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  • 14.05.2018 · IWW-Abrufnummer 201153

    Finanzgericht Nürnberg: Beschluss vom 16.04.2018 – 2 V 1572/17

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Nürnberg

             
    Beschluss

    In dem Rechtsstreit

    xxx

    wegen Aussetzung der Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 2009-2015

    hat der 2. Senat des Finanzgerichts Nürnberg durch
    xxx
    am 12. April 2018 beschlossen:

    1. Die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 2009 bis 2013 und 2015 vom 27.10.2017 wird für die Dauer des Einspruchsverfahrens ausgesetzt. Die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids 2014 vom 27.10.2017 wird in Höhe von 1.393.323 € für die Dauer des Einspruchsverfahrens ausgesetzt.
    2. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
    3. Die Kosten des Verfahrens haben der Antragsgegner zu 19/20 und die Antragstellerin zu 1/20 tragen.

    Rechtsmittelbelehrung

    Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben.

    Gründe

    I.

    Streitig ist in der Hauptsache, ob die Antragstellerin Vorsteuer abziehen kann, weil sie steuerpflichtige Lieferungen von anderen Unternehmern bezogen hat.

    Die Antragstellerin war in den Streitjahren 2009 bis 2015 zunächst von B-Stadt, dann von A-Stadt aus im innergemeinschaftlichen Handel mit Kraftfahrzeugen tätig. Wollte ein inländischer Unternehmer ein Fahrzeug – zumeist über eine Internetplattform – verkaufen und ein Unternehmer im übrigen Gemeinschaftsgebiet dieses Fahrzeug kaufen, der Inländer aber keine innergemeinschaftliche Lieferung durchführen, schloss sie im eigenen Namen Kaufverträge, wonach der inländische Unternehmer das Fahrzeug mit Umsatzsteuerausweis an sie und sie das Fahrzeug ohne Umsatzsteuerausweis an den Unternehmer im übrigen Gemeinschaftsgebiet verkaufte. Dafür erhielt sie eine Provision von 4,5% des Nettokaufpreises, mindestens 450 €. Die Initiative für ihre Einschaltung ging dabei teils von dem Verkäufer, teils von dem Käufer aus.

    Typischerweise holte der Käufer das Fahrzeug zugleich als Bevollmächtigter der Antragstellerin unmittelbar beim Verkäufer ab. Der Geschäftsführer der Antragstellerin hat aber auch selbst Fahrzeuge überführt, teilweise wurden die Fahrzeuge an anderen Treffpunkten übergeben. Die Zahlungen liefen unterschiedlich, teils in bar, teils per Überweisung. Wegen der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung dieses Geschäftsmodells beantragte die Antragstellerin mehrmals erfolglos verbindliche Auskünfte bei den jeweils zuständigen Finanzämtern. Einen Antrag mit Schreiben vom 08.04.2010 lehnte das damals zuständige Finanzamt B-Stadt aus formalen Gründen ab. Im Sommer 2015 stellte die Antragstellerin den Geschäftsbetrieb ein. Im Dezember 2017 beantragte sie die Zuteilung einer Steuernummer beim Finanzamt C-Stadt. Das Finanzamt C-Stadt lehnte den Antrag ab, da die Antragstellerin in C-Stadt keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübe.

    In ihren Umsatzsteueranmeldungen zog die Antragstellerin die von den Verkäufern ausgewiesene Vorsteuer ab. Dazu gehörte im Jahr 2014 auch Vorsteuer von insgesamt 205.902 € aus Rechnungen über die Lieferung von Fahrzeugen, die sie ausweislich ihrer Ausgangsrechnungen steuerfrei weiterlieferte, zumeist an eine von zwei personell verflochtenen Firmen in D und in E. Neben den Belegen für eine Lieferkette unter Beteiligung der Antragstellerin gibt es für diese Fahrzeuge jeweils auch Belege über eine andere, davon unabhängige Lieferkette, die beim Hersteller beginnt und etwas früher als die Lieferkette unter Beteiligung der Antragstellerin ebenfalls zu einer der beiden miteinander verflochtenen Firmen führt. In ihren Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2009 bis 2013 und in ihren Umsatzsteuervoranmeldungen für 2014 und Januar bis April 2015 berechnete die Antragstellerin die Vorsteuer aus Rechnungen von anderen Unternehmern – für 2014 einschließlich des soeben genannten Betrages – und Umsatzsteuer wie folgt (jeweils in €):

