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  • · Fachbeitrag · NW-Handel

    Rechtsprechungsreport ‒ Die wichtigsten Urteile des Jahres 2017 zum NW-Handel auf einen Blick

    | Das Gerichtsjahr 2017 stand ganz im Zeichen von „Dieselgate“. Die Zahl der Entscheidungen nähert sich mittlerweile der Tausendergrenze. An der Spitze steht das LG Braunschweig, wo die Käufer kein Bein auf den Boden bekommen. Der BGH meldet weiterhin Fehlanzeige. Doch jenseits von „Dieselgate“ haben die BGH-Richter eine Reihe auch für den NW-Handel wichtiger Entscheidungen gefällt. Diese fassen wir für Sie zusammen und verschaffen Ihnen zudem einen Überblick über die NW-Rechtsprechung der unteren Instanzen. |

    Käuferfreundliche Entscheidungen

    In den folgenden Fällen haben die Gerichte einen Sachmangel und damit einen Gewährleistungsfall bejaht:

     

    • Der Händler kann sich nicht auf den Standpunkt stellen, sämtliche Fahrzeuge der Serie hätten den beanstandeten Mangel. Vielmehr kommt es auf einen herstellerübergreifenden (globalen) Vergleich an, egal ob NW oder GW (BGH, Beschluss vom 16.05.2017, Az. VIII ZR 102/16, Abruf-Nr. 195119).

     

    • Eine Frontbeleuchtung eines Pkw mit unterschiedlicher Lichtstärke der Scheinwerfer (entweder durch einen Defekt oder durch falsche Einstellung oder durch beides) kann ein erheblicher, zum Rücktritt berechtigender Sachmangel sein (BGH, Urteil vom 18.10.2017, Az. VIII ZR 242/16, Abruf-Nr. 197665). Zugleich sagt der BGH, was einen Mangel erheblich bzw. geringfügig macht, was es mit der Fünf-Prozent-Grenze auf sich hat und wer die Beweislast trägt (für Geringfügigkeit der Verkäufer).

     

    • Ob das Auswechseln der Frontscheibe vor Auslieferung an den Käufer einen Sachmangel begründet, wenn das hinter dem Rücken des Käufers geschieht, lässt das OLG Schleswig offen, gibt aber zu verstehen, dass es dieser Ansicht zuneige. Für berechtigt hält es den Rücktritt jedenfalls deshalb, weil innerhalb der Sechs-Monats-Frist des § 476 BGB Wasser in das Fahrzeuginnere des Kia eingebrochen ist und der Händler nicht beweisen konnte, dass die Ursache dafür bei Auslieferung nicht vorhanden gewesen ist (OLG Schleswig, Urteil vom 05.10.2017, Az. 7 U 88/16, Abruf-Nr. 197538).

     

     

    • Leichtes Ruckeln eines neuen Wohnmobils (Challenger Genesis mit Ford-Motor) in der Kaltstartphase ist kein geringfügiger Mangel. Er berechtigt zum Rücktritt (OLG Oldenburg, Urteil vom 27.04.2017, Az. 1 U 45/16, Abruf-Nr. 195566).

     

    Händler- bzw. herstellerfreundliche Entscheidungen

    Entweder scheiterten die Käufer, weil sie einen Sachmangel nicht plausibel begründen bzw. nachweisen konnten. Oder sie blieben mit ihrem Rücktritt an der nächsten Hürde hängen: kein Rücktritt bei nur geringfügigem Mangel.

     

    • Trotz zugunsten der Verbraucher optimierter Auslegung der Beweislastumkehr (bis 31.12.2017 § 476 BGB, ab 01.01.2018 § 477 BGB) wurde die Klage einer Audi-Käuferin abgewiesen. Reklamationsgrund waren Lackkratzer. Aber wann waren sie entstanden? Wenn sie schon bei Auslieferung vorhanden gewesen sein sollten, wie die Käuferin behauptete, dann hätten sie ihr bei der persönlichen Abholung des Fahrzeugs auffallen müssen, so das Gericht. Da das nicht der Fall gewesen sei, sei die Beweisvermutung unvereinbar mit der Art des Mangels. Folglich zog die Beweislastumkehr nicht (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.03.2017, Az. I-22 U 211/16, Abruf-Nr. 193147).

     

    • In zwei Fällen hat das OLG Frankfurt a. M. BMW-Käufer abblitzen lassen, die sich über Störgeräusche beschwert hatten, die von der Steuerkette ausgingen (N47-Motoren). „Rein akustisches bzw. Komfortproblem“, kein erheblicher Sachmangel, so die Begründung der Richter (OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 21.04.2017, Az. 24 U 26/15, Abruf-Nr. 194325 ‒ Vorführwagen; Urteil vom 21.04.2017, Az. 24 U 85/15, Abruf-Nr. 194326 ‒ Neuwagen).

