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Beschluss vom 27.01.2023 · IWW-Abrufnummer 233846

Landesarbeitsgericht Hamm - Aktenzeichen 8 Ta 232/22

1. Wird ein arbeitsgerichtliches Urteilsverfahren durch einen Prozessvergleich erledigt, erfolgt die Festsetzung des Verfahrens- und Vergleichswerts regelmäßig auf der Grundlage des § 32 Abs. 1 RVG iVm. § 63 Abs. 2 GKG (im Anschluss an LAG Hamm, Beschluss vom 28. April 2006 - 6 Ta 95/06).

2. Streiten die Parteien zugleich über ein Zwischen- und ein Endzeugnis bzw. wird in einem Prozessvergleich zu beiden Zeugnisvarianten eine inhaltlich korrespondierende Regelung getroffen oder letztlich nur die Erteilung eines Endzeugnisses vereinbart, dann ist der Wert insoweit nach dem kostenrechtlichen Streitgegenstandsbegriff regelmäßig auf insgesamt ein Monatseinkommen festzusetzen. Denn der gesamte Zeugniskomplex bzw. beide Zeugnisvarianten betreffen bei wirtschaftlicher Betrachtung dann ein einheitliches Interesse.


Tenor:

Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 8. Juni 2022 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bocholt vom 28. April 2022 - 1 Ca 528/21 - wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.



Gründe



Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Festsetzung des Gebührenstreitwerts für ein durch Prozessvergleich erledigtes Bestandsschutzverfahren erster Instanz.



I.



Der im Prozess von der Beschwerdeführerin anwaltlich vertretene Kläger war seit dem 1. Juli 2019 bei der Beklagten als Technischer AT-Angestellter (Projektmanager) gegen ein durchschnittliches monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von 9.230,81 € beschäftigt. Unter dem 19. April 2021 kündigte die Beklagte ordentlich zum 31. Juli 2021. Gegen diese Kündigung wandte sich der Kläger mit Kündigungsschutzklage vom 2. Mai 2021, die er mit bestimmendem Schriftsatz vom 25. Juni 2021 um einen Antrag auf Berichtigung und Ergänzung des ihm unter dem 3. Mai 2021 erteilten Zwischenzeugnisses erweiterte. Mit Schreiben vom 26. Oktober 2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut, diesmal zum 31. Januar 2022, was Anlass der Kläger zum Anlass einer erneuten Klageerweiterung nahm.



Auf übereinstimmenden Vorschlag der Parteien stellte das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 15. März 2022 gem. § 278 Abs. 6 ZPO das Zustandekommen und den Inhalt eines verfahrensbeendenden Prozessvergleichs fest. Danach hat das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 26. Oktober 2021 mit dem 31. Januar 2022 gegen Zahlung einer namhaften Abfindung geendet. Ziffer 4 sieht die Abgeltung von wegen durchgängiger mehrmonatiger Erkrankung vor dem Beendigungstermin nicht genommener 19 Urlaubstage vor. Nach Ziffer 5 hat die Beklagte ein qualifiziertes Arbeitszeugnis (Endzeugnis) dort näher bestimmten Inhalts mit sehr guter Leistungs- und Führungsbeurteilung zu erteilen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vergleichs wird auf den Beschluss vom 15. März 2022 Bezug genommen.



Mit weiterem Beschluss vom 28. April 2022 setzte das Arbeitsgericht den Verfahrens- und Vergleichswert auf 64.615,67 € fest. Zur Begründung verwies es darauf, dass wegen beider Kündigungen jeweils der Vierteljahresverdienst und daneben der Zeugnisantrag mit einem weiteren Monatseinkommen in den Gesamtwert einzustellen sei.



Gegen diese Festsetzung wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrem am 8. Juni 2022 aus eigenem Recht aufgerufenen Behelf. Nach ihrer Auffassung ist für das im Vergleich vereinbarte Endzeugnis nach § 39 Abs. 1 GKG ein zusätzlicher Wert in Höhe eines Monatseinkommens anzusetzen. Es liege insoweit ein vom schon anhängigen Zwischenzeugnisbegehren abzugrenzender Streitgegenstand vor, denn ein Endzeugnis habe andere Inhalte und betreffe einen abweichenden Zeitraum. Ein Streit über den Inhalt des Endzeugnisses sei bereits durch die zum Vergleichsabschluss noch nicht beigelegten Differenzen über die Gestaltung des Zwischenzeugnisses angelegt gewesen. Darüber hinaus sei die zu den klägerischen Urlaubsansprüchen getroffene Regelung bei der Bestimmung des Mehrwerts zu berücksichtigen. Wegen dieser beiden Punkte falle jedenfalls eine 0,8 Verfahrensgebühr nach 3101 Nr. 2 VV RVG an, weshalb ein entsprechender Wert zu berücksichtigten sei.



Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen und insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beschwerdeführerin wird auf den Inhalt der Prozessakte verwiesen.



II.



Die nach § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i. V. m. §§ 68 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG statthafte, ausdrücklich aus eigenem Recht aufgerufene, rechtzeitig erhobene und im Übrigen zulässige Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.



1. Die Festsetzung des Gebührenstreitwerts hat vorliegend allein auf der Grundlage des § 32 Abs. 1 RVG i. V. m. §§ 68 Abs. 2, 39 ff GKG zu erfolgen. Denn § 32 Abs. 1 RVG begründet ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Gegenstandswert als der Berechnungsgrundlage anwaltlicher Vergütungsansprüche und der Höhe des vom Gericht für die Berechnung der Gerichtsgebühren festzusetzenden Streitwerts. Eine Festsetzung auf der Grundlage des § 32 Abs. 1 RVG findet dabei auch dann statt, wenn wegen des Eingreifens eines gesetzlichen Privilegierungstatbestands letztlich keine Gerichtsgebühren erhoben werden. Denn der zunächst nicht absehbare Wegfall oder eine von der Art der Verfahrenserledigung abhängige Minderung oder Nichterhebung von Gebühren ändert an der Gebührenpflichtigkeit des Gerichtsverfahrens und damit an der von § 32 Abs. 1 RVG begründeten Bindung nichts. Konsequenter Weise erfolgt dann auch die Festsetzung eines etwaigen Vergleichsmehrwerts im Verfahren nach § 32 RVG i. V. m. § 63 Abs. 2 S. 1 GKG. Für die gesonderte Festsetzung eines Gegenstandswerts auf der Grundlage des § 33 Abs. 1 RVG ist im Arbeitsgerichtsprozess daher regelmäßig nur bei den gerichtsgebührenfreien Beschlussverfahren gem. §§ 2a, 80 ff ArbGG und bei isolierten Prozesskostenhilfeverfahren Raum (LAG Hamm, Beschluss vom 28. April 2006 - 6 Ta 95/06 - m. w. N.).



2. Das Arbeitsgericht hat den Verfahrenswert gem. §§ 39 Abs. 1, 42 Abs. 2 S. 1 GKG zutreffend durch die Addition der Einzelwerte für die beiden Kündigungsschutzanträge, wegen der erheblichen zeitlichen Differenz zwischen den Beendigungsterminen jeweils zutreffend bemessen nach dem vollen Vierteljahreseinkommen, und dem Wert des die Gestaltung des Zwischenzeugnisses betreffenden weiteren Klageantrags (ein Monatseinkommen) bestimmt. Diese Wertfestsetzung entspricht der Spruchpraxis der Beschwerdekammer und wird von der Beschwerde nicht in Zweifel gezogen, was ergänzende Ausführungen dazu erübrigt.



3. Von einem weitergehenden Vergleichsmehrwert ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin vorliegend nicht auszugehen.



a. Die Beschwerdekammer orientiert sich bei der Überprüfung von Streitwertbeschlüssen im Interesse einer einheitlichen, transparenten, vorhersehbaren und in sich konsistenten Handhabung in ständiger Spruchpraxis an den sie gleichwohl nicht bindenden Vorschlägen des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit. Dieser liegt aktuell in der Fassung vom 9. Februar 2018 (u. a. NZA 2018, S. 495 ff) vor. Ein Vergleichsmehrwert entsteht nach I. Nr. 25.1 des Streitwertkatalogs nur dann, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder ein über die Streitgegenstände des Verfahrens hinausgehender außergerichtlicher Streit erledigt bzw. eine Ungewissheit über ein konkretes nicht bereits streitgegenständliches Rechtsverhältnis bzw. eine die Parteien betreffende Streitfrage beseitigt wird.



Der Wert des Vergleiches erhöht sich hingegen nicht um den Wert dessen, was eine Partei oder die Parteien durch den Vergleich erlangen oder wozu sie sich dort verpflichten (Schneider/Herget-Kurpat, Streitwert-Kommentar, 15. Auflage 2021 Rn 5485 m. w. N.; ebenso schon I. Nr. 22.1 des Streitwertkatalogs i. d. F. vom 5. April 2016). Für die Annahme eines Vergleichsmehrwerts muss folglich gerade über die Frage des Anspruchs oder Rechts in Bezug auf die jeweils im Vergleich getroffene Regelung zwischen den Parteien Streit und/oder Ungewissheit bestanden haben.