        2009    2010    2011    2012    2013      
    Vorsteuer    5.564,79    399.678,41    680.660,27    517.574,93    296.637,39      
    Umsatzsteuer    -5.564,79    -396.086,08    -656.259,71    -227.325,82    -33.637,09     
     
        2014    Januar 2015    Februar 2015    März 2015    April 2015      
    Vorsteuer    1.985.760,53    104.132,91    94.701,96    174.625,21    131.446,71      
    Umsatzsteuer    -1.373.599    -99.496    -87.873    -155.536    -117.527     

    Die Umsatzsteuererklärung 2009 ging am 11.11.2010 bei dem damals zuständigen Finanzamt ein. Alle Steuererklärungen und Voranmeldungen wirkten nach Zustimmung des Antragsgegners (des Finanzamts) als Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

    Im Mai 2013 fand bei der Antragstellerin eine Außenprüfung für die Jahre 2009 bis 2011 statt. Die Steuerfestsetzungen für 2009 und 2010 bestanden danach unverändert unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fort. Für 2011 versagte das Finanzamt aufgrund der Außenprüfung den Vorsteuerabzug aus zwei einzelnen Geschäftsvorgängen, erließ unter dem 11.06.2013 einen Umsatzsteuerbescheid, in dem es eine um 15.327,82 € niedrigere Vorsteuer berücksichtigte und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Dagegen hat die Antragstellerin Rechtsmittel eingelegt, die u. a. zu den zwischen den Beteiligten ergangenen Senatsurteilen vom 02.08.2016 2 K 831/14 und vom 25.07.2017 2 K 163/17 führten und im Ergebnis erfolglos blieben.

    Am 01.07.2015 wurde dem Geschäftsführer der Antragstellerin die Einleitung des Steuerstrafverfahrens unter anderem wegen des Verdachts der Hinterziehung der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen 2014 bekanntgegeben. Unter Hinweis auf dieses Steuerstrafverfahren gab die Antragstellerin keine Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2014 mehr ab. Mit Datum 14.02.2017 erging für 2014 ein Umsatzsteuer-Jahresbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, in dem das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen schätzte, Vorsteuer von 1.965.760,83 € berücksichtigte und Umsatzsteuer von -1.353.604,24 € festsetzte.

    Aufgrund einer Fahndungsprüfung erließ das Finanzamt unter dem 27.10.2017 für 2009 bis 2010 und 2012 bis 2014 geänderte Umsatzsteuerbescheide, in denen es den Vorbehalt der Nachprüfung aufhob, für 2011 einen abermals geänderten Umsatzsteuerbescheid und für 2015 einen ersten Umsatzsteuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Dabei ging es davon aus, dass die Antragstellerin die von den Verkäufern ausgewiesene Umsatzsteuer nicht abziehen dürfe, weil die Verkäufer die Fahrzeuge nicht an sie, sondern unmittelbar an die Käufer geliefert hätten. Es berücksichtigte für 2009 bis 2014 Vorsteuer und setzte Umsatzsteuer fest wie folgt (jeweils in €):

     
        2009    2010    2011    2012    2013    2014      
    Vorsteuer    519,41    7.593,17    69.077,39    56.888,83    36.439,97    43.611,31      
    Umsatzsteuer    -519,41    -4.000,84    -44.677,01    233.360,28    226.560,33    245.623,76     

    In dem Umsatzsteuerbescheid 2015 berücksichtigte es für den Zeitraum von Januar bis April 2015 Vorsteuer von 46.300,79 € und ermittelte für diesen Zeitraum eine Umsatzsteuer von -1.826 €. Gegen diese Umsatzsteuerbescheide legte die Antragstellerin Einspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) lehnte das Finanzamt ab.