     

    • Keinen Erfolg hatte der Käufer eines neuen VW Touran mit der Behauptung, bei dem als Extra bestellten Easy open-Paket begründe die erhöhte Diebstahlsgefahr einen Sachmangel (LG Braunschweig, Beschlüsse vom 23.05./29.6.2017, Az. 4 S 90/17, Abruf-Nr. 197450).

    Nacherfüllungsprobleme ‒ kein Ende in Sicht

    In NW-Fällen hat das Thema Nacherfüllung die Gerichte 2017 vor allem unter vier Aspekten beschäftigt:

     

    • 1. Unter welchen Voraussetzungen kann ein NW-Käufer Nacherfüllung in der Variante Ersatzlieferung (= Neulieferung) verlangen?
    • 2. Kann der Käufer auf seiner Wahl „ich will einen Neuen“ beharren, wenn der Händler den Mangel im Wege der Nachbesserung beseitigt?
    • 3. Wann kann der Händler die von ihm verlangte Nacherfüllung mit dem Argument „zu teuer“ verweigern?
    • 4. Unter welchen Voraussetzungen verliert der Händler seine Nacherfüllungschance (Recht zur zweiten Andienung)? Anders gefragt: Wann kann der Käufer direkt vom Kauf zurücktreten oder den Kaufpreis mindern?

     

    • Ersatzlieferung bei einem mangelhaften NW ist eigentlich unproblematisch. Doch was, wenn ein NW des bestellten und gelieferten Typs nicht mehr greifbar ist, z. B. wegen Einstellung der Produktion? Kann der Käufer ein Fahrzeug der aktuellen Bauserie verlangen? In „Dieselgate“-Fällen ist das eines der Hauptprobleme. Die Gerichte urteilen sehr unterschiedlich, überwiegend zugunsten der Händler.

     

    • Darf der Käufer an seiner Erstwahl (Ersatzlieferung) trotz Mängelbeseitigung festhalten? Das war die entscheidende Frage in einem Streitfall, den erst in zweiter Instanz das OLG Nürnberg zugunsten des Käufers eines BMW X3 entschieden hat. Ja, er darf, sofern die Reparatur (hier: Software-Update) hinter seinem Rücken stattgefunden hat (OLG Nürnberg, Urteil vom 20.02.2017, Az. 14 U 199/16, Abruf-Nr. 192258).

     

    • Nach § 439 Abs. 3 BGB in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung kann der Verkäufer die vom Käufer gewählte Nacherfüllung verweigern, wenn sie unverhältnismäßig hohe Kosten verursacht. Auch das ist ein Standardthema in „Dieselgate“-Fällen, aber auch in normalen NW-Mängelstreitigkeiten immer wieder ein Streitpunkt. Hinzuweisen ist erneut auf die oben erwähnte BMW X3-Entscheidung des OLG Nürnberg. Die Richter haben den Zu-teuer-Einwand des Händlers nicht greifen lassen und ihn zur Ersatzlieferung verurteilt. Worauf es bei dieser heiklen Problematik ankommt und worauf nicht, macht das instruktive Urteil deutlich.

     

    • Der vierte Komplex (Recht zur zweiten Andienung) ist der mit Abstand wichtigste, aber auch der komplizierteste. Im Zielkonflikt „schnelles Geld oder erst Nacherfüllung“ haben die Gerichte auch in 2017 mehrheitlich zugunsten der Verkäufer entschieden. In „Dieselgate“-Fällen tobt der Kampf vor allem um diesen Streitpunkt. Stichworte: Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit der Nacherfüllung, ernsthafte und endgültige Verweigerung.

     

     

    • Was in GW-Fällen ein ständiger Streitpunkt ist, nämlich das Gezerre um den Ort der Nacherfüllung (Händlersitz oder Standort des Fahrzeugs), spielt in NW-Fällen nur eine Nebenrolle. Die GW-Entscheidung des BGH (Urteil vom 19.07.2017, Az. VIII ZR 278/16, Abruf-Nr. 195564) hat die händlergünstige Position gestärkt. Kleiner Wermutstropfen: Der Verbraucher kann einen Transportkostenvorschuss verlangen und seine Bereitschaft, den Wagen vorzuführen, von der Zahlung abhängig machen.

    Rücktritt bei Entfallen des Rücktrittgrunds

    Kann ein Rücktritt, der im Zeitpunkt seiner Erklärung wirksam war, nachträglich unwirksam werden, das Festhalten daran treuwidrig sein? Diese Frage taucht verstärkt in „Dieselgate“-Fällen auf, wenn die Käufer im Anschluss an ihre Rücktrittserklärung das angebotene Softwareupdate haben machen lassen. Überwiegend entscheiden die Gerichte diese Fälle zugunsten der Käufer. So auch das OLG Schleswig im Urteil „nasser Kia“. Aufgrund von Steinschlag einige Zeit nach Übernahme des Kia hatte der Käufer die Frontscheibe wechseln lassen, was zur Folge hatte, dass der Wagen von da an trocken war.

    Quelle: Ausgabe 02 / 2018 | Seite 7 | ID 45044818