Satz 2 und 3 RVG).