    Die Antragstellerin beantragte daraufhin bei Gericht AdV. Sie macht geltend, sie habe im Rahmen ihres Geschäftsmodells Lieferungen der Verkäufer bezogen, da die Verkäufer ihr zivilrechtlich wirksam das Eigentum an den Fahrzeugen übertragen hätten. Sie hätte jeweils zunächst den Bruttokaufpreis an die Verkäufer gezahlt und anschließend den Nettokaufpreis zuzüglich ihrer Provision von den Käufern erhalten. Bei den doppelten belegmäßigen Lieferketten im Jahr 2014 habe sie tatsächlich Lieferungen bezogen. Ihr Geschäftsführer habe sich die fraglichen Fahrzeuge bei der Überführung in das übrige Gemeinschaftsgebiet auf dem Betriebsgelände vorführen lassen. Zur Glaubhaftmachung hat sie verschiedene Lichtbilder und eine eidesstattliche Versicherung ihres Geschäftsführers vorgelegt, wonach dieser die Lichtbilder im angegebenen Lieferzeitraum auf dem Betriebsgelände der Antragstellerin angefertigt hat (FG-Akte Bl. 54 ff.).

    Die Antragstellerin beantragt,
    die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 2009 bis 2015 vom 27.10.2017 auszusetzen.

    Das Finanzamt beantragt,
    den Antrag abzuweisen.

    Das Finanzamt ist der Auffassung, die Antragstellerin habe keine Lieferungen bezogen, da sie keinen Eigenhandel ausgeführt habe. Sie habe kein Unternehmerrisiko getragen, da sie immer erst dann eingeschaltet worden sei, wenn sich Verkäufer und Käufer über die Verkaufsbedingungen einig waren und schon beim Erwerb vom Käufer der Weiterverkauf an den Käufer festgestanden habe. Die Antragstellerin habe Wert und Substanz der erworbenen Kraftfahrzeuge nicht nach eigener Entscheidung wirtschaftlich nutzen können. Dass die Beteiligten unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen Verkäufer und Käufer begründen wollten, ergebe sich auch aus den Zahlungsmodalitäten. Die Käufer oder deren Mitarbeiter hätten, wenn sie die Fahrzeuge beim Verkäufer abholten, zumeist einen Geldbetrag in Höhe des Bruttokaufpreises unmittelbar dem Verkäufer übergeben und die Antragstellerin später die ihr vergütete Vorsteuer abzüglich ihrer Provision an die Käufer weitergeleitet. Bei den doppelten belegmäßigen Lieferketten im Jahr 2014 lägen jeweils nur der Lieferkette ohne Beteiligung der Antragstellerin tatsächliche Lieferungen zugrunde.

    II.

    Der zulässige Antrag ist überwiegend begründet. An der Rechtmäßigkeit der Umsatzsteuerbescheide vom 27.10.2017 bestehen mit Ausnahme eines Teilbetrags von 205.902 € im Jahr 2014 ernstliche Zweifel, weil sachverhaltsbezogene Unsicherheiten hinsichtlich des Geschäftsmodells der Antragstellerin im summarischen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend geklärt werden können.

    1.    Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Sätze 2 ff. der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 FGO) oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 FGO).