b. Danach ist zunächst für die Zeugnisvereinbarung kein Vergleichsmehrwert anzusetzen. Denn der Streitgegenstandsbegriff des § 39 Abs. 1 GKG ist kostenrechtlich geprägt. Er ist daher nicht mit dem allgemeinen zivilprozessualen Streitgegenstandsbegriff identisch (BAG, Beschluss vom 1. März 2022 - 9 AZB 38/21 m. w. N.). Das Additionsprinzip des § 39 Abs. 1 GKG findet seine Rechtfertigung darin, dass einer Mehrheit von Streitgegenständen regelmäßig ein gesteigertes wirtschaftliches Interesse innewohnt. Daran fehlt es, wenn die erhobenen Ansprüche wirtschaftlich betrachtet ganz oder teilweise identisch sind, womit der Grund dafür, die Parteien mit erhöhten Kosten und Gebühren zu belasten, entfällt. (BAG, aaO).



Diesem Gedanken trägt der vom Arbeitsgericht aufgegriffene Vorschlag zu I. Nr. 29.3 des aktuellen Streitwertkatalogs Rechnung. Wird - wie vorliegend - zugleich über ein Zwischen- und ein Endzeugnis gestritten bzw. zu beiden Zeugnisvarianten eine inhaltlich korrespondierende oder letztlich überhaupt nur eine Regelung getroffen, so betrifft der Gesamtkomplex das Zeugnisinteresse des Arbeitnehmers insgesamt nur einmal. Denn dann geht es im Kern um die Darstellung einer Tätigkeit und eine Beurteilung von Leistung und Führung in einem engen zeitlichen Zusammenhang. Folgen Zwischen- und Endzeugnis in enger zeitlicher Folge aufeinander, stehen sie gemeinsam zur Diskussion oder wird überhaupt nur ein Endzeugnis erteilt, ist für eine unterschiedliche bzw. abweichende Darstellung oder Beurteilung in beiden Varianten des Arbeitszeugnisses regelmäßig kein Raum. Bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung nach dem Interesse der klagenden Partei sind Zwischen- und Endzeugnis daher regelmäßig wertidentisch (LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 24. Februar 2020 - 5 Ta 12/20 - juris), jedenfalls dann, wenn sich die Zeugnisfrage in einem engen zeitlichen Kontext stellt und Anlass oder Notwendigkeit einer zwischenzeitlichen und gegebenenfalls abweichenden Neubeurteilung nicht erkennbar sind. Soweit sich Zwischen- und Endzeugnis dann noch allein durch Begleitangaben und einen relativ geringfügig abweichenden Beurteilungszeitraum unterscheiden, begründet dies bei wirtschaftlicher Betrachtung keinen in einem zusätzlichen Ansatz auszudrückenden wirtschaftlichen Mehrwert.



c. Wegen der im Vergleich getroffenen Urlaubsregelung (Abgeltung von 19 Tagen) bestand zwischen den Parteien zu Grund und Umfang erkennbar weder Streit noch konkret begründete Rechtsunsicherheit. Unter Ziffer 4 des Vergleichs ist dazu lediglich festgehalten, was nach übereinstimmender Auffassung der Parteien angesichts unbestrittener tatsächlicher Umstände unmittelbar aus dem Gesetz folgt. Dieser Vergleichsbestimmung kommt somit ein allein deklaratorischer Charakter zu, was einen Wertansatz insoweit unter allen Gesichtspunkten ausscheiden lässt (vgl. LAG Hamm, Beschluss vom 26. Oktober 2022 - 8 Ta 198/22 - juris m. w. N.). Losgelöst davon ist die bloße Feststellung unstreitiger Verhältnisse auch nicht als Einigung im Sinne von 3101 Nr. 2 VV RVG anzusehen (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 25. Auflage 2021, 3101 VV Rn 97 m. w. N.).



d. Soweit die Beschwerde demgegenüber mit dem angestrebten Ansatz der Differenzverfahrensgebühr nach 3101 Nr. 2 VV RVG argumentiert, setzt dieser voraus, dass überhaupt eine Einigung über - kostenrechtlich betrachtet - nicht anhängige Ansprüche erzielt worden ist, woran es aus den dargestellten Gründen fehlt. Zudem folgt die Grundlage der Wertberechnung gem. § 32 Abs. 1 GKG dem Gebührenstreitwert und nicht - quasi umgekehrt - dieser nach dem RVG ggf. eingreifenden Gebührentatbeständen.



4. Die Gebührenfreiheit des Beschwerdeverfahrens und der Ausschluss der Kostenerstattung ergeben sich unmittelbar aus § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i. V. m. § 68 Abs. 3 GKG.

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