    2.    Der Antrag ist zulässig.

    a)    Das erkennende Gericht ist örtlich zuständig. Wird – wie hier – der Antrag auf AdV vor Erhebung der Klage gestellt, ist Gericht der Hauptsache im Sinne von § 69 Abs. 3 FGO das Gericht, bei dem die Klage in der Hauptsache erhoben werden wird (z. B. Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, FGO, § 69 Rz 719).

    aa)    Örtlich zuständig ist nach § 38 Abs. 1 FGO das Finanzgericht, in dessen Bezirk die Behörde, gegen welche die Klage gerichtet ist, ihren Sitz hat. Die Klage ist nach § 63 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 FGO gegen die Behörde zu richten, die den ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen hat, sofern nicht vor Erlass der Entscheidung über den Einspruch eine andere Behörde örtlich zuständig geworden ist.

    bb)    Im Streitfall hat die angefochtenen Steuerbescheide der Antragsgegner erlassen, der seinen Sitz im Bezirk des erkennenden Gerichts hat, und eine Änderung der Zuständigkeit ist nicht eingetreten. Für die Umsatzsteuer mit Ausnahme der Einfuhrumsatzsteuer ist nach § 21 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) das Finanzamt zuständig, von dessen Bezirk aus der Unternehmer sein Unternehmen im Geltungsbereich des Gesetzes ganz oder vorwiegend betreibt. Die Zuständigkeit für die Umsatzsteuer bleibt erhalten, auch wenn der Betrieb aufgegeben wird (BFH-Urteil vom 25.01.1989 X R 158/87, BFHE 156, 18, BStBl. II 1989, 483, unter II.1.b.). So verhält es sich im Streitfall. Die Antragstellerin betrieb ihr Geschäft zuletzt unstrittig von A-Stadt aus. Nach ihrem unwidersprochenen Vortrag hat sie ihren Geschäftsbetrieb nach Bekanntgabe der Einleitung des Steuerstrafverfahrens im Juli 2015 eingestellt. Für eine Fortsetzung des Geschäftsbetriebs von C-Stadt aus hat der Senat keine Anhaltspunkte.

    b)    Der Antrag ist auch für das Jahr 2015 als Antrag auf AdV zulässig. Zwar ist im Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO ein Antrag des Steuerpflichtigen, die Vollziehung eines auf eine negative Steuerzahlungsschuld lautenden Steuerbescheides in der Weise auszusetzen, dass das Gericht eine höhere negative Steuerzahlungsschuld festsetzt, nicht statthaft (BFH-Beschluss vom 28.11.1974 V B 44/74, BFHE 114, 171, BStBl. II 1975 240). Der Senat versteht den Antrag für 2015 allerdings dahingehend, dass die Antragstellerin nicht eine andere Jahresfestsetzung anstrebt, sondern durch eine AdV des Umsatzsteuer-Jahresbescheids das Wiederaufleben ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldungen erreichen will.

    3.    Der Antrag ist aber nur teilweise begründet. Ernstliche Zweifel im vorgenannten Sinne liegen dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken. Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt. Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (st. Rspr., z. B. BFH-Beschlüsse vom 14.02.1989 IV B 33/88, BFHE 156, 167, BStBl. II 1989, 516; vom 05.04.2011 XI S 28/10, BFH/NV 2011, 1746, unter II.2.; vom 27.01.2016 V B 87/15, BFHE 252, 187, Rz 12; jeweils m.w.N.). Auch eine AdV wegen unbilliger Härte setzt u.a. voraus, dass Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen. Sind derartige Zweifel ausgeschlossen oder fast ausgeschlossen, kommt eine AdV aufgrund der 2. Alternative des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO selbst dann nicht in Betracht, wenn die Vollziehung eine unbillige Härte zur Folge haben kann (BFH-Beschluss vom 24.05.2016 V B 123/15, BFH/NV 2016, 1253, Rz 25).

    Nach diesen Grundsätzen bestehen mit Blick auf die angefochtenen Steuerfestsetzungen ganz überwiegend ernstliche Zweifel, weil tatsächliche Unsicherheiten eine abschließende umsatzsteuerrechtliche Beurteilung des Geschäftsmodells der Antragstellerin nicht zulassen (a.). Ausgenommen ist lediglich die für 2014 geltend gemachte Vorsteuer aus rein fiktiven, eindeutig tatsächlich nicht durchgeführten Geschäften (b.). Da schon die materielle Rechtslage ernstlich zweifelhaft ist, kommt es auf verfahrensrechtliche Fragen nicht mehr an (c.).

    a)    Der Unternehmer kann nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Das Recht zum Vorsteuerabzug besteht nur für diejenigen Steuern, die geschuldet wurden, oder die entrichtet worden sind, soweit sie geschuldet wurden. Das Vorsteuerabzugsrecht erstreckt sich demgegenüber nicht auf eine Steuer, die geschuldet wird, weil sie in der Rechnung ausgewiesen wird (BFH-Urteil vom 14.03.2012 XI R 2/10, BFHE 237, 391, BStBl. II 2012, 653, Rz 47, m.w.N.). Im Streitfall sprechen jedenfalls gewichtige Gründe für die Möglichkeit, dass die Antragstellerin tatsächlich steuerpflichtige Lieferungen bezogen hat und die in den Rechnungen an sie ausgewiesene Umsatzsteuer nicht wegen des Ausweises geschuldet wird. Ob aus diesen Gründen ein Erfolg in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist, muss der Senat nicht entscheiden.

    aa)    Beim Kommissionsgeschäft (§ 383 des Handelsgesetzbuchs –HGB-) liegt nach § 3 Abs. 3 Satz 1 UStG zwischen dem Kommittenten und dem Kommissionär eine Lieferung vor. Kommissionär ist nach § 383 Abs. 1 HGB, wer es gewerbsmäßig übernimmt, Waren oder Wertpapiere für Rechnung eines anderen (des Kommittenten) in eigenem Namen zu kaufen oder zu verkaufen. Bei der Verkaufskommission gilt nach § 3 Abs. 3 Satz 2 UStG der Kommissionär, bei der Einkaufskommission der Kommittent als Abnehmer. Schließen mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte ab und gelangt dieser Gegenstand bei der Beförderung oder Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer, ist die Beförderung oder Versendung des Gegenstands nach § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG nur einer der Lieferungen zuzuordnen (sog. Reihengeschäft).

    bb)    Nach diesen Grundsätzen erscheint es denkbar, dass bei den Geschäften der Antragstellerin, soweit ihnen ein tatsächlicher Kraftfahrzeughandel zugrunde lag, umsatzsteuerrechtlich sowohl eine Lieferung vom Veräußerer an die Antragstellerin als auch eine Lieferung der Antragstellerin an die (Letzt-)Erwerber vorliegen. Die Antragstellerin könnte nach ihrem Geschäftsmodell Kommissionärin im Sinne des § 383 Abs. 1 HGB sein. Dafür ist es erforderlich, aber ausreichend, dass der Kommissionär in eigenem Namen und auf fremde Rechnung handelt. Dass er – gleich einem Makler – die Gelegenheit zum Vertragsschluss nachweist, ist nicht notwendig. Insofern scheidet eine Lieferung nicht schon deswegen zweifelsfrei aus, weil die Antragstellerin nicht auf eigene Rechnung handelte und kein Unternehmerrisiko trug, sondern lediglich eine Provision erhielt, da dies gerade kennzeichnend für ein Kommissionsgeschäft ist.

    Soweit die Antragstellerin möglicherweise Verkaufskommissionärin war, würde unmittelbar aus dem Wortlaut des § 3 Abs. 3 UStG folgen, dass zwischen dem Veräußerer und ihr eine Lieferung vorläge. Für den Fall der Einkaufskommission ergäbe sich unmittelbar aus § 3 Abs. 3 UStG zwar nur, dass zwischen ihr und dem Erwerber eine Lieferung vorläge. Eine solche Lieferung der Antragstellerin an den Erwerber würde aber denknotwendig voraussetzen, dass die Antragstellerin zuvor selbst eine Lieferung des Veräußerers bezogen hätte. Insofern käme es bei Vorliegen eines Kommisionsverhältnisses im Streitfall nicht darauf an, von wem bei den einzelnen Umsätzen die Initiative für die Einschaltung der Antragstellerin ausging. Sind Kommissionsgeschäfte Lieferungen gleichgestellt und steht es der Annahme mehrerer Lieferungen nicht entgegen, dass der Gegenstand unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer gelangt, so ist grundsätzlich auch ein Kommissionsgeschäft möglich, bei dem der Gegenstand unmittelbar vom Verkaufskommittenten zum Erwerber oder vom Veräußerer zum Einkaufskommittenten gelangt.

    Ein wirksames Handeln der Antragstellerin im eigenen Namen wäre bei überschlägiger Beurteilung auch dann nicht zweifelsfrei ausgeschlossen, wenn Gewährleistungsansprüche der Käufer ausschließlich gegen die Verkäufer bestanden haben sollten. Darauf könnte die im Vergleich zur Marge bei anderen Gebrauchtwagenverkäufen niedrige Provision der Antragstellerin hindeuten. Im Umkehrschluss aus § 309 Nr. 8 Buchst. b Buchst. aa und § 476 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs kann der Verkäufer aber zumindest beim Verkauf eines Gebrauchtwagens an einen Unternehmer eine eigene Haftung für Sachmängel ausschließen und sich auf die Abtretung seiner eigenen Gewährleistungsansprüche gegen seinen eigenen Lieferanten beschränken.

    cc)    Die Annahme eines Kommissionsgeschäfts scheidet bei summarischer Prüfung auch nicht deswegen zweifelsfrei aus, weil die Antragstellerin nur zum Schein eingeschaltet worden wäre und nach der Vorstellung der Beteiligten Rechtsbeziehungen unmittelbar zwischen dem Veräußerer im Inland und dem Erwerber im übrigen Gemeinschaftsgebiet entstehen sollten.

    (1)    Wird eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, mit dessen Einverständnis nur zum Schein abgegeben, so ist sie nach § 117 Abs. 1 BGB nichtig. Scheingeschäfte und Scheinhandlungen sind nach § 41 Abs. 2 AO für die Besteuerung unerheblich. Wird durch ein Scheingeschäft ein anderes Rechtsgeschäft verdeckt, so ist das verdeckte Rechtsgeschäft für die Besteuerung maßgebend. Wer bei einem Umsatz als Leistender anzusehen ist, ergibt sich regelmäßig aus dem der Leistung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 23. September 2015 V R 4/15, BFHE 251, 444, BStBl II 2016, 494, Rz 14). Handeln im eigenen Namen und Handeln auf fremde Rechnung schließen sich nicht aus. Ein Handeln im eigenen Namen, aber auf fremde Rechnung ist vielmehr charakteristisch für Strohmanngeschäfte, Kommissionsgeschäfte und andere Fälle der mittelbaren Stellvertretung. Im Außenverhältnis ist in diesen Fällen zivilrechtlich grundsätzlich der mittelbare Vertreter (Strohmann) verpflichtet, nicht der Vertretene (Hintermann; vgl. Ellenberger in Palandt, BGB, 76. Auflage, vor § 164 Rz 6,8).

    (2)    Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall aufgrund der präsenten Beweismittel weder für die Vereinbarungen zwischen den Verkäufern und der Antragstellerin noch für die Vereinbarungen zwischen der Antragstellerin und den Käufern dargetan, dass es sich um bloße Scheingeschäfte handelte. Aus dem Vorbringen der Antragstellerin ergeben sich hinreichende Gründe für die Annahme, dass es den Verkäufern gerade darauf ankam, nur eine Rechtsbeziehung mit einem inländischen Unternehmer einzugehen. Nach den äußeren Gesamtumständen (vgl. BFH-Urteil vom 20.10.2016 V R 36/14, BFH/NV 2017, 327, Rz 18) erscheint es nach Aktenlage zweifelhaft, ob sich die Verkäufer bewusst auf Scheingeschäfte eingelassen haben könnten. Sie hätten dann für die ausgewiesene Vorsteuer gehaftet (§ 14c UStG), so dass Scheingeschäfte jedenfalls kein geringeres wirtschaftliches Risiko bedeutet hätten als die mögliche Versagung der Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung wegen fehlender Nachweise. Umgekehrt wäre nach dem schlüssigen Vorbringen der Antragstellerin den Käufern bewusst gewesen, dass sie keine unmittelbaren Rechtsbeziehungen mit den Verkäufern begründen konnten und daher für einen rechtlich bedenkenfreien Erwerb der Fahrzeuge auf wirksame Vereinbarungen mit der Antragstellerin angewiesen waren.

    (3)    Die Art und Weise der Durchführung der Geschäfte steht dem – soweit dies für die AdV zu beurteilen ist – nicht entgegen. Soweit möglicherweise die Erwerber unmittelbar an die Veräußerer gezahlt haben, würde eine solche Abkürzung des Zahlungswegs die Leistungsbeziehungen unberührt lassen (vgl. BFH-Urteil vom 11.05.1995 V R 86/93, BFHE 177, 563, BStBl. II 1995, 613, unter II.1.b.). Sie ist insofern gleichsam „Spiegelbild“ des Reihengeschäfts. Mit einer etwaigen Weitergabe der Vorsteuervergütungen an den Erwerber könnte die Antragstellerin einer handelsrechtlichen Herausgabepflicht (§ 384 Abs. 2 Halbsatz 2 HGB) nachgekommen sein. Daher kann der Senat dahingestellt sein lassen, ob er wegen der Abwicklung der Zahlungen der Darstellung der Antragstellerin oder des Finanzamts folgt.

    dd)    Nach den bisherigen Erkenntnissen ist der Vorsteuerabzug auch nicht deswegen zweifelsfrei ausgeschlossen, weil einige Erwerber sog. „Missing Trader“ waren. Zwar ist der Vorsteuerabzug zu versagen, wenn dessen Voraussetzungen zwar tatsächlich vorliegen, jedoch aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine vom Lieferer oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war (BFH-Urteile vom 22. Juli 2015 V R 23/14, BFHE 250, 559, BStBl II 2015, 914, Rz 36; vom 18.02.2016 V R 62/14, BFHE 253, 283, BStBl. II 2016, 589, Rz 20, jeweils m.w.N.). Insofern könnten auch Steuerhinterziehungen der Käufer den Vorsteuerabzug bei der Antragstellerin ausschließen. Voraussetzung wäre aber, dass die Antragstellerin von diesen Steuerhinterziehungen wusste oder wissen musste. Dafür ist bisher nichts ersichtlich.

    ee)    Aus dem Senatsurteil vom 02.08.2016 2 K 831/14, unter 1.b. der Gründe, ergibt sich nichts anderes. Der Senat hat dort Zweifel am Vorliegen einer Lieferung geäußert und auf Umstände gestützt, die das Geschäftsmodell der Antragstellerin als solches betreffen dürften, eine Lieferung gleichwohl nicht ausgeschlossen. Ob diese Zweifel durchgreifen, wird im Hauptsacheverfahren zu entscheiden sein. Damit verbleiben jedoch ebenso für das jetzige AdV-Verfahren ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der den Vorsteuerabzug versagenden Bescheide.

    b)    Lediglich hinsichtlich eines Teilbetrags von 205.902 € im Jahr 2014 bestehen keine ernstlichen Zweifel, dass die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nicht vorliegen. Bei summarischer Prüfung ist davon auszugehen, dass die in den dazugehörigen Eingangsrechnungen abgerechneten Lieferungen tatsächlich nicht stattgefunden haben. Die betroffenen Fahrzeuge waren belegmäßig jeweils Gegenstand zweier unabhängiger Lieferketten von Deutschland in das übrige Gemeinschaftsgebiet, von denen die Antragstellerin jeweils nur an einer beteiligt war, und es erscheint nach derzeitigem Stand nahezu ausgeschlossen, dass die Lieferkette unter Beteiligung der Antragstellerin nicht nur belegmäßig bestanden hat.

    aa)    Dafür spricht vor allem, dass die jeweils andere Lieferkette vom Hersteller des Fahrzeugs ausgeht. Demgegenüber beginnen die Lieferketten unter Beteiligung der Antragstellerin bei Dritten, von denen jeweils nicht erkennbar ist, woher sie das Fahrzeug bezogen haben könnten. Die Möglichkeit, dass der Erwerber aus D oder E das Fahrzeug zunächst nach Deutschland zurückliefert, von wo es kurz darauf erneut an eine mit dem Vorerwerber verflochtene Firma geliefert wird, wäre wirtschaftlich sinnlos und erscheint daher gänzlich fernliegend.

    bb)    Es wäre auch kein Grund erkennbar, weswegen Personen, die zuvor mittels Scheinrechnungen Lieferketten einschließlich innergemeinschaftlicher Lieferung fingiert haben, anschließend der Antragstellerin eine Provision zahlen sollten, um selbst keine tatsächliche innergemeinschaftliche Lieferung durchführen zu müssen. Eine innergemeinschaftliche Lieferung buch- und belegmäßig nachzuweisen dürfte nicht schwieriger sein als eine nicht stattgefundene Lieferung buch- und belegmäßig zu fingieren, die mit einer tatsächlichen Lieferung verbundenen steuerrechtlichen – und steuerstrafrechtlichen – Risiken hingegen wesentlich geringer sein als bei einer fingierten Lieferung.

    cc)    Aus den von der Antragstellerin vorgelegten Lichtbildern ergibt sich nichts anderes. Die Lichtbilder zeigen im Wesentlichen Plaketten oder Bauteile mit einer Fahrzeug-Identifikationsnummer und weiteren technischen Angaben. Sie lassen nicht erkennen, wo sie angefertigt wurden und ob die Plakette oder das Bauteil auf einem Fahrzeug angebracht oder in einem Fahrzeug verbaut sind. Selbst wenn der Geschäftsführer der Antragstellerin, wie er eidesstattlich versichert hat, die betreffenden Fahrzeuge persönlich am Sitz der Antragstellerin in Augenschein genommen hat, würde dies nicht belegen, dass sie in Abwicklung der abgerechneten Lieferung dorthin gelangt sind und nicht nur zur Vorspiegelung einer solchen Lieferung vorgefahren wurden.

    dd)    Auch Vertrauensschutzerwägungen stehen einer Versagung des Vorsteuerabzugs nicht entgegen. Unabhängig davon, ob der Vertrauensschutz beim Vorsteuerabzug im Festsetzungsverfahren oder in einem gesonderten Billigkeitsverfahren zu gewähren ist (dazu BFH-Beschlüsse vom 06.04.2016 V R 25/25, BFHE 254, 139, Rz 46 einerseits, XI R 20/14, BFHE 254, 152, Rz 67 ff. andererseits), bezieht er sich lediglich auf die Richtigkeit von Rechnungsangaben, nicht auf die Ausführung einer Lieferung oder sonstigen Leistung (grundlegend BFH-Urteil vom 30.04.2009 V R 15/07, BFHE 225, 254, BStBl. II 2009, 744, unter II.2.a. und II.4).

    c)    Nachdem für die Umsatzsteuer 2009 und 2011 schon wegen der materiell-rechtlichen Unsicherheiten die Voraussetzungen der AdV vorliegen, kommt es nicht mehr darauf an, ob gegen die Festsetzungen für diese Jahre auch verfahrensrechtliche Bedenken bestehen. Der Senat kann daher dahingestellt sein lassen, wann im Hinblick auf den nach der Außenprüfung 2013 fortbestandenen Vorbehalt der Nachprüfung für 2009 die Hemmung der Festsetzungsverjährung (§ 171 Abs. 4 Satz 1 AO) endete und ob für 2011 die Sperrwirkung der Außenprüfung (§ 173 Abs. 2 AO) überwunden werden konnte, obwohl das Geschäftsmodell der Antragstellerin den Finanzbehörden aus den Anträgen auf verbindliche Auskunft zumindest in Grundzügen bekannt war.

    3.    Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.